TE Vfgh Erkenntnis 1988/10/1 G62/88, G63/88

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Veröffentlicht am 01.10.1988
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Index

27 Rechtspflege
27/03 Gerichts- und Justizverwaltungsgebühren

Norm

B-VG Art7 Abs1 / Gesetz
GGG 1984 §31 Abs1 litb

Leitsatz

GerichtsgebührenG; Feststellung der Verfassungswidrigkeit des §31 Abs1 litb - Gebührenerhöhung im Falle der Säumnis von 25% unabhängig vom Verschulden und ohne Bedachtnahme auf besondere Umstände des Einzelfalles; als überschießende Reaktion auf die Unterlassung des Abgabepflichtigen gleichheitswidrig

Spruch

§31 Abs1 litb des BG vom 27. November 1984 über die Gerichts- und Justizverwaltungsgebühren (Gerichtsgebührengesetz-GGG), BGBl. Nr. 501, war verfassungswidrig.

Der Bundeskanzler ist zur unverzüglichen Kundmachung dieses Ausspruches im Bundesgesetzblatt verpflichtet.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. Beim VfGH sind zwei Beschwerden (protokolliert zu B134/87 und B207/87) gegen Bescheide von Präsidenten von Landesgerichten anhängig, mit welchen Berichtigungsanträgen gegen Zahlungsaufträge von Kostenbeamten betreffend gerichtliche Mehrgebühren (sowie einem Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand in der zu B134/87 protokollierten Beschwerdesache) nicht Folge gegeben worden war.

2. Der VfGH hat aus Anlaß dieser zwei Beschwerden beschlossen, §31 Abs1 litb des BG vom 27. November 1984 über die Gerichts- und Justizverwaltungsgebühren (Gerichtsgebührengesetz-GGG), BGBl. 501, gemäß Art140 Abs1 B-VG von Amts wegen auf seine Verfassungsmäßigkeit zu prüfen.

3. Die Bundesregierung hat im Gesetzesprüfungsverfahren von Äußerungen in der Sache abgesehen.

II. Der VfGH hat erwogen:

1. Die Anlaßfälle betreffen Pauschalgebühren nach §2 Z1 GGG, und zwar solche nach deren litc (bei Überreichung der Rechtsmittelschrift im zivilgerichtlichen Verfahren zweiter und dritter Instanz).

2. §31 Abs1 GGG in der hier maßgeblichen Fassung vor der Nov. BGBl. 292/1987 lautete wie folgt (der in Prüfung gezogene Teil der Bestimmung ist hervorgehoben):

"Wird der Anspruch auf eine Gebühr mit der Überreichung der Eingabe (§2 Z1 lita bis c, e, h, Z2 und 7) begründet und ist die Gebühr nicht oder nicht vollständig beigebracht worden, so haben die zur Zahlung der Gebühr verpflichteten Personen den fehlenden Gebührenbetrag

a) ...

b) in den Fällen des §2 Z1 litc im Ausmaß von 125 % des jeweiligen Tarifansatzes

zu entrichten."

Die Vorschreibung des Mehrbetrages nach dieser Gesetzesstelle ist in den Anlaßfällen, in denen jeweils Rechtsmittelschriften eingebracht worden waren, auf die Zitierung des §2 Z1 litc in §31 Abs1 litb GGG gestützt worden. Die Bestimmung des §31 Abs1 litb GGG ist daher präjudiziell.

Da auch die übrigen Prozeßvoraussetzungen gegeben sind, ist das Gesetzesprüfungsverfahren zulässig.

3. Der VfGH hat seine Bedenken gegen die in Prüfung gezogene Bestimmung des §31 Abs1 litb GGG im Beschluß vom 10. Dezember 1987, B134/87 und B207/87, wie folgt dargelegt:

"Der VfGH hat in seiner jüngsten Rechtsprechung zu den Folgen verspäteter oder unterlassener Gebührenanzeigen nach §31 Abs1 lita in den Fällen des §2 Z1 lita und e GGG (VfGH 11.3.1987, G257-260/86 u.a.) ausgesprochen, daß eine gesetzliche Regelung, die dem Gebührenschuldner eine 50%-ige Erhöhung einer Abgabe ohne Berücksichtigung der Entschuldbarkeit seiner Versäumnis oder ihres sonstigen Gewichtes auferlegt, eine überschießende (exzessive) Reaktion auf die Unterlassung des Abgabepflichtigen darstellt, die den rechtspolitischen Spielraum des Gesetzgebers überschreitet und gegen den Gleichheitsgrundsatz verstößt. Im oben genannten Erkenntnis hat der VfGH insbesondere hervorgehoben, daß diese Bedenken bei - der Höhe nach unbegrenzten - Hundertsatzgebühren Platz greifen.

