TE Vwgh Erkenntnis 1991/4/17 90/02/0201

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Veröffentlicht am 17.04.1991
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Index

40/01 Verwaltungsverfahren;
90/01 Straßenverkehrsordnung;

Norm

AVG §58 Abs2;
AVG §60;
StVO 1960 §4 Abs1 lita;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Seiler und die Hofräte Dr. Dorner und Dr. Bernard als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Gritsch, über die Beschwerde der N gegen den Bescheid der Wiener Landesregierung vom 17. September 1990, Zl. MA 70-11/1155/90/Str, betreffend Übertretungen der Straßenverkehrsordnung 1960, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Die Bundeshauptstadt (Land) Wien hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von S 11.540,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem im Instanzenzug gemäß § 66 Abs. 4 AVG 1950 ergangenen Bescheid der Wiener Landesregierung vom 17. September 1990 wurde die Beschwerdeführerin der Übertretungen nach § 4 Abs. 1 lit. a StVO 1960 (zu 1.) und § 4 Abs. 5 leg. cit. (zu 2.) schuldig erkannt und hiefür bestraft, weil sie im Zeitraum vom 8. März 1990, 22.15 Uhr, bis 9. März 1990, 8.15 Uhr, in Wien, als Lenkerin eines dem Kennzeichen nach bestimmten Pkws an einem Verkehrsunfall mit Sachschaden ursächlich beteiligt gewesen sei und es unterlassen habe, 1.) sofort anzuhalten und

2.) ohne unnötigen Aufschub die nächste Polizeidienststelle von diesem Unfall zu verständigen.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof erwogen hat:

Die Beschwerdeführerin bestreitet die Begehung der ihr mit dem angefochtenen Bescheid zur Last gelegten beiden Straftaten, indem sie die Beweiswürdigung der belangten Behörde bekämpft. Diese unterliegt der nachprüfenden Kontrolle durch den Verwaltungsgerichtshof auf ihre Rechtmäßigkeit nur hinsichtlich der Vollständigkeit des ermittelten Sachverhaltes und der Schlüssigkeit der dabei vorgenommenen Erwägungen (vgl. dazu insbesondere das Erkenntnis eines verstärkten Senates des Verwaltungsgerichtshofes vom 3. Oktober 1985, Zl. 85/02/0053).

Die belangte Behörde hat ihrer Entscheidung u.a. das bereits im erstinstanzlichen Strafverfahren eingeholte Gutachten eines bei der Bundesprüfanstalt für Kraftfahrzeuge tätigen Sachverständigen zugrunde gelegt. Dieses Gutachten wurde auf Grund einer Stellprobe zwischen dem Pkw der Beschwerdeführerin und dem (im Tatzeitraum am Tatort abgestellt gewesenen) Pkw desjenigen, der wegen der Beschädigung seines Fahrzeuges Anzeige erstattet hat, erstellt und kam abschließend zu dem Ergebnis, daß "anhand der Lage und Abmessungen der Schäden unter Berücksichtigung der Federwege, des Fahrbahnzustandes und der Stellung der Fahrzeuge (lt. Aktenlage/Angabe der Betroffenen) mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit anzunehmen ist, daß eine Berührung der Fahrzeuge stattgefunden hat". Diese (von der belangten Behörde übernommene) Aussage, wie sie getroffen wurde, ist zwar insoweit nicht schlüssig, als sich aus den angeführten Gründen noch keineswegs die Tatsache der Beschädigung des anderen Pkws durch den Pkw der Beschwerdeführerin, sondern lediglich deren technische Möglichkeit ergibt, die aber in Verbindung mit den übrigen vorliegenden Beweisergebnissen die Annahme der belangten Behörde, die Beschwerdeführerin sei am gegenständlichen Verkehrsunfall ursächlich beteiligt gewesen, rechtfertigte. Wenn die Beschwerdeführerin rügt, daß ihrem in der Berufung gestellten Antrag auf Akteneinsicht nicht entsprochen und ihr auch keine Abschrift dieses Gutachtens ausgefolgt worden sei, sodaß sie keine hinreichende Kenntnis vom Inhalt dieses Gutachtens gehabt habe, so ist ihr nicht nur

