Kommentar zum § 2 B-VGNTU

Jens Budischowsky am 01.04.2014

  • 0,0 bei 0 Bewertungen


Staatsziel Tierschutz

Rz 1

Bei § 2 BVGNTU handelt es sich um eine Staatszielbestimmung, dh Adressat des § 2 BVGNTU ist die Republik Österreich. Dabei werden die drei genannten Gebietskörperschaften verpflichtet, den Schutz der Tiere mit den ihnen zu Gebote stehenden Mitteln anzustreben. Das Bekenntnis zum Tierschutz richtet sich zudem an alle drei Staatsgewalten (Gesetzgebung, Gerichtsbarkeit und Verwaltung) sowie an den hoheitlich und den privatwirtschaftlich handelnden Staat.

Rz 2

Als Staatszielbestimmung berechtigt oder verpflichtet § 2 BVGNTU Private nicht. Bürger müssen sich allein aufgrund der zit. Bestimmung nicht tierschutzgerecht verhalten. Gleichzeitig können sie aus § 2 BVGNTU keine subjektiven Rechte ableiten: Dies gilt etwa für eine Parteistellung in einem Verwaltungsverfahren, die jedenfalls einer eigenen gesetzlichen Grundlage bedarf (VfSlg 13.210/1992) oder für die Zuerkennung finanzieller Förderungen (Gutknecht in Korinek/Holoubek, Bundesverfassungsrecht BVG Umwelt Rz 24). Damit unterscheiden sich Staatszielbestimmungen von Grundrechten - in der österreichischen Verfassungsterminologie „verfassungsmäßig gewährleistete Rechte" -, die dem Grundrechtsträger subjektive Rechte gegen den Staat und teilweise auch gegen Private (zB das Grundrecht auf Datenschutz) einräumen.

Gegenstand des Staatszieles

Rz 3

Gegenstand des Staatszieles ist der Tierschutz, den § 2 BVGNTU allerdings nicht definiert. Die Materialien (IA 2316/A BlgNR 24. GP 3) verweisen auf § 1 TierschutzG (BGBl I 2004/118 idgF BGBl I 2013/80), der das Ziel des Gesetzes als den „Schutz des Lebens und des Wohlbefindens der Tiere aus der besonderen Verantwortung des Menschen für das Tier als Mitgeschöpf" umschreibt. Aufgrund dieses Verweises ist davon auszugehen, dass der Begriff „Tierschutz" in § 2 BVGNTU in gleicher Weise zu interpretieren ist.

Aufgrund der zit Definition erfasst der Tierschutz lediglich den Schutz des einzelnen Tieres (sog Individualtierschutz). Nicht zum Tierschutz zählen Bestimmungen zum Schutz und zur Pflege wild lebender Tierarten in ihrer natürlichen und historisch gewachsenen Vielfalt (Artenschutz als Teil des Umweltschutzes) und zum Schutz von Personen vor Tieren, der ein Teil der örtlichen Sicherheitspolizei gem Art 15 Abs 2 B-VG ist (Budischowsky, Die Kompetenzverteilung im Tierschutz, ÖJZ 2006, 625 f).

Kompetenzverteilung und Staatsziel Tierschutz

Rz 4

In Angelegenheiten, in denen eine Kompetenz des Bundes in Gesetzgebung und Vollziehung besteht, ist auch der Tierschutz Bundessache in Gesetzgebung und Vollziehung (zB Tiertransport, Tierversuchswesen an Universitäten, Tierschutz im Rahmen gewerblicher Tätigkeiten). In allen übrigen Bereichen ist der Tierschutz Bundessache in Gesetzgebung und Landessache in Vollziehung, ausgenommen der Tierschutz iZm der Ausübung der Jagd oder der Fischerei, der Landessache in Gesetzgebung und Vollziehung ist (Budischowsky, ÖJZ 2006, 624; Mayer, B-VG 4[2007] Art 11 B-VG I.8).

Gemäß § 2 BVGNTU sind Bund, Länder und Gemeinden jeweils im Rahmen ihrer verfassungsmäßigen Kompetenzen zum Tierschutz verpflichtet. Die Bestimmung hat somit keine Änderung dieser Kompetenzverteilung bewirkt (VfSlg 14.187/1995).

