TE Vwgh Erkenntnis 1990/9/25 90/05/0069

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Veröffentlicht am 25.09.1990
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Index

L37153 Anliegerbeitrag Aufschließungsbeitrag Interessentenbeitrag
Niederösterreich;
L80003 Raumordnung Raumplanung Flächenwidmung Bebauungsplan
Niederösterreich;
L81703 Baulärm Niederösterreich;
L82000 Bauordnung;
L82003 Bauordnung Niederösterreich;
001 Verwaltungsrecht allgemein;
40/01 Verwaltungsverfahren;

Norm

AVG §45 Abs2;
AVG §52;
AVG §66 Abs4;
AVG §8;
BauO NÖ 1976 §118 Abs8;
BauO NÖ 1976 §118 Abs9;
BauO NÖ 1976 §62 Abs2;
BauRallg impl;
BauRallg;
ROG NÖ 1976 §16 Abs1 Z5;
VwRallg;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Draxler und die Hofräte DDr. Hauer, Dr. Degischer, Dr. Domittner und Dr. Giendl als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Wildmann, über die Beschwerde

1.) des N und 2.) der R gegen den Bescheid des Stadtsenates der Landeshauptstadt St. Pölten vom 27. Februar 1990, Zl. 00/37/4-1990/Mag.Gu./Schr., betreffend Einwendungen gegen ein Bauvorhaben (mitbeteiligte Parteien: 1. FH und 2. HH), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufgehoben.

Die Landeshauptstadt St. Pölten hat den Beschwerdeführern Aufwendungen in der Höhe von S 9.780,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem am 9. November 1988 beim Magistrat der Landeshauptstadt St. Pölten eingelangten Ansuchen beantragten die Mitbeteiligten die Erteilung einer Baubewilligung für die Errichtung einer Jauchegrube sowie einer Düngerstätte auf der Parz.Nr. W1 KG Unter-Wagram. Über dieses Ansuchen wurde mit Ladung vom 28. November 1988 unter Hinweis auf die Präklusionsfolgen des § 42 AVG 1950 eine Augenscheinsverhandlung anberaumt. Die Ladung der Zweitbeschwerdeführerin ist ausgewiesen, jene des Erstbeschwerdeführers nicht; nach einem Bleistiftvermerk befand er sich auf Urlaub. Während der Verhandlung vom 6. Dezember 1988 erklärte der Vertreter der Zweitbeschwerdeführerin, diese sei mit dem Bau nicht einverstanden, weil sie auf Grund der Nähe eine unzumutbare Geruchsbelästigung befürchte. In der Folge holte der Magistrat der Landeshauptstadt St. Pölten ein Gutachten der Veterinärverwaltung ein, wobei darauf hingewiesen wurde, daß die Liegenschaft nach dem rechtskräftigen Flächenwidmungsplan der Stadt St. Pölten im Bauland-Agrargebiet liege. Im Gutachten der Veterinärverwaltung vom 18. Jänner 1989 wurde ausgeführt, laut Unterlagen im Plan und in der Baubeschreibung sowie den Angaben der Bauwerber sei geplant, an der Westseite des Gebäudes eine Jauchegrube und eine teilweise über dieser angeordnete Düngerlagerstätte zu errichten. Derzeit werde der Dünger und auch die anfallende Jauche im Hof des Anwesens gelagert. In den Stallungen befänden sich derzeit 40 Zuchtsauen, teilweise mit Saugferkel, und 50 Mastschweine. Von den Bauwerbern werde angegeben, daß sie nicht beabsichtigten, die Anzahl der eingestallten Tiere zu erhöhen. Die Entmistung aus dem Zuchtsauenstall solle nach den vorliegenden Plänen mittels einer hydraulischen Presse unter Flur erfolgen, der anfallende Mist werde also von unten in die Düngerlagerstätte eingepreßt. Der anfallende Mist aus den Mastställen, die im Tiefstreu ausgeführt seien, werde ca. sechsmal jährlich mit dem Frontlader auf die Düngerlagerstätte aufgebracht. Da derzeit die Düngerlagerstätte im Innenhof des Vierkanthofes liege und der anfallende Mist täglich händisch aus den Stallungen ausgebracht werde, sei mit der geplanten neuen Düngerlagerstätte eine wesentliche Verbesserung der Situation hinsichtlich der Arbeitsintensität, aber auch der Hygiene gegeben. Es sei daher nicht damit zu rechnen, daß es bei ordnungsgemäßer Benützung und Bearbeitung der Düngerstätte zu einer stärkeren Geruchsentwicklung als bisher kommen werde. Eine Verlegung der Öffnung der Mistlagerstätte nach Norden (wie von einem anderen Anrainer vorgeschlagen) würde zu keiner Änderung der Gesamtsituation und Gesamtbelastung führen, hätte aber arbeitstechnisch für die Bauwerber Nachteile. Die geplante Güllegrube sei sehr reichlich dimensioniert. Auf eine diesbezügliche Frage hätten die Bauwerber mitgeteilt, sie planten, die anfallende Jauche durch mindestens ein Jahr zu lagern. Dadurch sei es möglich, auch die Ausbringung der Jauche nur einmal im Jahr vorzunehmen und die dabei entstehende Geruchsbelästigung einzuschränken. Zusammenfassend wurde festgestellt, daß durch die Errichtung und ordnungsgemäße Betreibung der geplanten Düngerstätte und Jauchegrube mit einer hygienischen Verbesserung zu rechnen sei, die Umweltbelastung hinsichtlich der Geruchsentwicklung werde eher geringer werden. In einem amtsärztlichen Gutachten vom 3. März 1989 wurde nach Beschreibung des Projektes ausgeführt, durch die Neujustierung der Mistlagerstätte veränderten sich die Distanzen zu den Anrainern nur unwesentlich, vor allem in bezug auf die bereits vorherrschende Westwetterlage, da die Liegenschaft der Anrainer Kraucher südlich der gegenständlichen Landwirtschaft liege. In Bewertung der umwelthygienischen Relevanz der Mist- und Güllelagerstätte werde auch auf die Stellungnahme der städtischen Veterinärverwaltung vom 18. Jänner 1989 zu diesem Problembereich verwiesen, in dem klar eine Verbesserung des derzeitigen Istzustandes hinsichtlich der Arbeitsintensität als auch der Betriebshygiene durch den Neubau festgestellt werde. Aus medizinischer Sicht sei mit Sicherheit keine Gesundheitsschädigung der Nachbarschaft zu erwarten. Geruchsemissionen, die nach aktueller meteorologischer Situation in der Nachbarschaft wahrnehmbar würden, seien sicher als ortsüblich zu betrachten und hinsichtlich ihrer Charakteristik als zumutbare Belästigung einzustufen.

