Putativnotwehr:
Die Putativnotwehr behandelt wie der Name schon sagt (putare = lat. glauben), eine irrtümlich angenommene Notwehrsituation. Dabei glaubt der Täter sich in einer solchen zu befinden obwohl objektiv, also tatsächlich keine Notwehrsituation vorliegt. Startet jemand eine Abwehrhandlung, weil er irrtümlich annimmt, dass ein gegenwärtiger oder unmittelbar drohender rechtswidriger Angriff auf eines der in § 3 Abs 1 genannten Rechtsgüter (Leben, Vermögen, Freiheit, ...) vorliegt, handelt er nicht schuldhaft, wenn auch ein mit den rechtlich geschützten Werten verbundener Maßmensch in dieser Situation das Vorliegen einer Notwehrsituation, die eine Abwehrhandlung erfordern würde, angenommen hätte und die Abwehrhandlung in Relation zur vermeintlichen Angriffshandlung angemessen war.
Hätte die Maßfigur jedoch den Irrtum erkannt und kann dem Täter daher ein Vorwurf gemacht werden, dass er den Irrtum nicht erkannt hat, so ist ihm eine fahrlässige Begehung der Tat anzulasten. Das Gleiche gilt, wenn zwar der Irrtum nicht auf Fahrlässigkeit beruht, aber der Täter die Notwehrgrenze im asthenischen Affekt (aus Furcht, Angst, Bestürzung) überschreitet und die Überschreitung auf Fahrlässigkeit beruht. (Putativnotwehrexzess).
Beispiel: Das Mädchen A geht in der Nacht im Stadtpark spazieren. Der Jogger X, welche sie sieht läuft plötzlich ohne Ankündigung auf A zu, diese gerät in Panik und schlägt X mit ihrem Regenschirm so fest auf den Kopf, dass daraus eine leichte Gehirnerschütterung resultiert. Später stellt sich heraus, dass der etwas ungeschickte X die Dame nur nach der Uhrzeit fragen wollte.
Lösung: A hat X vorsätzlich durch einen Schlag mit ihrem Regenschirm am Körper verletzt. Das Verhalten ist tatbildlich im Sinne des § 83 Abs 1 StGB. A ist nicht durch Notwehr nach § 3 Abs 1 StGB gerechtfertigt, da objektiv keine Notwehrsituation vorlag, denn X wollte sie nicht angreifen, er wollte nur nach der Uhrzeit fragen. Ein tatsächlicher Angriff auf ein notwehrfähiges Rechtsgut lag somit nicht vor. A nimmt jedoch irrtümlich das Vorliegen einer objektiven Notwehrsituation an. In Anbetracht der Umstände (Mädchen, allein, Nacht, Stadtpark) hätte wohl auch ein mit den rechtlich geschützten Werten verbundener Mensch das Vorliegen einer Notwehrsituation angenommen, als X ohne Ankündigung angerannt kam. Demnach ist X an seiner Verletzung selbst schuld, da er hätte wissen können, dass eine derart abrupte Näherung zu einer Person in der Nacht im Stadtpark eher auf unlautere Absichten schließen lässt. Die irrtümliche Annahme des Vorliegens einer Notwehrsituation beruht somit nicht auf Fahrlässigkeit. Der Schlag mit dem Regenschirm ist auch in Anbetracht der bereits oben genannten Konstatierungen eine in Relation zur vermeintlichen Angriffshandlung angemessene Abwehrhandlung. A handelt somit nicht schuldhaft, sie ist straffrei.