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66/01 Allgemeines Sozialversicherungsgesetz;Norm
ASVG §136 Abs5 idF 1978/684;Beachte
Miterledigung (miterledigt bzw zur gemeinsamen Entscheidung verbunden): 90/08/0126Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Liska und die Hofräte Dr. Knell, Dr. Müller, Dr. Novak und Dr. Mizner als Richter, im Beisein der Schriftführerin Kommissär Dr. Schnizer-Blaschka, über die Beschwerde der Wiener Gebietskrankenkasse in 1101 Wien, Wienerbergstraße 15-19, gegen die Bescheide des Landeshauptmannes von Wien vom 19. Juni 1990, Zl. MA 14 - H 96/90, betreffend Befreiung von der Entrichtung der Rezeptgebühr gemäß § 136 Abs. 5 ASVG (mitbeteiligte Parteien: F G), zu Recht erkannt:
Spruch
Die angefochtenen Bescheide werden wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Die belangte Behörde hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von S 10.110,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
1.1. Mit zwei Bescheiden vom 28. März 1990 lehnte die beschwerdeführende Gebietskrankenkasse die Anträge der Mitbeteiligten auf Befreiung von der Entrichtung der Rezeptgebühr nach § 136 Abs. 5 ASVG gemäß §§ 3 und 4 der vom Hauptverband der Österreichischen Sozialversicherungsträger erlassenen Richtlinien über die Befreiung von der Rezeptgebühr, abgedruckt in Soziale Sicherheit 1981, 350, Amtliche Verlautbarung Nr. 63/1981 (im folgenden: RiL), ab.
In den - im wesentlichen gleichlautenden - Begründungen verwies die Beschwerdeführerin zunächst auf § 3 Abs. 1 lit. c RiL, wonach eine Befreiung von der Rezeptgebühr wegen besonderer sozialer Schutzbedürftigkeit auch zu bewilligen sei, wenn ein Versicherter an Krankheit oder Gebrechen leide, durch die ihm erfahrungsgemäß besondere Aufwendungen entstünden, soferne das Nettoeinkommen den in Betracht kommenden Richtsatz für die Gewährung einer Ausgleichszulage zu einer Pension aus der gesetzlichen Pensionsversicherung zuzüglich des Betrages von S 900,-- nicht übersteige. Der nach § 293 Abs. 1 ASVG ab 1. Jänner 1990 für Pensionsberechtigte aus eigener Pensionsversicherung, die mit dem Ehegatten (der Ehegattin) im gemeinsamen Haushalt lebten, in Betracht kommende Richtsatz betrage einschließlich des genannten Hinzurechnungsbetrages S 8.684,--. Das Nettoeinkommen im Sinne der gesetzlichen Bestimmungen sei dabei die Summe sämtlicher Einkünfte in Geld- oder Geldeswert nach Ausgleich mit Verlusten und vermindert um die gesetzlich geregelten Abzüge.
Nach § 4 RiL sei in anderen als den in den §§ 2 und 3 dieser Vorschrift genannten Fällen eine Befreiung von der Rezeptgebühr zu bewilligen, wenn sich nach Prüfung der Umstände im Einzelfall herausstelle, daß eine besondere soziale Schutzbedürftigkeit gegeben sei. Dies sei insbesondere dann anzunehmen, wenn eine längerdauernde medikamentöse Behandlung notwendig sei, die im Hinblick auf die wirtschaftlichen Verhältnisse des Versicherten eine nicht zumutbare Belastung mit Rezeptgebühren zur Folge hätte.
Nach den Feststellungen des Chefarztes der Kasse sei ein Heilmittelbedarf im Ausmaß von 20 bis 25 Packungen monatlich zu berücksichtigen, womit der finanzielle Aufwand des (der) Mitbeteiligten für die zu entrichtende Rezeptgebühr mit S 650,-- (25 x S 26,--) monatlich anzusetzen sei.
Der (die) Mitbeteiligte beziehe von der Pensionsversicherungsanstalt der Angestellten eine Pension aus eigener Pensionsversicherung in der Höhe von S 7.529,-- monatlich (S 7.389,30). Dazu komme noch ein dem Mitbeteiligten gewährter Hilflosenzuschuß. Das Einkommen der (des) mit dem (der) Mitbeteiligten im gemeinsamen Haushalt lebenden Ehegattin (Ehegatten) betrage S 7.389,30 (S 7.529,--) monatlich. (Der dem Mitbeteiligten gewährte Hilflosenzuschuß sei dabei nicht berücksichtigt.) Das Gesamteinkommen in der Höhe von insgesamt S 14.918,30 übersteige damit den in Betracht kommenden Richtsatz einschließlich des Hinzurechnungsbetrages um S 6.234,30.
