Eine Bestimmung des fremden Rechtes ist nicht anzuwenden, wenn ihre Anwendung zu einem Ergebnis führen würde, das mit den Grundwertungen der österreichischen Rechtsordnung unvereinbar ist. (1. Satz)
Berufenes fremdes Sachrecht ist im Inland grundsätzlich ungeachtet seines Inhaltes anzuwenden, also auch dann, wenn es vom inländischen Recht erheblich abweicht, weil die Rechtsanwendung eben durch die Beachtung der „stärksten (oder engsten) Beziehung“ zum Ausland gerechtfertigt wird. § 6 stellt eine sogenannte „Schmerzgrenze“ dar: Gemaess § 6 IPRG ist eine berufene konkrete ausländische Norm dann nicht anzuwenden, wenn ihre Anwendung im Ergebnis zu einer unerträglichen Verletzung tragender Grundwertungen der österreichischen Rechtsordnung führte (OGH 2 Ob 158/00z) Gegenstand des Schutzes sind die Grundlagen der inländischen Rechtsordnung, nicht die Rechte einzelner Rechtssubjekte. Abweichungen von zwingenden österreichischen Vorschriften als solchen sind jedenfalls kein Verstoß gegen den ordre public. Die geschützten Grundwertungen des oseterr. Rechtes bestehen aus den prägenden Wertvorstellungen der Rechtsordnung: sie lassen sich weder abschließend definieren, noch sind sie historisch unveränderlich. Zu ihnen zahlen bestimmte Verfassungsgrundsätze einschließlich jener der EMRK und sonstige gesellschaftliche getragene Grundwertungen unseres Rechtes (z.B. Schutz des Kindeswohls etc.) Innerhalb der EU auch die Normen der EU-Verfassung. (Schwimann, Internationales Privatrecht, Manz, 3. Auflage, S 44ff)
Beispiel: Die Scheidung durch einseitige Verstoßung gegen den Willen des Partners („talaq“ des Islamrechtes) VwGH IPRE 2/243)
Weil die ordre-public-Klausel eine systemwidrige Ausnahme darstellt, wird allgemein sparsamster Gebrauch gefordert, eine schlichte Unbilligkeit des Ergebnisses genügt ebensowenig wie der bloße Widerspruch zu zwingenden österreichischen Vorschriften. Gegenstand der Verletzung müssen vielmehr Grundwertungen der österreichischen Rechtsordnung sein. Zweite wesentliche Voraussetzung für das Eingreifen der Vorbehaltsklausel ist, dass das Ergebnis der Anwendung fremden Sachrechtes und nicht bloß dieses selbst anstößig ist und überdies eine ausreichende Inlandsbeziehung besteht. (RS0110743)
Als vom ordre public erfasste Grundwertungen werden vor allem die tragenden Grundsätze der Bundesverfassung, aber auch des Strafrechts, des Privatrechts und des Prozessrechts verstanden werden müssen, wobei für die Vereinbarkeit nicht der Weg oder die Begründung, sondern das Ergebnis des Schiedsspruchs maßgeblich ist. (. (RS0110743); Nicht ausreichend ist es, dass das Recht oder Rechtsverhältnis selbst dem ordre public widerspricht, es muss auch die Durchsetzung für die inländische Rechtsordnung untragbar sein. (SZ 2005/9)
Die inländische Rechtsordnung soll nur vor dem Eindringen solcher fremder Rechtsgedanken geschützt werden, die mit wesentlichen österreichischen Rechtsgrundsätzen unvereinbar sind. (ZVR 1990/41 S 114, ZVR 1991/42 S 120, ZVR 1993/108 S 233)
Der Inhalt der geschützten Grundwertungen des österreichischen Rechtes läßt sich im einzelnen nicht definieren und ist auch zeitlichen Veränderungen unterworfen. Verfassungsgrundsätze spielen jedenfalls eine tragende Rolle: persönliche Freiheit, Gleichberechtigung, Verbot abstammungsmäßiger, rassischer und konfessioneller Diskriminierung gehören zum Schutzbereich des ordre public. Außerhalb der verfassungsrechtlich geschützten Grundwertungen zählen etwa die Einehe, das Verbot der Kinderehe und des Ehezwanges, der Schutz des Kindeswohles im Kindschaftsrecht oder das Verbot der Ausbeutung der wirtschaftlichen und sozial schwächeren Partei dazu. (RS0076998)
Der ordre public dient dem Schutz der inländischen Rechtsordnung, nicht so sehr der inländischen Rechtssubjekte. Er ist nicht verletzt, wenn ein Anspruch nach dem anzuwendenden ausländischen Recht höher ist, als er bei Anwendung des inländischen Rechtes wäre (SZ 37/68). (RS0016665)
