TE Vfgh Erkenntnis 1991/6/27 G158/91, G159/91, G160/91, G161/91, G162/91

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Veröffentlicht am 27.06.1991
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Index

30 Finanzverfassung, Finanzausgleich
30/02 Finanzausgleich

Norm

B-VG Art7 Abs1 / Gesetz
B-VG Art140 Abs1 / Allg
B-VG Art140 Abs1 / Präjudizialität
B-VG Art140 Abs1 / Prüfungsgegenstand
B-VG Art140 Abs7 zweiter Satz
GebietsänderungsG
F-VG 1948 §4
F-VG 1948 §12 Abs1
FAG 1985 §8
FAG 1985 §8 Abs3 vorletzter Satz idF der Nov 1986
FAG 1989 §8 Abs3 vorletzter Satz
FAG 1985 §21
FAG 1989 §21

Leitsatz

Gleichheitswidrigkeit der finanzausgleichsrechtlichen Begünstigung der "Wiener Randgemeinden" bei Verteilung der Ertragsanteile an gemeinschaftlichen Bundesabgaben seit dem FAG 1989; keine sachliche Rechtfertigung der Unterscheidung zwischen den ehemals zu Wien gehörenden Gemeinden und anderen Gemeinden in ähnlicher geographischer Lage; Notwendigkeit der Beseitigung bzw des schrittweisen Abbaus der privilegierenden Verteilungsregelung durch den Gesetzgeber ab dem FAG 1989 im Hinblick auf die vorangegangenen Finanzausgleichsverhandlungen; keine Gleichheitswidrigkeit der analogen Regelung im FAG 1985 angesichts mangelnder Vorberatungen und damit entsprechender Finanzplanung der betroffenen Gemeinden; Nichterreichung des Ziels der Herbeiführung eines bundesweiten Ausgleichs zwischen den den Gemeinden zustehenden Finanzmitteln durch Gewährung der als Schlüsselzuweisungen zu wertenden Finanzzuweisungen gemäß §21 FAG 1985 und FAG 1989 auf Grund der länderweisen Vorverteilung nach der Volkszahl; keine Aufhebung des §21 FAG 1985 und FAG 1989, andernfalls Störung des Gesamtsystems des Finanzausgleichs und damit Widerspruch zu §4 F-VG 1948

Spruch

1.a) §8 Abs3 vorletzter Satz des Finanzausgleichsgesetzes 1989 (FAG 1989), BGBl. Nr. 687/1988, wird als verfassungswidrig aufgehoben.

Diese Gesetzesbestimmung ist nicht mehr anzuwenden.

Frühere gesetzliche Bestimmungen treten nicht wieder in Wirksamkeit.

Der Bundeskanzler ist verpflichtet, diese Aussprüche unverzüglich im Bundesgesetzblatt kundzumachen.

b) §8 Abs3 vorletzter Satz des Finanzausgleichsgesetzes 1985 (FAG 1985), BGBl. Nr. 544/1984 in der Fassung der Novelle BGBl. Nr. 384/1986, war nicht verfassungswidrig.

2.a) §21 FAG 1989 wird nicht als verfassungswidrig aufgehoben.

b) §21 FAG 1985 war nicht verfassungswidrig.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1.a) Beim Verfassungsgerichtshof sind zu A7/90, A640/90, A641/90, A1163/90 und A2158/90 Verfahren über (auf Art137 B-VG gestützte) Klagen von Gebietskörperschaften anhängig, mit denen jeweils gegen eine oder mehrere andere Gebietskörperschaft(en) bestimmte vermögensrechtliche Ansprüche geltend gemacht werden. Die Forderungen werden ausschließlich damit begründet, daß in den Klagen näher bezeichnete finanzausgleichsrechtliche Bestimmungen (nämlich in allen Klagen (u.a.) §8 Abs3 vorletzter Satz FAG 1985 und FAG 1989, in den zu A641/90 und A1163/90 erhobenen Klagen darüber hinaus §21 FAG 1985 und FAG 1989) verfassungswidrig seien. Eine verfassungskonforme Regelung hätte zur Folge, daß ein Teil der Gemeinden aus dem Finanzausgleich zu wenig erhalten habe - diese Gemeinden stellen daher Nachforderungsansprüche -, und daß ein anderer Teil der Gemeinden zu viel bekommen habe - was zu Rückforderungsansprüchen führt.

