A: Unbewusste Fahrlässigkeit nach § 6 Abs 1 StGB
Die unbewusste Fahrlässigkeit ist dadurch gekennzeichnet, dass der Handelnde den möglichen Erfolg nicht voraussieht, aber ihn doch bei der im Verkehr erforderlichen und ihm zumutbaren Sorgfalt hätte voraussehen und verhindern können.
1. Objektive Sorgfaltswidrigkeit
Wichtig bei der unbewussten Fahrlässigkeit ist die objektive Sorgfaltswidrigkeit des Täters.
1.1 objektive Sorgfaltswidrigkeit durch den Verstoß gegen eine Norm
Beispiel:
Fährt A aus Unachtsamkeit bei Rot über eine Ampel, so verstößt er gegen eine Rechtsnorm der StVO.
Er handelt objektiv sorgfaltswidrig.
Hier sind wir aber noch nicht im Bereich des gerichtlichen Strafrechts. Reine Verkehrssünden ohne Personenschäden oder Personengefährdungen sind einfache Verwaltungsübertretungen. Kommt durch das objektive sorgfaltswidrige Verhalten des A ein anderer zu Schaden und wird am Körper verletzt, ist eine fahrlässige KV nach § 88 Abs 1 StGB in Betracht zu ziehen.
Wer also du Sorgfalt außer Acht lässt zu der er den Umständen nach verpflichtet gewesen wäre, der handelt objektiv sorgfaltswidrig.
1.2. objektive Sorgfaltswidrigkeit bei inadäquatem Handeln:
Ist die objektive Sorgfaltswidrigkeit nicht im Verstoß einer Rechtsnorm verankert, so gilt es abzuwägen. Hätte ein mit den rechtlich geschützten Werten verbundener Mensch (die Maßfigur) nicht so gehandelt wie der Täter, ist eine objektive Sorgfaltswidrigkeit in Betracht zu ziehen.
2. Subjektive Sorgfaltswidrigkeit
Wer die Sorgfalt außer Acht lässt zu der er nach seiner geistigen und körperlichen Befähigung im Stande gewesen wäre, der handelt subjektiv sorgfaltswidrig.
Hier ist die Frage, ob der Täter zum Tatzeitpunkt subjektiv überhaupt in der Lage dazu gewesen ist das gebotene Maß an Sorgfalt einzuhalten. Wenn A bei Rot über die Ampel fährt, handelt er objektiv sorgfaltswidrig. Wäre er dem Sachverhalt nach geistig und körperlich durchaus dazu in der Lage gewesen die gebotene Sorgfalt einzuhalten, handelt er auch subjektiv sorgfaltswidrig. Soweit sich im Sachverhalt keine Hinweise finden, die eine Einhaltung des subjektiven Sorgfaltsmaßstabes ausschließen, wird immer angenommen, dass der Täter zum Tatzeitpunkt in der Lage war, die Sorgfalt einzuhalten.
Einlassungsfahrlässigkeit:
Passiert A der Unfall jedoch, weil er stark alkoholisiert gewesen ist und zum Zeitpunkt daher weder psychisch noch physisch nicht in der Lage dazu war, die notwendige Sorgfalt einzuhalten müsste er straffrei ausgehen, da er zum Tatzeitpunkt NICHT nach seinen körperlichen Befähigungen in der Lage war die gebotene Sorgfalt einzuhalten, auch wenn durch sein Verhalten der Fußgänger B in der
Seitenstraße schwer verletzt wird. Das Gesetz schützt Rauschtaten nur ungern. Es kann nicht sein, dass, wenn sich eine
Person bewusst in einen Zustand versetzt, in dem sie subjektiv nicht mehr in der Lage ist die notwendige Sorgfalt einzuhalten, straffrei ausgeht. Hier spricht man von einer sogenannten Einlassungsfahrlässigkeit.
Danach hat sich A, der vor der Tat Einsichts- und Handlungsfähig gewesen ist, durch das Sich-Berauschen darauf eingelassen, dass er in eine Situation kommen könnte, in der er nicht die erforderlichen geistigen und körperlichen Fähigkeiten aufbringen können wird. A hat sich somit auf diese Situation eingelassen, wenn er davor Einsichts- und Handlungsfähig gewesen ist und daher wusste, dass im Entscheidenden Zeitpunkt, seine Reaktion nicht ausreichend sein wird.
Wer weiß, dass er schlecht sieht und ohne Brille fährt lässt sich ebenso darauf ein auch wenn er zum Zeitpunkt des Unfalls aufgrund seiner Sehschwäche nicht richtig reagieren konnte. (= Einlassungsfahrlässigkeit)
Eine andere Möglichkeit bei einer fehlenden subjektiven Sorgfaltswidrigkeit ist es, das objektiv sorgfaltswidrige Verhalten des Täters einfach „vor zu verlagern“ und die objektive Sorgfaltswidrigkeit einfach an einen Zeitpunkt anzuknüpfen, wo ebenso bereits eine sozial inadäquat gefährliche Handlung geschehen ist.
