TE Vwgh Erkenntnis 1990/3/22 88/06/0124

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Veröffentlicht am 22.03.1990
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Index

L37158 Anliegerbeitrag Aufschließungsbeitrag Interessentenbeitrag
Vorarlberg;
L81708 Baulärm Vorarlberg;
L82008 Bauordnung Vorarlberg;

Norm

BauG Vlbg 1972 §6 Abs9;

Betreff

N gegen Vorarlberger Landesregierung vom 20. April 1988, Zl. VIIa-410.318 betreffend die Versagung einer Baubewilligung (mitbeteiligte Partei: XY)

Spruch

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Der Beschwerdeführer hat dem Land Vorarlberg Aufwendungen in der Höhe von S 2.760,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit Bescheid vom 20. April 1988 gab die Vorarlberger Landesregierung (belangte Behörde) der vom Beschwerdeführer gegen den Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Bludenz vom 8. Februar 1988, mit dem eine vom Beschwerdeführer beantragte Baubewilligung für einen Zubau versagt worden war, keine Folge und bestätigte den Bescheid der Baubehörde erster Instanz. In der Begründung ihres Bescheides führte die belangte Behörde im wesentlichen aus, die Baubehörde habe die Abweisung des Baugesuches damit begründet, daß das Bauvorhaben den Bestimmungen des § 6 des Baugesetzes widerspreche, da die Abstandsflächen auf das Nachbargrundstück reichten und die nach § 6 Abs. 9 des Gesetzes erforderliche Ausnahmegenehmigung durch den Gemeinde- vorstand der mitbeteiligten Gemeinde nicht erteilt worden sei.

In der dagegen erhobenen Berufung werde ausgeführt, der geplante Zubau an der Nordostseite sei als geringfügig zu bezeichnen. Er erstrecke sich auf eine Länge von 12,2 m und auf eine Tiefe von 1,5 m. Zweck dieses Zubaues sei lediglich eine Komfortverbesserung in der Form, daß in bestehende Fließwasserzimmer Naßzellen eingebaut würden und ein Personenaufzug errichtet werde. Die Bauabstandsnachsichterklärung durch den Nachbarn liege vor. Nach § 6 Abs. 9 des Vorarlberger Baugesetzes könne die Behörde Ausnahmen von den vorgeschriebenen Abstandsflächen und Abständen zulassen, wenn dadurch weder Interessen des Brandschutzes, der Gesundheit noch solche des Schutzes des Landschafts- und Ortsbildes negativ berührt würden. Interessen des Brandschutzes würden nicht berührt, Interessen der Gesundheit würden durch den Einbau von Naßzellen gefördert. Das Landschafts- und Ortsbild werde durch einen nur 1,5 m tiefen schlichten Zubau bis unter die bestehende Dachfläche sicher nicht negativ beeinflußt. Es gelte hier, die wirtschaftliche Komponente zu berücksichtigen, daß nämlich bei einem negativen Bescheid die bestehenden Unterstandardzimmer praktisch nicht mehr vermietbar seien. In seiner Stellungnahme vom 28. März 1988 habe der Beschwerdeführer im Berufungsverfahren weiters vorgebracht, durch den bestehenden Anbau von ca. 4 m x 1,5 m an der Nordseite existiere eine unmotivierte "Warze" am bestehenden Gebäude. Diese würde durch den geplanten Anbau von ca. 8,5 m x 1,5 m in diesen integriert und damit optisch nicht mehr in Erscheinung treten. Dies sei für die Klarheit der Gestaltung des Baukörpers von Vorteil. Weiters sei unter einer zweckmäßigen Bebauung eben eine Bauführung zu verstehen, deren Zweck es sei, Gäste in Zimmern zu beherbergen und zu bewirten. Wenn nun die bestehenden zwei Doppelzimmer und zwei Einzelzimmer als Fließwasserzimmer nicht mehr vermietbar seien, so sei eine Anhebung des Standards auf Zimmer mit WC und Dusche in einem bescheidenen Anbau von 13 m2 Grundfläche doch zweckmäßig. Es würden dadurch keine zusätzlichen Betten geschaffen.

