TE Vwgh Erkenntnis 1991/5/27 91/19/0102

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Veröffentlicht am 27.05.1991
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Index

19/05 Menschenrechte;
24/01 Strafgesetzbuch;
40/01 Verwaltungsverfahren;
41/02 Passrecht Fremdenrecht;

Norm

FrPolG 1954 §3 Abs2 Z1;
FrPolG 1954 §3 Abs3 Z1;
FrPolG 1954 §3 idF 1987/575;
FrPolG 1954 §4;
MRK Art6 Abs1;
StGB §71;
StGB §83;
StGB §88;
VStG §51 Abs6;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Salcher und die Hofräte Dr. Großmann, Dr. Stoll, Dr. Zeizinger und Dr. Sauberer als Richter, im Beisein der Schriftführerin Magistratsoberkommissär Dr. Kral, über die Beschwerde des N gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Tirol vom 14. März 1991, Zl. III 11-2/91, betreffend Erlassung eines befristeten Aufenthaltsverbotes, zu Recht erkannt:

Spruch

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Begründung

I.

1. Mit Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Innsbruck vom 6. Dezember 1990 war gegen den nunmehrigen Beschwerdeführer, einen türkischen Staatsangehörigen gemäß § 3 Abs. 1 des Fremdenpolizeigesetzes, BGBl. Nr. 75/1954 idF BGBl. Nr. 575/1987, (FrPolG) ein mit zwei Jahren befristetes Aufenthaltsverbot für das ganze Bundesgebiet erlassen worden.

2. Die dagegen erhobene Berufung des Beschwerdeführers wurde von der Bundespolizeidirektion für das Bundesland Tirol (der belangten Behörde) mit Bescheid vom 14. März 1991 gemäß § 66 Abs. 4 AVG als unbegründet abgewiesen und der erstinstanzliche Bescheid mit der Maßgabe bestätigt, daß im Spruch auch § 3 Abs. 3 und § 4 FrPolG zitiert und ein mit fünf Jahren befristetes Aufenthaltsverbot erlassen werde.

Zur Begründung ihrer Entscheidung führte die belangte Behörde im wesentlichen folgendes aus: Der Beschwerdeführer sei erst seit drei Jahren im Bundesgebiet und weise bereits eine Anzahl von Vorstrafen und Verwaltungsstrafvormerkungen auf. Er sei einmal wegen Verleumdung (Urteil des Landesgerichtes Innsbruck vom 25. November 1988) und zweimal wegen Körperverletzung, und zwar mit Urteil des Bezirksgerichtes Innsbruck vom 4. Oktober 1989 wegen vorsätzlicher Körperverletzung und mit Urteil desselben Gerichtes vom 9. Juli 1990 wegen fahrlässiger Körperverletzung verurteilt worden. Außerdem sei er wegen Übertretungen des Art. IX EGVG (Ordnungsstörung), des Tiroler Landespolizeigesetzes (Lärmerregung) sowie des § 5 Abs. 1, § 4 Abs. 1 lit. a und c und Abs. 5 StVO (Lenken eines Kfz in einem durch Alkohol beeinträchtigten Zustand und sogenannter Fahrerflucht nach einem Verkehrsunfall) bestraft worden.Allein schon diese "Strafkarte" des Beschwerdeführers zeige unbestreitbar, daß die Voraussetzungen für die Verhängung eines Aufenthaltsverbotes gemäß § 3 Abs. 1 FrPolG vorlägen. Daß die Verfehlungen des Beschwerdeführers allesamt geringfügig seien, stimme nicht. Verleumdung, Körperverletzung, Lenken eines Kfz in einem durch Alkohol beeinträchtigten Zustand und Fahrerflucht seien zweifellos schwerwiegende Verfehlungen. Sie zeigten insgesamt, daß der Beschwerdeführer ein Mensch sei, der zur Begehung von Straftaten neige und eine Gefahr für die in Österreich aufhältigen Menschen darstelle. Die wiederkehrenden Straftaten des Beschwerdeführers insgesamt rechtfertigten eine ungünstige Prognose in bezug auf den Schutz der öffentlichen Ruhe, Ordnung und Sicherheit. Ein Fernhalten rückfälliger Straftäter, die andere in ihrer körperlichen Sicherheit gefährdeten bzw. tatsächlich in ihrer körperlichen Integrität verletzten, sei zur Wahrung der genannten öffentlichen Interessen dringend geboten.