Kommt der Fahrer A also alkoholbedingt von der Straße ab und konnte er zu diesem Zeitpunkt gar nicht das gebotene Maß an Sorgfalt einhalten (weil er so stark berauscht war), handelt er zu diesem Zeitpunkt nicht subjektiv sorgfaltswidrig. Aber sein objektiv sorgfaltswidriges Verhalten liegt dann einfach in einem Zeitpunkt, zu dem er auch subjektiv sorgfaltswidrig gehandelt hat, nämlich darin, dass er überhaupt betrunken mit dem Auto gefahren ist.
3. Zumutbarkeit
Die Zumutbarkeit die Sorgfalt einzuhalten ist ein sehr heikles Thema. Hier geht es darum, dass jeder Mensch im Leben ein gewisses Maß an Sorgfalt an den Tag legen muss. Das Gebot die Sorgfalt einzuhalten darf jedoch nicht überspannt werden.
Sachverhalt:
A bedroht B mit vorgehaltener Waffe über rote Ampeln zu fahren. Dies geht eine Zeit gut, bis A schließlich den bei einer Fußgängerampel, die auf Grün geschaltet ist, die Straße überquerenden C erwischt, wobei dieser an seinen schweren Verletzungen stirbt.
Zu prüfen: Fahrlässige Tötung unter besonders gefährlichen Verhältnissen nach § 81 Abs 1 Z 1 StGB (Stand 2015)
Objektive Sorgfaltswidrigkeit:
B handelt objektiv sorgfaltswidrig.
Er fährt mehrmals bei Rot über eine Ampel, entscheidet sich also mehrmals bewusst für einen Normenverstoß.
Anmerkung: Hier liegt seit 2016 grobe Fahrlässigkeit vor, da dieses Verhalten in jedem Fall ungewöhnlich sorgfaltswidrig wäre und die Wahrscheinlichkeit eines Erfolgseintrittes durch einen in kurzer zeitlicher Abfolge begangenen mehrfachen Normenverstoß dieser Art (bei Rot über Ampel) erheblich steigt.
Subjektive Sorgfaltswidrigkeit:
B ist laut Sachverhalt geistig und körperlich gesund genug, das Maß an gebotener Sorgfalt einzuhalten. Zumindest ergibt sich nichts Gegenteiliges aus dem Sachverhalt.
Zumutbarkeit:
Es ist B jedoch unter diesen Umständen definitiv nicht zuzumuten die gebotene Sorgfalt einzuhalten, da er von A mit einer Waffe bedroht wird.
B: Bewusste Fahrlässigkeit nach § 6 Abs 2 StGB
Bei der bewussten Fahrlässigkeit rechnet der Handelnde mit dem möglichen Eintritt, vertraut aber pflichtwidrig und vorwerfbar darauf, dass der Schaden nicht eintreten wird. Der Handelnde darf den Erfolg aber nicht billigend in Kauf genommen haben, sonst liegt bedingter Vorsatz vor. Die Abgrenzung zur unbewussten Fahrlässigkeit spielt eine geringe Rolle, da man den bewusst fahrlässig Handelnden in jedem Fall auch mit § 6 Abs 1 StGB dran bekommt (Größenschluss). Im Gegensatz zur groben Fahrlässigkeit ist hier bezüglich der Tatbestände keine andere Strafdrohung vorgesehen. Hinsichtlich einer Subsumtion ist es somit egal, daher wird immer auf die (leichter vorzuwerfende) unbewusste Fahrlässigkeit abgezielt. Kommt im Prozess heraus, dass eine bewusste Fahrlässigkeit vorliegt, so sind das schuldrelevante Umstände, die nicht hinsichtlich der Strafdrohung des Fahrlässigkeitsdelikts, wohl aber bei der Strafbemessung (§ 32 StGB) eine Rolle spielen.
C: Grobe Fahrlässigkeit nach § 6 Abs 3 StGB (2016)
Die grobe Fahrlässigkeit spricht von einem derart sorgfaltswidrigen Verhalten, dass auch bei einer Überlegung aller Umstände gesagt werden kann, die Maßfigur hätte sicher nicht so gehandelt (sowas macht man nicht!). Der Täter handelt hier auffällig ungewöhnlich sorgfaltswidrig. Er geht ein Risiko ein, bei dem die Verwirklichung eines Sachverhaltes, der einem gesetzlichen Tatbild entspricht als geradezu wahrscheinlich anzunehmen ist. § 6 Abs 3 StGB spricht leg cit von einem sorgfaltswidrigem Verhalten, also muss der Täter hier genauso objektiv und subjektiv sorgfaltswidrig handeln (§ 6 Abs 1 StGB). Tut er dies eben in einem so schweren Grad (siehe obere Konstatierung), liegt eine grobe Fahrlässigkeit nach § 6 Abs 3 StGB vor.
