TE Vwgh Erkenntnis 1985/10/24 84/08/0030

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 24.10.1985
beobachten
merken

Index

66/01 Allgemeines Sozialversicherungsgesetz;

Norm

ASVG §500;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Präsident DDr. Heller und die Hofräte Dr. Liska, Dr. Knell, Dr. Puck und Dr. Sauberer als Richter, im Beisein des Schriftführers Dr. Novak, über die Beschwerde des Dr. JS in Tel-Aviv, vertreten durch Dr. Rudolf Müller, Rechtsanwalt in Wien II, Leopoldsgasse 51, gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Wien vom 20. Dezember 1983, Zl. MA 14-S/83, betreffend Begünstigung gemäß §§ 500 ff ASVG (mitbeteiligte Partei: Pensionsversicherungsanstalt der Angestellten), zu Recht erkannt:

Spruch

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Der Beschwerdeführer hat dem Bund (Bundesminister für soziale Verwaltung) Aufwendungen in der Höhe von S 2.760,-- und der mitbeteiligten Pensionsversicherungsanstalt der Angestellten Aufwendungen in der Höhe von S 9.270,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit Bescheid der mitbeteiligten Pensionsversicherungsanstalt der Angestellten vom 8. November 1982 wurde die vom Beschwerdeführer gemäß §§ 500 ff ASVG beantragte Begünstigung für die Zeit vom 13. März 1938 bis 31. März 1959 abgewiesen. Dies mit der Begründung, dass die Auswanderung des Beschwerdeführers in keinem Zusammenhang mit einer Verfolgung aus Gründen der Abstammung gestanden sei, da eine solche in Österreich frühestens ab März 1938 habe eintreten können.

In dem dagegen vom Beschwerdeführer erhobenen Einspruch wird behauptet, dass der Beschwerdeführer Österreich aus politischen Gründen, also nicht nur aus Gründen der Abstammung habe verlassen müssen. Aus der Bestätigung der Wirtschaftsuniversität Wien vom 20. April 1983 ergebe sich, dass der Beschwerdeführer seitens des Rektorates der damaligen Hochschule für Welthandel ein Hausverbot erhalten habe, auf Grund dessen es ihm nicht möglich gewesen sei, sein Studium fortzusetzen. Damit habe ein Amtsträger, sohin ein staatliches Organ, den Beschwerdeführer aus politischen Gründen von der Hochschule für Welthandel am 3. April 1933 ausgeschlossen. Es könne keinem Zweifel unterliegen, dass es sich hier um eine politische Maßnahmen im Sinn des § 500 ASVG gehandelt habe.

Mit dem angefochtenen Bescheid wurde der Einspruch des Beschwerdeführers als unbegründet abgewiesen und festgestellt, dass die Ablehnung der begünstigten Anrechnung von Versicherungszeiten für den Beschwerdeführer für den Zeitraum vom 13. März 1938 bis 31. März 1959 in der Pensionsversicherung der Angestellten auf Grund von § 502 Abs. 1 und Abs. 4 ASVG zu Recht erfolgt sei. Nach der Begründung des angefochtenen Bescheides habe die belangte Behörde auf Grund der Ermittlungsergebnisse als erwiesen angenommen, dass der Beschwerdeführer wegen seiner Zugehörigkeit zur jüdischen Bevölkerungsgruppe und insbesondere wegen seiner Funktion als Obmann der Vereinigung jüdischer Hörer an der Hochschule für Welthandel in Wien über Veranlassung der damaligen deutschen Studentenschaft - einer bereits vor 1938 vom nationalsozialistischen Gedankengut getragenen studentischen Vereinigung - vom Rektorat der damaligen Hochschule für Welthandel als autonomer akademischer Behörde am 3. April 1933 von der Hochschule gewiesen worden sei. Der Beschwerdeführer sei in der Folge, ohne überhaupt jemals mit den damaligen staatlichen Machthabern in Berührung gekommen zu sein, Ende Juli 1933 in das damalige Palästina ausgewandert, wo er bis Ostern 1937 arbeitslos gewesen sei. Nach den rechtlichen Erwägungen der belangten Behörde sei demnach, da es sich beim geltend gemachten Begünstigungstatbestand um jenen der Verfolgung aus Abstammungsgründen handle, von der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auszugehen, wonach in den Jahren vor 1938 keinerlei bevölkerungspolitische Diskriminierung von Seiten der damaligen Machthaber bestanden habe. Eine Verfolgung aus Abstammungsgründen sei erst ab 13. März 1938 möglich geworden. Demgegenüber sei der Beschwerdeführer offensichtlich aus Abstammungsgründen mit der nationalsozialistisch gesinnten Studentenschaft der Hochschule für Welthandel aus persönlichen Gründen in Konflikt geraten. Dieser Konflikt habe die Ursache in einem vom Beschwerdeführer vor einem ordentlichen Gericht angestrebten Prozess gehabt. Dies deswegen, weil der Beschwerdeführer auf Grund einer Namensgleichheit von der deutschnationalen Studentenschaft in Zusammenhang mit einem Mordfall gebracht worden sei. Dies habe zur Folge gehabt, dass die deutsche Studentenschaft ohne jeglichen Zusammenhang mit irgendwelchen Handlungen der damaligen staatlichen Machthaber beim autonomen Rektorat der damaligen Hochschule für Welthandel verlangt habe, dem Beschwerdeführer das weitere Betreten der Hochschule zu untersagen. Ohne dass die damaligen staatlichen Machthaber eingegriffen hätten, derartige Handlungen habe der Beschwerdeführer weder behauptet noch nachgewiesen, sei das Rektorat dem Verlangen der deutschen Studentenschaft nachgekommen. Dies könne aber nur als ein internes Hausverbot an der Hochschule und nicht als eine politische Maßnahme gegen den Beschwerdeführer verstanden werden. Sohin sei der Beschwerdeführer durch das Vorgehen einer nationalsozialistischen Vereinigung, keinesfalls jedoch durch Handlungen der damaligen staatlichen Machthaber betroffen worden. Dies werde auch durch die vom Beschwerdeführer vorgelegten eidesstättischen Erklärungen hinreichend bestätigt. In Anbetracht des autonomen Status der Universität und der bedingten Unabhängigkeit des Rektorates sei der Beschwerdeführer in keiner Weise durch Handlungen der Träger der staatlichen Macht diskriminiert worden.