Die vom Beschwerdeführer geltend gemachten persönlichen Verhältnisse - im wesentlichen Aufenthalt im Bundesgebiet seit drei Jahren und die damit üblicherweise verbundene Integration;

Bindung an seine türkische Ehegattin und das gemeinsame minderjährige Kind; hohe Intensität dieser Bindung;

Beeinträchtigung des beruflichen und persönlichen Fortkommens des Beschwerdeführers und seiner Angehörigen, wenn er Österreich verlassen müsse - würden geglaubt. Dazu müsse allerdings angemerkt werden, daß die Integration des Beschwerdeführers schon aufgrund der Kürze seines bisherigen Aufenthaltes nicht allzu groß sein könne. Das minderjährige Kind des Beschwerdeführers lebe, seinen eigenen Angaben zufolge, bei den Schwiegereltern in der Türkei. Ungeachtet des demnach verbleibenden beträchtlichen Eingriffes in das Privat- und Familienleben des Beschwerdeführers sei jener zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 MRK genannten Ziele (Aufrechterhaltung der öffentlichen Ruhe und Ordnung, Verhinderung weiterer strafbarer Handlungen des Beschwerdeführers) unbedingt geboten, weil die nachteiligen Folgen einer Abstandnahme vom Aufenthaltsverbot als unverhältnismäßig schwerer einzustufen seien, als die nicht unbeträchtlichen Auswirkungen des Aufenthaltsverbotes auf die Lebenssituation des Beschwerdeführers und seiner Angehörigen (Gattin und Kind).

Das von der Erstinstanz erlassene zweijährige Aufenthaltsverbot entspreche der Größe der vom Beschwerdeführer ausgehenden Gefahr für die öffentliche Ruhe, Ordnung und Sicherheit und dem Zweck dieser Maßnahme, nämlich vorbeugend, wirksam und dauerhaft die inländische öffentliche Ruhe, Ordnung und Sicherheit zu sichern, nicht. Hinzu bedürfe es zumindest eines fünfjährigen Aufenthaltsverbotes, wobei in Anbetracht des Eingriffes in das Privat- und Familienleben des Beschwerdeführers durch das Aufenthaltsverbot die unterste, gerade noch vertretbare Befristung gewählt worden sei.

3. Der Beschwerdeführer erachtet sich durch diesen Bescheid in seinem Recht, "in Österreich aufhältig sein zu dürfen", verletzt und begehrt die Aufhebung des angefochtenen Bescheides wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes und wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften.

II.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

1. Gemäß § 3 Abs. 1 FrPolG kann gegen einen Fremden ein Aufenthaltsverbot erlassen werden, wenn auf Grund bestimmter Tatsachen die Annahme gerechtfertigt ist, daß sein Aufenthalt im Bundesgebiet die öffentliche Ruhe, Ordnung oder Sicherheit gefährdet oder anderen im Art. 8 Abs. 2 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten vom 4. November 1950, BGBl. Nr. 210/1958, (MRK) genannten öffentlichen Interessen zuwiderläuft.

Nach § 3 Abs. 2 Z. 1 FrPolG hat als bestimmte Tatsache im Sinne des Abs. 1 insbesondere zu gelten, wenn ein Fremder mehr als einmal wegen auf der gleichen schädlichen Neigung beruhender strafbarer Handlungen rechtskräftig verurteilt worden ist.

Gemäß § 3 Abs. 3 leg. cit. ist, wenn durch ein Aufenthaltsverbot in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen würde, seine Erlassung nur zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 MRK genannten Ziele dringend geboten ist. In jedem Fall ist ein Aufenthaltsverbot nur zulässig, wenn nach dem Gewicht der maßgebenden öffentlichen Interessen die nachteiligen Folgen der Abstandnahme von der Erlassung eines Aufenthaltsverbotes unverhältnismäßig schwerer wiegen als seine Auswirkungen auf die Lebenssituation des Fremden und seiner Familie. Bei dieser Abwägung ist insbesondere auf folgende Umstände Bedacht zu nehmen: 1) die Dauer des Aufenthaltes und das Ausmaß der Integration des Fremden oder seiner Familienangehörigen; 2) die Intensität der familiären oder sonstigen Bindungen; 3) die mögliche Beeinträchtigung des beruflichen oder persönlichen Fortkommens des Fremden oder seiner Familienangehörigen.