In der Verhandlung vom 20. März 1989, an der auch beide Beschwerdeführer teilnahmen, wurden diese Gutachten verlesen. Der Erstbeschwerdeführer erklärte, mit der Bauausführung und Projektierung des derzeitigen Situationsplanes nicht einverstanden zu sein. Er ersuche die Landesregierung und die Wasserrechtsbehörde, ein Gutachten über Umweltschutz und Geruchsbelästigung durch Jauchegrube und Düngerstätte zu erstellen; er gebe "dazu weder mündlich noch schriftlich eine Zustimmung." Aufgrund seines Ansuchens betreffend die Jauchegrube und Düngerstätte vom 28. November 1988 sei vom Magistrat Stellung weder mündlich noch schriftlich genommen worden. Tatsächlich findet sich im Akt ein Schreiben des Erstbeschwerdeführers, das einen Eingangsstempel vom 5. Dezember 1988 aufweist und auf die Ladung vom 28. November 1988 Bezug nimmt. Darin führt der Erstbeschwerdeführer aus, er erhebe als Anrainer gegen die beabsichtigte Bauführung Einspruch, weil seine Rechte durch Geruch (Stall, Mist und Gülle), durch Lärm (automatische Entmistungsanlage) und vermehrte Fliegenplage vor allem während der warmen Jahreszeit, verletzt würden. Darüber hinaus werde die Wohnqualität seiner Liegenschaft erheblich beeinträchtigt. Sollte die Düngerstätte mit dem Mistplatz im Innenhof des landwirtschaftlichen Anwesens angelegt werden, so würde er dem Bauvorhaben zustimmen. Nach einem Aktenvermerk vom 20. März 1989 lag zum Zeitpunkt der Ausschreibung zur Büroverhandlung am 9. März 1989 keine schriftliche Stellungnahme des Erstbeschwerdeführers im Bauakt auf. Bei Durchsicht des Bauaktes am 20. März 1989 sei plötzlich eine schriftliche Erklärung des Erstbeschwerdeführers ohne Datum aufgelegen. Dieses Schreiben trage jedoch den Eingangsstempel der Bau- und Feuerpolizei vom 5. Dezember 1988. Eine Rücksprache mit der Protokollführerin habe ergeben, daß das Schriftstück in den Eingangsbüchern nicht eingetragen worden sei. Sie habe auch erklärt, daß sie den Stempel auf dem gegenständlichen Schreiben des Erstbeschwerdeführers nicht aufgebracht habe, weil sie diesen Stempel stets unterhalb des Schriftblockes situiere und außerdem den Stempel mit der entsprechenden Aktenzahl ergänze. Danach müsse dieses Schreiben nach dem 9. März 1989 bei der Bauverwaltung-Baupolizei eingelangt und von einer anderen als einer für den Einlauf zuständigen Person mit dem Eingangsstempel versehen worden sein.

Mit Bescheid des Magistrates der Landeshauptstadt St. Pölten vom 4. April 1989 wurde den Mitbeteiligten die beantragte Baubewilligung erteilt, die Verhandlungsschriften wurden zu einem wesentlichen Bestandteil des Bescheides erklärt. Die Einwendungen der Zweitbeschwerdeführerin hinsichtlich der Situierung des Düngerplatzes und der Jauchegrube sowie jene des Erstbeschwerdeführers bezüglich der befürchteten Geruchsbelästigung wurden als unbegründet abgewiesen.

In der Berufung gegen diesen Bescheid brachte der Erstbeschwerdeführer vor, der angefochtene Bescheid sei fehlerhaft zustande gekommen, da dem Verfahren kein umwelttechnischer Sachverständiger beigezogen worden sei, der imstande gewesen wäre, über die zur Wahrung der erforderlichen Entfernungen zwischen der Düngerstätte und der Jauchegrube einerseits und den Nachbargrundstücken andererseits notwendigen Seitenabstände Auskunft zu geben. Das Gutachten der Veterinärverwaltung beschäftige sich mit Fragen der Arbeitsabläufe und Stallhygiene; es sei daher zur Beurteilung der Frage, ob es zu unzumutbaren bzw. das ortsübliche Maß übersteigenden Geruchsbeeinträchtigungen kommen werde, fachlich nicht geeignet. Festgehalten sei aber dennoch, daß die Veterinärverwaltung der Güllegrube nur unter der Voraussetzung zugestimmt habe, daß die Jauche nur einmal im Jahr ausgebracht werde, diese Voraussetzung habe aber im Bescheid nicht in Form einer Auflage Niederschlag gefunden. Das Gutachten sei somit auf anderen Prämissen als der Bescheid erstellt worden. Das Gutachten der Gesundheitsverwaltung wiederum gehe von mehreren tatsachenwidrigen Annahmen aus: Zum ersten werde die Verringerung der Distanzen zu den Nachbarn als "unwesentliche" Änderung abgetan. Da sich die Distanzen bei Verwirklichung des Vorhabens auf weniger als die Hälfte verringern würden, sei dem Gutachter entweder ein falscher Plan vorgelegen oder er habe eine grob tatsachenwidrige subjektive Wertung vorgenommen. Überdies gehe die Gesundheitsverwaltung von einer "vorherrschenden Westwetterlage" aus. Ein Blick auf die für St. Pölten maßgebliche Windrose hätte jedoch erkennen lassen, daß die Westwetterlagen nur um ca. 4 Prozentpunkte gegenüber den die Nachbarschaft beeinträchtigenden Nord/Südwetterlagen dominierten. Überdies werde nicht begründet, auf Grund welcher Prämissen die Gesundheitsverwaltung zu der Annahme gelange, daß die Geruchsemissionen als ortsüblich zu betrachten seien. Ein Vergleichsbetrieb, der diese Aussage stützen könne, sei jedenfalls nicht angegeben. In diesem Zusammenhang sei festzuhalten, daß der Bescheid keine Auflagen enthalte, die gemäß § 62 Abs. 2 in Verbindung mit § 118 der NÖ BauO darauf abzielen würden, eine unzumutbare Geruchsbeeinträchtigung der Nachbarschaft hintanzuhalten.

Die Zweitbeschwerdeführerin brachte in ihrer Berufung im wesentlichen vor, das amtsärztliche Gutachten sei unwissentlich auf einem falschen Tatbestand erstellt worden. Ein Vertreter der Gesundheitsbehörde habe an der örtlichen Bauverhandlung nicht teilgenommen und könne daher nicht wissen, daß der Schweinestall mit den 50 Mastschweinen laut Gesetz nicht vorhanden sei und keine behördliche Baubewilligung vorliege. Es werde daher vor Erteilung der Baubewilligung für die Düngerstätte die "vorschriftsmäßige Baukommission" dieses Stalles beantragt, da in bezug auf die hygienischen Verhältnisse (Geruch sowie Fliegen) der Mist eine wesentliche Rolle spiele. Weiters werde eine Auflage hinsichtlich der Höhe und Schließung der Düngerstätte beantragt. Die Mindesthöhe der Betonmauer müsse drei m betragen, die Schließung sollte mit einem Schubtor erfolgen.

In der Folge führte die Bauverwaltung des Magistrates der Landeshauptstadt St. Pölten mit den Mitbeteiligten am 20. Juli 1989 eine Verhandlung durch. In der hierüber aufgenommenen Niederschrift ist festgehalten, daß auf Grund der Berufung der Zweitbeschwerdeführerin der landwirtschaftliche Betrieb der Mitbeteiligten am 17. Juli 1989 in baupolizeilicher Hinsicht überprüft und dabei festgestellt worden sei, daß der nördliche Wirtschaftstrakt im Anschluß an das Wohnhaus nun für die Zuchtschweinehaltung verwendet werde. Die im Jahre 1948 genehmigte Widmung habe auf "Pferdestall, Rinderstall und Futterkammer" gelautet. Im anschließenden Westtrakt (Quertrakt) sei eine Durchfahrt und eine Scheune mit Tenne genehmigt worden. Anstelle der Tenne bestehe jetzt eine Durchfahrt. Der nördlich dieser Durchfahrt gelegene Teil werde nun überwiegend als Zuchtschweinestall und der südliche Teil der "ehemaligen Scheune" als Mastschweinestall verwendet. Der südliche Wirtschaftstrakt entspreche im wesentlichen der genehmigten Widmung und enthalte einen Geräteschuppen und einen Ferkelstall. Durch die Widmungsänderungen seien auch bauliche Veränderungen vorgenommen worden. Mit Ausnahme des nördlich der Durchfahrt eingerichteten Zuchtschweinestalles seien für die Änderungen keine Bewilligungen erteilt worden. Die Mitbeteiligten würden daher aufgefordert, für die konsenslos durchgeführten baulichen Veränderungen und Umwidmungen binnen drei Monaten unter Vorlage der erforderlichen technischen und sonstigen Unterlagen schriftlich um die nachträgliche Erteilung der Baubewilligung anzusuchen. Die Mitbeteiligten nähmen diese Anordnung zur Kenntnis, sie erklärten in diesem Zusammenhang ausdrücklich, daß die derzeit gegebene Betriebsgröße von 40 Zuchtschweinen und 50 Mastschweinen durch das erforderliche nachträgliche Bewilligungsverfahren für die konsenslosen Schweineställe nicht verändert werde und daher auch auf die gegenständliche Düngerstätte und Jauchegrube hinsichtlich ihrer Dimensionierung keine Auswirkungen hätten. Der Forderung der Zweitbeschwerdeführerin, die Umschließungsmauern bei der Düngerstätte auf drei m zu erhöhen, könne von den Bauwerbern entsprochen werden. Der Ausführung eines Schubtores bei der Düngerstätte könne aber aus betriebstechnischen Gründen nicht zugestimmt werden. Die Bauwerber erklärten sich jedoch bereit, die offene Seite der Düngerlagerstätte je nach Erfordernis, mit Einschubbohlen bis auf eine Höhe von ca. 1 m zu schließen.

Mit Bescheid des Stadtsenates der Landeshauptstadt St. Pölten vom 27. Februar 1990 wurden die Berufungen der Beschwerdeführer als unbegründet abgewiesen. Im Spruch wurde festgestellt, daß hinsichtlich der Forderung der Zweitbeschwerdeführerin, die Umschließungsmauer bei der Düngerstätte auf drei m zu erhöhen, von den Konsenswerbern in der Niederschrift vom 20. Juni 1989 eine Zustimmungserklärung abgegeben worden sei. In der Begründung wurde im wesentlichen ausgeführt, die Zweitbeschwerdeführerin sei mit Ladung vom 9. März 1989 unter Hinweis auf die Rechtsfolgen des § 42 AVG 1950 geladen worden. Sie hätte bereits in der Verhandlung (vom 20. März 1989) Einwendungen gegen das Sachverständigengutachten erheben müssen, habe dies aber unterlassen. Aus diesem Grunde seien aufgrund der Berufung der Zweitbeschwerdeführerin die Bedenken gegen die Sachverständigengutachten nicht mehr zu überprüfen gewesen. Bezüglich der Forderung, die Ummauerung (von 2,5 m) auf drei m zu erhöhen, sei durch die Konsenswerber eine Zusicherung abgegeben worden. Diese Zusicherung sei im Spruch dieses Bescheides protokolliert, es sei daher die Zweitbeschwerdeführerin in diesem Punkt klaglos gestellt. Auch der Erstbeschwerdeführer sei persönlich unter Hinweis auf § 42 AVG 1950 zur Verhandlung vom 20. März 1989 geladen worden, auch er habe aber gegen die Gutachten der Gesundheits- sowie Veterinärverwaltung keine Einwendungen erhoben. Er habe jedoch in dieser Verhandlung ein weiteres Gutachten betreffend Geruchsbelästigung und Wasserverunreinigung gefordert. Bezüglich der Berufungseinwendungen des Erstbeschwerdeführers, die Sachverständigengutachten betreffend, gelte dasselbe, wie hinsichtlich der Zweitbeschwerdeführerin. Bezüglich der Forderung, ein weiteres Sachverständigengutachten einzuholen, sei auszuführen, daß nach Meinung der Berufungsbehörde der Sachverhalt zur Beurteilung, ob subjektiv-öffentliche Rechte von Anrainern berührt werden könnten, als ausreichend geklärt anzusehen sei. Die eingeholten Gutachten der Veterinär- und Gesundheitsverwaltung seien schlüssig und widersprächen nicht der Erfahrung des täglichen Lebens. Beide Gutachten kämen zu dem Ergebnis, daß durch die geplante Anlage eher eine Verbesserung in der Umgebungssituation entstehe bzw. die Geruchsemissionen als ortsüblich zu betrachten seien. Was die Möglichkeit einer Gewässerverunreinigung betreffe, könnten derartige Einwendungen nur von Wasserbenutzungsberechtigten erhoben werden. Daß der Erstbeschwerdeführer in diesem Punkt schutzwürdig sei, habe er nicht behauptet. Eine Prüfung dieser Frage könne aber unterbleiben, da in der Verhandlungsschrift vom 20. März 1989, welche einen wesentlichen Bestandteil des Bescheides erster Instanz bilde, Auflagen enthalten seien. Diese Auflagen seien daher auch Bestandteil des Bescheides. Die Auflage zu Punkt 2 laute: "Die Jauchegrube ist flüssigkeitsdicht auszuführen und mit einer ausreichenden Entlüftung auszustatten". Punkt 5 laute: "Der Düngerlagerplatz ist flüssigkeitsdicht herzustellen und an der Westseite (Auf-, Zufahrt) mit einer mindestens 10 cm flüssigkeitsdichten Schwelle auszustatten". Punkt 6 laute: "Der Fußboden des Düngerplatzes sei mit einem Gefälle zu einem Bodeneinlauf herzustellen. Vom Bodeneinlauf ist ein flüssigkeitsdichter Kanal in die Jauchegrube zu verlegen". Diese Vorschreibungen sähen also vor, daß sämtliche Teile der geplanten Anlage flüssigkeitsdicht herzustellen seien. Dies bedeute, daß keine Einwirkungen auf das umgebende Erdmaterial und damit auch keine Einsickerungen in das Grundwasser möglich seien.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde wegen Rechtswidrigkeit infolge Unzuständigkeit der belangten Behörde, Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften. Die Beschwerdeführer erachten sich in ihrem Recht verletzt, daß nicht eine Baubewilligung erteilt werde, wenn die gesetzlichen Voraussetzungen nicht gegeben seien, sowie in ihrem aus § 62 NÖ Bauordnung erwachsenden Recht auf Vermeidung unzumutbarer und das ortsübliche Maß übersteigender Geruchsbelästigungen.

Die belangte Behörde legte die Verwaltungsakten vor und erstattete ebenso wie die Mitbeteiligten eine Gegenschrift, in der jeweils die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt wurde.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Gemäß § 116 Abs. 1 der Bauordnung für Niederösterreich (BO) ist bei Städten mit eigenem Statut Baubehörde erster Instanz der Magistrat, zweite Instanz der Stadtsenat. Dieser Bestimmung entspricht § 38 Abs. 3 Z. 7 des St. Pöltner Stadtrechtes 1977, LGBl. Nr. 129 in der Fassung LGBl. Nr. 96/1982, wonach dem Stadtsenat die Entscheidung über Berufungen gegen Bescheide des Magistrates im eigenen Wirkungsbereich vorbehalten ist. Dem vorgelegten Verwaltungsakt ist zu entnehmen, daß der angefochtene Bescheid vom Stadtsenat St. Pölten in der Sitzung vom 26. Februar 1990 beschlossen wurde. Von der Kanzlei des Stadtsenates wurde dieser Bescheid entsprechend dem gefaßten Beschluß des Stadtsenates am 27. Februar 1990 ausgefertigt und vom Bürgermeister für den Stadtsenat St. Pölten unterfertigt. Da gemäß Art. 118 Abs. 3 Z. 9 B-VG. Aufgaben der örtlichen Baupolizei, soweit sie nicht bundeseigene Gebäude, die öffentlichen Zwecken dienen, zum Gegenstand haben, zu den Angelegenheiten des eigenen Wirkungsbereiches der Gemeinde zählen, war der Stadtsenat für die Erlassung des angefochtenen Bescheides zuständig.

Unbestritten ist, daß für das Grundstück, auf dem das gegenständliche Projekt errichtet werden soll, die Flächenwidmung Bauland-Agrargebiet festgelegt ist. Gemäß § 16 Abs. 1 Z. 5 des NÖ Raumordnungsgesetzes 1976, LGBl. 8000-0 in der Fassung LGBl. 8000-4 (ROG) sind Agrargebiete für Baulichkeiten land- und forstwirtschaftlicher Betriebe und die dem täglichen Bedarf der dort wohnenden Bevölkerung dienenden Gebäude bestimmt.

Nach § 118 Abs. 8 Satz 1 der NÖ Bauordnung 1976 (BO), LGBl. 8200-0, genießen als Anrainer alle Grundstückseigentümer Parteistellung gemäß § 8 AVG 1950, wenn sie in ihren subjektiv-öffentlichen Rechten berührt werden.

§ 118 Abs. 9 BO bestimmt, daß subjektiv-öffentliche Rechte der Anrainer durch jene Vorschriften begründet werden, welche nicht nur den öffentlichen Interessen dienen, sondern im Hinblick auf die räumliche Nähe auch dem Anrainer. Hiezu gehören insbesondere die Bestimmungen über

1.

den Brandschutz;

2.

den Schutz vor anderen Gefahren, die sich auf die Anrainergrundstücke ausdehnen können;

3.

die sanitären Rücksichten wegen ihres Einflusses auf die Umgebung;

4.

die Bebauungsweise, die Bebauungshöhe und die Abstände der Fluchtlinien zur Erzielung einer ausreichenden Belichtung.

Gemäß § 62 Abs. 2 BO sind für Baulichkeiten, die nach Größe, Lage und Verwendungszweck erhöhten Anforderungen nach Festigkeit, Brandschutz, Sicherheit und Gesundheit entsprechen müssen oder die Belästigungen der Nachbarn erwarten lassen, welche das örtlich zumutbare Ausmaß übersteigen, die zur Abwehr dieser Gefahren oder Belästigungen nötigen Vorkehrungen zu treffen; diese Auflagen haben sich insbesondere auf Größe und Ausstattung der Stiegen, Gänge, Ausfahrten, Ausgänge, Türen und Fenster, besondere Konstruktionen der Wände und Decken, die Errichtung von Brandwänden sowie das Anbringen von Feuerlösch- und Feuermeldeanlagen zu beziehen.

Zunächst ist davon auszugehen, daß die Nachbarn im Baubewilligungsverfahren nach der NÖ Bauordnung 1976 nur beschränkte Parteistellung besitzen, woraus sich ergibt, daß die Berufungsbehörde lediglich zu prüfen hatte, ob die Beschwerdeführer durch die Erteilung der baubehördlichen Bewilligung in ihren subjektiv-öffentlichen Rechten verletzt worden sind (vgl. etwa das Erkenntnis eines verstärkten Senates des Verwaltungsgerichtshofes vom 3. Dezember 1980, Slg. N.F.Nr. 10317/A). Der Verwaltungsgerichtshof hat bereits in seinem Erkenntnis vom 9. Dezember 1986, Zl. 86/05/0129, BauSlg. Nr. 819, ausgeführt, daß die Errichtung eines Schweinemaststalles mit der Flächenwidmung Bauland-Agrargebiet übereinstimmt. Da mit der Errichtung eines Schweinemaststalles zwangsläufig auch die Errichtung einer Düngerstätte und Jauchegrube verbunden ist, ist daher davon auszugehen, daß grundsätzlich auch die Errichtung dieser Anlagen bei der gegebenen Flächenwidmung zulässig ist.

Zu Recht haben die Verwaltungsbehörden die Frage geprüft, ob durch das Vorhaben der Mitbeteiligten Belästigungen der Nachbarn im Sinne des § 62 Abs. 2 BO zu erwarten sind, welche das örtlich zumutbare Maß übersteigen. Zu dieser Frage hat schon die Baubehörde erster Instanz Gutachten der Veterinär- und Gesundheitsverwaltung eingeholt. Im Gutachten des Vertreters der Veterinärverwaltung vom 18. Jänner 1989 kommt dieser zu dem Schluß, daß es bei ordnungsgemäßer Benützung und Bearbeitung der Düngerstätte zu keiner stärkeren Geruchsentwicklung als bisher kommen werde. Dabei wird aber übersehen, daß das im § 62 Abs. 2 BO festgesetzte Kriterium das "örtlich zumutbare Maß" ist, nicht jedoch die bisherige Geruchsentwicklung. Übersehen wird weiters, daß beträchtliche Teile der Stallanlagen sowie die bisherige Düngerlagerstätte im Innenhof des Vierkanthofes noch nicht bewilligt wurden, sodaß auch eine Auslegung dahingehend, Auflagen im Sinne des § 62 Abs. 2 BO seien beim bisherigen, konsensgemäßen Objekt nicht erforderlich gewesen und deshalb erübrige sich bei gleichbleibender Geruchsentwicklung auch jetzt die Vorschreibung einer derartigen Auflage, nicht in Betracht kommt. Dieses Gutachten läßt auch einen eingehenden Befund über die zu erwartende Menge des anfallenden und gelagerten Mistes und der Gülle und der daraus resultierenden Geruchsbelastung vermissen. Der Vertreter der Gesundheitsverwaltung verweist in seinem Gutachten vom 3. März 1989 in der Bewertung der "umwelthygienischen Relevanz der Mist- und Güllelagerstätte" auf das Gutachten der Veterinärverwaltung vom 18. Jänner 1989 zu diesem Problem, in dem klar eine Verbesserung des derzeitigen Istzustandes sowohl hinsichtlich der Arbeitsintensität als auch der Betriebshygiene durch den Neubau festgestellt werde. Damit stützte er sich in seinem Gutachten auf einen, aus den oben angeführten Gründen unzureichenden Befund. Aufgrund welcher Umstände der Vertreter der Gesundheitsverwaltung in seinem Gutachten vom 3. März 1989 zu dem Schluß gelangte, Geruchsemissionen, die je nach aktueller meteorologischer Situation in der Nachbarschaft wahrnehmbar würden, seien sicher als ortsüblich zu betrachten und hinsichtlich ihrer Charakteristik als zumutbare Belästigung einzustufen, kann diesem Gutachten nicht entnommen werden.