Dagegen richtet sich die vorliegende Beschwerde wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften. Nach der Sachverhaltsdarstellung in der Beschwerde sei der Beschwerdeführer bis März 1933 Obmann der Vereinigung jüdischer Studenten an der Hochschule für Welthandel in Wien gewesen. Der nationalsozialistische Studentenverband an dieser Hochschule habe eine antisemitische Hetze gegen die jüdische Hochschülerschaft im allgemeinen und ihren Vorsitzenden, den Beschwerdeführer, im besonderen geführt. Am Höhepunkt dieser Auseinandersetzung habe vor allem ein Plakat der Deutschen Studentenschaft eine Rolle gespielt, welches auf Intervention der jüdischen Studentenschaft entfernt, von den nationalsozialistischen Studenten jedoch neuerlich angeschlagen worden sei. Auf Grund dieser Vorkommnisse habe sich der Beschwerdeführer entschlossen, beim zuständigen Bezirksgericht gegen die Verantwortlichen eine Ehrenbeleidigungsklage einzubringen. Am 22. März 1933 sei von der deutschen Studentenschaft ein Aufruf an der Hochschule für Welthandel veröffentlicht worden, auf Grund dessen der Beschwerdeführer und auch andere jüdische Hörer von den nationalsozialistischen Studenten unter Gewaltanwendung aus der Hochschule entfernt worden seien. Der Rektor der Hochschule habe daraufhin dem Beschwerdeführer mit Rektoratsverfügung das neuerliche Betreten der Hochschule untersagt. Wie aus der Bestätigung der Wirtschaftsuniversität Wien vom 20. April 1983 ersichtlich sei, habe der Rektor in der Sitzung des Professorenkollegiums an der Hochschule für Welthandel am 3. April 1933 über dieses Verbot berichtet, auf Grund dessen es dem Beschwerdeführer nicht möglich gewesen sei, sein Studium fortzusetzen. Der Beschwerdeführer habe daraufhin Österreich im Juni 1933 verlassen und sich nach Palästina begeben.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Gemäß § 500 ASVG werden Personen, die in der Zeit vom 4. März 1933 bis 9. Mai 1945 aus politischen Gründen - außer wegen nationalsozialistischer Betätigung - oder religiösen Gründen oder aus Gründen der Abstammung in ihren sozialversicherungsrechtlichen Verhältnissen einen Nachteil erlitten haben, nach Maßgabe der Bestimmungen der §§ 501, 502 Abs. 1 bis 3 und 5 und 506, Personen, die aus den angeführten Gründen ausgewandert sind, nach den §§ 502 Abs. 4 bis 6, 503 und 506 begünstigt.

Das gegenständliche Verbot, die Hochschule für Welthandel zu betreten, ist schon deswegen kein Begünstigungstatbestand nach § 500 ASVG, weil dieses Hausverbot als solches nur eine Behinderung des Studiums des Beschwerdeführers war. Unabhängig von den Motiven und Zielen des Rektors fand dadurch vor dem Hintergrund der gesamten Politik der damaligen Zeit in Österreich keine Verfolgung aus rassischen oder politischen Gründen im Sinne des § 500 ASVG statt. Auf das gesamte in diesem Zusammenhang gemachte Vorbringen des Beschwerdeführers bezüglich der Hochschulmaßnahme braucht daher nicht eingegangen zu werden.

Der Beschwerdeführer behauptete aber bereits in seiner schriftlichen Eingabe vom 23. November 1981, dass er - im Zusammenhang mit der Rektoratsverfügung - von den Nazistudenten dauernd angepöbelt, tätlich angegriffen und mit dem Tode bedroht worden sei. So sei dem Beschwerdeführer kein anderer Ausweg geblieben, als Österreich zu verlassen.