Staatsziel Tierschutz und Gesetzgebung

Rz 5

Primär richtet sich § 2 BVGNTU - wie auch die übrigen Staatszielbestimmungen (vgl die Aufzählung - naturgemäß ohne Berücksichtigung des BVGNTU - bei Öhlinger/Eberhard, Verfassungsrecht 9[2012] Rz 89 ff) - an die Gesetzgebung: Diese hat dem Staatsziel Tierschutz mit geeigneten Vorschriften Rechnung zu tragen. Sie verfügt dabei über eine großen Gestaltungsspielraum und hat Abwägung mit anderen verfassungsrechtlichen und einfachgesetzlichen Interessen vorzunehmen. Überlassen bleibt ihr dabei die Auswahl und Gewichtung der gesetzliche Maßnahmen und die Festlegung der Mittel (Gutknecht in Korinek/Holoubek, Bundesverfassungsrecht BVG Umwelt Rz 28). Die Grenzen dieses Ermessens sind unklar und von der Rsp naturgemäß noch nicht ausgelotet: ein Gesetz, das Bezüge zu Tieren aufweist und zentrale Tierschutzgesichtspunkte außer Acht lässt, dürfte allerdings verfassungswidrig sein (Gutknecht, Das Prinzip Umweltschutz im österreichischen Verfassungsrecht, in Machacek/Pahr/Stadler [Hrsg], Grund- und Menschenrechte in Österreich II [1992] 141 f).

Rz 6

Unklar ist weiters, ob aus § 2 BVGNTU ein Verschlechterungsverbot, dh das Verbot das bestehende Schutzniveau im Tierschutz abzusenken oder ein Nachbesserungsgebot, dh das Gebot den Tierschutz laufend neuen wissenschaftlichen Erkenntnissen anzupassen, ableitbar ist (vgl Budischowsky, Staatsziel Tierschutz, RdU 2013, 192 f).

Staatsziel Tierschutz und Vollziehung/Privatwirtschaftsverwaltung

Rz 7

Weniger bedeutsam ist das Staatsziel Tierschutz für die Vollziehung: Für die Erlassung hoheitlicher Akte ist eine gesetzliche Grundlage erforderlich, § 2 BVGNTU allein genügt dafür nicht (VfSlg 13.449/1993). Unbestimmte Gesetzesbegriffe sind verfassungskonform und somit auch staatszielkonform auszulegen: Ist zB die Berücksichtigung „öffentlicher Interessen" gesetzlich vorgesehen, so kann das Gericht bzw die Behörde bei der Interpretation dieses Terminus ua auf Staatsziele, somit uU auch auf das Staatsziel Tierschutz zurückgreifen (VwSlgNF 13.466 A/1991). Eindeutige gesetzliche Regelungen vermag § 2 BVGNTU allerdings nicht zu korrigieren (VwSlgNF 14.320 A/1995).

Rz 8

Mangels diesbezüglicher Einschränkungen ist auch die privatwirtschaftliche Betätigung des Staates von § 2 BVGNTU erfasst. Aufgrund der Fiskalgeltung von Staatszielen (Weber, Die Konkretisierung verfassungsrechtlicher Staatszielbestimmungen am Beispiel jener über den umfassenden Umweltschutz, in FS 75 Jahre B-VG [1995] 719 f) kann dabei das Staatsziel Tierschutz bei der Auslegung unbestimmter zivilrechtlicher Gesetzesbegriffe - zB der „guten Sitten" (§ 879 ABGB, § 1 UWG) - heranzuziehen sein.

Das Staatsziel Tierschutz im Verfassungsgefüge

Rz 9

Das BVGNTU wurde als „einfaches" Verfassungsgesetz beschlossen, es steht daher im Stufenbau der Rechtsordnung wie andere Verfassungsgesetze unter den Baugesetzen der Verfassung und über dem einfachen Gesetzesrecht.

Rz 10

Im Falle von Konflikten zwischen dem Staatsziel Tierschutz und anderen verfassungsrechtlich oder auch einfachgesetzlich verankerten Belangen ist eine Abwägung zu treffen. Diese Aufgabe kommt in erster Linie dem einfachen Gesetzgeber zu, der nach Möglichkeit allen belangen Rechnung zu tragen hat. Ein grundsätzlicher Vorrang kommt dem Tierschutz bei dieser Abwägung nicht zu, wie das dte BVerwG zur Einfügung des Staatszieles Tierschutz in Art 20a GG im Jahr 2002 und dessen Verhältnis zur Religionsfreiheit festhält: „Auch wenn die Einfügung des Tierschutzes als Staatsziel eine verfassungsrechtliche Aufwertung gebracht hat, genießt dieser Belang keineswegs Vorrang gegenüber anderen Verfassungsgewährleistungen (. . .). Vielmehr ist es vorrangig Aufgabe des Gesetzgebers, dieses Anliegen zu einem gerechten Ausgleich mit etwa widerstreitenden Grundrechten zu bringen. Dementsprechend muss die an enge Voraussetzungen zum Schutz der Religionsfreiheit geknüpfte Vorschrift im Tierschutzgesetz nach wie vor als Richtschnur des Gesetzgebers betrachtet werden, diesen Ausgleich zwischen Tierschutz und Religionsfreiheit so herzustellen, dass beide Wirkung entfalten können." (dtes BVerwG 23. 11. 2006, 3 C 30.05).