Die belangte Behörde führte in der Begründung ihres Bescheides ferner aus, der Gemeindevorstand der mitbeteiligten Gemeinde habe mit Schreiben vom 16. Oktober 1987 die Erteilung einer Bauabstandsnachsicht nach § 6 Abs. 9 des Baugesetzes mit der Begründung abgelehnt, daß bereits der Bestand eine Überforderung des Baugrundstückes darstelle und durch die beantragten Zubauten die Situation weiterhin verschärft werde. Das Baugrundstück stelle eine klare Form und Lage dar und das Argument einer daraus resultierenden zweckmäßigeren Bebauung komme somit hier nicht zum Tragen, sodaß die für die Zulassung der beantragten Ausnahme nach § 6 Abs. 9 leg. cit. gesetzlichen Voraussetzungen fehlten. In einer Stellungnahme vom 29. März 1988 habe die mitbeteiligte Gemeinde diese Argumente wiederholt. Die belangte Behörde führte in der Begründung ihres Bescheides weiters aus, auf der Gp. nn1/n KG X sei die bestehende Pension "A" errichtet, das Baugrundstück weise eine Nettogrundfläche von ca. 675 m2 auf. Es bilde dabei annähernd die Form eines Rechteckes mit einer Seitenlänge von jeweils ca. 25 bzw. 27 m. Der geplante Zubau an das bestehende Gebäude würde an einen bereits bestehenden Anbau anschließen und sich über eine Länge von ca. 8,8 m x 1,5 m Breite erstrecken, sowie über die Höhe der Oberkante der Kellerdecke bis zur Unterkante der geradlinigen Verlängerung des bestehenden Satteldaches reichen. Der Anbau solle der Adaptierung von vier bestehenden Zimmern (2 Doppelzimmer sowie 2 Einzelzimmer) und deren Ausstattung mit Naßzellen sowie dem Einbau eines Personenaufzuges dienen. Durch die Verwirlichung des Bauvorhabens würde - samt einem anderen bereits bewilligten Umbau innerhalb des bestehenden Gebäudes - das Maß der baulichen Nutzung 112 % betragen. Die nach § 6 des Baugesetzes erforderlichen Abstandsflächen wurden zum Teil bereits durch das bestehende Gebäude nicht eingehalten. Durch den Zubau an der Nordostseite würden die durch § 6 Abs. 2 vorgeschriebenen Abstandsflächen bis ca. 1,50 m auf das Nachbargrundstück, die Gp. nn, reichen. Gemäß § 6 Abs. 9 des Bau- gesetzes könne die Behörde mit Genehmigung des Gemeindevorstandes von den in den Abs. 2 bis 8 vorgeschriebenen Abstandsflächen und Abständen Ausnahmen zulassen, wenn dadurch die Interessen des Brandschutzes, der Gesundheit sowie des Schutzes des Landschafts- und Ortsbildes nicht beeinträchtigt werden. Voraussetzung sei nach dieser Bestimmung aber, daß die Bauabstandsnachsicht wegen der besonderen Form oder Lage des Baugrundstückes oder aus Gründen der zweckmäßigen Bebauung erteilt wird.

