TE Vwgh Erkenntnis 1990/12/18 90/11/0179

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Veröffentlicht am 18.12.1990
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Index

10/07 Verwaltungsgerichtshof;
40/01 Verwaltungsverfahren;
90/02 Kraftfahrgesetz;

Norm

AVG §45 Abs2;
AVG §52;
AVG §56;
AVG §59 Abs1;
AVG §66 Abs4;
KDV 1967 §30 Abs2 idF 1987/362;
KDV 1967 §31;
KDV 1967 §34 Abs1 litb;
KDV 1967 §34 Abs1 litd;
KFG 1967 §66 Abs1;
KFG 1967 §67 Abs2;
KFG 1967 §73 Abs1;
KFG 1967 §73 Abs2;
KFG 1967 §75 Abs2;
VwGG §42 Abs1;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Hrdlicka und die Hofräte Dr. Dorner, Dr. Waldner, Dr. Bernard und Dr. Graf als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Vesely, über die Beschwerde des N gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Wien vom 24. Juli 1990, Zl. MA 70-8/600/89, betreffend Entziehung der Lenkerberechtigung, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 10.530,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

Mit dem im Instanzenzug ergangenen angefochtenen Bescheid wurde gemäß § 73 Abs. 1 KFG 1967 die Lenkerberechtigung des Beschwerdeführers für die Gruppen A, B, C, F und G entzogen und gemäß § 73 Abs. 2 KFG 1967 ausgesprochen, daß ihm "auf die Dauer seiner geistigen Nichteignung keine neue Lenkerberechtigung erteilt werden darf".

In seiner an den Verwaltungsgerichtshof gerichteten Beschwerde macht der Beschwerdeführer Rechtswidrigkeit des Inhaltes des angefochtenen Bescheides und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend und beantragt die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Bescheides. Die belangte Behörde hat eine Gegenschrift erstattet, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

1. Die belangte Behörde stützte den angefochtenen Bescheid auf die Annahme, dem Beschwerdeführer fehle die geistige Eignung zum Lenken von Kraftfahrzeugen der genannten Gruppen. Im Einklang mit dem entsprechenden Inhalt der Begründung des angefochtenen Bescheides steht auch der - vom übrigen Inhalt des Bescheides nicht trennbare (vgl. die diesbezüglichen Ausführungen im Erkenntnis eines verstärkten Senates des Verwaltungsgerichtshofes vom 28. November 1983, Slg. Nr. 11.237/A) - zitierte Ausspruch nach § 73 Abs. 2 KFG 1967. Wenn die belangte Behörde überdies nach dem Inhalt der Begründung des angefochtenen Bescheides von der Verkehrsunzuverlässigkeit des Beschwerdeführers ausgegangen ist, so hat dies im Spruch insofern keinen Niederschlag gefunden, als darin kein im Wege einer Prognoseentscheidung gewonnener Zeitpunkt bestimmt wurde, zu dem von der Wiederherstellung der Verkehrszuverlässigkeit des Beschwerdeführers auszugehen wäre und ab dem daher dem Beschwerdeführer frühestens eine neue Lenkerberechtigung erteilt werden durfte. Daraus folgt, daß der Beschwerdeführer unter dem Gesichtspunkt der Verkehrszuverlässigkeit nicht gehindert ist, jederzeit die Wiedererteilung einer Lenkerberechtigung zu beantragen. Durch die in der Begründung des angefochtenen Bescheides zum Ausdruck gebrachte Annahme, der Beschwerdeführer sei auch verkehrsunzuverlässig, ist er somit in seinen Rechten nicht verletzt worden.

2. Die belangte Behörde nahm an, daß der Beschwerdeführer nicht die geistige Eignung zum Lenken von Kraftfahrzeugen aufweise, weil der Amtsarzt der Erstbehörde in seinem Gutachten vom 28. August 1989 zum Ausdruck brachte, daß der Beschwerdeführer wegen "inadäquater Selbsteinschätzung", "hoher emotioneller Labilität" und Alkoholmißbrauch im Sinne des § 69 Abs. 1 lit. d KFG 1967 "nicht geeignet" sei. Der Amtsarzt hat darin auf das Ergebnis einer verkehrspsychologischen Untersuchung des Beschwerdeführers beim Kuratorium für Verkehrssicherheit am 19. Juli 1989 hingewiesen, nach welcher der Beschwerdeführer als "derzeit nicht geeignet" zum Lenken von Kraftfahrzeugen der in Rede stehenden Gruppen bezeichnet wurde. In diesem Befund wurden außer den vom Amtsarzt in seinem Gutachten verwerteten, den Persönlichkeitsbereich des Beschwerdeführers betreffenden Umständen insbesondere auch Schwächen im Bereich der Konzentrationsfähigkeit und des Reaktionsverhaltens festgestellt. Diese Erscheinungsbilder wurden mit gelegentlichem, stark erhöhtem Alkoholkonsum in Verbindung gebracht und abschließend ausgeführt, daß zur Herbeiführung einer Besserung der Eignungsvoraussetzungen eine längere, strikt eingehaltene und ärztlich kontrollierte Alkoholabstinenz angeraten werde.