Tierschutz und Grundrechte

Rz 11

Der VfGH hat in seiner jüngeren Rsp den Tierschutz einen hohen Stellenwert eingeräumt und ihn als „weithin anerkanntes und bedeutsames öffentliches Interesse" (VfSlg 15.394/1998) qualifiziert. Das Höchstgericht hat dabei auch einen gesellschaftlichen Wertewandel festgestellt und es als unproblematisch angesehen, wenn der Gesetzgeber im Rahmen seines Gestaltungsspielraumes bestimmte Beeinträchtigungen und Belastungen für Tiere nicht mehr hinnehmen will, die er früher als nicht zu beanstanden oder nicht von Bedeutung ansah (VfSlg 19.568/2011).

Eine umfassende Darlegung ist in diesem Rahmen nicht möglich, beispielhaft soll auf das Verhältnis des Tierschutzes zur Erwerbs-, der Religions-, der Wissenschafts- und der Kunstfreiheit eingegangen werden.

Rz 12

Im Verhältnis zwischen der Erwerbsfreiheit (Art 6 Abs 1 StGG) einerseits und dem Tierschutz andererseits hat der VfGH in der Vergangenheit tendenziell eher Letzterem den Vorrang eingeräumt:

Unter Hinweis auf den skizzierten gesellschaftlichen Wertwandel und die große Bedeutung des Tierschutzes hat er zB das Verbot der Verwendung von Wildtieren in Zirkussen (VfSlg 19.568/2011), das Verbot der Haltung bzw Ausstellung von Hunden und Katzen in Zoofachgeschäften (VfSlg 17.731/2005) und das Verbot der Verwendung elektrisierender Dressurgeräte (VfSlg 18.150/2007) in Bezug auf Art 6 Abs 1 StGG als grundrechtskonform angesehen (vgl Budischowsky, RdU 2013, 194).

Rz 13

Anders judizierte der VfGH zum Grundrecht der Religionsfreiheit: Das Höchstgericht stufte ein Verbot des betäubungslosen Schlachtens (Schächten) aufgrund religiöser Überzeugung als mit Art 14 Abs1 StGG, Art 63 Abs 2 StV St Germain und Art 9 MRK unvereinbar ein. Ungeachtet seines hohen Stellenwerts komme dem Tierschutz kein gegenüber dem Recht auf Freiheit der Religionsausübung durchschlagendes Gewicht zu, zumal er „insbesondere für die öffentliche Ordnung nicht von derart zentraler Bedeutung (sei), dass er das Verbot einer Handlung (verlange), die einem jahrtausendealten Ritus (entspreche)" (VfSlg 15.394/1998; ähnlich bereits OGH in EvBl 1996/114 = JBl 1998, 196).

Dieser Jud entsprechend hat der Gesetzgeber das sog „rituelle Schlachten" grundsätzlich erlaubt, wenn der Betäubung des Tieres vor der Schlachtung „zwingende religiöse Gebote oder Verbote einer gesetzlich anerkannten Religionsgemeinschaft entgegen (stehen)." (§ 32 Abs 3 TierschutzG). Das G regelt die nähere Vorgangsweise, wie zB den Schlachthauszwang, die Anwesenheit eines Tierarztes bei der Schlachtung oder die Anforderungen an die Sachkunde der Person, die die Schlachtung vornimmt (Irresberger/Eberhard/Obenaus, Tierschutzgesetz [2005] 139 ff).

Rz 14

Art 17 Abs 1 StGG schützt die Wissenschaftsfreiheit („Die Wissenschaft und ihre Lehre ist frei."). Aufgrund des hohen Stellenwertes des Tierschutzes sind Bestimmungen, die Tiere vor Leid schützen, grundsätzlich geeignet dieses Grundrecht einzuschränken. Die „Schnittmenge" zwischen der Wissenschaftsfreiheit und dem Tierschutz sind die Tierversuche:

Zur Umsetzung der RL 2010/63/EU zum Schutz der für wissenschaftliche Zwecke verwendeten Tiere (ABl 2010 L 276, 33) lässt das TierversuchsG 2012 (BGBl I 2012/114) zwar Tierversuche zu, es sorgt jedoch mit Kontroll- und Genehmigungsvorschriften für eine nähere Legitimation von Versuchen (Beschränkung auf legitime Zwecke) und stellt „flankierende" Maßnahmen für die Haltung von Versuchstieren sicher.