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im Sinne der Begründung des angefochtenen Bescheides - entgegenzuhalten, daß ihr "der Akteninhalt" (und demnach auch das schon damals vorliegende Gutachten) anläßlich der Beschuldigtenvernehmung am 6. Juni 1990 zur Kenntnis gebracht wurde, sondern sie ist überdies darauf hinzuweisen, daß es ihr

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sollte sie der Meinung gewesen sein, für eine entsprechende Verantwortung damit nicht das Auslangen zu finden - freigestanden wäre, von sich aus Akteneinsicht zu nehmen und gemäß § 17 AVG 1950 davon auch eine Abschrift anzufertigen. Die Beschwerdeführerin wurde daher durch die von ihr beanstandete Vorgangsweise der belangten Behörde nicht in einem subjektiven-öffentlichen Recht verletzt, wozu noch kommt, daß sie in der Beschwerde gar nicht dargetan hat, was sie diesbezüglich vorgebracht hätte, wenn ihrem Anliegen Rechnung getragen worden wäre.

Die Beschwerdeführerin macht weiters geltend, daß ihr Antrag auf "Beiziehung eines lacktechnischen Sachverständigen zum Beweise dafür, daß eine Berührung zwischen dem Fahrzeug des Anzeigers und meinem Pkw nicht stattgefunden hat", abgelehnt worden sei. Ihr ist darin beizupflichten, daß die von der belangten Behörde hiefür gegebene Begründung, daß "auf Grund der Schlüssigkeit und Nachvollziehbarkeit des umseitig genannten Gutachtens ein derartiger Beweis einer unzulässigen Beweiswiederholung gleichkäme", verfehlt ist, hat sich doch der Sachverständige in seinem Gutachten mit den an beiden Fahrzeugen festgestellten Lackspuren gar nicht auseinandergesetzt. Aber auch darin ist ein wesentlicher Verfahrensmangel nicht gelegen. Die Beschwerdeführerin stellt nicht in Abrede, daß die Stoßstange ihres Pkws - wie der Aktenlage nach sowohl vom Geschädigten als auch von dem die "Nachtragsmeldung" legenden Polizeibeamten wahrgenommen wurde - rechts hinten, also im Bereich der anzunehmenden Anstoßstelle, blaue Lackspuren aufwies und der Pkw des Geschädigten blau lackiert war. Abgesehen davon, daß die Beschwerdeführerin nie konkret behauptet hat, daß diese Lackspuren bei einem anderen Vorfall und bejahendenfalls bei welchem entstanden sind, wäre selbst für den Vorfall, daß sich herausstellen sollte, daß sie nicht auf den gegenständlichen Vorfall zurückzuführen sind, für ihren Standpunkt nichts zu gewinnen, weil damit noch nicht gesagt wäre, daß die Beschädigung am anderen Pkw nicht durch das von der Beschwerdeführerin gelenkte (und nach ihren Angaben allein von ihr benützte) Fahrzeug verursacht worden ist. Bei dieser Beschädigung handelte es sich nach dem genannten Gutachten darum, daß das Radlaufblech des linken Hinterrades unmittelbar vor dem Tankdeckel eingedrückt war, wobei zusätzlich auffällt, daß der Sachverständige bei der Befundaufnahme (von der Beschwerdeführerin ebenfalls unbestritten) "rote Farbspuren oberhalb der Eindruckstelle" bemerkt hat und der von der Beschwerdeführerin gelenkte Pkw rot lackiert war.

Nach der Begründung des angefochtenen Bescheides spreche auch die Tatsache, daß der Geschädigte nach Erstattung der Anzeige das Fahrzeug der Beschwerdeführerin in der Nähe des Abstellortes (des Pkws des Geschädigten) vorgefunden habe und daß die am Tatort "vorgefundenen Teile eines Blinkerglases in das beschädigte Blinkerglas" am von der Beschwerdeführerin gelenkten Pkw "passen", "für die Sachverhaltsannahme der Behörde erster Instanz". Dieses Argument der belangten Behörde ist durch die Aktenlage gedeckt, und die Beschwerdeführerin ist ihm nie entgegengetreten, obwohl ihm bei der Beweiswürdigung maßgebliche Bedeutung zukommt. Der Vorwurf der Beschwerdeführerin, es sei bei ihrem Vertreter bereits vor Erlassung des angefochtenen Bescheides wegen der Vernichtung des sichergestellten Blinkerteiles angefragt worden, hat mit der Beurteilung der Frage, ob die belangte Behörde zu Recht davon ausgegangen ist, daß die Beschwerdeführerin den gegenständlichen Verkehrsunfall verursacht hat, nichts zu tun. Diesbezüglich hat aber der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der ihm zustehenden eingeschränkten Prüfungsbefugnis hinsichtlich der Beweiswürdigung gerade auf Grund dieses Beweismittels keine Bedenken.

