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L8 Boden- und Verkehrsrecht;Norm
B-VG Art7 Abs1 / GesetzLeitsatz
Der Katalog der Widmungen insgesamt eröffnet keine Möglichkeit, in Wohngebieten landirtschaftliche Betriebe, die weder eine das örtlich zumutbare Ausmaß übersteigende Lärm- und Geruchsbelästigung noch sonstige schädliche Einwirkungen auf die Umgebung verursachen, zuzulassen - Widerspruch einiger Worte in §16 Abs1 Z1 Nö. ROG zum Gleichheitssatz; im Hinblick auf die Wirkung der aufgehobenen Gesetzesstelle Fristsetzung für deren InkrafttretenSpruch
In §16 Abs1 Z1 des Gesetzes vom 14. Oktober 1976 über die Raumordnung in Niederösterreich, LGBl. 8000-2, wird die Wortfolge "in Wohngebäuden untergebracht werden können und" als verfassungswidrig aufgehoben.
Die Aufhebung tritt mit Ablauf des 30. November 1988 in Kraft.
Frühere Bestimmungen treten nicht wieder in Wirksamkeit.
Der Landeshauptmann von Niederösterreich ist zur unverzüglichen Kundmachung dieser Aussprüche im Landesgesetzblatt verpflichtet.
Begründung
Entscheidungsgründe:
I. Gemäß §15 Abs1 nö. RaumordnungsG, LGBl. 8000-2, sind im Flächenwidmungsplan die Widmungen Bauland, Verkehrsflächen und Grünland festzulegen.
Zur Widmung als Bauland bestimmt §16 (in Prüfung stehender Teil hervorgehoben):
"(1) Das Bauland ist entsprechend den örtlichen Gegebenheiten in folgende Nutzungsarten zu gliedern:
1.
Wohngebiete, die für Wohngebäude und die dem täglichen Bedarf der dort wohnenden Bevölkerung dienenden Gebäude sowie für Betriebe bestimmt sind, welche in Wohngebäuden untergebracht werden können und keine, das örtlich zumutbare Ausmaß übersteigende Lärm- und Geruchsbelästigung sowie sonstige schädliche Einwirkungen auf die Umgebung verursachen können;
2.
Kerngebiete, die vorwiegend für öffentliche Gebäude, Versammlungs- und Vergnügungsstätten sowie für Betriebe des Handels, Gewerbes und Fremdenverkehrs bestimmt sind, welche sich dem Ortsbild eines Siedlungskernes (Stadtkernes) harmonisch anpassen und keine, das örtlich zumutbare Ausmaß übersteigende Lärm- und Geruchsbelästigung sowie sonstige schädliche Einwirkungen auf die Umgebung verursachen können;
3.
Betriebsgebiete, die für Baulichkeiten solcher Betriebe bestimmt sind, die keine übermäßige Lärm- und Geruchsbelästigung und keine schädlichen, störenden oder gefährlichen Einwirkungen auf die Umgebung verursachen können und sich in ihrer Erscheinungsform in das Ortsbild eines Wohn-*****oder Kerngebietes einfügen;
4. Industriegebiete, . . .
5.
Agrargebiete, die für Baulichkeiten land- und forstwirtschaftlicher Betriebe und die dem täglichen Bedarf der dort wohnenden Bevölkerung dienenden Gebäude bestimmt sind; Betriebsgebäude, die anderen als land- und forstwirtschaftlichen Zwecken dienen, dürfen nur insoweit zugelassen werden, als sie mit Rücksicht auf die Nutzung vorhanden sein müssen;
6. Sondergebiete, . . .
(2) In Kern- und Agrargebieten sind auch Wohngebäude zuzulassen. In Betriebs-, Industrie- und Sondergebieten sowie in Gebieten für Einkaufszentren sind Wohngebäude nur insoweit zuzulassen, als sie mit Rücksicht auf die Nutzung vorhanden sein müssen."
1. Beim VfGH sind zu V82/86 und V23/87 amtswegig eingeleitete Verordnungsprüfungsverfahren anhängig, in denen es um die Gesetzmäßigkeit von Flächenwidmungsplänen niederösterreichischer Gemeinden geht. Zu V82/86 ist zu prüfen, ob die Stadtgemeinde Herzogenburg ein Grundstück zurecht von Bauland-Wohngebiet in Bauland-Agrargebiet umgewidmet hat, zu V23/87 ist die Gesetzmäßigkeit der Widmung eines Grundstückes in Bauland-Wohngebiet durch die Stadtgemeinde St. Pölten deshalb zweifelhaft, weil in einer Stellungnahme des Magistrats diesem Gebiet vorwiegend agrarischer Charakter zugesprochen und im Hinblick darauf, daß sich dort einer der wenigen landwirtschaftlichen Vollerwerbsbetriebe dieser Katastralgemeinde befinde, die Widmung als Bauland-Agrargebiet vorgeschlagen wird.
2. Aus Anlaß dieser Verordnungsprüfungsverfahren hat der VfGH von Amts wegen beschlossen, die Verfassungsmäßigkeit der Wortfolge "in Wohngebäuden untergebracht werden können und" in §16 Abs1 Z1 des nö. ROG zu prüfen. Er hat seinen Bedenken folgendes zugrundegelegt:
"Geht man davon aus, daß im Wohngebiet nur solche Betriebe in Betracht kommen, "welche in Wohngebäuden untergebracht werden können", so scheint diese Widmung grundsätzlich für Flächen, auf denen land- und forstwirtschaftliche Betriebe bestehen (bleiben sollen), nicht in Betracht zu kommen. Für solche Betriebe ist die Widmung Agrargebiet vorgesehen, doch muß es sich dabei um Gebiete handeln, in denen neben Baulichkeiten land- und forstwirtschaftlicher Betriebe nur "dem täglichen Bedarf der dort wohnenden Bevölkerung dienende Gebäude" bestehen sollen; Wohngebäude sind zwar in Agrargebieten auch zuzulassen (§16 Abs2), dürfen dem Gebiet aber wohl nicht das Gepräge geben. Dazu kommt, daß die Widmung Agrargebiet keinerlei Schranken gegen Lärm- und Geruchsbelästigung enthält. Die Widmung Betriebsgebiet erlaubt wiederum nur Baulichkeiten für Betriebe (wenn auch ohne übermäßige Lärm- und Geruchsbelästigung und ohne schädliche, störende oder gefährliche Einwirkungen), Wohngebäude aber nur insoweit, als sie mit Rücksicht auf die Nutzung vorhanden sein müssen (§16 Abs2). Landwirtschaftliche Betriebe scheinen daher in den für Wohngebäude bestimmten Gebieten selbst dann keinen Platz zu finden, wenn sie keine das örtlich zumutbare Ausmaß übersteigende Lärm- und Geruchsbelästigung und keine sonstigen schädlichen Einwirkungen auf die Umgebung verursachen. In Gebieten, in denen landwirtschaftliche Betriebe in die Minderheit geraten, scheint nach diesem Konzept ein Fortbestand solcher Betriebe nicht mehr möglich zu sein, sodaß sie zwangsläufig zur Verlagerung ihres Standortes gezwungen oder dem Untergang preisgegeben sind (vgl. auch Holzer, Agrar-Raumplanungsrecht, 1981, S 178 f).
Eine solche Regelung scheint dem VfGH unsachlich zu sein und daher den Gleichheitssatz zu verletzen."
Sodann weist der VfGH darauf hin, daß er bereits im Erkenntnis VfSlg. 8701/1979 ähnliche Bedenken gegen das burgenländische RaumplanungsG so formuliert hat:
"Die wirtschaftliche Entwicklung hat in ehemals ländlichen Ortschaften die Zahl der haupt- oder nebenberuflichen Landwirte häufig so sehr zurückgedrängt, daß die nichtbäuerliche Bevölkerung überwiegt und der Bedarf an Wohngebäuden und Betriebsgebäuden für das Kleingewerbe und den Handel den Anteil der bäuerlichen Betriebe weit übersteigt. Der Gerichtshof vermag nun vorläufig nicht einzusehen, daß in solchen Gebieten die Errichtung oder Erneuerung landwirtschaftlicher Betriebsgebäude gänzlich ausgeschlossen werden muß. Da gerade in bäuerlichen Betrieben ein enger räumlicher Zusammenhang zwischen Wohn- und Wirtschaftsgebäuden üblich und auch nötig ist, erweist sich der Ausschluß der traditionellen Wirtschaftsform für die wirtschaftliche und soziale Entwicklung solcher Gebiete als derart einschneidend, daß er nicht ohne Differenzierung (zum Beispiel nach dem Maße der Belästigung der Nachbarschaft) möglich sein dürfte. Wenn in Dorfgebieten (litb) der Wohnbevölkerung der Bestand land- und forstwirtschaftlicher Betriebe grundsätzlich zugemutet wird, scheint der völlige Ausschluß solcher Betriebe in gemischten Baugebieten eine sachlich nicht zu rechtfertigende Ungleichbehandlung zu bedeuten."
Der Gerichtshof habe im genannten Erkenntnis geprüft,
". . . ob es sachlich gerechtfertigt ist, daß bäuerliche Betriebe - anders als Handels- und Dienstleistungsbetriebe - auch in Streulagen nicht (neu oder wieder) errichtet oder ausgebaut werden können, wenn sie innerhalb eines Gebietes liegen, das bei Berücksichtigung gegebener Verhältnisse und zukünftiger Entwicklungen als gemischtes Baugebiet zu widmen ist, obwohl eine das örtlich zumutbare Maß übersteigende Gefährdung oder Belästigung der Nachbarn oder eine übermäßige Belastung des Straßenverkehrs nicht zu erwarten ist."
und sei dabei zu folgendem Ergebnis gelangt:
"Der Gerichtshof verkennt nicht, daß landwirtschaftliche Betriebe, insbesondere durch die Tierhaltung, ganz bestimmte, sonst kaum auftretende Belästigungen nach sich ziehen können, die im Interesse einer überwiegend nichtbäuerlichen Bevölkerung Einschränkungen rechtfertigen. Er hält den Gesetzgeber auch für befugt, die Umschreibung verschiedenster Widmungsarten nach seinen rechtspolitischen Vorstellungen zu gestalten, so daß es der planenden Gemeinde obliegt, die richtige Widmung aus einer großen Zahl von Möglichkeiten auszuwählen. In ihrer Summe müssen aber die zulässigen Widmungsarten zu Ergebnissen führen können, die vor dem auch den Gesetzgeber bindenden Gleichheitssatz Bestand haben.
Für ausschlaggebend hält der Gerichtshof bei Beantwortung der im vorliegenden Verfahren aufgeworfenen Frage, daß die abnehmende Zahl bäuerlicher Betriebe in ländlichen Gemeinden eine allgemeine, durch die wirtschaftliche Entwicklung bedingte Erscheinung ist, daß die Verlagerung des Standortes gerade solcher Betriebe wegen des notwendig engen räumlichen Zusammenhanges zwischen Wohn- und Wirtschaftsgebäuden sich besonders einschneidend auswirkt und daß die Landwirtschaft häufig auch nicht die einzige Erwerbsquelle der Betroffenen darstellt. Diese Umstände lassen in ihrer Gesamtheit den unbedingten Ausschluß landwirtschaftlicher Betriebe aus dem gemischten Baugebiet bei der diese Widmungsart vom Gesetz sonst gegebenen Gestalt auf dem Hintergrund der übrigen Widmungsarten als ungerechtfertigte Benachteiligung eines Wirtschaftszweiges erscheinen, dessen Erhaltung und Stärkung nicht nur ein besonderes Anliegen der Raumplanung (§7 Abs3 RPG), sondern auch Gegenstand anderer gesetzlicher Maßnahmen (etwa auf dem Gebiete des Grundverkehrsrechtes) ist."
Eine solche ungerechtfertigte Benachteiligung der (hier durch §1 Abs2 Z4 ROG der besonderen Aufmerksamkeit der planenden Organe empfohlenen) Landwirtschaft scheine auch die Regelung des §16 Abs1 ROG zu bewirken. Es dürfte eine Widmung fehlen, die neben Wohngebäuden auch einzelne landwirtschaftliche Betriebe zuläßt, die zwar nicht in Wohngebäuden untergebracht werden können, aber doch auch keine das örtlich zumutbare Ausmaß übersteigende Lärm- und Geruchsbelästigung sowie keine sonstigen schädlichen Einwirkungen auf die Umgebung verursachen. Der Sitz dieser Verfassungswidrigkeit scheine die Z1 des in §16 Abs1 enthaltenen Kataloges der Widmungsarten, näherhin die in Prüfung gezogene Wortfolge zu sein.
2. Die Niederösterreichische Landesregierung verteidigt die Verfassungsmäßigkeit des Gesetzes. Sie pflichtet der Annahme des VfGH bei, daß die überwiegende Mehrzahl der landwirtschaftlichen Betriebe (abgesehen etwa von einer Champignonzucht, Schneckenzucht oder einem Gewächshaus) nicht in Wohnhäusern untergebracht werden kann und wertet das Erfordernis der Unterbringung in Wohngebäuden als Maßnahme des Ortsbildschutzes, die Störungen des Charakters eines Siedlungsgebietes durch Bauten für Gewerbebetriebe aller Art verhindern solle. Die Unterscheidung zwischen Wohngebiet, Betriebsgebiet und Agrargebiet sei sachgerecht und auch die dem VfGH vorschwebende Nutzungsart nicht geeignet, den Fortbestand von landwirtschaftlichen Betrieben im Wohngebiet auf Dauer zu sichern:
"Die Einschränkung eines einzelnen Landwirtschaftsbetriebes auf ein örtlich zumutbares Maß an Belästigungen und auf Vermeidung sonstiger schädlicher Einwirkungen auf die Umgebung müßte ja auf den Wohngebietscharakter abgestimmt werden. Es kämen daher auch bei einer solchen Nutzungsart nur land- und forstwirtschaftliche Betriebe ohne emissionsintensive Betriebszweige in Frage.
Ein isoliert liegender landwirtschaftlicher Betrieb mit Intensivtierhaltung in der üblichen Größe (etwa 200 Mastschweine - keine Massentierhaltung) wäre auch bei dieser Nutzungsart langfristig zur Auflassung eines existenzsichernden Betriebszweiges gezwungen. Andererseits könnte auch ein emissionsarmer Betrieb bei Änderung der Marktsituation oder der innerbetrieblichen Verhältnisse nie mehr eine Betriebsumstellung vornehmen, wenn er eine solche (bisher nicht vorhandene) Belästigung zur Folge hätte.
Die Landwirtschaftsbetriebe sind vom Gesetzgeber raumordnungsrechtlich deshalb so schwierig zu erfassen, weil sie äußerst vielfältig und individuell sind. Auch ein Einzelbetrieb befindet sich in einem ständigen Wandel. Die Gründe dafür sind u. a. die notwendige Anpassung an die sich ändernden wirtschaftlichen Rahmenbedingungen, ein geänderter Arbeitskräftebesatz, Kontingentierungen, Alternativförderungen, etc."
Schließlich tritt die Landesregierung der Ansicht des VfGH entgegen, Wohngebäude dürften dem Agrargebiet nicht das Gepräge geben. Die Nutzungsart "Agrargebiet" könne auch dann ausgewiesen werden, wenn in einem Gebiet die Landwirtschaft zwar in der Minderheit sei, das einschlägige Planungsziel des ROG aber doch verwirklicht werden soll. Andernfalls müßte der Flächenwidmungsplan nachträglich auf Wohngebiet geändert werden, sobald die Zahl der errichteten Wohngebäude die Grenze überschreite.
III. Die Gesetzesprüfungsverfahren sind zulässig. Es hat sich nichts ergeben, was an der Zulässigkeit der sie veranlassenden Verordnungsprüfungsverfahren oder an der Präjudizialität der in Prüfung gezogenen Wortfolge zweifeln ließe. Die Gesetzmäßigkeit der gewählten Widmung ist hier jeweils aufgrund eines Vergleiches der Widmungsarten Wohngebiet und Agrargebiet zu entscheiden. Der Hinweis der Landesregierung, die Gemeinderäte hätten bei Erlassung der Flächenwidmungspläne alle Bestimmungen des §16 anzuwenden gehabt, geht einerseits zu weit ("alle . . .") und nimmt andererseits ohne Grund ausschließlich den Blickwinkel der Behörde ein. Entscheidend ist, daß der VfGH selbst bei Prüfung der Gesetzmäßigkeit der Widmungen die Vorschrift über die Widmung "Wohngebiet" anzuwenden haben wird und daher auch die in Prüfung gezogene Wortfolge anzuwenden hätte.
Festzuhalten ist außerdem, daß es für die Präjudizialität der in Prüfung gezogenen Wortfolge ohne Bedeutung ist, wie die Verhältnisse in den Anlaßfällen der Verordnungsprüfungsverfahren in bezug auf die Emissionen der betroffenen Betriebe liegen.
IV. Die Bedenken des VfGH sind auch begründet. Die in Prüfung gezogene Wortfolge in §16 Abs1 Z1 nö. ROG verstößt gegen den Gleichheitssatz.
1. Zunächst ist der Landesregierung darin beizupflichten, daß §16 Abs1 Z1 ROG eine Widmungsart umschreibt, die als solche verfassungsrechtlich nicht bedenklich ist. Der Landesgesetzgeber darf das Ziel verfolgen, Wohngebiete von Bauwerken für Gewerbebetriebe freizuhalten. Die Bedenken des VfGH treffen die Umschreibung der Rechtswirkungen der Nutzungsart Wohngebiet nur deshalb, weil der Katalog der Widmungen insgesamt keine Möglichkeit eröffnet, in Wohngebieten landwirtschaftliche Betriebe zuzulassen, die weder eine das örtlich zumutbare Ausmaß übersteigende Lärm- und Geruchsbelästigung noch sonstige schädliche Einwirkungen auf die Umgebung verursachen. Bei der gegebenen Formulierung des §16 Abs1 hat dieser Mangel eben in Z1 seinen Sitz. Würde der Landesgesetzgeber die vermißte Möglichkeit durch eine andere neue - Widmungsart schaffen, wäre die Z1 des §16 Abs1 in ihrer gegenwärtigen Textierung unter dem Blickwinkel der hier aufgeworfenen Frage nicht zu beanstanden.
Der VfGH braucht im vorliegenden Zusammenhang auch der Auffassung der niederösterreichischen Landesregierung nicht entgegenzutreten, §16 Abs2 ROG lasse in Agrargebieten Wohngebäude selbst dann zu, wenn sie die Baulichkeiten für landund forstwirtschaftliche Betriebe (einschließlich der Gebäude für den täglichen Bedarf der dort wohnenden Bevölkerung) bereits überwiegen. Der Gerichtshof geht nur davon aus, daß ohne außergewöhnliche Planungsabsichten ein durch überwiegenden Bestand von reinen Wohngebäuden geprägtes Gebiet nicht mehr neu als Agrargebiet gewidmet werden darf, weil das zur Folge hätte, daß land- und forstwirtschaftliche Betriebsgebäude ohne Rücksicht auf allfällige Lärm- und Geruchsbelästigung und sonstige schädliche Einwirkungen des Betriebes auf die Umgebung errichtet oder ausgebaut werden könnten. Auch die Landesregierung bestreitet ja nicht, daß der Verordnungsgeber bei Wohngebieten, die noch von einer gewissen Anzahl von bäuerlichen Betrieben durchsetzt sind, im Ergebnis nur zwischen der Widmung als "Wohngebiet" und jener als "Agrargebiet" wählen kann, wobei die Widmung als Wohngebiet den Fortbestand der bäuerlichen Betriebe praktisch unmöglich macht, die Widmung als Agrargebiet die Wohnbevölkerung aber nicht vor einer erheblichen Zunahme an Lärmund Geruchsbelästigung oder sonstigen schädlichen Einwirkungen schützt.
Der VfGH stimmt der Landesregierung schließlich noch darin zu, daß die Zumutbarkeit einer solchen Belästigung auf den Charakter als Wohngebiet abgestimmt werden müßte und daher nur land- und forstwirtschaftliche Betriebe ohne emissionsintensive Betriebszweige in Frage kämen. Er verkennt auch nicht, daß sich die Bedürfnisse land- und forstwirtschaftlicher Betriebe in dieser Hinsicht ändern und dadurch Schwierigkeiten auftreten können. Er kann aber nicht finden, daß deshalb der Beweis der Zumutbarkeit allenfalls auftretender Belästigungen von vornherein abgeschnitten werden muß und landwirtschaftliche Betriebe ohne irgendwelche Differenzierungen aus Wohngebieten ausgeschlossen werden, obwohl gerade sie besonders auf Grund und Boden angewiesen und im ländlichen Bereich aus historischen Gründen weitgehend in die Wohnsiedlungen eingebunden sind und ihre Verdrängung sich auf die wirtschaftliche und soziale Entwicklung solcher Gebiete besonders einschneidend auswirkt.
2. Der VfGH hält es für eine sachlich nicht zu rechtfertigende Benachteiligung der an Grund und Boden gebundenen Landwirtschaft, wenn die Möglichkeit einer Widmung fehlt, die vereinzelten bäuerlichen Betrieben in Wohngebieten wenigstens insoweit eine Chance gibt, als die von ihnen ausgehende Lärm- und Geruchsbelästigung und sonstige schädliche Einwirkungen der Umgebung zumutbar sind. Schon im Erkenntnis VfSlg. 8701/1979 hat er deshalb den unbedingten Ausschluß land- und forstwirtschaftlicher Betriebe aus der für Wohngebäude, Gebäude für verschiedene Bedürfnisse der Bevölkerung des Wohngebietes, Verwaltungs- und Geschäftsbauten sowie Betriebsgebäude bestimmten Widmungsart "gemischtes Baugebiet" des burgenländischen Raumordnungsrechts für verfassungswidrig erachtet (wobei auch diese Widmung nur Betriebsgebäude erlaubt hatte, die nicht eine das örtlich zumutbare Maß übersteigende Gefährdung oder Belästigung der Nachbarn verursachen). Eine dem "gemischten Baugebiet" des burgenländischen Raumordnungsrechtes entsprechende Widmungsart enthält das nö. ROG nicht. Es sind die außerhalb von Kerngebieten (§16 Abs1 Z2 ) für Gebiete mit Wohngebäuden praktisch allein geeigneten Widmungen Wohngebiet und Agrargebiet, die eine solche mittlere Lösung nicht zulassen. Es geht hier also nicht darum, daß gerade land- und forstwirtschaftliche Betriebe ausgeschlossen werden, sondern daß auch sie vom Ausschluß von Betriebsgebäuden getroffen werden. Der dem VfGH mögliche Eingriff hat daher hier andere Auswirkungen. Das ändert aber an der Unsachlichkeit des Widmungskataloges nichts. Wenn es dem Gesetzgeber auch freisteht, reine Wohngebiete zu schaffen, in denen nur unauffällige, in Wohngebäuden unterzubringende Betriebe Platz haben, muß er doch auch für den Fall Vorsorge treffen, daß in dörflichen oder vorstädtischen Wohngebieten einzelne landwirtschaftliche Betriebe verblieben sind, die zu vertreiben kein Grund besteht und deren Betriebsgebäude für das Ortsbild weiter in Kauf genommen werden können oder gar nicht verunstaltend wirken. Der VfGH vermag nicht einzusehen, warum der Verordnungsgeber gezwungen wird, bäuerliche Betriebsgebäude aus Wohngebieten nur deshalb schlechthin zu verbannen, weil er unzumutbare Belästigungen von der Wohnbevölkerung fernhalten will.
Sollte dieser unbedingte Ausschluß landwirtschaftlicher Betriebe nicht ohnehin nur ein Versehen sein (weil bei der Formulierung der Z1 des §16 Abs1 an Betriebsgebäude allgemein gedacht war und das besondere Problem der Landwirtschaft übersehen wurde), ist es der Landesregierung jedenfalls nicht gelungen, einen plausiblen Grund dafür aufzuzeigen. Das Interesse an einem durch Betriebsgebäude nicht gestörten Ortsbild kann jenes am Weiterbestand und der Erneuerung unschädlicher landwirtschaftlicher Betriebe nicht in allen Fällen verdrängen. Es wäre dies eine ungerechtfertigte Benachteiligung eines besonders an Grund und Boden gebundenen Wirtschaftszweiges.
Die in Prüfung gezogene Wortfolge widerspricht daher dem Gleichheitssatz.
4. Da nach Aufhebung der in Prüfung gezogenen Wortfolge nicht nur Gebäude für bäuerliche Betriebe, sondern auch andere Betriebsgebäude errichtet werden könnten (sofern die Betriebe keine das örtlich zumutbare Ausmaß übersteigende Belästigung verursachen), dies aber verfassungsrechtlich aus dem Blickwinkel der hier erörterten Bedenken nicht geboten ist, soll dem Gesetzgeber gemäß Art140 Abs5 B-VG durch eine Fristsetzung für das Inkrafttreten der Aufhebung Gelegenheit gegeben werden, den dargelegten Erfordernissen durch eine ihm besser erscheinende Gesamtregelung Rechnung zu tragen. Der Ausspruch über die Verpflichtung des Landeshauptmannes zur Kundmachung des Spruchs stützt sich gleichfalls auf Art140 Abs5 B-VG, der Ausschluß des Inkrafttretens früherer Vorschriften auf Art140 Abs6 B-VG.
Schlagworte
VfGH / Präjudizialität, Baurecht, Raumordnung, FlächenwidmungsplanEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:1987:G134.1987Dokumentnummer
JFT_10128790_87G00134_00