TE Vfgh Erkenntnis 1989/3/2 B1407/88

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Veröffentlicht am 02.03.1989
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Index

L9 Sozial- und Gesundheitsrecht
L9200 Altenheime, Pflegeheime, Sozialhilfe

Norm

B-VG Art7 Abs1 / Gesetz
B-VG Art7 Abs1 / Verwaltungsakt
MRK Art8
Krnt Sozialhilfe-LeistungsV 1985 §1
Krnt SozialhilfeG 1981 §4
Krnt SozialhilfeG 1981 §6

Leitsatz

Vertretbare Auslegung der §§4 und 6 Krnt. SozialhilfeG 1981 in der durch Erk. VfSlg. 11662/1988 festgestellten Fassung iVm §1 Krtn. Sozialhilfe-LeistungsV 1985 dahingehend, daß die den Kindern der Beschwerdeführerin von dritter Seite gewährten Alimentationsleistungen bei Berechnung des Haushaltseinkommens nicht zu berücksichtigen seien; keine Verletzung des Gleichheitsrechtes; keine Verletzung des Rechtes auf Achtung des Familienlebens

Spruch

Die Beschwerdeführerin ist durch den angefochtenen Bescheid weder in einem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht noch wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm in ihren Rechten verletzt worden.

Die Beschwerde wird abgewiesen und dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung darüber abgetreten, ob die Beschwerdeführerin durch den angefochtenen Bescheid in einem sonstigen Recht verletzt worden ist.

Kosten werden nicht zugesprochen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1.a) Der Magistrat der Landeshauptstadt Klagenfurt gewährte R R mit Bescheid vom 17. Oktober 1985 gemäß den §§4 und 7 des Kärntner Sozialhilfegesetzes 1981, LGBl. 30 (K-SHG), einen einmaligen Unterstützungsbeitrag von S 2.432,-- als Hilfe zum Lebensunterhalt.

Dagegen brachte die Genannte mit der Begründung Berufung ein, daß dieser Betrag zu gering sei. Die Kärntner Landesregierung wies mit Bescheid vom 17. Dezember 1985 dieses Rechtsmittel ab.

Gegen diesen Berufungsbescheid erhob R R zu B173/86 Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof. Unter anderem aus Anlaß dieser Beschwerde leitete der Verfassungsgerichtshof gemäß Art140 Abs1 B-VG von amtswegen ein Verfahren zur Prüfung der Verfassungsmäßigkeit der Wortfolge "und die mit ihm im gemeinsamen Haushalt lebenden unterhaltspflichtigen Angehörigen" im §4 Abs1 erster Satz des K-SHG idF vor der Novelle LGBl. 1/1988 ein.

Der Verfassungsgerichtshof stellte mit Erkenntnis vom 15. März 1988 G158/87 u.a.Zlen. fest, daß diese Gesetzesstelle verfassungswidrig war und hob mit Erkenntnis vom 17. März 1988 B173/86, den den Gegenstand des Anlaßfalles bildenden Bescheid der Kärntner Landesregierung vom 17. Dezember 1985 auf.

b) Daraufhin erließ die Landesregierung am 23. Juni 1988 einen Ersatzbescheid. Sie gab der Berufung gegen den eingangs erwähnten erstinstanzlichen Bescheid vom 17. Oktober 1985 insofern Folge, als

R R "gemäß den §§4 und 7 Kärntner Sozialhilfegesetz 1981, LGBl. Nr. 30, in Verbindung mit §1 Abs1 litb und d der Sozialhilfe-Leistungsverordnung 1985, LGBl. Nr. 84/1984, Hilfe zum Lebensunterhalt durch Zuerkennung eines einmaligen Unterstützungsbeitrages von S 3.302,-- gewährt wird."

Dieser Bescheid wird in der hier wesentlichen Hinsicht - nach einem Hinweis auf das soeben zitierte Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes - wie folgt begründet:

"Der Grund für die Aufhebung lag darin, daß die Regelung des §4 Abs1 in Verbindung mit §8 Abs1 und 2 Kärntner Sozialhilfegesetz 1981 sachlich nicht zu rechtfertigen ist. Es ist nämlich - so der Verfassungsgerichtshof - nicht einzusehen, weshalb die dem Hauptunterstützten gegenüber unterhaltsberechtigten Angehörigen in jedem Fall mit ihren Einkünften unbeschränkt zum Lebensunterhalt der anderen Mitglieder der Haushaltsgemeinschaft beitragen sollen, und zwar auch dann, wenn sie ihnen gegenüber gar nicht unterhaltspflichtig sind. Dies kann etwa dazu führen, daß der Vater oder die Mutter auf Kosten der ihren Kindern von dritter Seite gewährten Alimente lebt.