b) Der Verfassungsgerichtshof hat am 13. März 1991 beschlossen, aus näher dargelegten Gründen (s.u. II.A.3. und II.B.3.) gemäß Art140 Abs1 B-VG von Amts wegen folgende Gesetzesprüfungsverfahren einzuleiten:

aa) Aus Anlaß der zu A7/90, A640/90 und A2158/90 erhobenen Klagen Verfahren zur Prüfung der Verfassungsmäßigkeit des §8 Abs3 vorletzter Satz des Finanzausgleichsgesetzes 1985 (FAG 1985), BGBl. 544/1984 in der Fassung der Novelle BGBl. 384/1986, sowie des §8 Abs3 vorletzter Satz des Finanzausgleichsgesetzes 1989 (FAG 1989), BGBl. 687/1988, sowie

bb) aus Anlaß der zu A641/90 und A1163/90 erhobenen Klagen Verfahren zur Prüfung der Verfassungsmäßigkeit des §8 Abs3 vorletzter Satz FAG 1985 idF der Novelle 1986 und des §21 FAG 1985 sowie des §8 Abs3 vorletzter Satz und des §21 FAG 1989.

2.a) Im Gesetzesprüfungsverfahren erstattete die Bundesregierung eine Äußerung. Sie beantragt, §8 Abs3 vorletzter Satz und §21 FAG 1989 nicht als verfassungswidrig aufzuheben, sowie auszusprechen, daß §8 Abs3 vorletzter Satz FAG 1985 idF der Novelle 1986 und §21 FAG 1985 nicht verfassungswidrig waren (s.u. II.A.3. und II.B.3.b.). Sie regt für den Fall, daß der Verfassungsgerichtshof anders entscheiden sollte, an, von Art140 Abs7 zweiter Satz (zweiter Halbsatz) B-VG Gebrauch zu machen.

Ferner gaben im Gesetzesprüfungsverfahren zwei Beteiligte (nämlich Parteien in den Anlaß-Klageverfahren A1163/90 und A2158/90), und zwar die Gemeinden Andau und Eisenstadt, Äußerungen ab. Sie unterstrichen die vom Verfassungsgerichtshof geäußerten Bedenken.

b) Wegen der möglichen besonderen Bedeutung, die das Ergebnis dieses Gesetzesprüfungsverfahrens auch für die anderen Gebietskörperschaften haben kann, wurden sämtliche Landesregierungen sowie der Österreichische Städtebund und der Österreichische Gemeindebund eingeladen, Stellungnahmen abzugeben. Hievon machten die Kärntner, Niederösterreichische, Salzburger, Tiroler, Vorarlberger und Wiener Landesregierung sowie der Österreichische Städtebund Gebrauch.

Die Kärntner, Salzburger, Tiroler und Vorarlberger Landesregierung erachten §8 Abs3 vorletzter Satz FAG 1985 und 1989 als verfassungswidrig. Die Niederösterreichische Landesregierung tritt den Bedenken des Verfassungsgerichtshofes entgegen. Die Wiener Landesregierung meint, die im FAG 1985 enthaltene Regelung sei verfassungsrechtlich unbedenklich. (Näheres s.u. II.A.3.).

Die Niederösterreichische Landesregierung gab zu §21 FAG 1985 und 1989 keine Äußerung ab. Die Kärntner Landesregierung hält zwar die länderweise Vorverteilung als solche für verfassungskonform; sie wendet sich aber gegen die länderweise Vorverteilung nach der Volkszahl. Die übrigen Landesregierungen treten dafür ein, §21 FAG 1985 und 1989 nicht als verfassungswidrig zu erkennen.

Der Österreichische Städtebund verteidigt die Verfassungsmäßigkeit des §21 FAG und betont, daß er sich in Ansehung des §8 Abs3 vorletzter Satz FAG 1985 idF der Novelle 1986 pakttreu verhalten wolle.

II. Der Verfassungsgerichtshof hat erwogen:

A. Zu §8 Abs3 vorletzter Satz FAG 1985 (idF der Novelle 1986) und §8 Abs3 vorletzter Satz FAG 1989

1. Zur Rechtslage

a) Alle klagenden Gebietskörperschaften stützen die Klagebegehren darauf, daß für jeweils näher bezeichnete Zeiträume ab 1985 die Ertragsanteile an den meisten gemeinschaftlichen Bundesabgaben nach einem Schlüssel verteilt würden, der verfassungswidrig sei.

