Anwendung von Amts wegen
Gemäß §§ 3, 4 Abs. 1 IPRG ist fremdes Recht von Amts wegen wie in seinem ursprünglichen Geltungsbereich anzuwenden und auch von Amts wegen zu ermitteln, dies auch dann, wenn die Parteien diese Frage unbeachtet gelassen haben. (RSP0000058)
in seinem ursprünglichen Geltungsbereich Nach § 3 IPRG ist fremdes Recht wie in seinem ursprünglichen Geltungsbereich anzuwenden; es kommt in erster Linie auf die dort von der Rechtsprechung geprägte Anwendungspraxis an. (RS0113594)
Gerade bei rechtlich komplizierten Konstellationen kann regelmäßig mit dem bloßen Wortlaut der ausländischen Rechtsnormen bzw übersichtsweisen Darstellungen nicht das Auslangen gefunden werden, insbesondere wenn es um Rechtsnormen eines europäischen Staates, deren Auslegung durch entsprechende Anfragen an die zuständigen Behörden dieses Staates üblicherweise in angemessener Frist und ohne unzumutbaren Aufwand erhoben werden kann (Anfrage nach dem europäischen Rechtsauskunftsübereinkommen). (Ist die Praxis im Ursprungsland nicht einhellig oder nicht einmal von einer Meinung deutlich dominiert, so sind subsidiär die herrschende (überwiegende) Lehrmeinung des betreffenden Staates und erst in letzter Linie der Gesetzeswortlaut im Lichte der Auslegungsregeln und allgemeinen Rechtsgrundsätze der betroffenen Rechtsordnung heranzuziehen; sich von vornherein nur auf den fremden Gesetzeswortlaut zu beschränken, ist deshalb unzulässig. Die entsprechenden Kenntnisse muss sich der österreichische Rechtsanwender von Amts wegen in jeder Lage des Verfahrens selbst verschaffen. (RS0109415, RS0080958, VersR 1986,1032 , RS0080957)
Bei Widersprüchlichkeit, also beim Fehlen einer in der ausländischen Rechtsprechung herrschenden Auffassung, hat das österreichische Gericht selbständig an die Auslegung des ausländischen Gesetzes zu schreiten (6 Ob 549/77). (RS0076875, )Ob neben der Erkundigung des Wortlautes der in Betracht kommenden gesetzlichen Bestimmungen auch die einschlägige Lehre und Rechtsprechung zu berücksichtigen sind, ist nach der Klarheit des Gesetzesauftrages zu beurteilen. (RS0080957)Die Frage der Anwendung ausländischen Rechtes ist stets, auch ohne dass sich die Parteien darauf berufen, zu prüfen, sofern Anhaltspunkte dafür bestehen, dass die Sache ausländischem Recht unterliegen könnte. Solche Anhaltspunkte bestehen immer, wenn Gegenstand des Rechtsstreites Verträge sind, die zwischen einem im Ausland befindlichen Ausländer und einem im Inland befindlichen Inländer abgeschlossen wurden. (RS0009230) Oder bei Staatsangehörigkeit einer Minderjährigen ( ZfRV 1982,41 = JBl 1983,189 (Schwimauer)
Rechtliche Beurteilung
Da die unrichtige Lösung kollisionsrechtlicher Probleme eine Verletzung der inländischen Kollisionsnormen bedeutet, muss sie im Rahmen der rechtlichen Beurteilung der Sache auch ohne, ja sogar gegen den Willen der Prozessparteien wahrgenommen werden. (SZ 56/107 = ÖBl 1983,162 = GRURInt 1984,453 (Wirner) , EvBl 1987/2 S 15 = ZfRV 1988,215 (Hoyer), IPRE 2/3, SZ 70/145) Dennoch hängt im Rechtsmittelverfahren die amtswegige Prüfung der Rechtsanwendungsfrage von der Erhebung der Rechtsrüge ab. (RS0040031)
erhebliche RechtsfrageEine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO liegt dann vor, wenn gegen diese Rechtsanwendungsgrundsätze des § 3 IPRG verstoßen und bei der Entscheidung des Rechtsstreites durch die inländischen Gerichte eine im ursprünglichen Geltungsbereich des maßgeblichen fremden Rechtes in Rechtsprechung und Lehre gefestigte Ansicht hintangesetzt worden ist (so schon 3 Ob 121/92). (RS0113594)