Die mit dieser Begründung erfolgte Aufhebung der schon zitierten Wortfolge des §4 Abs1 Kärntner Sozialhilfegesetz 1981 läßt nun eine Auslegung des Gesetzes in Verbindung mit der Sozialhilfe-Leistungsverordnung 1985 nur in der Richtung zu, daß die für die Kinder der Berufungswerberin geleisteten Unterhaltszahlungen nicht als Haushaltseinkommen, sondern als Einkommen des jeweiligen Kindes anzusehen sind und somit nur in Entsprechung der §§4 und 6 Kärntner Sozialhilfegesetz 1981 und §1 Abs4 Sozialhilfe-Leistungsverordnung 1985 auf den Richtsatz für Personen in einer Haushaltsgemeinschaft mit Anspruch auf Familienbeihilfe angerechnet werden dürfen.

Damit ergibt sich für die Berufungswerberin ein Richtsatz von S 2.530,--, wozu S 772,-- als Mietbeihilfe (tatsächlicher Mietaufwand) kommen. Für ihre beiden mj. Kinder erhält sie nichts, da deren jeweilige Unterhaltsleistungen den Richtsatz von S 890,-- je Kind übersteigen.

Es war somit dem Berufungsantrag auf Außerachtlassung der Unterhaltsleistung für die Kinder bei der Berechnung des der Berufungswerberin zustehenden Betrages als Hilfe zum Lebensunterhalt Folge zu geben."

2. Gegen diesen Ersatzbescheid vom 23. Juni 1988 wendet sich die vorliegende, auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung der verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechte auf Gleichheit aller Staatbürger vor dem Gesetz und auf Achtung des Familienlebens (Art8 MRK) sowie die Verletzung in Rechten wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes (des §4 Abs1 K-SHG) behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Bescheides, hilfsweise die Abtretung der Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof beantragt wird.

Die Beschwerdeführerin begründet ihre Behauptungen im wesentlichen damit, daß die Einbeziehung der Unterhaltsleistungen an ihre Kinder sachlich nicht gerechtfertigt sei; bei getrennt lebenden Elternteilen habe das Kind von jenem Elternteil, bei dem es wohnt, den Unterhalt "in natura" zu erhalten (§140 ABGB).

Werde der Ausgangsposition der belangten Behörde gefolgt, verletze ihre Rechtsmeinung den Gleichheitssatz; es laufe nämlich den vom Verfassungsgerichtshof im erwähnten Erkenntnis vom 15. März 1988 angestellten Überlegungen zuwider, wenn die Beschwerdeführerin weiterhin gezwungen sei, auch Alimentationsleistungen, die von dritter Seite an ihre Kinder geleistet werden, zur Haushaltsführung heranzuziehen. Dies verstoße auch gegen Art8 MRK.

3. Die Kärntner Landesregierung als belangte Behörde erstattete eine Gegenschrift, in der sie begehrt, die Beschwerde als unbegründet kostenpflichtig abzuweisen.

Darauf replizierte die Beschwerdeführerin. Sie regt an, von amtswegen ein Verfahren zur Prüfung der Verfassungsmäßigkeit des §4 Abs1 K-SHG einzuleiten.

II. Der Verfassungsgerichtshof hat über die - zulässige - Beschwerde erwogen:

1. Der Verfassungsgerichtshof hat mit Erkenntnis vom 15. März 1988 G158/87 u.a.Zlen. (s.o. I.1.a) festgestellt, daß im §4 Abs1 erster Satz K-SHG idF vor der Novelle LGBl. 1/1988 die im folgenden Gesetzestext hervorgehobene Wortfolge verfassungswidrig war:

"(1) Anspruch auf Hilfe zur Sicherung des Lebensbedarfes hat nach Maßgabe der Bestimmungen dieses Abschnittes, wer den Lebensbedarf für sich und die mit ihm im gemeinsamen Haushalt lebenden unterhaltspflichtigen Angehörigen nicht oder nicht ausreichend aus eigenen Kräften und Mitteln beschaffen kann und ihn auch nicht oder nicht ausreichend von anderen Personen oder Einrichtungen erhält. Freiwillige Leistungen sind dann nicht zu berücksichtigen, wenn diese andernfalls eingestellt würden."

Der nun beim Verfassungsgerichtshof bekämpfte Ersatzbescheid vom 23. Juni 1988 war dem Art140 Abs7 B-VG zufolge auf die durch das Erkenntnis vom 15. März 1988 festgestellte Rechtslage (also auf §4 Abs1 erster Satz K-SHG unter Entfall der zitierten Wortfolge) zu stützen.

Durch ArtI Z2 der Novelle LGBl. 1/1988 wurden im §4 Abs1 erster Satz K-SHG die Worte "unterhaltspflichtigen Angehörigen" durch die Worte "unterhaltsberechtigten Angehörigen" ersetzt. Diese Neufassung des §4 Abs1 erster Satz K-SHG trat mit Ablauf des 21. Jänner 1988 - nicht rückwirkend - in Kraft.

Beim in Rede stehenden Sozialhilfe-Anspruch handelt es sich um einen einmaligen Unterstützungsbeitrag für das Jahr 1985. Dieser Anspruch ist also nicht nach dem K-SHG idF der Novelle 1/1988 zu beurteilen, sondern nach der durch das Erkenntnis vom 15. März 1988 festgestellten Rechtslage.

2.a) Der Verfassungsgerichtshof stellte im Erkenntnis vom 15. März 1988 fest, die wiederholt zitierte Wortfolge sei verfassungswidrig, dies deshalb, weil sie (iVm §8 Abs1 und 2 K-SHG) vorsehe, daß es für die Unterstützungshöhe auf das Einkommen der Haushaltsgemeinschaft ankomme, wobei die Einkünfte der im Haushalt wohnenden "unterhaltsberechtigten Angehörigen" (die damals vom Gesetz gebrauchte Wendung "unterhaltspflichtigen Angehörigen" sei berichtigend in diesem Sinn zu interpretieren) des Hauptunterstützten zur Gänze in das Haushaltseinkommen einzubeziehen seien; es sei nicht einzusehen, weshalb die dem Hauptunterstützten gegenüber unterhaltsberechtigten Angehörigen in jedem Fall mit ihren Einkünften unbeschränkt zum Lebensunterhalt der anderen Mitglieder der Haushaltsgemeinschaft beitragen sollten, und zwar auch dann, wenn sie ihnen gegenüber gar nicht unterhaltspflichtig sind; dies könne etwa dazu führen, daß der Vater oder die Mutter auf Kosten der ihren Kindern von dritter Seite gewährten Alimente lebe.

b) Die belangte Behörde ging bei Erlassung des Ersatzbescheides - in Befolgung der vom Verfassungsgerichtshof im ersten Rechtsgang mit Erkenntnis vom 17. März 1988 B173/86 (s.o. I.1.a) zum Ausdruck gebrachten Rechtsmeinung - davon aus, daß die den Kindern der Beschwerdeführerin von dritter Seite gewährten Alimentationsleistungen bei Berechnung des Haushaltseinkommens nicht zu berücksichtigen seien. Die Landesregierung stellte sich auf den Standpunkt, daß diese Unterhaltszahlungen als Einkommen des jeweiligen Kindes anzusehen seien und somit (nur) gemäß den §§4 und 6 K-SHG iVm §1 Abs4 der Sozialhilfe-Leistungsverordnung 1985, LGBl. 84/1984 (SH-LV 1985), auf den Richtsatz für Haushaltsangehörige mit Anspruch auf Familienbeihilfe iS des §1 Abs1 lita SH-LV 1985 (890 S monatlich) angerechnet werden dürfen.

c) Gegen eine Regelung, die derartiges anordnet, bestehen - entgegen der Meinung der Beschwerdeführerin - unter dem Gesichtspunkt des vorliegenden Beschwerdefalles keine verfassungsrechtlichen Bedenken; sie werden auch nicht im wiederholt zitierten Erkenntnis vom 15. März 1988 geäußert. Damals wandte sich der Verfassungerichtshof nur dagegen, daß die von dritter Seite für ein haushaltsangehörendes Kind erbrachten Unterhaltsleistungen auch dazu verwendet werden müssen, die Lebensführung der Mutter oder anderer Haushaltsangehöriger zu finanzieren, nicht aber dagegen, daß solche Alimentationsleistungen dazu verwendet werden, den Lebensunterhalt des Kindes selbst zu bestreiten. Der Verfassungsgerichtshof erachtet eine derartige Regelung auch unter dem Blickwinkel dieses Beschwerdefalles nicht für unsachlich; keine Verfassungsnorm - so insbesondere nicht Art7 B-VG und Art8 MRK - gebietet vorzusehen, daß die öffentliche Hand eine Fürsorgeleistung (nur) deshalb zu erbringen hat, weil der familienrechtlich hiezu (primär) Berufene seiner Pflicht nicht nachkommt.

§4 Abs1 K-SHG 1985 in der durch das hg. Erkenntnis vom 15. März 1988 festgestellten Fassung (s.o. II.2.a) iVm den übrigen Gesetzesbestimmungen und der SH-LV 1985 ist zumindest vertretbar so auslegbar, wie es im angefochtenen Bescheid geschieht; diese Rechtsanwendung indiziert mithin nicht Willkür.

3.Die behauptete Verletzung verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte hat sohin nicht stattgefunden.

Das Verfahren hat nicht ergeben, daß die Beschwerdeführerin in von ihr nicht geltend gemachten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten oder wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm in ihren Rechten verletzt wurde.

Die Beschwerde war daher abzuweisen und gemäß Art144 Abs3 B-VG antragsgemäß dem Verwaltungsgerichtshof abzutreten.

4. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 Z1 und 2 VerfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

5. Der obsiegenden belangten Behörde waren Kosten nicht zuzusprechen, weil gemäß §88 VerfGG ersatzfähige Kosten (etwa Reisekosten) nicht erwachsen sind.

Schlagworte

Sozialhilfe, Haushaltseinkommen

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1989:B1407.1988

Dokumentnummer

JFT_10109698_88B01407_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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