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10/07 Verwaltungsgerichtshof;Norm
AVG §71 Abs1 Z1;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Griesmacher sowie die Hofräte DDr. Jakusch, Dr. Gruber, Dr. Pallitsch und Dr. Stöberl als Richter, im Beisein der Schriftführerin Kommissärin Mag. Paliege, über die Beschwerde der X-KG in R, vertreten durch Dr. H, Rechtsanwalt in L, gegen den Bescheid des Bundesministers für wirtschaftliche Angelegenheiten vom 1. April 1993, Zl. 314.603/1-III/3/93, betreffend Wiedereinsetzung in den vorigen Stand, zu Recht erkannt:
Spruch
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
Die Beschwerdeführerin hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von S 3.035,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit Bescheid vom 24. September 1992 schrieb der Landeshauptmann von Oberösterreich gemäß § 56 AVG sowie § 334 GewO 1973 der Beschwerdeführerin für die Transportgewerbebetriebsanlage weitere Auflagen gemäß § 79 Abs. 1 GewO 1973 vor. Dieser Bescheid wurde der Beschwerdeführerin am 30. September 1992 zugestellt.
Mit dem am 30. Oktober 1992 beim Amt der Oberösterreichischen Landesregierung eingelangten Schriftsatz beantragte die Beschwerdeführerin gemäß § 71 AVG die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Erhebung der Berufung gegen diesen Bescheid unter gleichzeitiger Nachholung des Rechtsmittels. Die Beschwerdeführerin brachte hiezu im wesentlichen vor, ihr Büroleiter W sei u.a. damit beauftragt, in seinen Kalender die jeweils anfallenden Fristen und Termine einzutragen und deren Einhaltung bzw. Berücksichtigung zu überwachen. Der persönlich haftende Gesellschafter der Beschwerdeführerin, Herr F, habe sich im Rahmen der von ihm auszuführenden Aufsichtstätigkeit wiederholt überzeugen können, daß der seit September 1976 bei der Beschwerdeführerin anfangs als Buchhalter, in der Folge wegen seiner Tüchtigkeit und Zuverlässigkeit als Büroleiter beschäftigte W den ihm erteilten Aufträgen immer ordnungsgemäß nachgekommen sei und Termine und Fristen immer ordnungsgemäß und richtig eingetragen habe. Am 15. Oktober 1992 sei die Kanzlei der gefertigten Anwälte beauftragt worden, gegen den eingangs zitierten Bescheid eine Berufung zu erheben; vom zuständigen Sachbearbeiter, welcher das Zustelldatum des Bescheides bei der Gewerbeabteilung beim Amt der Oberösterreichischen Landesregierung abgefragt habe, habe die Beschwerdeführerin noch am selben Tag erfahren, daß der Bescheid bereits am 30. September 1992 zugestellt worden sei. Nach Einsichtnahme in den Kalender des Büroleiters W sei festgestellt worden, daß von diesem das Ende der Berufungsfrist nicht für den 14. Oktober, sondern für den 13. November 1992 eingetragen worden sei. Herr W habe dies damit erklärt, daß er sich um ein Monat verblättert habe. W seien bisher keine derartigen Fehler unterlaufen, er sei vom persönlich haftenden Gesellschafter der Beschwerdeführerin wiederholt überprüft worden, sodaß sich das dargestellte Verhalten des ansonsten zuverlässigen Angestellten der Beschwerdeführerin als ein für sie unvorhergesehenes und zugleich unabwendbares Ereignis darstelle, durch das sie an der Einhaltung der Berufungsfrist verhindert gewesen sei.
Mit Bescheid vom 13. Jänner 1993 wies der Landeshauptmann von Oberösterreich den Antrag der Beschwerdeführerin auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß § 71 Abs. 1 lit. a AVG ab.