Im Sinne der genannten Richtlinien liege damit eine besondere Schutzbedürftigkeit nicht vor, weshalb der Antrag spruchgemäß abzulehnen sei.
Gegen diese Bescheide haben die Mitbeteiligten Einspruch erhoben.
1.2. Im Rahmen eines ergänzenden Ermittlungsverfahrens vernahm die belangte Behörde am 30. Mai 1990 die beiden Mitbeteiligten niederschriftlich. Dabei bestätigte der Mitbeteiligte im wesentlichen, daß das gemeinsame Nettoeinkommen von ihm und seiner Ehegattin den Richtsatz zuzüglich des Betrages von S 900,-- übersteige. Die Aufwendungen für Miete würden S 5.116,72 monatlich betragen. Dazu komme noch ein Betrag von monatlich ca. S 1.000,-- für die Heizung. Außerdem seien monatliche Kreditraten in der Höhe von S 1.114,-- zu bezahlen. Die freiwillige Krankenversicherung seiner Ehegattin betrage monatlich S 1.100,--; dazu komme noch seine eigene Krankenversicherung in der Höhe von monatlich S 110,-- und eine Haushaltsversicherung im Ausmaß von monatlich S 500,--. Für die Teilkaskoversicherung des Pkws fielen monatlich S 810,-- an; die Garagenkosten beliefen sich auf monatlich S 480,--. Dazu kämen ferner noch Telefon- und Stromkosten im Ausmaß von ca. S 400,-- monatlich. Auf Grund seiner Erkrankungen betrage die Rezeptgebühr seiner Schätzung nach auch mehr als S 900,-- im Monat. Außerdem entstünde ihm infolge der wegen seiner Darmerkrankung erforderlichen Diät ein ungefährer monatlicher Mehraufwand von S 1.500,--.
Berücksichtige man ferner seine erhöhten Zuckerwerte, so übersteige der mit der Krankheit verbundene Aufwand bei weitem S 900,--.
Die Mitbeteiligte gab in diesem Zusammenhang an, auf Grund ihrer Krankheit nicht in der Lage zu sein, im Haushalt schwere körperliche Arbeiten erledigen zu können. Sie sei daher gezwungen, ca. 3-4 Stunden pro Woche eine Haushaltshilfe für bestimmte Tätigkeiten in Anspruch zu nehmen. Diese erhalte pro Stunde S 70,--.
Mit Schreiben vom 10. Juni 1990 übersandten die Mitbeteiligten auch eine Aufstellung ihrer seit Oktober 1989 bezogenen Arzneimittel.
1.3. Mit den angefochtenen Bescheiden wurde dem Einspruch der Mitbeteiligten stattgegeben und eine Befreiung von der Rezeptgebühr gemäß § 4 RiL vom 5. Jänner 1990 bis 31. Dezember 1990 ausgesprochen.
Nach der - im wesentlichen wieder gleichlautenden - Begründung sei eine Befreiung der Mitbeteiligten von der Rezeptgebühr gemäß § 3 Abs. 1 lit. c RiL nicht möglich, da auf Grund der Aktenlage unbestrittenermaßen feststehe, daß deren Einkommen den Richtsatz einschließlich des Hinzurechnungsbetrages von S 900,-- übersteige.
Im vorliegenden Fall müsse aber auf Grund der Art der Krankheit des Mitbeteiligten (der Mitbeteiligten) davon ausgegangen werden, daß eine längerdauernde medikamentöse Behandlung erforderlich sei. Im Hinblick auf die vom (von der) Mitbeteiligten (Mitbeteiligten) zu tragenden Aufwendungen für Miete, Heizung, Kreditraten, freiwillige Krankenversicherung, Haushaltsversicherung sowie Teilkaskoversicherung des Pkw und Garagekosten, die im Verfahren näher spezifiziert worden seien, sowie auf Grund der vorgelegten Aufstellung der verordneten Medikamente, gelange die belangte Behörde zu der Auffassung, daß eine für den Mitbeteiligten (die Mitbeteiligte) nicht zumutbare Belastung mit Rezeptgebühren vorliege. Deshalb sei eine Befreiung gemäß § 4 RiL bis zum Ende des 4. Quartals 1990 auszusprechen gewesen.
1.4. Gegen diese Bescheide richtet sich die lediglich wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes erhobene Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof.
1.5. Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt und - ebenso wie die mitbeteiligten Parteien - eine Gegenschrift erstattet.
