TE Vfgh Erkenntnis 1988/2/25 B1103/87

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Veröffentlicht am 25.02.1988
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Index

27 Rechtspflege
27/01 Rechtsanwälte

Norm

B-VG Art83 Abs2
RAO §30 Abs4

Leitsatz

Zuständigkeit der OBDK (letztinstanzlich) über das Begehren eines Rechtsanwaltsanwärters auf Feststellung der Anrechenbarkeit von Praxiszeiten auf die Ausbildungszeit zu entscheiden - Entzug des gesetzlichen Richters wegen Verweigerung der Sachentscheidung; Aufhebung des aus sprachlichen Gründen nicht teilbaren Bescheides zur Gänze

Spruch

Der Bf. ist durch den angefochtenen Bescheid im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter verletzt.

Der Bescheid wird daher aufgehoben.

Die Rechtsanwaltskammer für Vorarlberg ist schuldig, dem Bf. die mit S 11.000,-- bestimmten Kosten binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

1. Mag.Dr. H B ist seit 3. Dezember 1984 bei Rechtsanwalt Dr. G W als Konzipient eingetragen. Am 26. November 1985 stellten Mag.Dr. H B und Dr. G W den Antrag, der Ausschuß der Vorarlberger Rechtsanwaltskammer wolle folgenden Feststellungsbescheid erlassen:

"1. Die weitere Verwendung des Erstantragstellers als Rechtsanwaltsanwärter beim Zweitantragsteller ist auch nach Inkrafttreten der neuen Rechtsanwaltsprüfungsordnung und der damit verbundenen Änderungen der Rechtsanwaltsordnung zulässig.

2. Die vom Erstantragsteller als Rechtsanwaltsanwärter beim Zweitantragsteller seit 3.12.1984 ausgeübte Tätigkeit gilt im vollen Umfange als anrechenbare Tätigkeit gem. §1 Abs2 litd in Verbindung mit §2 Abs1 RAO.

3. Die Tätigkeiten des Erstantragstellers bei der Finanzlandesdirektion Vorarlberg, bei der Universität Innsbruck als Vertragsassistent und Lehrbeauftragter, als Lehrbeauftragter der Universität Klagenfurt im Rahmen des Interuniversitären Forschungsinstitutes sowie als Verteidiger in Strafsachen gelten als anrechenbare Tätigkeiten gemäß §1 Abs2 litd in Verbindung mit §2 Abs1 RAO im Ausmaß von 15 Monaten."

Mit Bescheid vom 28. Feber 1986 wies der genannte Ausschuß diesen Antrag ab.

Begründend wurde im wesentlichen ausgeführt, daß der Ausschuß der Vorarlberger Rechtsanwaltskammer bei Vorliegen der persönlichen Voraussetzungen verpflichtet sei, eine Eintragung in die Liste der Rechtsanwaltsanwärter vorzunehmen. Der Ausschuß sei jedoch nicht berechtigt, Qualität und Ausmaß der Praxis als Rechtsanwaltsanwärter zum Anlaß zu nehmen, die Streichung aus der Liste zu verfügen oder Maßnahmen anderer als disziplinärer Art zu treffen. Eine Wertung könne erst anläßlich einer beantragten Eintragung in die Liste der Rechtsanwälte vorgenommen werden, sodaß ein rechtliches Interesse an der Erlassung des beantragten Feststellungsbescheides zu verneinen sei. Es sei aber auch schon nach allgemeinen Denkgesetzen nicht möglich, künftige und damit unbekannte Tätigkeiten zum Gegenstand eines Feststellungsbescheides zu machen. Eine anrechenbare "praktische Verwendung" sei jedenfalls dann nicht gegeben, wenn eine Nebenbeschäftigung vorliege, die die rechtsanwaltschaftliche Betätigung in erheblichem Maße einschränke. Durch die Novellierung des §2 Abs1 RAO sei lediglich klargestellt worden, daß eine Anrechenbarkeit verhindert werde, wenn durch sonstige berufliche Tätigkeiten eine Beeinträchtigung der Ausbildung eines Rechtsanwaltsanwärters zu erwarten sei.