Diese Darstellung wird im wesentlichen in den "eidesstattlichen Versicherungen" Dris. JM und Dris. MG bestätigt.

Unter den im § 500 ASVG genannten politischen Gründen, aus denen ein Begünstigungswerber ausgewandert ist, kann nicht schon eine politische Überzeugung oder allein die Mitgliedschaft zu einer bestimmten politischen Partei verstanden werden, sondern eine konkrete politische Verfolgung oder die begründete Gefahr einer solchen (vgl. das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 3. Oktober 1980, Z1. 3451/78, auf das unter Erinnerung auf Art. 14 Abs. 4 der hg. Geschäftsordnung BGBl. Nr. 45/1965 hingewiesen wird).

Aus diesem Erkenntnis geht aber auch die Notwendigkeit hervor, dass diese erforderliche konkrete Verfolgungshandlung aus politischer Motivation durch die damaligen Träger der Macht im Staate als Bewahrer der bestehenden gesellschaftlichen Ordnung gesetzt wurden oder zu fürchten waren (vgl. in diesem Sinn ferner aus letzter Zeit das hg. Erkenntnis vom 13. September 1985, Zl. 84/08/0017, auf das ebenfalls unter Erinnerung an Art. 14 Abs. 4 der hg. Geschäftsordnung BGBl. Nr. 45/1965 hingewiesen wird).

Nationalsozialistisch gesinnten Studentenvereinigungen kam jedenfalls vor dem 13. März 1938 die Eigenschaft als derartiger Machthaber nicht zu. Vom Beschwerdeführer wurde auch nicht behauptet, dass ihm von den zuständigen staatlichen Organen der gesetzlich zustehende Schutz gegen die behaupteten Belästigungen und Bedrohungen nicht gewährt worden wäre.

Aus diesen Erwägungen kommt die belangte Behörde zu Recht zum Ergebnis, dass eine begünstigte Anrechnung von Versicherungszeiten für den Beschwerdeführer in der Pensionsversicherung der Angestellten gemäß den §§ 500 ff abzulehnen sei.

Obwohl der Beschwerdeführer nach dem Inhalt seines Begünstigungsantrages und in seinem Einspruch ausdrücklich die Zeit von Juli 1933 bis 31. März 1959 zuerkannt haben wollte, sprachen die mitbeteiligte Pensionsversicherungsanstalt der Angestellten in ihrem Bescheid vom 8. November 1982 sowie die belangte Behörde im angefochtenen Bescheid lediglich über den Zeitraum vom 13. März 1938 bis 31. März 1959 ab.

In Fällen, in denen es sich um die Gewährung einer Begünstigung gemäß §§ 500 ASVG handelt, ist Gegenstand der behördlichen Entscheidung die Feststellung, ob die Begünstigung einem Versicherten zusteht oder nicht (vgl. auch hier das hg. Erkenntnis vom 3. Oktober 1980, Zl. 3451/78).

In diesem Erkenntnis kommt aber auch zum Ausdruck, dass die in § 500 ASVG angeführte Zeit unter bestimmten Voraussetzungen teilbar ist. Dies hat zur Folge, dass ein Begünstigungsbescheid nicht nur deshalb von vornherein rechtswidrig ist, weil damit nicht über die gesamte Antragszeit (auf einmal) entschieden wurde. In einem solchen Fall steht dem Antragsteller das Recht zu, bezüglich des noch nicht entschiedenen - und trennbaren - Antragsteiles das schriftliche Verlangen auf Übergang der Zuständigkeit zur Entscheidung gemäß § 73 Abs. 2 AVG 1950 zu stellen.

Aus allen aufgezeigten Überlegungen ist die im angefochtenen Bescheid ausgesprochene Ablehnung der begünstigten Anrechnung von Versicherungszeiten für den Beschwerdeführer für den Zeitraum vom 13. März 1938 bis 31. März 1959 in der Pensionsversicherung der Angestellten nach den §§ 500 ff ASVG nicht rechtswidrig. Deshalb ist die Beschwerde gemäß § 42 Abs. 1 VwGG abzuweisen.

Von der Durchführung der vom Beschwerdeführer beantragten mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgerichtshof konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z. 6 VwGG abgesehen werden, weil die Schriftsätze der Parteien des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens und die dem Verwaltungsgerichtshof vorgelegten Akten des Verwaltungsverfahrens erkennen lassen, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten lässt.

Die Kostenentscheidung stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG im Zusammenhalt mit der Verordnung des Bundeskanzlers vom 30. Mai 1985, BGBl. Nr. 243, die gemäß ihrem Art. III Abs. 2 auf das vorliegende Verfahren anzuwenden ist.

Wien, am 24. Oktober 1985

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1985:1984080030.X00

Im RIS seit

15.11.2004

Zuletzt aktualisiert am

01.01.2009
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten