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L3 FinanzrechtNorm
B-VG Art7 Abs1 / GesetzLeitsatz
Präjudizialität einer, eine nicht trennbare Einheit bildenden Bestimmung; Feststellung der Verfassungswidrigkeit einer landesrechtlichen, finanzstrafrechtlichen Norm eines Ankündigungsabgabegesetzes mangels gerichtlicher Zuständigkeit bei aufgrund der vorgesehenen Strafhöhe in den Kernbereich der Strafgerichtsbarkeit fallenden DeliktenSpruch
I. §11 des Wr. Ankündigungsabgabegesetzes 1983, LGBl. für Wien Nr. 19, war verfassungswidrig.
Diese Gesetzesstelle ist nicht mehr anzuwenden.
II. Der Landeshauptmann von Wien ist verpflichtet, diese Aussprüche unverzüglich im Landesgesetzblatt kundzumachen.
Begründung
Entscheidungsgründe:
I. 1. Mit dem vor dem Verfassungsgerichtshof gemäß Art144 Abs1 B-VG angefochtenen Berufungsbescheid der Wiener Landesregierung vom 22. Dezember 1987, Z MDR-R 47/87/Str, in der Fassung des Berichtigungsbescheides vom 31. März 1988, Z MDR-R 27/88/Str, wurde der Beschwerdeführer gemäß §11 Abs1 des Wr. Ankündigungsabgabegesetzes 1983, LGBl. für Wien Nr. 19, mit einer Geldstrafe von S 60.000,--, bei Uneinbringlichkeit mit einer Ersatzarreststrafe von 40 Tagen, dafür bestraft, daß er durch die Vornahme von Ankündigungen durch Plakatwerbung ohne Anzeige an den Magistrat Wien und ohne Einzahlung des sich danach ergebenden Abgabenbetrages die Ankündigungsabgabe um den Betrag von
S 62.720,-- bis 20. Jänner 1987 fahrlässig verkürzt habe.
2. Der unter der Überschrift "Strafen" stehende §11 des Wr. Ankündigungsabgabegesetzes 1983, LGBl. für Wien Nr. 19, hatte folgenden Wortlaut:
"(1) Handlungen oder Unterlassungen, durch die die Abgabe hinterzogen oder fahrlässig verkürzt wird, sind als Verwaltungsübertretungen mit Geldstrafe bis zum Fünfzigfachen des Verkürzungsbetrages zu bestrafen. Im Falle der Uneinbringlichkeit tritt an Stelle der Geldstrafe Arrest bis zu drei Monaten.
(2) Die sonstigen Übertretungen der Vorschriften dieses Gesetzes oder der dazu erlassenen Durchführungsvorschriften werden mit Geldstrafen bis zu 2 000 S, im Nichteinbringungsfalle mit Arrest bis zu 14 Tagen geahndet."
Der eben wiedergegebene §11 des Wr. Ankündigungsabgabegesetzes 1983 erhielt durch ArtI des Gesetzes vom 26. Juni 1990, LGBl. für Wien Nr. 44, mit dem abgabenrechtliche Strafbestimmungen geändert werden, eine neue, zufolge ArtXIX Abs1 dieses Gesetzes seit 28. August 1990 geltende Fassung.
3. Aus Anlaß der zu B280/88 erhobenen Beschwerde beschloß der Verfassungsgerichtshof am 28. Februar 1989, B280/88-13, gemäß Art140 Abs1 B-VG von Amts wegen ein Verfahren zur Prüfung der Verfassungsmäßigkeit des §11 Abs1 des Wr. Ankündigungsabgabegesetzes 1983, LGBl. für Wien Nr. 19, einzuleiten. Er nahm an, daß er diese Bestimmung bei der Behandlung der Beschwerde anzuwenden habe und hegte gegen §11 Abs1 des Wr. Ankündigungsabgabegesetzes 1983 dieselben verfassungsrechtlichen Bedenken, die er bereits in seinem Prüfungsbeschluß vom 2. Dezember 1988, B744/87, gegen §35 des Wr. Vergnügungssteuergesetzes für Wien 1963, LGBl. Nr. 11, in der Fassung der Vergnügungssteuergesetz-Novelle 1976, LGBl. Nr. 37, und der Vergnügungssteuergesetz-Novelle 1981, LGBl. Nr. 19, äußerte.
Mit Beschluß vom 27. Februar 1990, B280/88-15, erweiterte der Verfassungsgerichtshof sein gemäß Art140 Abs1 B-VG von Amts wegen eingeleitetes Verfahren zur Prüfung der Verfassungsmäßigkeit des §11 Abs1 des Wr. Ankündigungsabgabegesetzes 1983, LGBl. für Wien Nr. 19, auch auf den Abs2 dieser Bestimmung. Dies unter Verweis darauf, daß er bei seiner Behandlung der Beschwerde zu B280/88 nicht nur den Abs1 des §11 des Wr. Ankündigungsabgabegesetzes 1983, sondern auch den Abs2 dieser Gesetzesvorschrift wegen seines untrennbaren Zusammenhanges mit dem ersten Absatz anzuwenden habe. Er verwies in diesem Zusammenhang auf die Begründung seines Erkenntnisses vom 27. September 1989, G6/89 u.a.
II. Die Wiener Landesregierung erstattete Äußerungen mit dem Begehren, die geprüfte Gesetzesbestimmung nicht als verfassungswidrig aufzuheben.
III. Der Verfassungsgerichtshof hat erwogen:
1. Die den Anlaß zur Einleitung des Gesetzesprüfungsverfahrens bildende Beschwerde ist zulässig.
Bezüglich des Umfangs, in dem die von Amts wegen in Prüfung gezogenen Gesetzesstellen als präjudiziell anzusehen sind, bleibt der Verfassungsgerichtshof auf dem bereits in seinem Prüfungsbeschluß vom 27. Februar 1990, B280/88-15, eingenommenen Standpunkt, daß die Abs1 und 2 des §11 des Wr. Ankündigungsabgabegesetzes 1983, LGBl. für Wien Nr. 19, - von dem in der Beschwerdesache heranzuziehenden Abs1 her gesehen - eine untrennbare Einheit bilden (vgl. zu §35 des Vergnügungssteuergesetzes für Wien 1963 VfGH v. 27.9.1989, G6/89 u. a., sowie zu §9 des Wr. Anzeigenabgabegesetzes 1983 VfGH v. 1.3.1990, G314/89, G19,20/90).
2. Die im Prüfungsbeschluß dargelegten verfassungsrechtlichen Bedenken treffen zu.
Der Verfassungsgerichtshof verweist auf die Entscheidungsgründe seines Erkenntnisses vom 27. September 1989, G6/89 u.a., mit dem ausgesprochen wurde, daß §35 des Vergnügungssteuergesetzes für Wien 1963, LGBl. Nr. 11, (idF der Novellen LGBl. Nr. 37/1976 und 16/1981) verfassungswidrig war. Die in diesem Erkenntnis in bezug auf die Verfassungswidrigkeit des §35 des Vergnügungssteuergesetzes für Wien 1963 (welcher in seinem Abs1 die Verhängung einer Geldstrafe bis zum Dreißigfachen des Verkürzungsbetrages vorsah) angestellten Erwägungen treffen auch für den amtswegig in Prüfung gezogenen §11 des Wr. Ankündigungsabgabegesetzes 1983, LGBl. für Wien Nr. 19, sinngemäß voll zu, und zwar umsomehr, als §11 Abs1 des Wr. Ankündigungsabgabegesetzes 1983 die Bestrafung mit einer Geldstrafe sogar bis zum Fünfzigfachen des Verkürzungsbetrages vorsieht.
Die geprüfte Gesetzesvorschrift verstößt sohin sowohl gegen die aus Art91 B-VG abzuleitenden Grundsätze als auch gegen das auch den Gesetzgeber bindende Gleichheitsgebot.
Es war somit auszusprechen, daß der (zufolge der Novelle LGBl. Nr. 44/1990 bereits außer Kraft getretene) §11 des Wr. Ankündigungsabgabegesetzes 1983, LGBl. für Wien Nr. 19, verfassungswidrig war.
Die übrigen Aussprüche stützen sich auf Art140 Abs7 zweiter Satz und Art140 Abs5 zweiter Satz B-VG.
Von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VerfGG 1953 abgesehen werden. Die Zusammensetzung des Verfassungsgerichtshofes stützt sich auf §7 Abs2 lite VerfGG 1953, weil die Rechtsfrage durch die bisherige Rechtsprechung bereits genügend klargestellt ist.
Schlagworte
VfGH / Präjudizialität, Finanzstrafrecht, Strafgerichtsbarkeit (Kernbereich), Gerichtsbarkeit Trennung von der Verwaltung, Strafbemessung, Zuständigkeit der Gerichte, AnkündigungsabgabenEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:1990:G31.1989Dokumentnummer
JFT_10098873_89G00031_00