2.0. Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
2.1. Im Verfahren vor dem Gerichtshof erachtet sich die Beschwerdeführerin in ihren Rechten deshalb beschwert, weil die belangte Behörde in den Beschwerdefällen in unrichtiger Auslegung des § 4 RiL die den Betrag von S 900,-- monatlich nicht übersteigenden Belastungen mit Rezeptgebühren mit nicht durch Krankheit verursachten Aufwendungen gleichgestellt habe. Damit setze sie sich in Widerspruch zur bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. Erkenntnis vom 13. Juni 1989, Zl. 89/08/0049). Die Bestimmungen der genannten Richtlinien stellten auf das Einkommen des die Befreiung von der Rezeptgebühr beantragenden Versicherten und das Einkommen des mit ihm im gemeinsamen Haushalt lebenden Ehegatten an sich ab und nicht auf den nach den Dispositionen der Versicherten davon verbleibenden, frei verfügbaren Teil. Die Verwendung eines größeren Teiles des Pensionseinkommens für Miete, Heizung, Kreditraten, freiwillige Krankenversicherung, Haushaltversicherung, Teilkaskoversicherung des Pkw und Garagenkosten könnten diesem Teil des Einkommens die Qualifikation als Einkommen nicht nehmen.
2.2. § 136 Abs. 5 ASVG in der Fassung BGBl. 1978/684 bestimmt:
"Der Versicherungsträger hat bei Vorliegen einer besonderen sozialen Schutzbedürftigkeit des Versicherten nach Maßgabe der vom Hauptverband hiezu erlassenen Richtlinien von der Einhebung der Rezeptgebühr abzusehen."
Nach § 2 RiL werden im einzelnen angeführte Bezieher bestimmter Geldleistungen wegen besonderer sozialer Schutzbedürftigkeit von der Rezeptgebühr befreit. Hierunter fallen z.B. Bezieher einer Ausgleichszulage zu einer Pension aus der Pensionsversicherung.
§ 3 RiL lautet auszugsweise:
"(1) Auf Antrag ist eine Befreiung von der Rezeptgebühr wegen besonderer sozialer Schutzbedürftigkeit auch zu bewilligen
.....
b) wenn das Einkommen eines Versicherten, der keine Pension aus der Pensionsversicherung bezieht, den nach § 293 Abs. 1 lit. a ASVG ..... in Betracht kommenden Richtsatz nicht übersteigt,
c) wenn ein Versicherter (Angehöriger, für den ein Leistungsanspruch besteht) an Krankheiten oder Gebrechen leidet, durch die ihm erfahrungsgemäß besondere Aufwendungen entstehen, sofern das Einkommen des Versicherten den nach lit. b in Betracht kommenden Richtsatz zuzüglich des Betrages von S 900,--, - nicht übersteigt.
.....
(4) Bei der Feststellung des Einkommens des Versicherten ist ein etwaiges Einkommen der mit ihm im gemeinsamen Haushalt lebenden Personen mit zu berücksichtigen.
....."
§ 4 RiL hat folgenden Inhalt:
"In anderen als den in den § 2 und 3 genannten Fällen ist eine Befreiung von der Rezeptgebühr zu bewilligen, wenn sich nach Prüfung der Umstände im Einzelfall herausstellt, daß eine besondere soziale Schutzbedürftigkeit gegeben ist. Dies ist insbesondere dann anzunehmen, wenn eine längerdauernde medikamentöse Behandlung notwendig ist, die im Hinblick auf die wirtschaftlichen Verhältnisse des Versicherten eine nicht zumutbare Belastung mit Rezeptgebühren zur Folge hätte."
2.3. Zum Verständnis der zitierten Bestimmungen hat der Verwaltungsgerichtshof in dem - von der Beschwerdeführerin genannten - Erkenntnis vom 13. Juni 1989, Zl. 89/08/0049, folgendes ausgeführt:
"Ebenso wie im § 136 Abs. 5 ASVG wird sowohl in den §§ 2 und 3 als auch im § 4 RiL auf die besondere soziale Schutzbedürftigkeit abgestellt. Aus diesem Begriff läßt sich daher ein Unterschied zwischen den beiden zuletzt genannten Verordnungsstellen nicht herausarbeiten. Daher ist das Schwergewicht auf die anderen Tatbestandsvoraussetzungen für die Befreiung zu legen, insbesondere auf § 4 zweiter Satz RiL.