Begehrt der Beklagte die Feststellung, daß die vom Kläger behaupteten Schadenersatzansprüche nach jugoslawischem Recht zu beurteilen seien, so handelt es sich dabei ausschließlich um die Beurteilung einer einzelnen für den Bestand und die Höhe des Klagsanspruches bedeutsamen Rechtsfrage, die im Sinne des § 3 IPRG von Amts wegen zu erfolgen hat, nicht aber um die Feststellung eines im Lauf des Prozesses streitig gewordenen Rechtsverhältnisses. (ZfRV 1989,297 (Hoyer), RS0039569)
Aus der nach § 3 IPRG gebotenen Bedachtnahme auf die Anwendung des maßgeblichen fremden Rechtes in dessen ursprünglichem Geltungsbereich folgt, dass es der Rechtssicherheit widersprechen könnte, würde bei der Entscheidung des Rechtsstreites durch die inländischen Gerichte eine im ursprünglichen Geltungsbereich des maßgeblichen fremden Rechts in Rechtsprechung und Lehre gefestigte Ansicht hintangesetzt. Nur in dieser Hinsicht ist das Vorliegen einer nach § 502 Abs 4 Z 1 ZPO qualifizierten Rechtsfragen denkbar. (RS0042940)
Der Oberste Gerichtshof ist nicht dazu berufen, für die Einheitlichkeit oder gar die Fortbildung fremden Rechts Sorge zu tragen. Diese Aufgabe fällt bei Anwendung türkischen Rechts vornehmlich dem Türkischen Kassationshof zu. (RS0042940) Wird eine Rechtsfrage über die Auslegung einer ausländischen Norm, die bisher noch keinen Entscheidungsniederschlag im Heimatstaat gefunden hat, zum ersten Mal an den Obersten Gerichtshof Österreichs herangetragen, so ist es nicht Aufgabe dieses Höchstgerichtes, einen Beitrag zur Auslegung ausländischen Rechtes zu liefern. (RS0042948)
Entspricht die Auslegung der nach den kollisionsrechtlichen Normen anzuwendenden ausländischen Sachnorm durch das Berufungsgericht der ständigen Rechtsprechung des ausländischen Höchstgerichtes und der ausländischen Lehre, so ist das Fehlen einer Rechtsprechung des OGH für die Beurteilung der Rechtserheblichkeit im Sinne des § 502 Abs 4 Z 1 ZPO ohne Bedeutung. (RS0042948) Aus Gründen der Rechtssicherheit wäre das Vorliegen einer qualifizierten Rechtsfrage denn denkbar, wenn ausländisches Recht unzutreffend ermittelt oder eine im ursprünglichen Geltungsbereich des maßgeblichen fremden Rechtes in Rechtsprechung und Lehre gefestigte Ansicht hintangesetzt wurde. (RS0042948))
Der Mangel einer Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zum anzuwendenden ausländischen Sachrecht begründet keine erhebliche Rechtsfrage im Sinne des § 502 Abs 1 ZPO. (RS0042948)
Dies muss umso mehr dann gelten, wenn es sich um eine bereits seit Jahren nicht mehr in Geltung stehende ausländische Rechtsnorm handelt, welche nur aufgrund der besonderen Sachverhaltsgestaltung auf ein einzelnes verfahrensbezogenes Rechtsverhältnis noch Anwendung findet. (RS0042948))
Die Revision wäre zulässig, wenn eine im ursprünglichen Geltungsbereich des maßgeblichen fremden Rechtes in Rechtsprechung und Lehre gefestigte Ansicht hintangesetzt worden wäre. (RS0042948)
Rechtsruege/Verfahrensmangel Wenngleich die §§ 2 bis 4 IPRG für Gerichtsbarkeit und Verwaltung die Amtswegigkeit der kollisionsrechtlichen Beurteilung anordnen, hängt im Rechtsmittelverfahren die amtswegige Prüfung der Rechtsanwendungsfrage von der Erhebung einer Rechtsrüge ab. (RS0120307)
Provisorialverfahren Die Zulässigkeit einer bloß kursorischen Prüfung der materiellen Anspruchsvoraussetzungen auf dem Boden des jeweils maßgebenden Auslandsrecht folgt aus dem Zweck des Provisorialverfahrens, möglichst rasch Rechtsschutz zu gewähren. Ausländisches Sachrecht ist im Provisorialverfahren daher im Allgemeinen schon dann anzuwenden, wenn die Richtigkeit des erhobenen Materials wahrscheinlich ist. Jedenfalls im Eilverfahren zur Gewährung einstweiligen Unterhalts scheidet etwa auch die Einholung des Gutachtens eines Sachverständigen zur Klärung der relevanten ausländischen Rechtslage (primär) auf dem Boden der aktuellen ausländischen höchstgerichtlichen Rechtsprechung aus. Hier: Auferlegung einstweiligen Unterhalts. (RS0115011)
EingriffsnormSind ausschließlich die öffentlich-rechtlichen Eingriffsnormen des TirGVG, die für in Tirol liegende Liegenschaften unabhängig vom Vertragsstatut zu gelten haben, maßgebend, kommt es auf das Vertragsstatut nicht an, weil auch die Frage, ob ein Anwartschaftsrecht entstanden ist, nach der Eingriffsnorm zu beurteilen ist.(RS0105776)
Verfahrensrecht
Die grundsätzlich verfahrensrechtliche Frage nach der Zulässigkeit eines Teilurteiles im Falle einer nach fremden Recht zu fällenden Statutsentscheidung steht in so enger Wechselwirkung zum anzuwendenden Sachrecht, daß dieses, um kein den Grundsätzen des § 3 IPRG zuwiderlaufendes materielles Ergebnis zu zeitigen, bei Anwendung des der Durchsetzung des materiellen Rechtes dienenden Verfahrensrechtes berücksichtigt werden muß (hier: Aufhebung des gesamten Scheidungsurteiles, obwohl es formell nur in seinem Verschuldensausspruch angefochten war). (IPRE 2/5)
Verfahrensgesetze sind, sofern nicht ausdrücklich eine andere Regelung getroffen wurde, immer nach dem letzten Stand anzuwenden; die Vorschriften der §§ 3, 4 IPRG sind daher auch auf Sachverhalte anzuwenden, die sich vor dem Inkrafttreten des IPRG verwirklichten. (RS0008733) Eine „Rückwirkung" von Verfahrensgesetzen auf Verfahrensschritte, die - wie hier - zu einem Zeitpunkt vor Inkrafttreten einer neuen Verfahrensregelung gesetzt wurden, kommt hingegen ohne ausdrückliche gesetzliche Anordnung nicht in Betracht. (RS0008733)
Internationale AbkommenIst von österreichischen Gerichten ausländisches (deutsches) Wechselrecht anzuwenden, ist wohl die nationale herrschende Rechtsprechung und Lehre heranzuziehen. Ist aber das anzuwendende Wechselrecht eine Übersetzung des einheitlichen WG nach dem Genfer Wechselrechtsabkommen und ein international vereinbarter Gesetzestext, so ist es zunächst einmal aus sich selbst und aus den in ihm enthaltenen Wertungen auszulegen, erst in zweiter Linie sind die einzelnen nationalen Rechtsordnungen in ihrer Eigenart als Auslegungsbehelf und Subsidiärrechtsquelle heranzuziehen. (EvBl 1980/47 S 177, RS0045255)
Deutsches RechtFuer die Bundesrepublik Deutschland (hier: BGH - Urteil vom 16. Juni 1992, XI ZR 166/91 = NJW 1992,2148 = BB 1992,1454 = LM § 276 (Cc) BGBNR 32 mit Anmerkung von Schmidt - Lademann (vgl auch ecolex 1994,82) bezüglich einer über die Pflicht eines Kreditgebers hinausgehenden Aufklärungspflicht einer Bank, die sich in einem Prospekt einer Bauträgergesellschaft nicht nur als Kreditgeberin, sondern auch als Referenz benennen läßt.). (ÖBA 1994,814)
Wurde über das Vermögen einer Kommanditgesellschaft mit dem Sitz in der BRD das Konkursverfahren eröffnet, so ist im Zusammenhang mit der Verfügungsbefugnis und Prozeßführungsbefugnis (Prozeßfähigkeit) dieser in Konkurs verfallenen Kommanditgesellschaft gemäß §§ 10 und 12 IPRG auch für den inländischen Rechtsbereich zu beachten, daß die Konkurseröffnung nach den handelsrechtlichen Vorschriften - insoweit handelt es sich nicht um eine konkurstypische Rechtsfolge - des Personalstatus der Kommanditgesellschaft deren Auflösung und in bezug auf das konkursfreie Vermögen deren Vertretung durch die Liquidation zur Folge hat. (GesRZ 1984,164 = EvBl 1984/125 S 494)
Spanisches Recht
Diese Bestimmung, wonach nach einer Scheidung der Ehe die gerichtlichen Maßnahmen betreffend die Sorge für die Erziehung der Kinder "zu deren Wohl" zu treffen sind, und "wenn dies den Kindern "frommt", auch beschlossen werden kann, daß die elterliche Gewalt ganz oder teilweise von einem der Ehegatten ausgeübt wird, entspricht im wesentlichen der österreichischen Regelung. Den Entscheidungen der spanischen Behörden kann nicht entnommen werden, daß Lehre oder Rechtsprechung in Spanien hier zu einer anderen Anwendungsweise Anlaß böten. (RS0054408)