Die in Prüfung gezogene Regelung sieht für den Fall, daß eine Gebühr nicht oder nicht vollständig entrichtet wurde, eine Erhöhung um 25 % des jeweiligen Tarifansatzes vor. Diese Gebührenerhöhung scheint unabhängig vom Vorwurf eines Verschuldens und von einer Bedachtnahme auf besondere Umstände des Einzelfalles einzutreten. Es scheinen daher dieselben verfassungsrechtlichen Bedenken zu bestehen, wie sie im oben genannten Erkenntnis zur Aufhebung der Buchstaben 'a' und 'e' in §31 Abs1 lita GGG geführt haben. Die in Tarifpost 2 festgelegten Pauschalgebühren für das zivilgerichtliche Verfahren in zweiter und dritter Instanz nach litc des §2 Z1 GGG enthalten nämlich auch - anders als zB die an sich niedrigen festen Eingabengebühren nach der Z2 des §2 (s. dazu das Erkenntnis des VfGH vom 13. Juni 1986, B688/85) - der Höhe nach nicht begrenzte Hundertsatzgebühren.

Den - vorläufigen - Bedenken des VfGH scheint nicht entgegenzustehen, daß das gerichtliche Gebührenrecht anders als das allgemeine Abgabenrecht keinen Verspätungszuschlag und keinen Säumniszuschlag vorsieht, welche die Funktion von Verzugszinsen erfüllen, wobei zumindest der Verspätungszuschlag offenbar auch den mit der Ermittlung der Besteuerungsgrundlagen verbundenen zusätzlichen Verwaltungsaufwand abdecken soll (s. hiezu VfGH 29.6.1985, G42/85 u.a.). Das Fehlen dieser Zuschläge, die an Höhe bis zu 10 % (§135 BAO) und 2 % (§219 BAO) betragen, dürfte nämlich einen Mehrbetrag im Ausmaß von 25 % wohl nicht rechtfertigen. Es scheint somit eine - der Höhe nach unbegrenzte - zwingende Mehrgebühr von 25 % der jeweiligen Gebührenschuld auch nicht (mehr) der pauschalen Abgeltung des durch die Nichtentrichtung entstandenen Verwaltungsaufwandes zu dienen. Ebensowenig scheint das Ausmaß der Gebührenerhöhung dadurch zu rechtfertigen zu sein, daß hier besondere Regelungen über die Rechtzeitigkeit des Einlangens von Gerichtsgebühren (§31 Abs3 GGG) vorhanden sind.

Zwar ist in §31 Abs2 litb GGG vorgesehen, daß die Haftung des Bevollmächtigten als Bürge und Zahler für den Mehrbetrag in den Fällen des §2 Z1 litc nie mit mehr als mit einem Gesamtbetrag von S 5.000,-- eintritt. Es scheint jedoch auch diese - nur für einen Teil der Gebührenpflichtigen geltende - Begrenzung an den gegen den Mehrbetrag als solchem gerichteten Bedenken nichts ändern zu können. Die Frage, ob die Haftungsbegrenzung mit S 5.000,-- im Sinne der bereits oben angeführten Rechtsprechung zu niedrigen festen Gebühren (VfGH 13.6.1986, B688/85) zur Unbedenklichkeit der Norm führen könnte, stellt sich daher gar nicht.

Auch die in §9 Abs2 des gerichtlichen Einbringungsgesetzes 1962, BGBl. 288, vorgesehene - im Ermessen der Behörde stehende ('Gebühren ... können auf Antrag nachgesehen werden ...') - Möglichkeit eines Gebührennachlasses in besonderen Fällen scheint an der Unsachlichkeit der in Prüfung gezogenen Regelung nichts zu ändern."

4. Die Bundesregierung hat im Gesetzesprüfungsverfahren ausdrücklich erklärt, im Hinblick auf das - im Prüfungsbeschluß vom 10. Dezember 1987 zitierte - Erkenntnis des VfGH vom 11. März 1987, G257-260/86 (= VfSlg. 11295/1987), von der Erstattung einer meritorischen Äußerung Abstand zu nehmen.

Es ist auch sonst nichts hervorgekommen, was gegen die Richtigkeit der oben wiedergegebenen Bedenken spräche.

Die in Prüfung gezogene - durch die Nov. BGBl. 292/1987 ohne Übergangsbestimmung außer Wirksamkeit gesetzte Regelung war daher gleichheitswidrig, weil - zusammenfassend ausgedrückt - mit ihr dem Gebührenschuldner eine 25 %-ige Erhöhung einer Abgabe ohne Berücksichtigung der Entschuldbarkeit seiner Versäumnis oder ihres sonstigen Gewichtes auferlegt wird, was eine überschießende (exzessive) Reaktion auf die Unterlassung des Abgabepflichtigen darstellt, die den rechtspolitischen Spielraum des Gesetzgebers überschreitet.

III. Die übrigen Aussprüche beruhen auf Art140 Abs5 B-VG.

Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VerfGG in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

Schlagworte

Gerichts- und Justizverwaltungsgebühren

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1988:G62.1988

Dokumentnummer

JFT_10118999_88G00062_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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