TE Vfgh Erkenntnis 1991/3/13 B637/89

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Veröffentlicht am 13.03.1991
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Index

44 Zivildienst
44/01 Zivildienst

Norm

ZivildienstG §2 Abs1

Leitsatz

Verletzung im Recht auf Befreiung von der Wehrpflicht zwecks Zivildienstleistung wegen Außerachtlassens bedeutsamer Bescheinigungsmittel im Rahmen der Beweiswürdigung

Spruch

Der Beschwerdeführer ist durch den angefochtenen Bescheid im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Befreiung von der Wehrpflicht zwecks Zivildienstleistung verletzt worden.

Der Bescheid wird aufgehoben.

Der Bund (Bundesminister für Inneres) ist schuldig, dem Beschwerdeführer zuhanden des Beschwerdevertreters die mit 15.000 S bestimmten Prozeßkosten binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. Die Zivildienstoberkommission beim Bundesministerium für Inneres (ZDOK) wies mit ihrem nach Durchführung einer mündlichen Berufungsverhandlung im Instanzenzug erlassenen Bescheid vom 23. Jänner 1989 den Antrag des Beschwerdeführers ab, ihn zwecks Zivildienstleistung von der Wehrpflicht zu befreien. Sie begründete ihre Rechtsmittelentscheidung nach einer Schilderung des Verwaltungsgeschehens unter Bezugnahme auf die Verfassungsbestimmung des §2 Abs1 des Zivildienstgesetzes 1986 (ZDG), BGBl. 679, im wesentlichen folgendermaßen:

Es genüge nicht, die in §2 Abs1 ZDG genannten Gewissensgründe zu behaupten, sie müßten vielmehr auch entsprechend glaubhaft gemacht werden. Nach Durchführung des Ermittlungsverfahrens sei der erkennende Senat aufgrund des Gesamtvorbringens des Beschwerdeführers und des von ihm in der mündlichen Verhandlung gewonnenen Eindrucks zur Ansicht gelangt, daß keine Veranlassung bestehe, von der Würdigung des Sachverhaltes durch die Zivildienstkommission abzugehen. Der Beschwerdeführer habe nach wie vor die von ihm behauptete Einstellung nicht hinreichend glaubwürdig dokumentieren können. Ausschlaggebend für die Abweisung der Berufung sei gewesen, daß der Beschwerdeführer während des mit ihm geführten ausführlichen Gesprächs nicht wie ein junger Mann gewirkt habe, der eine gefestigte innere Einstellung zum fraglichen Thema zum Ausdruck bringe, der also auf der Basis einer echten Überzeugung die Anwendung von Waffengewalt gegen Menschen grundsätzlich und vorbehaltlos ablehne und im Fall der Wehrdienstleistung tatsächlich in schwere Gewissensnot geraten würde. Infolge der komplexen Natur der freien Beweiswürdigung gemäß §45 AVG könnten keineswegs alle Voraussetzungen, die den erkennenden Senat zu dieser Ansicht geführt hätten, im einzelnen wiedergegeben werden, zumal sich die während eines Gesprächs zutage kommenden Ausdrucksbewegungen, die oft entscheidend dazu beitrügen, einem Menschen Glauben zu schenken oder zu versagen, der Verbalisierung weitgehend entzögen. Im einzelnen sei hervorzuheben, daß das sich mit dem Wert des menschlichen Lebens befassende Vorbringen des Antragstellers eingelernt und floskelhaft und nicht als Ausdruck einer adäquaten inneren Überzeugung gewirkt habe. Bei der Würdigung der Person und des Vorbringens des Antragstellers seien das bisherige Leben des Beschwerdeführers und seine Argumente hinsichtlich seiner behaupteten schwerwiegenden Gewissensgründe im Sinn der freien Beweiswürdigung gewertet worden. Alle vorgebrachten Argumente - insbesondere in der mündlichen Verhandlung vor der ZDOK - seien prima vista logisch und seien vor allem auch mit großer Eloquenz vorgebracht worden. Man könne daher den vorgebrachten Argumenten auch keineswegs entgegenhalten, daß diese für sich und isoliert betrachtet keine Gewissensgründe darstellten. Die Prüfung durch die ZDOK habe sich jedoch nicht auf die logische Schlüssigkeit allein zu beschränken, sondern habe auch die emotionale Verwurzeltheit der vorgebrachten Gewissensgründe auf Grund des Eindrucks des Berufungswerbers im Rahmen der mündlichen Verhandlung ins Kalkül zu ziehen, da nur durch die Beachtung dieser Komponente Rückschlüsse auf die vom Gesetzgeber geforderte schwere Gewissensnot gezogen werden könnten, in die der Berufungswerber gemäß dem ZDG bei Ausübung des Wehrdienstes geraten würde. Der erkennende Senat sei jedoch der Ansicht, daß die vehementen Einwände gegen das Bundesheer, die an und für sich überhaupt keine Gewissensgründe darstellten, und die Schilderung der Gewissensgründe rein intellektuell verarbeitet worden seien; es fehle völlig der emotionale Unterbau, der erst zusammen mit den zum Ausdruck gebrachten Gewissensgründen die Frage der Ausübung des Wehr- oder Zivildienstes zu einer existentiellen Frage werden ließen. Gerade diese - für die Beurteilung, ob der Beschwerdeführer bei Ausübung des Wehrdienstes in eine schwere Gewissensnot geraten würde - wesentlichen Aspekte hätten in keiner Phase der mündlichen Verhandlung festgestellt werden können. Auch die Ausführungen der Vertrauensperson habe die Meinung des erkennenden Senates nicht gegenteilig beeinflussen können, daß die Voraussetzungen zur Ableistung des Zivildienstes nicht gegeben seien. Die vom Beschwerdeführer genannten Aktivitäten seien im Sinn eines spezifischen Zusammenhanges mit der vom ZDG geforderten inneren Einstellung nicht gewichtig genug, den in freier Würdigung unmittelbar gewonnenen Eindruck des Senates entscheidend zu verändern.

2. Gegen diesen Bescheid der ZDOK richtet sich die auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde, in welcher insbesondere eine Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf Befreiung von der Wehrpflicht zwecks Zivildienstleistung geltend gemacht und die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung begehrt wird.

II. Die Beschwerde ist gerechtfertigt.

1. Eine Verletzung des durch §2 Abs1 ZDG verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes liegt nach der ständigen Judikatur des Verfassungsgerichtshofes nicht bloß dann vor, wenn die Behörde die in dieser Verfassungsbestimmung umschriebenen materiell-rechtlichen Voraussetzungen der Wehrpflichtbefreiung unrichtig beurteilt; sie ist - da sich der Schutzumfang des Grundrechtes auf die für den Nachweis der Voraussetzungen maßgebende Vorgangsweise der Glaubhaftmachung (Bescheinigung) miterstreckt - auch dann gegeben, wenn der Behörde wesentliche Verstöße in diesem verfahrensrechtlichen Bereich unterlaufen oder wenn sie dem Antragsteller überhaupt die Möglichkeit nimmt, das Zutreffen der materiellen Voraussetzungen glaubhaft zu machen (zB VfSlg. 11107/1986). Wie der Gerichtshof ebenfalls schon ausgesprochen hat (zB VfSlg. 10536/1985 mit weiteren Judikaturhinweisen) ist ein wesentlicher Verstoß gegen § 2 Abs1 ZDG im verfahrensrechtlichen Bereich insbesondere dann gegeben, wenn der Behörde ein wesentlicher Verstoß in der Beweiswürdigung - einschließlich der Würdigung der Parteiaussage des Antragstellers als Bescheinigungsmittel - unterläuft oder wenn das Ermittlungsverfahren infolge des Außerachtlassens bedeutsamer Bescheinigungsmittel - einschließlich der Parteiaussage des Antragstellers - völlig unzulänglich geblieben ist. Der belangten ZDOK sind im vorliegenden Fall derartige gravierende Verfahrensmängel anzulasten.

Der Beschwerdeführer berief sich im gesamten Verwaltungsverfahren mehrmals auf seine Überzeugung, daß das menschliche Leben der höchste und unantastbare Wert sei, sowie darauf, daß er die Anwendung von Waffengewalt gegen Menschen vorbehaltlos ablehne. Wie sich aus dem Zusammenhalt der eingangs ausführlich dargestellten Bescheidbegründung ergibt, erblickte die ZDOK hierin einen an sich tauglichen (dh. im Fall der Glaubhaftmachung zur Wehrpflichtbefreiung führenden) Gewissensgrund, sah diesen aber ausschließlich wegen des vom Beschwerdeführer gewonnenen persönlichen Eindrucks als nicht bescheinigt an. Alle anderen vom Beschwerdeführer ins Treffen geführten Bescheinigungsmittel überging die Behörde entweder gänzlich oder erwähnte sie bloß am Rande, also ohne auf deren Inhalt einzugehen oder sie zum Antragsvorbringen in Bezug zu setzen.

So brachte der Beschwerdeführer zwei Bestätigungen (der Neumarkter Kulturvereinigung sowie von Amnesty International, Region Salzburg) bei, in denen festgehalten ist, daß er als Musiker mehrmals (unentgeltlich) an sozialorientierten Veranstaltungen ("Friedenswochen, Lateinamerikatage, Dritte Welt-Solidaritätsaktionen") bzw. für Amnesty International (Benefizkonzerte) teilgenommen hat. Der Beschwerdeführer legte auch eine "an Eidesstatt" abgegebene schriftliche Erklärung seiner Mutter vor, wonach die Ausführungen im Antrag auf Befreiung von der Wehrpflicht vollinhaltlich richtig sind (in welchem er - sinngemäß zusammengefaßt - insbesondere vorgebracht hatte, daß er im religiösen Elternhaus eine pazifistische Erziehung genossen habe und vom Beispiel seines Großvaters mütterlicherseits beeinflußt sei, der seine antinationalsozialistische und antimilitaristische Einstellung während des gesamten Weltkriegs im Rahmen von Bibelstunden bekundet habe). Die vom Beschwerdeführer beigezogene Vertrauensperson (Dr. G H) gab an, mit dem Beschwerdeführer seit Jahren befreundet zu sein und erfolglos versucht zu haben, ihn von der Notwendigkeit einer bewaffneten Landesverteidigung zu überzeugen; der Beschwerdeführer sei wegen seiner pazifistischen Grundeinstellung außerstande, Gewalt anzuwenden, würde im Notfall keine anderen als verbale Aktionen setzen und es bestünde bei notwendigem Umgang mit der Waffe im Fall der Ableistung des Wehrdienstes nach Auffassung der Vertrauensperson beim Beschwerdeführer Selbstgefährdung und Gefährdung von Kameraden.

Nach Ansicht des Verfassungsgerichtshof wäre es der ZDOK im Rahmen ihrer Beweiswürdigung (dh. der Würdigung von Bescheinigungsmitteln) oblegen, nicht bloß auf den persönlichen Eindruck des Beschwerdeführers Bedacht zu nehmen, sondern auch auf die eben aufgezeigten Bescheinigungsmittel und sie im Zusammenhalt mit dem darauf bezughabenden Vorbringen des Beschwerdeführers zu werten.

2. Der angefochtene Bescheid war aus diesen Gründen wegen der Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf Befreiung von der Wehrpflicht zwecks Zivildienstleistung aufzuheben.

Bei diesem Ergebnis war es entbehrlich, auf das Beschwerdevorbringen im einzelnen einzugehen.

3. Die Kostenentscheidung stützt sich auf §88 VerfGG; vom zugesprochenen Kostenbetrag entfallen 2.500 S auf die Umsatzsteuer.

III. Diese Entscheidung wurde gemäß §19 Abs4 Z2 VerfGG ohne vorangegangene mündliche Verhandlung getroffen.

Schlagworte

Zivildienst, Beweise

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1991:B637.1989

Dokumentnummer

JFT_10089687_89B00637_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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