Index
10 VerfassungsrechtNorm
B-VG Art141 Abs1 litaLeitsatz
Zulässigkeit einer mit "Klage (Beschwerde)" bezeichneten WahlanfechtungSpruch
Die Wahlanfechtung wird, soweit sie sich gegen die Zurückweisung der Kreiswahlvorschläge wendet, als unbegründet abgewiesen, im übrigen aber als unzulässig zurückgewiesen.
Begründung
Entscheidungsgründe:
1.1. Am 7. Oktober 1990 fand die mit Verordnung der Bundesregierung vom 10. Juli 1990, BGBl. 421, ausgeschriebene Wahl zum Nationalrat statt.
Unter anderen hatte die Wählergruppe "Der Norden-(Mühlviertel)Weinviertel(Waldviertel)" in allen neun Wahlkreisen Kreiswahlvorschläge sowie - in den Wahlkreisverbänden - Verbandswahlvorschläge eingebracht. Diese Vorschläge wurden von den Wahlbehörden nicht gemäß §52 Abs1 und §101 Abs5 Nationalrats-Wahlordnung 1971 (NRWO 1971), BGBl. 391, veröffentlicht. Die Kreiswahlbehörden gingen hiebei davon aus, daß die Kreiswahlvorschläge als nicht eingebracht zu behandeln seien, weil die Wählergruppe den von §46 Abs4 NRWO 1971
vorgeschriebenen Kostenbeitrag nicht geleistet hatte; die Kreiswahlbehörde für den Wahlkreis 2 (Kärnten) wies den Wahlvorschlag gemäß §49 Abs3 NRWO 1971 zurück, weil er nicht die nach §45 Abs2 NRWO 1971 erforderlichen 200 Unterstützungserklärungen aufwies.
1.2.1. Mit ihrer am 12. Oktober 1990 durch den zustellungsbevollmächtigten Vertreter Mag. F J G beim Verfassungsgerichtshof persönlich eingebrachten und ausdrücklich auf (ua.) Art141 B-VG gestützten Wahlanfechtungsschrift begehrte die Wahlpartei "Der Norden-(Mühlviertel)Weinviertel(Waldviertel)" die Nichtigerklärung der Nationalratswahl 1990 wegen Rechtswidrigkeiten des Wahlverfahrens. Diese Mängel erblickte sie ua. darin, daß ihr Vertreter nicht zum Mitglied aller Wahlbehörden bestellt worden sei (§§14 f NRWO 1971), und - der Sache nach - darin, daß die Wahlvorschläge als nicht eingebracht behandelt wurden.
1.2.2. Die Hauptwahlbehörde beim Bundesministerium für Inneres legte die Wahlakten vor, erstattete aber keine Gegenschrift.
Die anfechtende Wählergruppe brachte einen ergänzenden Schriftsatz ein, der am 6. November 1990 beim Verfassungsgerichtshof einlangte. Darin führt sie aus, die NRWO 1971 sei verfassungswidrig, und weist ausdrücklich auf erforderliche "Kosteneinsätze" hin.
1.2.3. §46 Abs4 NRWO 1971 lautet:
"Die wahlwerbenden Parteien haben an den Bund einen Beitrag für die Kosten der Herstellung des amtlichen Stimmzettels in der Höhe von 6000 S zu leisten. Der Beitrag ist gleichzeitig mit der Übermittlung des Wahlvorschlages (Abs1) bei der Kreiswahlbehörde bar zu erlegen. Wird der Kostenbeitrag nicht erlegt, so gilt der Wahlvorschlag als nicht eingebracht."
2. Über die Wahlanfechtung wurde erwogen:
2.1.1. Die anfechtende Wählergruppe bezeichnet sich als "Beschwerdeführer (Anfechter)" und die Eingabe als "Klage (Beschwerde)". Trotzdem ist der Schriftsatz wegen der Berufung auf Art141 B-VG und wegen der weiteren Bezeichnung als Wahlanfechtung hinreichend als Antrag gemäß Art141 B-VG und damit als Wahlanfechtung gekennzeichnet (vgl. VfSlg. 6424/1971, 8988/1980, 9085/1981, 9963/1984, 11.388/1987).
