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19/05 Menschenrechte;Norm
AVG §58 Abs2;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Vizepräsident Dr. Jabloner und die Hofräte Dr. Stoll, Dr. Zeizinger, Dr. Sauberer und Dr. Graf als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Wildmann, über die Beschwerde der E, geb. 7. Juni 1963, in W, vertreten durch Dr. G, Rechtsanwalt in D, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Vorarlberg vom 6. Februar 1992, Zl. FrB-4250/91, betreffend Aufenthaltsverbot, zu Recht erkannt:
Spruch
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
Begründung
Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid der belangten Behörde vom 6. Februar 1992 wurde gegen die Beschwerdeführerin, eine türkische Staatsangehörige, gemäß § 3 Abs. 1 und Abs. 2 Z. 6 in Verbindung mit § 4 des Fremdenpolizeigesetzes (FPG) ein bis zum 31. Dezember 1996 befristetes Aufenthaltsverbot für das gesamte Bundesgebiet erlassen.
In der Begründung wurde im wesentlichen ausgeführt, die österreichische Botschaft in Ankara habe der Beschwerdeführerin am 7. November 1990 einen bis 15. Dezember 1990 befristeten Sichtvermerk ausgestellt, wobei die Beschwerdeführerin als Reisegrund eine Besuchsreise in der Dauer von drei Monaten und die Erklärung abgegeben habe, daß sie nur zu diesem Zweck und für jene Dauer nach Österreich reisen würde. Am 15. November 1990 sei die Beschwerdeführerin nach Österreich eingereist. Bereits am 5. Dezember 1990 habe sie einen Notariatsakt unterfertigt und sei Gesellschafterin einer näher angeführten Ges.m.b.H. geworden. Schließlich habe sie am 14. Dezember 1990 einen Antrag auf Erteilung eines Sichtvermerkes gestellt. Nach Ansicht der Behörde sei es nicht glaubwürdig, daß lediglich ein kurzfristiger Besuchsaufenthalt in Österreich beabsichtigt gewesen sei, da die von der Beschwerdeführerin erwähnten ehelichen und gesundheitlichen Probleme (in der Türkei) im Zusammenhang mit der Tatsache, daß sie nach sehr kurzem Aufenthalt in Österreich einen Gesellschaftsvertrag unterzeichnet habe, dagegen sprächen. Auch die Aussagen ihrer Verwandten bezüglich der ehelichen und gesundheitlichen Schwierigkeiten und der daran geknüpften Absicht, nach Österreich zu kommen, deuteten darauf hin, daß die Beschwerdeführerin von vornherein beabsichtigt habe, in Österreich zu bleiben; somit stehe fest, daß die Beschwerdeführerin vor der österreichischen Botschaft in Ankara unrichtige Angaben über den Zweck oder die beabsichtigte Dauer ihres Aufenthaltes gemacht habe, um sich die Einreise nach Österreich zu verschaffen.
Zur Abwägung der öffentlichen Interessen an der Verhängung eines Aufenthaltsverbotes mit den Auswirkungen auf die Lebenssituation der Beschwerdeführerin führte die belangte Behörde im wesentlichen aus, die Beschwerdeführerin hätte geltend gemacht, sie habe im Zeitraum August 1973 bis Februar 1975 die Schule in Vorarlberg besucht, sei mit den hiesigen Lebensverhältnissen vertraut und spreche gut Deutsch. Derzeit seien der Bruder, die Schwägerin, die Schwester und die Mutter der Beschwerdeführerin in Österreich; die Mutter sei mit einem vom 29. Mai bis 29. Juni 1991 gültigen Sichtvermerk nach Österreich eingereist und sei in der Zwischenzeit aufgefordert worden, das Bundesgebiet zu verlassen. Ein dauerhafter Aufenthalt in Österreich liege somit nur bei den drei erstgenannten Personen vor. Die familiären Bindungen der Beschwerdeführerin seien "nicht allzu berücksichtigungswürdig". Auch eine Integration liege trotz des seinerzeitigen, ca. 1 1/2 Jahre dauernden Aufenthaltes sowie der "ständigen" Besuche in Österreich nicht vor. Eine Beeinträchtigung des beruflichen oder persönlichen Fortkommens der Beschwerdeführerin werde zwar als gegeben angenommen, dem sei jedoch entgegenzuhalten, daß ihr Aufenthalt im Bundesgebiet und sämtliche hier entwickelte Aktivitäten auf der erschlichenen Aufenthaltsberechtigung beruhen würden. Die nachteiligen Folgen der Abstandnahme von der Erlassung eines Aufenthaltsverbotes würden sohin unverhältnismäßig schwerer wiegen als seine Auswirkungen auf die Lebenssituation der Beschwerdeführerin. Die Verhängung eines Aufenthaltsverbotes bis zum 31. Dezember 1996 sei notwendig gewesen, um den Verwaltungszweck, nämlich die Hintanhaltung einschlägiger Verhaltensweisen, zu erreichen.
Gegen diesen Bescheid erhob die Beschwerdeführerin zunächst Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, welcher die Behandlung derselben mit Beschluß vom 9. Juni 1992, Zl. B 364/92, ablehnte und sie in der Folge gemäß Art. 144 Abs. 3 B-VG dem Verwaltungsgerichtshof abtrat. Dieser hat erwogen:
Die im Beschwerdefall maßgebenden Bestimmungen des § 3 Abs. 1, Abs. 2 Z. 6 sowie des Abs. 3 FPG lauten:
§ 3 (1) Gegen einen Fremden kann ein Aufenthaltsverbot erlassen werden, wenn auf Grund bestimmter Tatsachen die Annahme gerechtfertigt ist, daß sein Aufenthalt im Bundesgebiet die öffentliche Ruhe, Ordnung oder Sicherheit gefährdet oder anderen im Art. 8 Abs. 2 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten vom 4. November 1950, BGBl. Nr. 210/1958, genannten öffentlichen Interessen zuwiderläuft.
(2) Als bestimmte Tatsache im Sinne des Abs. 1 hat insbesondere zu gelten, wenn ein Fremder
6. gegenüber einer österreichischen Behörde oder ihren Organen unrichtige Angaben über seine Person, seine persönlichen Verhältnisse, den Zweck oder die beabsichtigte Dauer seines Aufenthaltes gemacht hat, um sich die Einreise oder die Aufenthaltsberechtigung gemäß § 2 Abs. 1 zu verschaffen.
(3) Würde durch ein Aufenthaltsverbot in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen, so ist seine Erlassung nur zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten vom 4. November 1950 genannten Ziele dringend geboten ist. In jedem Fall ist ein Aufenthaltsverbot nur zulässig, wenn nach dem Gewicht der maßgebenden öffentlichen Interessen die nachteiligen Folgen der Abstandnahme von der Erlassung eines Aufenthaltsverbotes unverhältnismäßig schwerer wiegen, als seine Auswirkungen auf die Lebenssituation des Fremden und seiner Familie. Bei dieser Abwägung ist insbesondere auf folgende Umstände Bedacht zu nehmen:
1. die Dauer des Aufenthaltes und das Ausmaß der Integration des Fremden oder seiner Familienangehörigen;
2.
die Intensität der familiären oder sonstigen Bindungen;
3.
die mögliche Beeinträchtigung des beruflichen oder persönlichen Fortkommens des Fremden oder seiner Familienangehörigen.
Der Verwaltungsgerichtshof vermag im Rahmen der ihm zustehenden Kontrolle der Beweiswürdigung (vgl. dazu das Erkenntnis eines hg. verstärkten Senates vom 3. Oktober 1985, Zl. 85/02/0053) die Annahme der belangten Behörde, die Beschwerdeführerin habe anläßlich der Stellung ihres Sichtvermerksantrages bei der österreichischen Botschaft in Ankara unrichtige Angaben über den Zweck und die beabsichtigte Dauer ihres Aufenthaltes gemacht, nicht als rechtswidrig zu erkennen. Soweit sich die Beschwerdeführerin darauf beruft, die belangte Behörde habe dem Einwand nicht Rechnung getragen, daß die diesbezüglichen Angaben ihres Bruders bei seiner Einvernahme unrichtig protokolliert worden seien, so übersieht die Beschwerdeführerin, daß die belangte Behörde diese, nach der Niederschrift die Beschwerdeführerin belastende Aussage ohnedies nicht konkret in ihre Überlegungen miteinbezogen hat.
Die von der Beschwerdeführerin behauptete Aussage ihres Bruders, er habe gleich nach der Einreise der Beschwerdeführerin mit dieser über die "Übernahme des Geschäftes" gesprochen und sie sei damit einverstanden gewesen, stellt einerseits keinen Widerspruch zu der Ansicht der belangten Behörde dar, daß die Beschwerdeführerin von vornherein die Absicht gehabt habe, in Österreich zu bleiben, andererseits übersieht die Beschwerdeführerin, daß die belangte Behörde diese Ansicht nicht nur auf den kurzfristig unterzeichneten Gesellschaftsvertrag, sondern auch auf die ehelichen und gesundheitlichen Probleme der Beschwerdeführerin in ihrer Heimat gestützt hat.
Weshalb sich aus einem näher zitierten Registerakt des Landesgerichtes Feldkirch die Unrichtigkeit der erwähnten Annahme der belangten Behörde ergeben sollte, wird in der Beschwerde nicht dargelegt, sodaß nicht erkennbar ist, weshalb in der Unterlassung der Einholung dieses Aktes ein wesentlicher Verfahrensmangel gelegen sein sollte. Hat die Beschwerdeführerin aber den Tatbestand des § 3 Abs. 2 Z. 6 FPG erfüllt, dann war auch die Annahme gerechtfertigt, der Aufenthalt der Beschwerdeführerin im Bundesgebiet gefährde die öffentliche Ruhe, Ordnung oder Sicherheit oder laufe anderen im Art. 8 MRK genannten öffentlichen Interessen zuwider (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 9. Juli 1992, Zl. 92/18/0142).
Aber auch die im Grunde des § 3 Abs. 3 FPG von der belangten Behörde vorgenommene Interessenabwägung ist nicht als rechtswidrig zu erkennen. Insbesondere hat die belangte Behörde zu Recht darauf verwiesen, daß es der Beschwerdeführerin verwehrt ist, solche Tatsachen für sich ins Treffen zu führen, die entgegen den den Aufenthalt im Bundesgebiet regelnden Vorschriften geschaffen wurden (vgl. das zitierte hg. Erkenntnis vom 9. Juli 1992, Zl. 92/18/0142), wobei in diesem Zusammenhang zu vermerken ist, daß nur die Dauer eines rechtmäßigen Aufenthaltes in Österreich bei der Interessenabwägung zu berücksichtigen war (vgl. das hg. Erkenntnis vom 23. März 1992, Zl. 91/19/0364). Dem viele Jahre zurückliegenden, ca. 1 1/2 Jahre dauernden Schulbesuch samt den "guten" Kenntnissen der deutschen Sprache und den behaupteten wiederholten Besuchsaufenthalten in Österreich mußte die belangte Behörde nicht die Bedeutung beimessen, um von einer "Integration" der Beschwerdeführerin sprechen zu können. Was die Dauer des Aufenthaltsverbotes anlangt, so ist dem festgestellten Sachverhalt nichts zu entnehmen, das erkennen ließe, daß die Gründe für die Erlassung des Aufenthaltsverbotes zu einem früheren Zeitpunkt wegfallen könnten (vgl. das hg. Erkenntnis vom 6. April 1992, Zl. 92/18/0093). Der von der Beschwerdeführerin ins Treffen geführte Begründungsmangel kann daher nicht wesentlich sein. Gleiches gilt in Hinsicht auf den Umstand, daß die belangte Behörde ohne entsprechende Begründung die in § 6 Abs. 1 FPG bestimmte Frist von einer Woche nicht gemäß § 6 Abs. 2 leg. cit. verlängert hat, zumal stichhaltige Billigkeitsgründe, die eine Verlängerung der Frist gerechtfertigt hätten, von der Beschwerdeführerin nicht aufgezeigt werden (vgl. das hg. Erkenntnis vom 11. November 1991, Zl. 90/19/0447).
Es besteht kein Anhaltspunkt dafür, daß der erstinstanzliche Bescheid einen Abspruch über einen Vollstreckungsaufschub im Sinne des § 6 Abs. 2 zweiter Satz FPG enthält. Die belangte Behörde hätte demnach die "Sache" im Sinne des § 66 Abs. 4 AVG überschritten, wenn sie über den in der Berufung - so die Beschwerdeführerin - gestellten Antrag auf Bewilligung eines Vollstreckungsaufschubes meritorisch entschieden hätte (vgl. das hg. Erkenntnis vom heutigen Tag, Zl. 92/18/0314).
Da bereits der Inhalt der vorliegenden Beschwerde erkennen läßt, daß die von der Beschwerdeführerin behauptete Rechtsverletzung nicht vorliegt, war die Beschwerde gemäß § 35 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung als unbegründet abzuweisen.
Bei diesem Ergebnis erübrigt sich eine Entscheidung über den Antrag, der Beschwerde die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen.
Schlagworte
Begründungspflicht und Verfahren vor dem VwGH Begründungsmangel als wesentlicher VerfahrensmangelEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1992:1992180316.X00Im RIS seit
04.09.1992