Nach Art. 8 Abs. 2 MRK ist der Eingriff einer öffentlichen Behörde in die Ausübung des Rechtes auf Achtung des Privat- und Familienlebens nur statthaft, insoweit dieser Eingriff gesetzlich vorgesehen ist und eine Maßnahme darstellt, die in einer demokratischen Gesellschaft für die nationale Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung, das wirtschaftliche Wohl des Landes, die Verteidigung der Ordnung und zur Verhinderung von strafbaren Handlungen, zum Schutze der Gesundheit und der Moral oder zum Schutze der Rechte und Freiheiten anderer notwendig ist.

2.1. Nach dem Beschwerdevorbringen gebe § 3 Abs. 2 FrPolG den Behörden Richtlinien und zähle demonstrativ auf, wann die öffentliche Ruhe, Ordnung und Sicherheit gefährdet erscheine. Im Fall einer gerichtlich strafbaren Handlung erscheine die Gefahr nur gegeben, wenn das Strafgericht eine strengere als eine dreimonatige Haftstrafe verhänge. Eine solche Strafe sei aber gegen den Beschwerdeführer nicht ausgesprochen worden. Auch könne nicht behauptet werden, daß er mehrmals Straftaten begangen habe, die auf derselben schädlichen Neigung beruhten, auch wenn zweimal eine Verurteilung wegen Körperverletzung erfolgt sei. Eine Verurteilung sei nämlich wegen vorsätzlicher, die andere wegen fahrlässiger Körperverletzung zustande gekommen. Dieselbe schädliche Neigung könne nicht angenommen werden, wenn die subjektive Tatseite eine andere sei.

2.2. Gemäß § 71 StGB beruhen mit Strafe bedrohte Handlungen auf der gleichen schädlichen Neigung, wenn sie gegen dasselbe Rechtsgut gerichtet oder auf gleichartige verwerfliche Beweggründe oder auf den gleichen Charaktermangel zurückzuführen sind.

Aus der Formulierung dieser Norm ergibt sich, daß jedes der drei genannten Kriterien für sich allein ausreicht, um die gleiche schädliche Neigung zu begründen. Dies trifft im Beschwerdefall insofern zu, als es sich bei Körperverletzungen, gleich ob für die subjektive Tatseite Vorsatz oder Fahrlässigkeit gefordert wird, um Straftaten handelt, die gegen den Leib (Körper) anderer, also gegen dasselbe Rechtsgut gerichtet sind. Beruhen aber vorsätzliche Körperverletzung (§§ 83 ff StGB) und fahrlässige Körperverletzung (§ 88 StGB) auf der gleichen schädlichen Neigung (vgl. auch LEUKAUF-STEININGER, Kommentar zum Strafgesetzbuch2, Eisenstadt 1979, Rz 7 zu § 71), dann sind die beiden gerichtlichen Verurteilungen des Beschwerdeführers vom 4. Oktober 1989 und vom 9. Juli 1990 - daß sie in Rechtskraft erwachsen sind, wird in der Beschwerde bestätigt - im Wege des § 3 Abs. 2 Z. 1 FrPolG als "bestimmte Tatsache im Sinne des Abs. 1" zu werten. Damit ist schon deshalb davon auszugehen, daß die Annahme gerechtfertigt ist, der Aufenthalt des Beschwerdeführers im Bundesgebiet gefährde die öffentliche Ruhe, Ordnung oder Sicherheit oder laufe anderen im Art. 8 Abs. 2 MRK genannten öffentlichen Interessen zuwider (§ 3 Abs. 1 FrPolG).

Daß die belangte Behörde dies nicht erkannte, sie vielmehr das den drei gerichtlichen Verurteilungen (und den drei verwaltungsbehördlichen Bestrafungen) zugrundeliegende Verhalten unmittelbar dem § 3 Abs. 1 FrPolG unterstellte, schadet deshalb nicht, weil ihre Entscheidung im Ergebnis der Rechtslage entspricht, wobei - durchaus im Sinne der behördlichen Sichtweise - noch hinzuzufügen ist, daß auch im Hinblick auf das sich in der weiteren rechtskräftigen gerichtlichen Verurteilung wegen Verleumdung und den angeführten Bestrafungen wegen mehrerer Verwaltungsübertretungen manifestierende gravierende Gesamtfehlverhalten die Annahme gerechtfertigt erscheint, der (weitere) Aufenthalt des Beschwerdeführers in Österreich gefährde die öffentliche Ruhe, Ordnung und Sicherheit.