Mit Bescheid vom 1. April 1993 gab der Bundesminister für wirtschaftliche Angelegenheiten der dagegen erhobenen Berufung der Beschwerdeführerin gemäß § 66 Abs. 4 AVG im Grunde des § 71 Abs. 1 Z. 1 AVG keine Folge. Hiezu führte die belangte Behörde begründend aus, nach den Sachverhaltsangaben in dem dem angefochtenen Bescheid zugrundliegenden Wiedereinsetzungsantrag, insbesondere der "Zeugenauskunft" des befaßten Büroleiters des verantwortlichen Organs der Antragstellerin, habe dieser vom Komplementär der Beschwerdeführerin, F, am 30. September 1992 den erwähnten Bescheid mit der Mitteilung übergeben erhalten, daß gegen diesen Bescheid eine Berufung eingebracht werden müsse und daß er zu diesem Zwecke die Frist in seinen Kalender eintragen solle. Dieser Auftrag sei nicht der erste solcher Art gewesen, vielmehr habe er schon sehr häufig Fristen und Termine vorgemerkt und zu diesem Zwecke in seinen Kalender eingetragen. Diesbezüglich sei er von Herrn F wiederholt überprüft worden. Nach Empfang des oben angegebenen Bescheides habe W aus der Rechtsmittelbelehrung die zweiwöchige Berufungsfrist entnommen und das Ende derselben mit 14. Oktober 1992 errechnet. Bei der Eintragung dieser Frist in den Kalender habe er sich jedoch um einen Monat verblättert und den Ablauf der Berufungsfrist nicht im Oktober, sondern im November 1992 eingetragen. Nach Darstellung der maßgeblichen Gesetzeslage folgerte die belangte Behörde daraus, daß gemessen an der Definition des Begriffes "minderer Grad des Versehens" das Versehen des Büroleiters der Beschwerdeführerin (Verblättern im Kalender) sicherlich nicht als ein den minderen Grad übersteigendes Versehen anzusehen sei, zumal es sich um eine einmalige Fehlleistung gehandelt habe. Im vorliegenden Fall sei jedoch nicht vornehmlich auf das Fehlverhalten des Büroleiters, sondern darauf Bedacht zu nehmen, daß von Seiten des verantwortlichen Organes der Beschwerdeführerin dem Büroleiter nicht nur die technische Vormerkung des Endes der Berufungsfrist, "sondern auch das selbständige Ausrechnen derselben überlassen" worden sei. Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes sei in einer Rechtsanwaltskanzlei für die richtige Berechnung der jeweiligen Rechtsmittelfrist in einem bestimmten Fall stets der Anwalt und nicht etwa jener Kanzleiangestellte alleinverantwortlich, der den Termin weisungsgemäß in den Kalender eintrage. Der Anwalt selbst habe die entsprechende Frist festzusetzen, ihre Vormerkung anzuordnen sowie die richtige Eintragung im Rahmen der gebotenen Aufsichtspflicht zu überwachen (Hinweis auf das hg. Erkenntnis vom 16. September 1983, Slg. N.F. Nr. 10.140/A). Die Pflicht des verantwortlichen Organes einer juristischen Person sei im gegebenen Sach- und Rechtszusammenhang nicht anders zu bewerten als diejenige eines berufsmäßigen Parteienvertreters. Auch dieser hätte selbst das Ende der Berufungsfrist ausrechnen und dem Büroleiter ein genau bestimmtes Datum zur Vormerkung im Kalender nennen müssen. Im Unterschied zum tatsächlichen Gang der Ereignisse hätte hiemit - unter Berücksichtigung der allgemeinen Obliegenheit eines Gewerbetreibenden über die Rechtsvorschriften, die er bei Ausübung seines Gewerbes zu beachten habe (wozu auch Grundzüge des Verfahrensrechtes zählten), ausreichend orientiert zu sein (Hinweis auf das hg. Erkenntnis vom 30. November 1981, Zl. 81/17/0126, 0127, 0131) - erreicht werden können, daß sich das verantwortliche Organ der Beschwerdeführerin in besserer Orientierung über den tatsächlich zur Verfügung stehenden Berufungszeitraum befunden und wohl noch rechtzeitig die Konzipierung der Berufung begonnen bzw. veranlaßt hätte. Den Komplementär der Beschwerdeführerin treffe daher im gegenständlichen Falle ein Verschulden an der eingetretenen Fristversäumnis, welche - da die in Rede stehende Unterlassung offenbar nicht auf einem einmaligen Versehen beruhe, sondern ständig geübte Praxis darstelle - nicht mehr als lediglich leicht fahrlässig gewertet werden könne.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde.
Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift mit dem Antrag, die Beschwerde kostenpflichtig abzuweisen.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Die Beschwerdeführerin erachtet sich ihrem gesamten Vorbringen zufolge in dem Recht verletzt, gemäß § 71 AVG gegen die Versäumung einer Frist nicht die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand bewilligt erhalten zu haben. Sie bringt hiezu unter dem Gesichtspunkt einer Rechtswidrigkeit des Inhalts des angefochtenen Bescheides und einer Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften im wesentlichen vor, die Unterlassung der Ermittlung des Fristablaufes durch den Komplementär der Beschwerdeführerin habe keinen Einfluß auf die Versäumung der Berufungsfrist gehabt, da der Büroleiter W die Frist richtig berechnet und nur (mechanisch) falsch eingetragen habe. Die Erwägungen der belangten Behörde, bei Berechnung der Berufungsfrist durch das verantwortliche Organ der Beschwerdeführerin hätte dieses in besserer Orientierung über den tatsächlich zur Verfügung stehenden Berufungszeitraum noch rechtzeitig die Konzipierung der Berufung beginnen bzw. veranlassen können, stelle lediglich eine Vermutung dar, welche zur Feststellung eines Sachverhaltes und damit für eine Begründung eines Bescheides nicht ausreiche. Ebenso stellten die Ausführungen der belangten Behörde im bekämpften Bescheid, das festgestellte Ereignis beruhe "offenbar nicht auf einem einmaligen Versehen", bloß eine Vermutung dar. Es stelle keine einen minderen Grad des Versehens übersteigende Fahrlässigkeit dar, wenn der Komplementär den Ablauf von Rechtsmittelfristen regelmäßig durch einen Büroleiter ausrechnen lasse, sofern deren Dauer aus den Bescheiden ersichtlich sei und sofern der Komplementär seiner Aufsichtspflicht entspreche. Bereits im Wiedereinsetzungsantrag habe die Beschwerdeführerin vorgebracht, daß der Büroleiter W auch damit beauftragt gewesen sei, die Einhaltung bzw. Berücksichtigung der eingetragenen Fristen bzw. Termine zu überwachen, woraus sich ergebe, daß der Komplementär auch dafür Vorsorge getroffen habe, daß es mit der Eintragung von Fristen und Terminen nicht sein Bewenden habe. Die zum Beweise dafür angebotene Zeugeneinvernahme des W sei von der Behörde erster Instanz nicht durchgeführt worden. Dies habe die Beschwerdeführerin in ihrer Berufung als Verfahrensmangel gerügt; damit habe sich jedoch die belangte Behörde im angefochtenen Bescheid nicht auseinandergesetzt. Aufgrund der Rechtsansicht der belangten Behörde, den Komplementär der Beschwerdeführerin treffe eine Aufsichtspflicht, hätte diese daher das Vorbringen der Beschwerdeführerin, der Komplementär habe durch eine entsprechende Auftragserteilung dafür gesorgt, daß er rechtzeitig vor Ablauf von Fristen bzw. vor dem Eintritt von Terminen - so auch im gegenständlichen Fall - zu verständigen gewesen wäre, überprüfen müssen. Durch die ergänzende Beweisaufnahme hätte sich ergeben, daß der Komplementär der Beschwerdeführerin ganz konkret vor Ablauf von Fristen oder vor dem Eintritt von Terminen vom Büroleiter W in Kenntnis gesetzt hätte werden sollen. Der Auftrag, von Fristen und Terminen verständigt zu werden, sichere "deren Berücksichtigung jedenfalls besser, als die Selbstausrechnung in der Absicht, zu einer besseren Orientierung zu gelangen".