2.1. Gegen diesen Bescheid erhoben beide Antragsteller Beschwerde nach Art144 B-VG an den VfGH, in der sie die Verletzung der verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechte auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter, auf freie Berufswahl sowie auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz geltend machten und die Aufhebung des angefochtenen Bescheides, hilfsweise die Abtretung der Beschwerde an den VwGH beantragten.

2.2. Mit Beschluß vom 1. Dezember 1986 B371/86 = VfSlg. 11133/1986 wies der VfGH die gegen die Punkte 2. und 3. des Bescheides des Ausschusses der Vorarlberger Rechtsanwaltskammer vom 28. Feber 1986 erhobene Beschwerde wegen Nichtausschöpfung des Instanzenzuges zurück. Die Behandlung der Beschwerde gegen Punkt 1. des Bescheides des Ausschusses der Vorarlberger Rechtsanwaltskammer vom 28. Feber 1986 wurde abgelehnt und insoweit die Beschwerde an den VwGH abgetreten.

Die Zurückweisung der Beschwerde gegen die Punkte 2. und 3. des bekämpften Bescheides wurde wie folgt begründet:

"4.1. Eine Beschwerdeführung nach Art144 B-VG setzt die Ausschöpfung des administrativen Instanzenzuges voraus. Gemäß §30 Abs4 RAO steht gegen Verweigerung der Eintragung in die Liste der Rechtsanwaltsanwärter, gegen die Löschung aus dieser Liste und gegen die Verweigerung der Bestätigung der Rechtsanwaltspraxis den Beteiligten das Recht der Berufung an die Oberste Berufungs- und Disziplinarkommission offen. Gegenstand des den Punkten 2. und 3. des angefochtenen Bescheides zugrunde liegenden Antrages ist das Begehren auf Feststellung (Bestätigung) der Anrechenbarkeit bestimmter Praxiszeiten des Erstantragstellers auf seine Ausbildungszeit nach §1 Abs2 litd iVm §2 Abs1 RAO. Mit dem angefochtenen Bescheid wird durch Abweisung des gestellten Antrages die begehrte Feststellung (Bestätigung) verweigert. Die Beschwerde meint, daß die in Frage stehenden Praxiszeiten des Erstantragstellers als anrechenbar im Sinne der RAO zu werten (bestätigen) sind. Darüber abzusprechen, ist jedoch letztinstanzlich der Obersten Berufungs- und Disziplinarkommis- sion vorbehalten. Den Bf. wäre daher unvorgreif- lich der Frage, ob ihr Feststellungsantrag aus anderen Gründen unzulässig war - die Möglichkeit offengestanden, Beschwerde an die Oberste Berufungs- und Disziplinarkommission nach §30 Abs4 RAO zu erheben, was die Bf. nach ihrem Vorbringen auch getan haben."

3.1. Gegen den Bescheid des Ausschusses der Vorarlberger Rechtsanwaltskammer vom 28. Feber 1986 hatten die Antragsteller auch Berufung an die Oberste Berufungs- und Disziplinarkommission für Rechtsanwälte und Rechtsanwaltsanwärter (künftig: OBDK) erhoben.

3.2. Mit Bescheid der OBDK vom 6. Juli 1987, Z Bkv 3/86, wurden die Berufungen als unzulässig zurückgewiesen.

Dies wurde im wesentlichen wie folgt begründet:

"Die Berufungen richten sich gegen einen Bescheid des Ausschusses der Vorarlberger Rechtsanwaltskammer, womit der Antrag auf Feststellung der beiden Antragsteller abgewiesen wurde.

Nach einheitlicher Rechtssprechung sieht die Rechtsanwaltsordnung nur in zwei Fällen gegen Beschlüsse des Ausschusses einer Rechtsanwaltskammer den Rechtszug an die Oberste Berufungs- und Disziplinarkommission vor, und zwar gemäß §5 a RAO bei Verweigerung der Eintragung in die Liste der Rechtsanwälte sowie gemäß §30 Abs4 RAO bei Verweigerung der Eintragung in die Liste der Rechtsanwaltsanwärter, gegen die Löschung aus dieser Liste und gegen die Verweigerung der Bestätigung der Rechtsanwaltspraxis (siehe Bkv 6/58, Anw.Bl.1969, S 60 und Anw.Bl.1960 S 37, Bkv 3/59, Anw.Bl.1969, S 63, Bkv 1/79, Anw.Bl.1980, S 157, Bkv 2/81, Anw.Bl.1982, S 27, Bkv 2/85, Anw.Bl.1986, S 350, Bkv 6/86, Anw.Bl.1987, S 184 und Bkv 2/86).