Die Beschwerde ist aber dennoch berechtigt, weil die Beschwerdeführerin zutreffend darauf hinweist, daß die von der belangten Behörde getroffenen Feststellungen für die Annahme, daß sie "diese Beteiligung auch wahrnehmen mußte", nicht ausreichen. Voraussetzung für die Anhaltepflicht nach § 4 Abs. 1 lit. a StVO 1960 und die Meldepflicht nach § 4 Abs. 5 leg. cit. ist in subjektiver Hinsicht das Wissen oder fahrlässige Nichtwissen von dem Eintritt eines Sachschadens, weshalb der Tatbestand schon dann gegeben ist, wenn dem Täter objektive Umstände zu Bewußtsein hätten kommen müssen, aus denen er die Möglichkeit eines Verkehrsunfalls mit einer Sachbeschädigung zu erkennen vermocht hätte (vgl. u.a. das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 6. Juli 1984, Slg. Nr. 11495/A). Die belangte Behörde hat sich in diesem Zusammenhang lediglich auf das bereits erwähnte Gutachten bezogen und es dahingehend zitiert, "daß die Möglichkeit eines Verkehrsunfalles der Lenkerin des Fahrzeuges (der Berufungswerberin) auf Grund des Ausmaßes der Beschädigungen bei der gehörigen Sorgfalt hätte zu Bewußtsein kommen müssen". Bedenkt man aber, daß auf Grund der Anzeige der linke hintere Kotflügel am Fahrzeug des Geschädigten nur "leicht" eingedrückt war, wobei das Gutachten über die Intensität des Schadens keine Aussage trifft, und nach diesem Gutachten am Fahrzeug der Beschwerdeführerin nur "das Cellon der rechten hinteren Blinkleuchte gebrochen" und "Gummiabriebspuren an der rechten Außenrundung des hinteren Kunststoffstoßfängers" vorhanden waren, so hätte es einer näheren Begründung bedurft, wieso die belangte Behörde zu dieser Annahme gelangt. Dieser Teil des Gutachtens wurde von ihr auch unrichtig wiedergegeben, heißt es doch dort, daß "das Ausmaß der Beschädigungen so groß ist, daß es nicht auszuschließen ist", daß der Beschwerdeführerin "bei gehöriger Aufmerksamkeit die Möglichkeit eines Verkehrsunfalls mit Sachschaden optisch durch Augenschein und haptisch zu Bewußtsein hätte kommen müssen". Abgesehen davon, daß demnach in dieser Richtung keine eindeutige Aussage vorliegt, hätte die Erkennbarkeit des Eintrittes eines Sachschadens durch die Beschwerdeführerin im Wege ihres Seh- bzw. Tastsinnes zur Voraussetzung gehabt, daß der Beschwerdeführerin schon vorher auf andere Weise die Möglichkeit der Verursachung eines Verkehrsunfalles durch ihr Verhalten zu Bewußtsein gekommen wäre und sie sich daher hätte veranlaßt sehen müssen, bei beiden beteiligten Fahrzeugen entsprechend Nachschau zu halten. Der angefochtene Bescheid leidet daher insoweit an einem wesentlichen Begründungsmangel.

Da somit Verfahrensvorschriften außer acht gelassen wurden, bei deren Einhaltung die belangte Behörde zu einem anderen Bescheid hätte kommen können, war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. c VwGG aufzuheben.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 104/1991.

Schlagworte

Begründungspflicht und Verfahren vor dem VwGH Begründungsmangel als wesentlicher Verfahrensmangel

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1991:1990020201.X00

Im RIS seit

12.06.2001
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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