U.a. bringen sie Bedenken ob der Verfassungsmäßigkeit der für die sogenannten "Wiener Randgemeinden" geltenden besonderen Verteilungsregel vor.

b) Durch das Gebietsänderungsgesetz, BGBl. 110/1954, wurden Gebiete, die 1938 der Stadt Wien einverleibt worden waren, als eigene Gemeinden an das Land Niederösterreich rückgegliedert. Mit der 2. Finanzausgleichsgesetznovelle 1954, BGBl. 150, wurde für diese Gemeinden (im folgenden kurz: "Wiener Randgemeinden") eine finanzausgleichsrechtliche Begünstigung eingeführt: Ihnen gebührte bei Bildung des (für die Verteilung der Ertragsanteile an den gemeinschaftlichen Bundesabgaben maßgebenden) abgestuften Bevölkerungsschlüssels der höchste, nämlich der für Gemeinden mit über 50.000 Einwohnern sowie für die Stadt Wien geltende Vervielfältiger (2 1/3), anstatt des sich aufgrund ihrer Einwohnerzahl sonst ergebenden Vervielfältigers von 1 1/6 bis 2. In der Finanzausgleichsgesetznovelle 1955, BGBl. 9, wurde normiert, daß für die Wiener Randgemeinden in jedem Falle der für die Stadt Wien geltende Vervielfältiger anzuwenden ist. Diese Begünstigung wurde in den folgenden Finanzausgleichsgesetzen beibehalten.

c) Diese Sonderregelung enthielt für die Jahre 1985 bis 1988 §8 Abs3 vorletzter Satz des FAG 1985. Zwar wurde der gesamte §8 des FAG 1985 in der Stammfassung (BGBl. 544/1984) mit Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 16. Oktober 1985, G44/85 u.a. Zlen. (= VfSlg. 10.633/1985), mit Wirksamkeit vom 30. September 1986 als verfassungswidrig aufgehoben. Mit der FAG-Nov. BGBl. 384/1986 wurde jedoch §8 mit demselben Wortlaut wieder erlassen. Der Begründung der seinerzeitigen Aufhebung des §8 trug der Gesetzgeber durch Einfügen eines §20 Abs4 Rechnung. (Näheres siehe VfGH vom 16.3.1988, A24/87, S. 4 f.). Die FAG-Nov. BGBl. 607/1987 ließ §8 Abs3 vorletzter Satz unberührt.

Für die Jahre 1989 bis 1992 ist die erwähnte, die Wiener Randgemeinden begünstigende Regelung im §8 Abs3 vorletzter Satz FAG 1989, BGBl. 687/1988, enthalten. Diese Bestimmung wurde durch die Novellen BGBl. 463/1990 und 69/1991 nicht geändert.

d) Dem §8 Abs1 FAG 1985 und 1989 zufolge werden die Erträge der meisten gemeinschaftlichen Bundesabgaben zwischen dem Bund, den Ländern (als Gesamtheit) und den Gemeinden (als Gesamtheit) nach einem bestimmten Hundertsatzverhältnis geteilt.

Der folgende Abs2 legt die Schlüssel fest, nach denen die gemäß Abs1 auf die Länder und die Gemeinden entfallenden Teile der Erträge auf die einzelnen Länder und länderweise auf die Gemeinden aufgeteilt werden. Vielfach erfolgt die Aufteilung auf die Länder nach der Volkszahl und auf die Gemeinden nach dem abgestuften Bevölkerungsschlüssel.

Näheres über die Volkszahl und den abgestuften Bevölkerungsschlüssel bestimmen §8 Abs3 FAG 1985 und - völlig gleichlautend - §8 Abs3 FAG 1989 (der in Prüfung gezogene vorletzte Satz ist hervorgehoben):

"(3) Die Volkszahl bestimmt sich nach dem vom Österreichischen Statistischen Zentralamt auf Grund der letzten Volkszählung festgestellten Ergebnis. Dieses Ergebnis wirkt mit dem Beginn des dem Stichtag der Volkszählung nächstfolgenden Kalenderjahres. Der abgestufte Bevölkerungsschlüssel wird folgendermaßen gebildet:

Die ermittelte Volkszahl der Gemeinden wird bei Gemeinden mit höchstens

10 000 Einwohnern mit ...........................1 1/3,

bei Gemeinden mit 10 001 bis 20 000

Einwohnern mit ..................................1 2/3,

bei Gemeinden mit 20 001 bis 50 000

Einwohnern und bei Städten mit eigenem Statut

mit höchstens 50 000 Einwohnern mit .............2

und bei Gemeinden mit über 50 000

Einwohnern und der Stadt Wien mit ...............2 1/3

vervielfacht. Für die Gemeinden, die auf Grund des Gebietsänderungsgesetzes, BGBl. Nr. 110/1954, an das Bundesland Niederösterreich rückgegliedert worden sind, ist in jedem Fall der für die Stadt Wien geltende Vervielfältiger anzuwenden. Die länderweise Zusammenzählung der so ermittelten Gemeindezahlen ergibt die abgestuften Bevölkerungszahlen der Länder."

2. Zur Zulässigkeit

a) Der Verfassungsgerichtshof wird über die Klagen, die Anlaß zur Einleitung dieser Gesetzesprüfungsverfahren sind, in der Sache zu entscheiden haben; dies unabhängig davon, welche Gebietskörperschaft(en) jeweils passiv klagslegitimiert ist (sind).

b) Wie der Verfassungsgerichtshof im Erkenntnis VfSlg. 9280/1981, Pkt. II.A.2., dargetan hat, können die einzelnen Gemeinden bei Realisierung ihres Rechtsanspruches auf Überweisung der ihnen an den gemeinschaftlichen Bundesabgaben gebührenden Ertragsanteile gegenüber dem Land auch behauptete Rechtswidrigkeiten geltend machen, die ihre Grundlage in den dem Bund obliegenden Teilungsvorgängen der vorangegangenen Phasen haben. Überhaupt ist es zulässig, finanzausgleichsrechtliche Forderungen einer Gebietskörperschaft gegen die andere (etwa auf Bezahlung höherer als der bisher überwiesenen Ertragsanteile, oder auf Rückzahlung zu viel überwiesener Ertragsanteile) mit Klage beim Verfassungsgerichtshof darauf zu stützen, daß das die Teilungsvorgänge zwischen den Gebietskörperschaften regelnde Gesetz verfassungswidrig sei - gleichgültig, ob ein Organ der beklagten Gebietskörperschaft oder jenes einer anderen das Gesetz zu verantworten hat.

c) Um zu beurteilen, ob den klagenden Gebietskörperschaften die von ihnen behaupteten vermögensrechtlichen Ansprüche gebühren, hätte der Verfassungsgerichtshof u.a. jeweils §8 Abs3 vorletzter Satz FAG 1985 idF der Novelle 1986 und FAG 1989 anzuwenden. Der Verfassungsgerichtshof hat daher - wie schon ausgeführt - beschlossen, die Verfassungsmäßigkeit dieser Bestimmungen (die von den übrigen Bestimmungen des §8 FAG 1985 idF der Novelle 1986 und des §8 FAG 1989 trennbar sind) in Prüfung zu ziehen.

d) aa) §8 FAG 1985 (in der Stammfassung) wurde bereits einmal vom Verfassungsgerichtshof (mit Erkenntnis VfSlg. 10.633/1985) aufgehoben und kann daher nicht nochmals geprüft werden. Damit ist aber für die beklagten Parteien nichts zu gewinnen. Rechtsgrundlage für die Ansprüche der Gemeinden auf Ertragsanteile an den gemeinschaftlichen Bundesabgaben für die Jahre 1985 bis 1988 ist nämlich nun §8 FAG 1985 nicht mehr in der Stammfassung, sondern in jener der FAG-Novellen 1986 und 1987. Obschon ArtIII Abs1 der FAG-Novelle 1986 besagt, daß (mit Ausnahme einer hier nicht maßgebenden Novellen-Bestimmung) die Vorschriften der Novelle mit 1. Oktober 1986 in Kraft treten, ist das Gesetz derart auszulegen, daß die darin geregelten Ansprüche zwar erst ab dem 1. Oktober 1986 geltend gemacht werden können, daß sie aber auch für frühere Zeiträume zustehen (vgl. VfSlg. 11.663/1988, S 336 f.).