Beispiel: Fahren im öffentlichen Verkehr mit einem Auto, in dem Wissen, das die Bremsen nicht funktionieren = grob fahrlässig
Dies war früher nur eine „bewusste“ Fahrlässigkeit; da aber der Eintritt eines Rechtsgutsschadens durch diese Handlung nicht bloß für möglich gehalten werden muss (§ 6 Abs 2 StGB), sondern geradezu wahrscheinlich ist, wenn der Fahrer am öffentlichen Verkehr teilnimmt, ist dieses Verhalten unter grobe Fahrlässigkeit einzustufen, was eine höhere Strafdrohung im Delikt zur Folge hat.
Verstößt der Täter gegen eine Norm handelt er bewusst oder unbewusst fahrlässig (bewusster Verstoß oder Verstoß aus Unachtsamkeit). Verstößt der Täter aber gleich gegen mehr als eine Norm, zeigt er damit eine Gleichgültigkeit gegenüber der Rechtsordnung und ist im Gegensatz zu einem mit den rechtlich geschützten Werten verbundenen Menschen als grob fahrlässig Handelnder einzustufen.
Auch diese Annahme ist eher schwierig. Wer bei Rot über die Ampel fahren möchte und dazu beschleunigt und so kurz auch die zulässige Höchstgeschwindigkeit überschreitet, handelt nicht automatisch grob fahrlässig. Dient der eine Verstoß bloß als Mittel zum Zweck des anderen, liegt nur Fahrlässigkeit (§ 6 Abs 1 oder Abs 2 StGB) vor. Nur, wenn Normen unabhängig von einander und nicht vertretbar missachtet werden, ist grobe Fahrlässigkeit anzunehmen. Beispiel: schnelles Fahren und gleichzeitiges telefonieren.
Wer unaufmerksam oder schlecht Auto fährt, weil er betrunken ist und dadurch einen anderen am Körper verletzt, handelt nicht doppelt sorgfaltswidrig, weil die durch den Rauschzustand herbeigeführten Sorgfaltswidrigkeiten mit dem Umstand der Berauschung mitabgegolten sind. Hierfür hat der Gesetzgeber aber § 81 Abs 2 StGB geschaffen. In diesem Fall braucht es leg cit KEINE grobe Fahrlässigkeit, sondern nur den Umstand des Minderrausches und die bedingte Vorhersehbarkeit der gefährlichen Tätigkeit.
Objektive Zurechung des Erfolges:
Ob ein Erfolg dem Täter auch objektiv zugerechnet werden kann hängt von 4 Kriterien ab:
Kausalität
Adäquanz
Risikozusammenhang
Risikoerhöhung gegenüber rechtmäßigem Alternativverhalten
ad 1: Das Verhalten des Täters muss kausal (ursächlich) für den eingetretenen Erfolg (Tod, Verletzung, ...) sein. Eine Unterbrechung des Kausalzusammenhanges wird jedenfalls bei vorsätzlichem, rechtswidrigem und schuldhaftem Verhalten eines Dritten angenommen.
Ad 2: Der eingetretene Erfolg muss im Bereich der allgemeinen Lebenserfahrung liegen und für den Täter bei der Ausführung seiner Handlung (wenn auch nicht in allen Details) vorhersehbar sein.
Ad 3: Beruht das fahrlässige Verhalten des Täters auf einem Normenverstoß, so fragt man zunächst nach dem Zweck dieser Norm. Hat sich durch den Verstoß der Norm genau jener Sachverhalt verwirklicht, der durch das Einhalten hätte verhindert werden sollen, liegt ein Risikozusammenhang zwischen dem (gefährlichen) Verhalten des Täters und dem eingetretenen Erfolg vor.
Der Risikozusammenhang kann durch grob fahrlässiges Verhalten eines Dritten unterbrochen werden.
Ad 4: In diesem (letzten) Bereich argumentiert der Täter, dass der Erfolg auch eingetreten wäre, wenn er sich wohl verhalten hätte. Der Erfolg ist ihm zuzurechnen, wenn dieser mit einer hohen Wahrscheinlichkeit ausgeblieben wäre, wenn der Täter sich rechtmäßig verhalten hätte und somit durch sein fahrlässiges Verhalten eine Risikoerhöhung für den Erfolgseintritt stattgefunden hat.
Bejaht man einen Punkt muss man immer auch den nächsten prüfen. Erst, wenn Punkt 4 (Risikoerhöhung gegenüber rechtmäßigem Alternativverhalten) auch zu bejahen ist, ist der Erfolg dem Täter objektiv zuzurechnen.
Verneint man hingegen einen Punkt, muss man die anderen Punkte nicht mehr prüfen. Scheitert es also bereits an der Kausalität, kann man sich die Prüfung der andere Punkte sparen.