2.1.2. Gemäß Art141 Abs1 lita B-VG erkennt der Verfassungsgerichtshof ua. über Anfechtungen von Wahlen zu den allgemeinen Vertretungskörpern, so auch zum Nationalrat. Nach Art141 Abs1 Satz 2 B-VG kann eine solche Anfechtung auf die behauptete Rechtswidrigkeit des Wahlverfahrens gegründet werden.
2.1.3. Nach §67 Abs2 VerfGG 1953 sind zur Anfechtung der Wahl grundsätzlich jene Wählergruppen berechtigt, die der Wahlbehörde rechtzeitig Wahlvorschläge vorlegten. Dazu nimmt der Verfassungsgerichtshof seit dem Erkenntnis VfSlg. 4992/1965 in ständiger Rechtsprechung den Standpunkt ein, daß die Anfechtungslegitimation, jedenfalls soweit die Frage der Gültigkeit des eingereichten Wahlvorschlags das Ergebnis der Wahlanfechtung - wie hier - mitbestimmt, nicht zusätzlich davon abhängt, ob dieser Vorschlag rechtswirksam erstattet wurde (so VfSlg. 7387/1974, 8853/1980, 9093/1981, 10.178/1984, 10.217/1984, 11.256/1987; 1.3.1990 WI-3/89; 28.2.1991 WI-11/90; s. insb. auch VfSlg. 6087/1969). Wählergruppen, deren Wahlvorschläge als nicht eingebracht erklärt oder als unzulässig zurückgewiesen wurden, steht es folglich frei, diesen Teilakt des Wahlverfahrens im Weg einer Wahlanfechtung gemäß Art141 B-VG mit der Behauptung zu bekämpfen, daß die (ihre Vorschläge behandelnde) Entscheidung der Wahlbehörde auf verfassungswidrigen Rechtsgrundlagen beruhe oder sonst rechtswidrig ergangen sei. Erweisen sich diese Vorwürfe im verfassungsgerichtlichen Wahlanfechtungsverfahren als unbegründet, sind die - von der Teilnahme an der Wahl rechtmäßig ausgeschlossenen - Wählergruppen darüber hinaus zur Anfechtung des Wahlverfahrens nicht befugt; dies kraft der Bestimmung des §67 Abs2 VerfGG 1953, die das Anfechtungsrecht nicht irgendwelchen Gruppen von Wahlberechtigten zuerkennt, sondern grundsätzlich nur jenen Wahlparteien gewährt, die sich bei der Wahl tatsächlich und rechtmäßig um Wählerstimmen beworben haben (VfGH 2.3.1989 WI-4/88).
2.1.4.1. Nach §68 Abs1 VerfGG 1953 muß die Wahlanfechtung binnen vier Wochen nach Beendigung des Wahlverfahrens, wenn aber in dem anzuwendenden Wahlgesetz ein Instanzenzug vorgesehen ist, binnen vier Wochen nach Zustellung des in letzter Instanz ergangenen Bescheids eingebracht werden.
Nun sieht zwar §105 Abs1 NRWO 1971 administrative Einsprüche an die Hauptwahlbehörde - iS eines Instanzenzugs nach §68 Abs1 VerfGG 1953 - vor, doch nur gegen die ziffernmäßigen Ermittlungen der Kreis- und Verbandswahlbehörden.
2.1.4.2. Zur Geltendmachung aller anderen (das sind sämtliche nicht ziffernmäßige Ermittlungen betreffenden) Rechtswidrigkeiten des Wahlverfahrens steht - weil insoweit ein zunächst zu durchlaufender Instanzenzug iS des §68 Abs1 VerfGG 1953 nicht eingerichtet ist - die unmittelbare Anfechtung der Wahl beim Verfassungsgerichtshof binnen vier Wochen nach Beendigung des Wahlverfahrens (erster Teilsatz des §68 Abs1 VerfGG 1953) offen (VfSlg. 9940/1984).
Vorliegend strebt die Anfechtungswerberin in ihrer Anfechtungsschrift nicht die - nach dem Gesagten dem Einspruchsverfahren nach §105 NRWO 1971 vorbehaltene - Nachprüfung ziffernmäßiger Ermittlungen einer Wahlbehörde an (s. Punkt 1.2.1.); sie rügt vielmehr sonstige Rechtswidrigkeiten des Wahlverfahrens, wofür die sofortige Wahlanfechtung nach Art141 Abs1 lita B-VG eingeräumt ist.