bb) Die Bundesregierung bringt in ihrer Äußerung dagegen vor, daß §8 FAG 1985 idF der Novelle 1986 angesichts des §20 Abs4 FAG 1985 nun nicht mehr als Sitz einer Verfassungswidrigkeit, wie sie der Verfassungsgerichtshof im zitierten Erkenntnis (gemeint ist offenbar das Erkenntnis VfSlg. 10.633/1985, mit dem §8 FAG 1985 id Stammfassung als verfassungswidrig aufgehoben wurde) erkannt hat, anzusehen sei; der vom Verfassungsgerichtshof im Erkenntnis VfSlg. 11.663/1988 zu §20 Abs4 FAG 1985 entwickelte Grundsatz sei daher nicht auf §8 FAG 1985 idF der Novelle 1986 übertragbar. Der Verfassungsgerichtshof habe bei der Aufhebung von §8 FAG 1985 in der Stammfassung (VfSlg. 10.633/1985) keine Erweiterung der Anwendung dieser Aufhebung über den Anlaßfall hinaus gemäß Art140 Abs7 zweiter Satz B-VG (also mit Rückwirkung) ausgesprochen. Für die in der Zeit vor der FAG-Novelle 1986 vom Bund bzw. von den Ländern geleisteten Zahlungen von Gemeindeertragsanteilen an die Gemeinden aus den Abgabenerträgen aus gemeinschaftlichen Bundesabgaben sei §8 FAG 1985 in der Stammfassung die Grundlage gewesen und bleibe das nach wie vor. Durch die erwähnte (wenngleich auf anderen Überlegungen als jenen, die den nunmehr geltend gemachten Bedenken zugrundeliegen, beruhende) Aufhebung sei §8 FAG 1985 verfassungsrechtlich unangreifbar geworden (VfSlg. 9321/1982 und 11.874/1988). Im Lichte des Art140 Abs7 B-VG scheine eine Auslegung, daß §8 FAG 1985 idF der Novelle 1986 auch auf vor dem 1. Oktober 1986 (und nach dem 1. Jänner 1948) verwirklichte Tatbestände angewendet werden müsse, nicht zulässig.

Diese Argumentation überzeugt nicht: Nach der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (vgl. in diesem Sinne VfSlg. 9735/1983 sowie VfGH vom 26.2.1991, G85/91) kann zwar ein bereits aufgehobenes oder als verfassungswidrig festgestelltes Gesetz nicht neuerlich Gegenstand eines entsprechenden Aufhebungs- oder Feststellungsbegehrens sein. Geprüft wird hier aber nicht das seinerzeit aufgehobene Gesetz (§8 FAG 1985 id Stammfassung), sondern ein anderes, wenngleich inhaltlich gleiches Gesetz (ein Teil des §8 FAG 1985 idF der Novelle 1986). Es kommt also nicht darauf an, welche Bestimmung seinerzeit der Sitz einer bestimmten Verfassungswidrigkeit war, sondern darauf, welche Norm der Rechtsgrund für die nunmehr geltend gemachten Forderungen ist, ob nämlich eine schon einmal vom Verfassungsgerichtshof aufgehobene oder eine andere Gesetzesbestimmung. Und das ist nun eben nicht mehr §8 FAG 1985 id Stammfassung, sondern §8 FAG 1985 idF der Novelle 1986.

e) Da alle Prozeßvoraussetzungen vorliegen, sind die Gesetzesprüfungsverfahren zulässig.

3. Zur Sache selbst

Gegen §8 Abs3 vorletzter Satz des FAG 1985 idF der Novelle 1986 und des FAG 1989 hegte der Verfassungsgerichtshof das Bedenken, daß diese Vorschrift die Wiener Randgemeinden unsachlich privilegiert und damit die anderen Gemeinden diskriminiert.

Die Bundesregierung trägt in ihrer Äußerung zur Entkräftung dieser Bedenken nichts vor. Sie vertritt jedoch die Ansicht, die erwähnten Gesetzesbestimmungen seien verfassungsrechtlich unangreifbar; diese Ansicht wurde oben (II.A.2.d.bb.) widerlegt.

Die Niederösterreichische Landesregierung verteidigt die Verfassungsmäßigkeit dieser Vorschriften (s. die folgende litb.aa.).