Da es sich im gegenständlichen Fall bei den erhobenen Rechtsmitteln um Berufungen gegen einen Bescheid des Ausschusses der Vorarlberger Rechtsanwaltskammer handelt, der weder eine Entscheidung gem. §5 a RAO, noch gem. §30 Abs4 RAO zum Inhalt hat, sind die Berufungen als unzulässig anzusehen."

4.1. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde des Mag.Dr. H B, in der die Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter geltend gemacht und die Aufhebung des angefochtenen Bescheides beantragt wird.

4.2. Die bel. Beh. hat die Verwaltungsakten vorgelegt, auf die Erstattung einer Gegenschrift jedoch verzichtet.

5. Der VfGH hat über die - zulässige - Beschwerde erwogen:

5.1. Der Bf. erachtet sich im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter durch Zurückweisung seiner Berufung verletzt, weil die OBDK zur Entscheidung über seine Berufung gegen den Bescheid der Vorarlberger Rechtsanwaltskammer vom 28. Feber 1986 zumindest hinsichtlich der Punkte 2. und 3. dieses Bescheides zuständig war. Mit dem zu Grunde liegenden Antrag sei von ihm die Feststellung der Bestätigung der Rechtsanwaltspraxis begehrt worden und habe daher der VfGH mit Beschluß vom 1. Dezember 1986 zutreffenderweise die OBDK hiefür als zuständig erachtet. Der angefochtene Beschluß verletze ihn daher im verfassungsgesetzlich garantierten Recht, daß niemand seinem gesetzlichen Richter entzogen werden darf.

5.2. Das Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter wird u.a. durch den Bescheid einer Verwaltungsbehörde dann verletzt, wenn die Behörde in gesetzwidriger Weise ihre Zuständigkeit ablehnt (zB VfSlg. 9696/1983), etwa, indem sie zu Unrecht eine Sachentscheidung verweigert (zB VfSlg. 10374/1985). Mit dem angefochtenen Bescheid wurde eine Berufung des Bf. zurückgewiesen und ihm damit - wie der Bf. geltend macht - eine Sachentscheidung zu Unrecht verweigert. Dazu, daß der Beschwerdevorwurf jedenfalls hinsichtlich der Zurückweisung der Berufung des Bf. gegen die Aussprüche laut Punkt 2. und 3. des Bescheides des Ausschusses der Vorarlberger Rechtsanwaltskammer vom 28. Feber 1986 zutrifft, genügt es, auf die Begründung des in der selben Rechtssache ergangenen Beschlusses VfSlg. 11133/1986 zu verweisen. Zu bemerken bleibt hiezu lediglich, daß der im angefochtenen Bescheid zitierten Vorjudikatur für den vorliegenden Fall keinerlei Bedeutung zukommt.

Da der angefochtene Bescheid schon aus sprachlichen Gründen nicht teilbar und nach dem Gesagten zur Gänze aufzuheben ist, erübrigt es sich, auf die Frage einzugehen, ob - wovon der angefochtene Bescheid ausgeht - gegen den Ausspruch zu Punkt 1. des Bescheides der Vorarlberger Rechtsanwaltskammer vom 28. Feber 1986 eine Berufung unzulässig war.

5.3. Der angefochtene Bescheid war daher wegen Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter insgesamt aufzuheben.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf §88 VerfGG; in den zuerkannten Kosten ist Umsatzsteuer in Höhe von S 1.000,-enthalten.

Dies konnte gemäß §19 Abs4 Z2 VerfGG in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen werden.

Schlagworte

Berufsrecht Rechtsanwälte, Bescheid Trennbarkeit

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1988:B1103.1987

Dokumentnummer

JFT_10119775_87B01103_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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