Die belangte Behörde habe als Berufungsbehörde zu prüfen, ob die Voraussetzungen für die Erteilung der Ausnahmegenehmigung nach § 6 Abs. 9 des Baugesetzes gegeben sind. Nun habe das durchgeführte Ermittlungsverfahren keinen Hinweis ergeben, wonach die Bauabstandsnachsicht wegen der besonderen Form oder Lage des Baugrundstückes erforderlich wäre. Auch der Beschwerdeführer habe sich nie in diesem Sinne geäußert. Es bleibe festzuhalten, daß der Umstand, daß es sich um ein relativ kleines Baugrundstück handle, die angeführten Tatbestandsvoraussetzungen nicht erfülle. Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (19. April 1977, Zl. 618/76; 14. Jänner 1987, Zl. 86/06/0072 = BauSlg. Nr. 844) spielten bei der Beurteilung, ob eine zweckmäßige Bebauung vorliege, wirtschaftliche Gesichtspunkte zweifelsfrei eine Rolle, weil jedes Grundstück nur dann als zweckmäßig bebaubar beurteilt werden könne, wenn eine wirtschaftlich vernünftige Bauführung zulässig sei, also ein entsprechend langer und breiter Baukörper unter Einhaltung der gesetzlichen Abstandsvorschriften errichtet werden könne. Wäre die Errichtung eines solchen Baukörpers unzulässig, so könne von einer zweckmäßigen Bebauung nicht gesprochen werden und es wäre durch die Gewährung einer Ausnahme eine zweckmäßigere Bebauung zuzulassen. Im vorliegenden Fall sei das Grundstück auch unter Einhaltung der gesetzlichen Abstandsvorschriften zweifellos auch für Zwecke einer wirtschaftlich einträglichen Zimmervermietung bebaubar. Dabei sei einzuräumen, daß aufgrund der vorgegebenen Fläche des Baugrundstückes weitere Zubauten - jedenfalls an der Nordostseite - den Abstandsvorschriften des Vorarlberger Baugesetzes widersprächen. Jedoch könne der Umstand, daß nur ein Baugrundstück von einem bestimmten Ausmaß vorhanden ist und somit eine Verwendung desselben zu Bauzwecken, die eine bestimmte Größe überschreiten, ohne Zulassung einer Ausnahme nicht möglich ist, die Erteilung dieser Ausnahme noch nicht rechtfertigen. Ansonsten müßte für jedes Vorhaben, für welches sich aufgrund der Abstandsvorschriften des Baugesetzes der vorhandene Baugrund als zu klein erweise, eine Ausnahmegenehmigung erteilt werden. Dadurch würde § 6 Abs. 9 des Baugesetzes den Charakter einer Ausnahmebestimmung verlieren. Ausnahmebestimmungen dürfen aber keinesfalls extensiv interpretiert werden (Verwaltungsgerichtshof vom 13. Februar 1975, Zl. 1833/74; 29. September 1977, Slg. N.F. Nr. 9398/A). Auch der Hinweis, daß durch das Bauvorhaben eine Hebung des Komfortstandards in der Pension "A" erzielt werden könnte, reiche nicht hin, eine zweckmäßigere Bebauung nach § 6 Abs. 9 anzunehmen. Es sei darauf zu verweisen, daß im Prinzip jede Ausweitung eines bestehenden Gewerbebetriebes von wirtschaftlichen Erwägungen begleitet sein dürfte und somit von den Baubehörden jede derartige Maßnahme als der zweckmäßigeren Bebauung dienend anerkannt werden müßte. Dem Vorbringen, durch den Anbau würde ein gestalterischer Vorteil erzielt, könne aufgrund der bestehenden Gesetzeslage, die auf die zweckmäßigere Bebauung bzw. die besondere Form oder Lage des Baugrundstückes abstelle, keine Beachtung geschenkt werden. Aus den Verfahrensergebnissen ergebe sich, daß eine Bauabstandsnachsicht lediglich deshalb erforderlich sei, weil das Baugrundstück für die beabsichtigte Erweiterung der Pension "A" zu klein sei. Dies aber könne aus den dargelegten Erwägungen die Erteilung einer Ausnahme von den geltenden Abstandsvorschriften des Baugesetzes unter dem Titel einer "zweckmäßigeren Bebauung" nicht rechtfertigen. Auch das Vorhandensein einer Zustimmungserklärung des betroffenen Nachbarn rechtfertigte hier nicht die Erteilung einer Ausnahme von den Abstandsvorschriften, da der Behörde nicht nur die Wahrung der Interessen der Nachbarn obliege, sondern sie auch öffentliche Interessen wahrzunehmen habe, zu welchen auch die Hintanhaltung extrem hoher Baunutzungen und deren weitere Vergrößerung - wie im vorliegenden Fall - zähle. Demgegenüber erweisen sich die Ausführungen des Gemeindevorstandes der mitbeteiligten Partei, der auf die bereits bestehende - hohe - Überforderung des Baugrundstückes verweise, und das Vorliegen einer besonderen Form oder Lage des Baugrundstückes oder einer zweckmäßigeren Bebauung verneine, als durchaus berechtigt. Der Gemeindevorstand der mitbeteiligten Gemeinde habe daher das ihm im § 6 Abs. 9 des Baugesetzes eingeräumte Ermessen im Sinne dieser Bestimmung wahrgenommen. Da somit die von § 6 Abs. 9 verlangten Tatbestandsvoraussetzungen der besonderen Form oder Lage des Baugrundstückes oder der zweckmäßigeren Bebauung nicht erfüllt seien, sei die Frage, ob den weiteren von dieser Gesetzesstelle geforderten Voraussetzungen entsprochen werde, nicht zu beantworten.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes erhobene Beschwerde. Die belangte Behörde legte den Verwaltungsakt vor und erstattete - ebenso wie die mitbeteiligte Partei - eine Gegenschrift, in der die Abweisung der Beschwerde beantragt wird.