Die übrigen stellungnehmenden Landesregierungen teilen die Bedenken des Verfassungsgerichtshofes.

Lediglich die Wiener Landesregierung meint, §8 Abs3 vorletzter Satz FAG 1985 sei verfassungsrechtlich unbedenklich (s. die folgende litc.aa.).

Die gegen §8 Abs3 vorletzter Satz FAG 1985 im Einleitungsbeschluß geäußerten Bedenken haben sich als unzutreffend herausgestellt. Die gegen die gleiche Bestimmung des FAG 1989 dargelegten Bedenken treffen hingegen zu:

a) Der Verfassungsgerichtshof hatte in dem in einem Gesetzesprüfungsverfahren ergangenen Erkenntnis vom 12. Oktober 1990, G66/90, die Frage der Verfassungsmäßigkeit des abgestuften Bevölkerungsschlüssels im allgemeinen zu beurteilen.

Zur Vereinbarkeit finanzausgleichsrechtlicher Regelungen mit dem Gleichheitsgrundsatz wird in diesem Erkenntnis in prinzipieller Hinsicht ausgeführt:

"a) . . .

Ein - den Art7 B-VG und den §4 F-VG 1948 verletzender - Fehler des Gesetzgebers liegt im gegebenen Zusammenhang demnach nur dann vor, wenn einzelne (nicht das Gesamtsystem berührende) Bestimmungen zueinander in sachlich nicht rechtfertigbarem Widerspruch stehen (wie etwa bei Benachteiligung zweier Städte mit eigenem Statut ohne Bundespolizeibehörden - VfSlg. 10.633/1985), oder aber wenn die Partner der Finanzausgleichsverhandlungen von völlig verfehlten Prämissen ausgingen oder die artikulierte Interessenlage eines Partners geradezu willkürlich ignoriert oder mißachtet wurde.

b) Die 'Paktierung' des Finanzausgleiches für einen bestimmten künftigen Zeitraum hat sohin zur Folge, daß eine einseitige Änderung während der Laufzeit nicht bloß der politischen Fairness widersprechen kann, sondern auch das eine Einheit bildende Gesamtsystem des Finanzausgleiches schwerwiegend gestört wird und damit der geänderte Finanzausgleich in Widerspruch zu §4 F-VG 1948 gerät.

Die Finanzausgleichsgesetze haben von den tatsächlichen Gegebenheiten zum Zeitpunkt ihrer Erlassung auszugehen. Da sich in der Folge diese Tatsachen häufig in wesentlicher Hinsicht ändern, werden die Finanzausgleichsgesetze sinnvollerweise jeweils (eher kurz) befristet. Treten während des zeitlichen Geltungsbereiches des jeweiligen Finanzausgleichsgesetzes derartige Änderungen ein, so muß diesen beim nächsten Finanzausgleich Rechnung getragen werden. Allerdings werden die gebotenen Anpassungen vielfach nur allmählich mit entsprechenden Übergangsvorschriften zu erfolgen haben, sollen sie nicht ihrerseits mit den wiederholt erwähnten verfassungsrechtlichen Geboten in Widerspruch geraten.

Kommt eine Änderung des Finanzausgleiches überraschend und ist sie einschneidend, so kann sie für eine (Gruppe von) Gebietskörperschaft(en) mit einem derart gravierenden finanziellen Verlust verbunden sein, daß die Neuregelung ihrerseits dem Gebot des §4 F-VG widerspricht. Beispielsweise gehen etwa Zuweisungsbeträge, die eine Gemeinde (oder die eine Gruppe von Gemeinden) durch eine Änderung des Finanzausgleichsgesetzes gewinnt, den anderen Gemeinden oder aber dem Bund oder den Ländern verloren; so bewirkt eine Änderung des abgestuften Bevölkerungsschlüssels für eine Gruppe von Gemeinden (große) Vorteile, für die andere aber (große) Nachteile. Jede Änderung des Finanzausgleiches bringt demnach - ist sie gravierend - für jene Gebietskörperschaften, zu deren Nachteil sie geht, bedeutende finanzielle Schwierigkeiten mit sich, die den nach §4 F-VG 1948 anzustrebenden Ausgleich zwischen Einnahmen und Ausgaben empfindlich stören.