In Ausführung des § 136 Abs. 5 ASVG ist der Verordnungsgeber (zum Verordnungscharakter der gegenständlichen Richtlinien vgl. VfSlg. 10.728/1985) davon ausgegangen, daß Personen, die mehr als ein dem Richtsatz entsprechendes Einkommen beziehen, grundsätzlich die Rezeptgebühr selbst zu tragen haben. Leidet der Versicherte unter Krankheiten oder Gebrechen, durch die ihm erfahrungsgemäß besondere Aufwendungen entstehen, ist auf Antrag gemäß § 3 Abs. 1 lit. c RiL eine Befreiung zu gewähren, wenn das Einkommen den Richtsatz zuzüglich des Betrages von S 900,-- nicht übersteigt. Das heißt, es wird davon ausgegangen, daß einem Versicherten, der ein um mehr als S 900,-- den Richtsatz übersteigendes Einkommen hat, grundsätzlich die Tragung der erfahrungsgemäß mit der betreffenden Krankheit oder dem Gebrechen verbundenen besonderen Aufwendungen zuzüglich der Rezeptgebühr zumutbar ist. § 4 RiL ermöglicht es nun der Behörde, im Einzelfall unter bestimmten Voraussetzungen auch dann eine Befreiung zu gewähren, wenn nach den §§ 2 und 3 RiL ein Fall der Selbsttragung der Rezeptgebühr vorliegt. Dabei hebt § 4 zweiter Satz RiL einen besonderen Fall heraus und stellt bei notwendiger längerdauernden medikamentösen Behandlung auf die wirtschaftliche Zumutbarkeit der Belastung des Versicherten mit Rezeptgebühren ab. Eine Unzumutbarkeit der Belastung wird im Hinblick auf die wirtschaftlichen Verhältnisse jedenfalls - dies ergibt sich aus dem Sinnzusammenhang zwischen § 3 Abs. 1 lit. c und § 4 RiL - zu verneinen sein, wenn die mit der Krankheit erfahrungsgemäß verbundenen Aufwendungen insgesamt S 900,-- nicht überschreiten."
2.4. Wenn die Beschwerdeführerin dem zitierten Erkenntnis die Auffassung zu entnehmen glaubt, eine Befreiung von der Rezeptgebühr gemäß § 4 RiL sei immer schon dann zu verneinen, wenn die Rezeptgebühr den Betrag von S 900,-- nicht erreicht, so kann ihr dabei nicht gefolgt werden. In dem diesem Erkenntnis zugrunde liegenden Fall wurden lediglich Rezeptgebühren von ca. S 200,-- nachgewiesen, andere Aufwendungen jedoch weder behauptet noch im einzelnen konkretisiert. Dies veranlaßte den Gerichtshof zur Feststellung, daß eine Unzumutbarkeit der Belastung im Hinblick auf die wirtschaftlichen Verhältnisse jedenfalls zu verneinen sei, wenn die mit der Krankheit erfahrungsgemäß verbundenen Aufwendungen insgesamt S 900,-- nicht überschreiten.
Werden nämlich - wie etwa im Beschwerdefall - sowohl Rezeptgebühren als auch krankheitsbedingte Aufwendungen, die zusammen mindestens S 900,-- betragen, geltend gemacht, so kann im Zusammenhang mit den gemäß § 4 RiL ferner zu berücksichtigenden wirtschaftlichen bzw. sozialen Verhältnissen eine Situation gegeben sein, in der die Rezeptgebühr eine nicht mehr zumutbare Belastung darstellt.
Ausgangspunkt ist dabei die Überlegung, daß gemäß § 3 Abs. 1 lit. b RiL die Bezieher eines dem Richtsatz entsprechenden Einkommens auf ihren Antrag hin von der Rezeptgebühr zu befreien sind. Der Richtsatz ist somit die Maßgröße für die soziale Schutzbedürftigkeit. Personen, die ein höheres Einkommen beziehen, werden jedoch grundsätzlich als befähigt erachtet, die Rezeptgebühr selbst zu tragen. Gemäß § 3 Abs. 1 lit. c RiL erhöht sich der für die Befreiung maßgebliche Richtsatz um den Betrag von S 900,--, wenn ein Versicherter an Krankheiten oder Gebrechen leidet, durch die erfahrungsgemäß besondere Aufwendungen entstehen. Der Betrag von S 900,-- ist dabei - wenngleich als eine Art Pauschale - als Abgeltung für die erwähnten besonderen Aufwendungen gedacht, sodaß ein solcher Versicherter bei der Beurteilung der sozialen Schutzbedürftigkeit gegenüber einem Versicherten, dem keine derartigen besonderen Aufwendungen entstehen, weder benachteiligt noch bevorzugt wird. (vgl. Gehrmann-Rudolph-Teschner, Allgemeine Sozialversicherung, Erläuterungen zu § 136). Bei einem Versicherten, der ein um mehr als S 900,-- den Richtsatz übersteigendes Einkommen bezieht, wird jeoch wiederum davon ausgegangen, daß diesem grundsätzlich zumutbar ist, die erfahrungsgemäß mit der betreffenden Krankheit oder dem Gebrechen verbundenen besonderen Aufwendungen zuzüglich der Rezeptgebühr zu tragen.