Der Beschwerdeführer hat zwar im Verwaltungsverfahren keine Unterlagen beigebracht, die die Unrichtigkeit von Befund und Gutachten dartun würden. Der Befund, der die Grundlage für das amtsärztliche Gutachten dargestellt hat, war im Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides (am 9. August 1990) aber bereits älter als ein Jahr; es hätte daher im Hinblick auf den zweiten Satz des § 67 Abs. 2 KFG 1967 das auf ihm beruhende - im genannten Zeitpunkt etwas weniger als ein Jahr alte - amtsärztliche Gutachten dem angefochtenen Bescheid nicht mehr zugrunde gelegte werden dürfen (vgl. die Erkenntnisse des Verwaltungsgerichtshofes vom 3. Februar 1989, Zl. 88/11/0251, und vom 27. März 1990, Zl. 89/11/0300, und die darin angeführte Vorjudikatur).

Der Beschwerdeführer hat im Verwaltungsverfahren behauptet, daß das amtsärztliche Gutachten "durch die Praxis und die Erfahrungen der letzten Jahre widerlegt" sei. Soweit er damit der Sache nach geltend gemacht haben sollte, daß die bei ihm festgestellten Mängel durch erlangte Geübtheit im Sinne des § 30 Abs. 2 KDV 1967 kompensiert seien, hätte die belangte Behörde - allenfalls nach entsprechender Klarstellung, was der Beschwerdeführer mit diesem Vorbringen zum Ausdruck bringen wollte - zu begründen gehabt, ob die von ihr angenommenen, in der Person des Beschwerdeführers gelegenen Umstände unter die Begriffe "Psychische Krankheiten und geistige Behinderungen" im Sinne des § 31 KDV 1967 fallen und damit nach § 30 Abs. 2 KDV 1967 grundsätzlich kompensierbar sind, oder ob sie ausschließlich die kraftfahrspezifische Leistungsfähigkeit betreffen und somit durch erlangte Geübtheit nicht ausgeglichen werden können (vgl. das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 3. Februar 1989, Zl. 88/11/0035). Dabei ist auch zu beachten, daß die belangte Behörde zum Teil Umstände herangezogen hat, die zwar im verkehrspsychologischen Befund Erwähnung gefunden haben, in das amtsärztliche Gutachten aber nicht im Sinne des letzten Satzes des § 67 Abs. 2 KFG 1967 eingeflossen sind.

Dazu kommt, daß nach § 31 KDV 1967 in der Fassung der 22. Novelle die Annahme der geistigen Nichteignung einer Person zum Lenken von Kraftfahrzeugen infolge des Vorliegens psychischer Krankheiten oder geistigen Behinderungen im Sinne dieser Verordnungsbestimmung zur Voraussetzung hätte, daß eine fachärztliche Untersuchung, die eine Prüfung der kraftfahrspezifischen Leistungsfähigkeit einzubeziehen hat, angeordnet wurde (vgl. das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 9. Oktober 1990, Zl. 90/11/0102); dies ist im Entziehungsverfahren unterblieben.

Da der Sachverhalt in wesentlichen Punkten ergänzungsbedürftig geblieben ist und die belangte Behörde Verfahrensvorschriften außer acht gelassen hat, bei deren Einhaltung sie zu einem anderen Bescheid hätte kommen können, war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b und c VwGG aufzuheben.

Von der beantragten Durchführung einer mündlichen Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z. 3 VwGG abgesehen werden.

Der Zuspruch von Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 206/1989. Das Mehrbegehren war abzuweisen, weil an Stempelgebührenersatz nur S 420,-- (S 360,-- für drei Beschwerdeausfertigungen und S 60,-- für eine Ausfertigung des angefochtenen Bescheides) zugesprochen werden konnten.

Schlagworte

Beweismittel Sachverständigenbeweis Medizinischer SachverständigerTrennbarkeit gesonderter AbspruchSachverständiger Erfordernis der Beiziehung ArztGrundsätzliches zur Rechtmäßigkeit und zur Rechtsverletzungsmöglichkeit

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1990:1990110179.X00

Im RIS seit

12.06.2001

Zuletzt aktualisiert am

18.06.2009
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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