3. Ist demnach vom Vorliegen einer bestimmten Tatsache im Sinne des § 3 Abs. 1 FrPolG auszugehen und solcherart die Annahme einer Gefährdung der öffentlichen Ruhe, Ordnung oder Sicherheit durch den Aufenthalt des Beschwerdeführers im Bundesgebiet gerechtfertigt, so bleibt noch zu prüfen, ob die von der belangten Behörde vorgenommene Interessenabwägung den Anforderungen des § 3 Abs. 3 FrPolG gerecht wird.

Die belangte Behörde hat im bekämpften Bescheid eine Reihe von Umständen, die dem privaten Interessensbereich des Beschwerdeführers zuzurechnen sind, bei der nach der zitierten Gesetzesstelle gebotenen Abwägung zugunsten des Beschwerdeführers berücksichtigt und hiebei eingeräumt, daß die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes einen beträchtlichen Eingriff in die Lebenssituation des Beschwerdeführers und seiner Angehörigen darstelle. Daß die belangte Behörde nicht alle für den Beschwerdeführer sprechenden Gesichtspunkte in ihre Abwägung miteinbezogen habe, wird vom Beschwerdeführer selbst nicht behauptet. Was die von der Beschwerde ins Treffen geführte "Zerschlagung der Familie" im Falle der Verhängung eines Aufenthaltsverbotes anlangt, so hat die belangte Behörde auf die vom Beschwerdeführer nicht bestrittene Tatsache hingewiesen, daß das minderjährige Kind des Beschwerdeführers nicht bei diesem und dessen Ehegattin in Österreich, sondern bei den Schwiegereltern des Beschwerdeführers in der Türkei lebe. Hinsichtlich der Integration des Beschwerdeführers hat die belangte Behörde im Hinblick auf die relative Kürze (drei Jahre) seines Aufenthaltes in Österreich die Ansicht vertreten, daß jene nicht allzu groß sein könne, und einem diesbezüglichen Argument des Beschwerdeführers - das dieser auch in der Beschwerde betont - zu Recht entgegengehalten, daß die (aufgrund ihres 14jährigen Aufenthaltes in Österreich) gute Integration der Frau des Beschwerdeführers nicht ohne weiteres dazu führe anzunehmen, auch der Beschwerdeführer selbst sei hier gut integriert.

Insgesamt gesehen kann das Ergebnis der Interessenabwägung dahin gehend, daß die Intensität und die Häufung der vom Beschwerdeführer während seines bisherigen kurzen Aufenthaltes in Österreich (1988-1990) begangenen Straftaten zeige, daß die nachteiligen Folgen der Abstandnahme von der Erlassung eines Aufenthaltsverbotes unverhältnismäßig schwerer wiegen als die nicht unbeträchtlichen Auswirkungen dieser Maßnahme auf den privaten Bereich des Beschwerdeführers, nicht als rechtswidrig erkannt werden. Dies vor allem deshalb, weil - entgegen der Ansicht der Beschwerde - das strafbare Verhalten des Beschwerdeführers von der belangten Behörde zutreffend als Fehlverhalten von erheblichem Gewicht gewertet worden ist.

4. Verfehlt ist schließlich auch die in der Beschwerde geäußerte Meinung, daß die belangte Behörde, da das Aufenthaltsverbot "für den Beschwerdeführer Strafcharakter hat", mit der Verlängerung der Befristung desselben von zwei auf fünf Jahre gegen den "Grundsatz der reformatio in peius" verstoßen habe. Das vom Beschwerdeführer angesprochene Verbot der reformatio in peius gilt dem klaren Wortlaut des § 51 Abs. 6 VStG zufolge ausschließlich für die Verhängung von Strafen, somit nicht für die Erlassung einer fremdenpolizeilichen Administrativ-Maßnahme, wie sie ein Aufenthaltsverbot darstellt (vgl. dazu das hg. Erkenntnis vom 8. Oktober 1990, Zl. 90/19/0170).

5. Da sich das Fehlen der behaupteten Rechtsverletzung bereits aus dem Inhalt der Beschwerde erkennen ließ, war die Beschwerde gemäß § 35 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren als unbegründet abzuweisen.

6. Bei diesem Ergebnis erübrigte sich ein gesonderter Abspruch über den Antrag, der Beschwerde aufschiebende Wirkung zuzuerkennen.

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1991:1991190102.X00

Im RIS seit

27.05.1991
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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