§ 4 RiL ermöglicht es jedoch im Einzelfall unter bestimmten Voraussetzungen auch dann eine Befreiung zu gewähren, wenn nach den §§ 2 und 3 RiL ein Fall der Selbsttragung der Rezeptgebühr vorliegt. Dabei hebt der zweite Satz des § 4 RiL einen besonderen Fall beispielsweise (arg: "insbesondere") heraus und stellt bei notwendiger längerdauernder medikamentöser Behandlung auf die wirtschaftliche Zumutbarkeit der Belastung des Versicherten mit Rezeptgebühren ab. Neben krankheitsbedingten Aufwendungen sind in § 4 RiL somit auch die wirtschaftlichen Verhältnisse des Versicherten zu berücksichtigen. Diese können nun so beschaffen sein, daß trotz eines den Betrag von S 900,-- übersteigenden Einkommens bei krankheitsbedingten Aufwendungen von mindestens S 900,-- soziale Schutzwürdigkeit gegeben ist.
2.5. Auf den Beschwerdefall übertragen bedeutet dies, daß nach Prüfung der Umstände im Einzelfall zu beurteilen wäre, ob der den Richtsatz übersteigende Betrag von mindestens S 900,-- durch krankheitsbedingte Aufwendungen (darunter fallen nach dem oben Gesagten auch Rezeptgebühren) und etwaige andere Belastungen der Mitbeteiligten derart verringert wird, daß wiederum die soziale Schutzwürdigkeit von Richtsatzbeziehern erreicht wird. Dabei ist allerdings zu beachten, daß nicht jede, dem Bereich der Lebensführung zuzuordnende Ausgabe bzw. eine ohne zwingende Notwendigkeit eingegangene finanzielle Verpflichtung im Hinblick auf die den Richtlinien zugrunde liegende soziale Komponente bereits zu einem Abzug führen kann.
Aufgabe der Behörden des Verwaltungsverfahrens wäre es daher gewesen, gemäß § 37 AVG 1950 den für die Erledigung der Angelegenheit maßgeblichen Sachverhalt - unter besonderer Mitwirkung der Parteien (vgl. auch dazu das bereits mehrfach genannte Erkenntnis vom 13. Juni 1989) - festzustellen und die Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens, die bei der Beweiswürdigung maßgebenden Erwägungen und die darauf gestützte Beurteilung der Rechtslage nach § 60 AVG 1950 in der Begründung klar und übersichtlich zusammenzufassen.
Diesen Anforderungen werden die angefochtenen Bescheide jedoch nicht in ausreichendem Maße gerecht. So ist weder den Bescheiden noch den Verwaltungsakten eine einigermaßen genaue Aufstellung der im Durchschnitt der Monate verordneten Medikamente zu entnehmen, noch finden sich zu den übrigen, von den Mitbeteiligten behaupteten Aufwendungen entsprechende Erwägungen im Sinne der obigen Ausführungen. Diese, eine nachprüfende Rechtmäßigkeitskontrolle durch den Verwaltungsgerichtshof hinderlichen, wesentlichen Verfahrensmängel hatte der Verwaltungsgerichtshof auch ohne Antrag in der Beschwerde wahrzunehmen (vgl. etwa das Erkenntnis vom 14. Februar 1948, Zl. 567/46, VwSlg. 321/A und vom 14. September 1984, Zl. 84/02/0030).
2.6. Da nicht ausgeschlossen werden kann, daß die belangte Behörde bei Durchführung eines ordnungsgemäßen Verfahrens zu einem anderen Ergebnis gelangt wäre, waren die angefochtenen Bescheide gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b und c VwGG wegen Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.
2.7. Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. 1989/206.
2.8. Es wird darauf hingewiesen, daß die Beendigung des Beschwerdeverfahrens, für dessen Dauer die Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung beantragt wird, einen Abspruch über diesen Antrag entbehrlich macht (vgl. den Beschluß des Verwaltungsgerichtshofes vom 6. September 1978, Zlen. 1902, 1903/78).
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1990:1990080122.X00Im RIS seit
31.07.2001