Ist eine bestimmte finanzausgleichsrechtliche Regelung nicht (mehr) sachgerecht, so kann in der Regel nur eine schrittweise Änderung eine dem §4 F-VG 1948 entsprechende Lösung bieten, weil die finanzielle Gebarung der Gemeinden und auch der anderen Gebietskörperschaften zumindest mittelfristig auf ein bestimmtes erwartetes Aufkommen abgestimmt ist (vgl. zur Frage eines schrittweisen Abbaus bestehender Rechte die - wenngleich andere Rechtsgebiete betreffenden - Erkenntnisse VfSlg. 8871/1980; VfGH 3.10.1988 B887/85; vgl. auch SMEKAL/THEURL (Hg.), Finanzkraft und Finanzbedarf von Gebietskörperschaften, Wien 1990, 241).

c) Die mündliche Verhandlung vor dem Verfassungsgerichtshof hat bestätigt, daß zumindest ab 1979 der Beschlußfassung über die jeweiligen Finanzausgleichsgesetze stets intensive Beratungen vorangingen. An diesen Beratungen nahmen Vertreter aller Gebietskörperschaften teil. Als Sprecher der Gemeinden traten der Österreichische Gemeindebund und der Österreichische Städtebund auf. Hiebei wurden auch jene Themen behandelt, die dann ua. in den zur Aufhebung beantragten Gesetzesbestimmungen des FAG 1989 ihren Niederschlag fanden. Als in das Gesamtsystem des Finanzausgleiches ab dem Jahr 1979 eingebettete Regelungen fanden auch diese Vorschriften letztendlich die Zustimmung aller Partner der Finanzausgleichsverhandlungen.

d) Zusammenfassend ist festzuhalten, daß das FAG 1989 aufgrund der vorstehenden grundsätzlichen Erwägungen (lita und b) unter den geschilderten Umständen (litc) in folgenden Fällen mit einem in die Verfassungssphäre reichenden Fehler behaftet wäre: Die Partner der Finanzausgleichsverhandlungen (und ihnen folgend der Gesetzgeber) sind von völlig unrichtigen faktischen Gegebenheiten ausgegangen; es wurden offenkundig extrem verfehlte Mittel zur Erzielung eines sachgerechten Finanzausgleiches eingesetzt; einzelne Gebietskörperschaften wurden gezielt benachteiligt oder bevorzugt; die notwendigen Anpassungen an die geänderten tatsächlichen Verhältnisse wurden - auch unter Beachtung des Zeithorizontes - nicht vorgenommen oder in die Wege geleitet."

Auf diesen grundsätzlichen Erwägungen aufbauend kam der Verfassungsgerichtshof im zitierten Erkenntnis zum Ergebnis, daß die von der antragstellenden Niederösterreichischen Landesregierung ob der Verfassungsmäßigkeit der den abgestuften Bevölkerungsschlüssel betreffenden Vorschriften des §8 FAG 1989 vorgebrachten Bedenken nicht zutreffen:

#

". . . Die von der Wissenschaft aus den empirischen Feststellungen gezogenen Schlußfolgerungen ergeben also auf diesem Gebiet" (nämlich der Frage, ob die den Gemeinden erwachsenden Kosten mit steigender Bevölkerungszahl überproportional anwachsen) "kein einheitliches und eindeutiges Bild. Da ferner der Finanzbedarf der Gemeinden weitgehend von regionalen oder überregionalen politischen Willensbildungsprozessen abhängt, und da schließlich der Finanzausgleich ein Gesamtsystem bildet, dessen Elemente im Prinzip nicht einzeln betrachtet werden können, erweisen sich ... unter den geschilderten, für die Beurteilung des FAG 1989 bedeutsamen Gegebenheiten die im Gesetzesprüfungsantrag vorgebrachten Bedenken ob der Verfassungsmäßigkeit des abgestuften Bevölkerungsschlüssels (nämlich hinsichtlich der mangelnden Sachgerechtigkeit im allgemeinen sowie der Größenklassen und des gewählten Mulitplikators im besonderen) als unzutreffend. . . .".

b) Da die im seinerzeitigen Gesetzesprüfungsverfahren antragstellende Niederösterreichische Landesregierung die Frage der Verfassungsmäßigkeit des für die Wiener Randgemeinden geltenden, besonderen Verteilungsschlüssels nicht angeschnitten hatte, durfte sich der Verfassungsgerichtshof im soeben zitierten Erkenntnis mit diesem Problem nicht befassen.