In der BRD hatten die Gerichte bereits über Einschränkungen der Wissenschaftsfreiheit aufgrund tierschützerischer Belange abzusprechen (Schröter, Tierschutz und staatliche Schutzpflicht in Caspar/Luy [Hrsg], Tierschutz bei der religiösen Schlachtung [2010] 141 ff mwN; Oberverwaltungsgericht Bremen 11. 12. 2012, 1 A 180/10, 1 A 367/10), in Österreich fehlen höchstgerichtliche Aussagen zu dieser Thematik.

Rz 15

Die Wissenschaft ist nicht nur grundrechtlich abgesichert, der Verfassungsgesetzgeber hat darüber hinaus das Bekenntnis zur Forschung in § 6 BVGNTU als Staatsziel verankert („Die Republik Österreich [Bund, Länder und Gemeinden] bekennt sich zur Bedeutung der Grundlagenforschung und der angewandten Forschung"). Im Rahmen der Gesetzwerdung des BVGNTU dürften Befürchtungen laut geworden sein, die Schaffung des Staatsziels Tierschutz könne dazu verwendet werden, ua Beschränkungen von Tierversuchen zu erreichen oder zumindest zu verlangen. § 6 BVGNTU hat somit eine diesbezügliche „Ausgleichs-" bzw „Abwehrfunktion". Ob diese Regelung angesichts der grundrechtlichen Absicherung der Forschung erforderlich war, ist allerdings zu bezweifeln.

Rz 16

Wenn im Rahmen einer Kunstausübung (zB einer Performance) Tiere in einer Weise zum Einsatz kommen, die ihr Wohlbefinden stört, gerät die Kunstfreiheit (Art 17a StGG) mit dem Tierschutz in Konflikt: Grundsätzlich ist der Künstler in seinem Schaffen an die allgemeinen Gesetze gebunden, Art 17a StGG gibt ihm für seine Betätigung keinen Freibrief (VfSlg 11.737/1988, OGH in SZ 61/210 u 2008/43). Damit besteht auch eine Bindung an das Tierschutzrecht.

Tierschutzrechtliche Normen stellen keine intentionalen Beschränkungen der Kunstfreiheit, dh Regelungen „um der Kunstbeschränkung willen", dar. Derartige nicht - intentionale Eingriffe sind immer dann zulässig, wenn sie zum Schutze eines anderen Rechtsgutes erforderlich und verhältnismäßig sind. Dadurch wird eine Abwägung zwischen der Kunstfreiheit und dem Tierschutz notwendig (Ottensamer, Ausgewählte Aspekte des österreichischen Tierschutzgesetzes [Diss 2006] 36 f mwN; http://www.tieranwalt.at).

Aussagen österreichischer Gerichte zu dieser Thematik existieren (noch) nicht. Angesichts des Umstandes, dass das Höchstgericht den Tierschutz als bedeutsames öffentliches Interesse anerkannt hat (Rz 11), dürfte an ein, das Wohlbefinden eines Tieres störendes, künstlerisches Schaffen ein strenger Maßstab anzulegen sein. Als gesichert kann gelten, dass die Kunstausübung jedenfalls nicht als „vernünftiger Grund" iSd § 6 Abs 1 TierschutzG anzusehen ist, der die Tötung eines Tieres rechtfertigt (so die dten Rsp: Kreisgericht Berlin 24. 7. 2009, [4] 1 Ss 235/09 [150/09]; Verwaltungsgericht Berlin 24. 4. 2012, 24 L 113.12).

Gemäß § 5 Abs 2 Z 8 TierschutzG verstößt gegen das Verbot der Tierquälerei, wer ein Tier zu einer Filmaufnahme, Werbung, Schaustellung oder ähnlichen Zwecken und Veranstaltungen heranzieht, sofern damit Schmerzen, Leiden, Schäden oder schwere Angst für das Tier verbunden sind. Mangels Differenzierung gilt diese Bestimmung auch für Veranstaltungen, die von Art 17a StGG erfasst sind (zB Theateraufführungen: RV 446 BlgNR 22. GP 25). Daraus lässt sich ableiten, dass das TierschutzG bei Ausübung der Kunst in vollem Umfang anzuwenden ist und eine diesbezügliche „Privilegierung" für Künstler nicht besteht: Das Schwenken eines lebenden Wellensittichs in einem mit Speiseabfällen angereicherten Glas zu den Klängen der Nationalhymne (vgl Schröter in Caspar/Luy, Tierschutz bei der religiösen Schlachtung 144) dürfte aus der Sicht des österreichischen Rechts unzulässig sein.


§ 2 B-VGNTU | 1. Version | 943 Aufrufe | 01.04.14
Informationen zum Autor/zur Autorin dieses Fachkommentars: Jens Budischowsky
Zitiervorschlag: Jens Budischowsky in jusline.at, B-VGNTU, § 2, 01.04.2014
Zum § 2 B-VGNTU Alle Kommentare Melden Vernetzungsmöglichkeiten