2.1.5. Maßgebender Zeitpunkt für den Beginn des Laufs der vierwöchigen Anfechtungsfrist ist die Beendigung des Wahlverfahrens (s. VfSlg. 9085/1981, 9940/1984), das ist hier bei der Wahl zum Nationalrat - sofern es nicht um die Anfechtung ziffernmäßiger Ermittlungen geht - die der jeweiligen Verbandswahlbehörde obliegende Kundmachung (Verlautbarung) des Ergebnisses des zweiten Ermittlungsverfahrens durch Anschlag an der Amtstafel jenes Amtes, dem der Vorsitzende der jeweiligen (Verbands-)Wahlbehörde angehört (§103 Abs4 NRWO 1971; VfSlg. 9940/1984).
Aus den vorgelegten Wahlakten ergibt sich, daß die Verbandswahlbehörde des Wahlkreisverbands I (für die Wahlkreise Burgenland, Niederösterreich und Wien) das (Wahl-)Ergebnis iS des §103 NRWO 1971 am 15. Oktober 1990 an der Amtstafel des Magistrats der Stadt Wien, die Verbandswahlbehörde des Wahlkreisverbands II (für die übrigen Bundesländer) am 16. Oktober 1990 an der Amtstafel des Amts der Steiermärkischen Landesregierung anschlagen ließ.
2.1.6. Die am 12. Oktober 1990 beim Verfassungsgerichtshof überreichte Wahlanfechtung ist daher rechtzeitig.
2.2. Die Anfechtung ist jedoch teils unbegründet, teils unzulässig:
2.2.1.1. Den Wahlakten, die dem Verfassungsgerichtshof vorgelegt wurden, läßt sich entnehmen, daß die anfechtende Wählergruppe Kreiswahlvorschläge zur Nationalratswahl 1990 in allen Wahlkreisen erstattet hat. Sie hat jedoch die Beiträge für die Kosten der Herstellung des amtlichen Stimmzettels (jeweils 6.000 S) nicht geleistet. Ihre Wahlvorschläge galten daher gemäß §46 Abs4 NRWO 1971 als nicht eingebracht.
Nach der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes ist es verfassungsrechtlich unbedenklich, wenn das Gesetz einen Beitrag zu den Kosten der Herstellung des amtlichen Stimmzettels vorschreibt. Ebenso ist eine Regelung des Inhalts unbedenklich, daß bei Nichterlag des Kostenbeitrages der Wahlvorschlag als nicht eingebracht gilt (VfSlg. 3611/1959, vgl. auch VfSlg. 6087/1969). Die Wahlbehörden behandelten daher die strittigen Wahlvorschläge zu Recht als nicht eingebracht.
2.2.1.2. Aus den Wahlakten geht weiters hervor, daß dem Wahlvorschlag der anfechtenden Wählergruppe im Wahlkreis 2 (Kärnten) die Unterstützungserklärung nur einer Person - anstatt der nach §45 Abs2 NRWO 1971 vorgeschriebenen 200 - angeschlossen war. Die Kreiswahlbehörde wies den Wahlvorschlag darum schon gemäß §49 Abs3 NRWO 1971 rechtsrichtig zurück (vgl. VfSlg. 11.256/1987).
2.2.1.3. Die Wahlanfechtung war daher insoweit als unbegründet abzuweisen.
2.2.2.1. Als Gruppierung, die nach dem bereits Gesagten zulässige Wahlvorschläge gar nicht eingebracht hatte und deshalb bei der Wahlwerbung selbst nicht wahlwerbend auftrat, ist die anfechtende Wählergruppe zu einer Wahlanfechtung auf Grund weiterer behaupteter Rechtswidrigkeiten kraft §67 Abs2 VerfGG 1953 nicht legitimiert, wie schon aus den Ausführungen zu Punkt 2.1.3. erhellt (vgl. VfGH 2.3.1989 WI-4/88).
2.2.2.2. In diesem Umfang war die Wahlanfechtung daher als unzulässig zurückzuweisen.
2.3. Dies konnte gemäß §19 Abs3 Z2 lite und Abs4 Z2 VerfGG 1953 ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen werden.
Schlagworte
VfGH / Formerfordernisse, VfGH / WahlanfechtungEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:1991:WI1.1991Dokumentnummer
JFT_10089390_91W00I01_00