Der Beschwerdeführer erblickt die Rechtswidrigkeit des in Beschwerde gezogenen Bescheides darin, daß die belangte Behörde zum Ergebnis gekommen sei, es liege kein Hinweis vor, daß eine Bauabstandsnachsicht wegen der besonderen Form oder Lage des Baugrundstückes erforderlich wäre, und es unterlassen worden sei, die Frage der zweckmäßigeren Verbauung unabhängig von Form und Lage des Baugrundstückes zu prüfen, wobei auch wirtschaftliche Gesichtspunkte zu berücksichtigen seien.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

§ 6 Abs. 9 des Vorarlberger Baugesetzes, LGBl. Nr. 39/1972, lautet:

"(9) Wegen der besonderen Form oder Lage des Baugrundstückes oder aus Gründen einer zweckmäßigeren Bebauung kann die Behörde mit Genehmigung des Gemeindevorstandes von den in den Abs. 2 bis 8 vorgeschriebenen Abstandsflächen und Abständen Ausnahmen zulassen, wenn dadurch die Interessen des Brandschutzes, der Gesundheit sowie des Schutzes des Landschafts- oder Ortsbildes nicht beeinträchtigt werden."

Aus dieser Bestimmung geht hervor, daß unter bestimmten, näher ausgeführten Bedingungen Ausnahmen von Abstandsflächen und Abständen zugelassen werden können. Im Beschwerdefall muß nach der Aktenlage (und den bei den Akten erliegenden Plänen) davon ausgegangen werden, daß das in Rede stehende Grundstück schon bisher eine Form und Lage aufgewiesen hat, die den Bau und Betrieb eines an sich lebensfähigen Fremdenbeherbergungsbetriebes ermöglicht haben. Der Beschwerdeführer ist auch der Feststellung des Gemeindevorstandes der mitbeteiligten Gemeinde, mit welcher dieser die Versagung der Genehmigung zur Erteilung der beantragten Ausnahme begründet hat, nämlich, daß bereits der Bestand eine Überforderung des Baugrundstückes darstelle, nicht entgegengetreten. Er hat sich vielmehr auf den Standpunkt gestellt, daß der nunmehr beantragte geringfügige Zubau eben aus betriebswirtschaftlichen Gründen zweckmäßig und deshalb eine Ausnahmebewilligung zu erteilen sei.

Der Verwaltungsgerichtshof kann nicht finden, daß die belangte Behörde ihren Bescheid mit der geltend gemachten Rechtswidrigkeit des Inhaltes belastet hat, wenn sie auf Grund der Ergebnisse des von ihr noch ergänzten Ermittlungsverfahrens und im Einklang mit dem Gesetz mit der von ihr unter Anführung von Erkenntnissen des Verwaltungsgerichtshofes gegebenen ausführlichen und schlüssigen Begründung die vom Beschwerdeführer gegen den Bescheid der Baubehörde erster Instanz erhobene Berufung als unbegründet abgewiesen hat.

Da die vom Beschwerdeführer behauptete Rechtsverletzung somit nicht vorliegt, war die Beschwerde gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

Der Ausspruch über den Kostenersatz stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 206/1989.

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1990:1988060124.X00

Im RIS seit

22.03.1990
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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