"Relativität des ordre public"
Bei der ordre public-Prüfung besteht ein nach Ausmaß und Bedeutung des Inlandsbezugs abgestufter Prüfungsmaßstab ("Relativität des ordre public").(RS0127278)
Eheschliessung
Es widerspricht den Grundwertungen des österreichischen Eherechtes und Familienrechtes, wenn die Mutter einer Minderjährigen ihre Zustimmung zur Verlobung eines ebenfalls Minderjährigen von der Zahlung eines Geldbetrags durch dessen Vater abhängig macht. Entscheidungen über die Eheschließung haben ohne Einschränkung der Willensfreiheit und ohne Anknüpfungen an Bedingungen zu erfolgen; Gleiches muss für das Verlöbnis, nicht nur zwischen den Verlöbnispartnern selbst, sondern auch im Verhältnis zwischen deren Erziehungsberechtigten gelten, weil die angesprochene Willensfreiheit auch dann eingeschränkt ist, wenn die erforderliche Zustimmung des gesetzlichen Vertreters einer Minderjährigen zu einem Verlöbnis mit Geld abgekauft wird. Dass eine solche Zahlung geeignet ist, einen ernsthaften Druck auf die Motivation der Minderjährigen zur Eheschließung auszuüben, liegt auf der Hand. Eine allenfalls in einer ausländischen Rechtsordnung bestehende Norm oder Übung, die eine solche Zahlung für rechtsgültig erklärte, verstieße daher gegen den ordre public im Sinne des § 6 IPRG. (SZ 73/142)
Unterhalt
Der Frage, ob der Umstand, dass das anzuwendende, der Sharia folgende saudi‑arabische Eherecht den Unterhaltsanspruch der Frau mit drei Monaten nach der Scheidung der Ehe begrenzt, gegen österreichischen ordre public verstößt, ist jeweils nach der konkreten Situation (hier: in Österreich erfolgte Scheidung aus gleichteiligem Verschulden der Parteien) zu beurteilen. (RS0126830)
ScheidungWenn nach § 18 Abs 1 Z 1 iVm § 20 Abs 1 IPRG österreichisches Sachrecht anzuwenden ist, kann eine Ehe nur durch Entscheidung eines Gerichtes geschieden werden, sodass ausländische Privatscheidungen nicht wirksam sind. Anderes würde nur dann gelten, wenn nach dem von § 20 IPRG berufenen Recht eine derartige Privatscheidung vorgesehen ist und diese überdies nicht dem inländischen ordre public widerspricht. Da das österreichische Recht eine Scheidung durch Rechtsgeschäft nicht kennt, ist die in Pakistan in Form des talaq ausgesprochene Ehescheidung unwirksam. Außerdem widerspricht die einseitige Verstoßung der Ehefrau durch den Ehemann nach islamischem Recht (talaq) dem inländischen ordre public. (RS0121192)
Finden sich in dem anzuwendenden Recht Scheidungsgründe, die Scheidungsbegehren zum Erfolg verhelfen können, muß noch nicht von der Vorbehaltsklausel Gebrauch gemacht werden. Wenn aber die Ungleichheit der Scheidungsgründe für Mann und Frau eklatant ist und in concreto zum Ergebnis führen müßte, daß der in Österreich lebenden Frau trotz Zerrüttung der Ehe und der Unerträglichkeit des weiteren Zusammenlebens keine Auflösungsmöglichkeit der Ehe zur Verfügung steht, widerspricht das Ergebnis der Anwendung fremden Rechtes dem österreichischen ordre public. (Hier: Klägerin libanesischer Staatsangehörigkeit und schiitischen Glaubens).( RS0110744)
Kindeswohl
Nur eine eklatante Gefährdung des Kindeswohls steht unter der Vorbehaltsklausel. Der Verlust von Unterhalts- und Erbrechtsansprüchen erfüllt diesen Tatbestand nicht oder jedenfalls nicht allein. (SZ 2002/89, RS0117180)
DiversesArt 85 und Art 86 EG-V gehören zu den tragenden Grundsätzen. Ein Verstoß gegen diese Regelungen bedeutet auch eine Verletzung des österreichischen ordre public. Kombinierte Know-how-Verträge und Warenzeichenlizenzverträge (Abfüllvertrag) fallen aber nicht darunter. (SZ 71/26)
Ersatzanwendung
An ihrer Stelle ist erforderlichenfalls die entsprechende Bestimmung des österreichischen Rechtes anzuwenden. (2. Satz)
Kein Verstoss gegen die ordre public
Verfahrensrecht Dass §181a Abs1 Z1 ABGB dem Wahlkind schon ab vollendetem 5. Lebensjahr das Recht der persönlichen Anhörung zugesteht, konkret die Festmachung des Anhörungsrechts an diesem Alter, ist kein iSd §6 IPRG absolut schutzwürdiges Grundprinzip der österreichischen Rechtsordung. (SZ 2002/89, RS0117178) Zur Wahrnehmung des Vorbehalts nach § 328 Abs 1 Z 4 dZPO reicht nicht jeder Verfahrensverstoß aus, sondern es muß sich um ein Vorgehen handeln, das die Rechte einer Partei in unerträglichem Maße einengte. Nur wenn der Grundsatz des rechtlichen Gehörs so verletzt worden wäre, daß der betroffene Teil überhaupt keine Gelegenheit hatte, seine Interessen wahrzunehmen, läge eine solche Anstößigkeit vor. (SZ 64/165 = ÖA 1992,161
Einer am ausländischen Verfahren zu beteiligenden Partei darf nicht durch eine Unregelmäßigkeit dieses Verfahrens das rechtliche Gehör entzogen worden sei, und zwar in einer Weise, die den tragenden Grundwertungen der österreichischen Rechtsordnung eklatant widerspricht. (SZ 2002/89)
Unterhalt
Steht fest, daß der Vater nach ausländischem Recht für ein ausländisches Adoptivkind unterhaltspflichtig ist, ist diese Unterhaltsverpflichtung bei der Bemessung des Unterhalts der leiblichen Kinder auch dann zu berücksichtigen, wenn dieser unter dem Regelunterhalt liegt. Von einem Eingriff in die tragenden Grundwertungen der österreichischen Rechtsordnung kann nämlich keine Rede sein, wenn eine Unterhaltspflicht des Adoptierenden unabhängig davon, ob er bereits leibliche Kinder hat und wie sich die Adoption auf deren Unterhalt auswirkt, vorgesehen ist. (RS0047499)
Berücksichtigung einer nach brasilianischem Recht bestehenden konkurrierenden Unterhaltspflicht des Vaters gegenüber seiner Lebensgefährtin. (RS0047499)
Eherecht Die Ehelichkeitsbestreitungsfrist von einem Monat nach § 242 TürkischesBGB widerspricht nicht dem ordre public. Auch das österreichische materielle Recht enthält nicht nur Bestimmungen, die als allgemeiner Ausdruck des favor paternitatis anzusehen sind (zB § 25 Abs 1 Satz 2 IPRG), sondern sieht darüber hinaus selbst Fristen vor, nach deren Ablauf die Bekämpfung eines Vaterschaftsanerkenntnisses nicht mehr möglich ist. (RS0077016)
Diverses
Es ist nicht per se ordre public-widrig, wenn das ausländische Recht mehr Gründe für die Aufhebung einer Adoption anerkennt als das österreichische. (SZ 2002/89, RS0117179)
Das Fehlen eines dem EKHG vergleichbaren Gefährdungshaftungstatbestandes im englischen Recht widerspricht nicht dem ordre public. (ZVR 1993/108 S 233)
Im allgemeinen können in der österreichischen Rechtsprechung entwickelte Grundsätze, die den geschäftlichen Verkehr zwischen ihrer Stellung nach und wirtschaftlich ungefähr gleichwertigen Partnern regeln, nicht als derart grundlegend gewertet werden, daß eine andere Regelung in einem ausländischen Recht einen Verstoß gegen den österreichischen ordre public begründen würde.( SZ 59/128 = JBl 1987,115 = RdW 1986,341 = ÖBA 1986,486 (Koziol) = IPRax 1988,33 (Moschner, 40) RS0076982)
Daß Art 232 des italienischen Reformgesetzes vom 19.5.1975 bestimmt, daß das neue Recht die Klage auf gerichtliche Feststellung der Vaterschaft auch auf die Kinder anwendbar ist, welche vor seinem Inkrafttreten geboren oder empfangen worden ist, wiedersprich nicht dem ordre public. (ZfRV 1981,149 (zust. Schwind) = JBl 1981,600 (krit Schwimann) )
Die im schweizerischen Recht für den Fall grob fahrlässiger Herbeiführung des Versicherungsfalles angeordnete Leistungsfreiheit des Haftpflichtversicherers widerspricht nicht den Grundgedanken des inländischen Rechts in unerträglicher Weise. (VersR 1981,590, RS0058340)
Die Anwendung ausländischen Rechts, das längere Verjährungsfrist kennt, bedeutet keinen Verstoß gegen den ordre public (Schwimann ZfRV 1962,122; JBl 1960,553; EvBl 1965/398 ua). (RZ 1972,31 = EvBl 1972/75 S 128, ZfRV 1978,54 mit Glosse von Schwind, RS0045282)