Der Beschwerde kommt keine Berechtigung zu.
Gemäß § 71 Abs. 1 AVG ist gegen die Versäumung einer Frist oder einer mündlichen Verhandlung auf Antrag der Partei, die durch die Versäumung einen Rechtsnachteil erleidet, die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen, wenn 1. die Partei glaubhaft macht, daß sie durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis verhindert war, die Frist einzuhalten oder zur Verhandlung zu erscheinen und sie kein Verschulden oder nur ein minderer Grad des Versehens trifft oder 2. die Partei die Berufungsfrist versäumt hat, weil der Bescheid fälschlich die Angabe enthält, daß keine Berufung zulässig sei.
Ein minderer Grad des Versehens liegt nicht vor, wenn der Wiedereinsetzungswerber oder sein Vertreter - dessen Verschulden an der Fristversäumung nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes dem Verschulden der Partei selbst gleichzuhalten ist - auffallend sorglos gehandelt hat. Dies wäre der Fall, wenn eine der genannten Personen die im Verkehr mit Gerichten bzw. Behörden für die Einhaltung von Terminen und Fristen erforderliche und nach den persönlichen Fähigkeiten ihr zumutbare Sorgfalt außer acht gelassen hätte. Irrtümer und Fehler der mit der Vormerkung und Überwachung von Terminen und Fristen betrauten Bediensteten von Wiedereinsetzungswerbern sind letzteren zuzurechnen und ermöglichen nur dann eine Wiedereinsetzung, wenn sie trotz der Einhaltung der zuzumutenden Sorgfaltspflicht bei der Kontrolle der Termin- und Fristenevidenz und trotz bisheriger objektiver Eignung und Bewährung der Bediensteten unterlaufen und eine durch die konkreten Umstände des Einzelfalles bedingte entschuldbare Fehlleistung gewesen sind (vgl. hiezu den hg. Beschluß vom 18. November 1992, Zl. 92/03/0104 m.w.N.).
Das Vorliegen von Wiedereinsetzungsgründen ist nur in jenem Rahmen von der Behörde zu untersuchen, der durch die Behauptungen des Wiedereinsetzungswerbers innerhalb der Wiedereinsetzungsfrist vorgegeben wird. Macht er als Wiedereinsetzungsgrund ein Versehen eines Bediensteten geltend, so hat er durch konkrete Behauptungen im Wiedereinsetzungsantrag nicht nur darzutun, worin das Versehen bestanden hat, sondern auch darzulegen, daß es zur Fehlleistung des Bediensteten gekommen ist, obwohl die dem Wiedereinsetzungswerber im Sinne der obigen Darlegungen obliegenden Aufsichtspflichten und Kontrollpflichten eingehalten wurden (vgl. das hg. Erkenntnis vom 29. Juni 1993, Zl. 93/08/0140).
Die Beschwerdeführerin brachte in ihrem an den Landeshauptmann von Oberösterreich gerichteten Wiedereinsetzungsantrag zwar vor, daß es zur Versäumung der Berufungsfrist im gegenständlichen Fall durch ein einmaliges Versehen ihres bisher zuverlässigen Büroleiters gekommen sei, unterließ jedoch substantiierte Behauptungen dahingehend, ob und wie sie ihn bei Durchführung der übertragenen Aufgaben kontrollierte.
Schon ausgehend davon vermag der Verwaltungsgerichtshof weder eine rechtsirrige Gesetzesanwendung durch die belangte Behörde noch auch einen ihr etwa unterlaufenen entscheidungserheblichen Verfahrensmangel zu erkennen.
Die Beschwerde erweist sich somit als unbegründet und war daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG abzuweisen.
Die Entscheidung über den Aufwandersatz stützt sich auf die §§ 47 ff in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 104/1991.
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1993:1993040123.X00Im RIS seit
20.11.2000