Die Behörde erster Instanz legte die beiden Gutachten ihrem Bescheid zugrunde und ging davon aus, daß auf ihrer Grundlage Auflagen im Sinne des § 62 Abs. 2 BO nicht vorzuschreiben seien.

Der Verwaltungsgerichtshof hat wiederholt ausgesprochen, daß es einem medizinischen Sachverständigen obliegt, in seinem Gutachten auf die Wirkungen der (festgestellten oder zu erwartenden) Immissionen auf den menschlichen Organismus einzugehen (vgl. etwa das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 13. September 1983, Zl. 05/0112/80, BauSlg. Nr. 85, sowie das Erkenntnis vom 17. Mai 1988, Zl. 88/05/0002, BauSlg. Nr. 1118). Nach Klarstellung durch andere Sachverständige (etwa auf dem Gebiete des Veterinärwesens oder des Umweltschutzes), welche Gefährdung oder Belästigung der Nachbarn in Betracht kommt, wird somit der medizinische Amtssachverständige in seinem Gutachten zu begründen haben, ob eine das örtlich zumutbare Maß übersteigende Belästigung der Nachbarn zu erwarten ist. Entgegen den Ausführungen der belangten Behörde ist daher in dieser Hinsicht das bisher durchgeführte Ermittlungsverfahren ergänzungsbedürftig geblieben. Da die Behörde erster Instanz ihrem Bescheid unzureichende Gutachten zugrundelegte und die belangte Behörde diese Gutachten nicht ergänzen ließ, liegt Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften vor, da nicht ausgeschlossen werden kann, daß die belangte Behörde bei Einholung von auf eingehende Befunde gestützter Gutachten zu einem anderen Verfahrensergebnis gelangt wäre.

Verfehlt ist die Ansicht der belangten Behörde, die Beschwerdeführer seien präkludiert, weil sie es verabsäumt hätten, in der Verhandlung vom 20. März 1989 Einwendungen gegen die Sachverständigengutachten zu erheben. Die Überprüfung eines Gutachtens auf seine Schlüssigkeit ist Aufgabe der Behörde; daß aber die Beschwerdeführer die eingeholten Gutachten nicht für ausreichend erachteten, haben sie sowohl in der Verhandlung vom 20. März 1989, als auch in ihren Berufungen zum Ausdruck gebracht. Schon infolge dieser unzutreffenden Rechtsansicht belastete die belangte Behörde den Bescheid mit Rechtswidrigkeit des Inhaltes.

Auch die Ansicht der belangten Behörde, die Zweitbeschwerdeführerin sei aufgrund der Zusage der Mitbeteiligten, die Umschließungsmauern bei den Düngerstätten auf drei m zu erhöhen, diesbezüglich "klaglos gestellt", ist verfehlt. Eine derartige Zusage wäre auch für den Fall der Nichterfüllung nicht vollstreckbar. Die Mitbeteiligten hätten im Zuge des Berufungsverfahrens das Projekt in dieser Hinsicht ändern können, nur eine Projektänderung durch die Mitbeteiligten hätte eine "Klaglosstellung" bedeutet; daß eine derartige Abänderung nicht erfolgte, geht nicht nur aus dem Verwaltungsakt, sondern auch aus der Beschreibung des Bauprojektes im angefochtenen Bescheid hervor, in dem die Umfassungsmauer nach wie vor mit 2,5 m Höhe beschrieben wurde.

Auf Grund der oben dargelegten Erwägungen war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben. Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff. VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 206/1989, im Rahmen des Kostenbegehrens.

Schlagworte

Planung Widmung BauRallg3 Sachverständiger Erfordernis der Beiziehung Arzt Individuelle Normen und Parteienrechte Auslegung von Bescheiden und von Parteierklärungen VwRallg9/1 Baurecht Grundeigentümer Rechtsnachfolger Beweismittel Sachverständigenbeweis Technischer Sachverständiger Sachverständiger Erfordernis der Beiziehung Techniker Bautechniker Ortsbild Landschaftsbild Nachbarrecht Nachbar Anrainer Grundnachbar subjektiv öffentliche Rechte BauRallg5/1 Umfang der Abänderungsbefugnis Allgemein bei Einschränkung der Berufungsgründe beschränkte Parteistellung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1990:1990050069.X00

Im RIS seit

11.07.2001

Zuletzt aktualisiert am

06.08.2008
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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