Ausgehend von der in diesem Erkenntnis entwickelten Rechtsansicht erweist sich die diesen besonderen Verteilungsschlüssel enthaltende Regelung des §8 Abs3 vorletzter Satz FAG 1989 als nicht verfassungskonform; sie widerspricht dem Gleichheitsgrundsatz (Art7 B-VG, §4 F-VG 1948), weil die darin vorgesehene Begünstigung der Wiener Randgemeinden sachlich nicht gerechtfertigt werden kann. Hingegen ist die gleiche, im §8 FAG 1985 enthaltene Bestimmung nicht mit den im Einleitungsbeschluß aufgezeigten Bedenken belastet:

aa) Die Erläuternden Bemerkungen zur, die (diese Begünstigung erstmals enthaltenden) 2. FAG-Novelle 1954 betreffenden Regierungsvorlage (354 BlgNR, 7. GP) besagen zum Randgemeindeschlüssel lediglich, daß diese Regelung den an Niederösterreich gefallenen Gemeinden "den Übergang ... in die neuen Verhältnisse erleichtern soll" (nahezu gleichlautend:

399 BlgNR, 7. GP, betreffend die Regierungsvorlage zur FAG-Novelle 1955).

Diese Übergangsphase ist aber jedenfalls nach mehr als 30 Jahren vorüber. Der Verfassungsgerichtshof erkennt keinen Grund dafür, weshalb diese Begünstigung auf Dauer dem Gleichheitsgrundsatz entsprechen sollte.

Die Niederösterreichische Landesregierung verteidigt die Verfassungsmäßigkeit der in Prüfung gezogenen gesetzlichen Bestimmungen zunächst wie folgt:

"Es kann zwar nicht bestritten werden, daß es gute Gründe für die Annahme gibt, wonach sich die Phase des Übergangs nach der Wiedereingliederung der Randgemeinden in Niederösterreich ihrem Ende nähere. Gerade in den letzten 10 Jahren haben sich für die Wiener Randgemeinden aber völlig neue Belastungen ergeben, die bei der Paktierung des Finanzausgleiches berücksichtigt werden mußten und auch tatsächlich berücksichtigt worden sind. Im Vordergrund stand und steht nicht mehr nur der Nachholbedarf der von der begünstigenden Regelung des §8 Abs3 vorletzter Satz FAG 1985 und 1989 bevorzugten Gemeinden, sondern die finanzielle Sicherung der laufenden und auf diese Gemeinden zukommenden künftigen besonderen Aufgaben. Der ursprüngliche Gedanke, den Übergang in die geänderten Verhältnisse für die Randgemeinden Wiens zu erleichtern, hat sich zum Teil gewandelt. Daß die Nähe der in Rede stehenden Gemeinden zur Stadt Wien keine finanziellen Vorteile gebracht hat und bringt, ergibt sich schon aus dem extrem hohen Anteil von Zweitwohnungsbesitzern mit bis zu 30 % und den daraus resultierenden Belastungen; insbesondere etwa durch die Notwendigkeit der Schaffung von Parkplätzen, Park- und Rideanlagen, Radwegen, die überproportionale Zunahme der Bautätigkeit, mit der Notwendigkeit der Errichtung von Schulen, Kindergärten, Heimen und der Schaffung der entsprechenden Infrastruktur.

Im übrigen sind die Wiener Randgemeinden - obwohl im Genuß der Regelung des §8 Abs3 FAG 1985 und 1989 - nicht überdurchschnittlich finanzstark. Die Gemeindeeinnahmen aus dem Ausflugsverkehr und dem Betrieb von Supermärkten spiegeln sich vor allem in den Erträgen aus den ausschließlichen Gemeindeabgaben, wie z. B. Fremdenverkehrsabgaben, Gewerbe- und Lohnsummensteuer sowie Getränke- und Speiseeisabgaben wieder. Vergleicht man z.B. die größte Wiener Randgemeinde, die Stadtgemeinde Klosterneuburg mit der finanzstärksten Gemeinde Österreichs - der Gemeinde Lech in Vorarlberg -, so ergibt sich, daß die Gesamterträge aus ausschließlichen Gemeindeabgaben im Jahr 1988 ungefähr gleich groß gewesen sind. Dabei hat Klosterneuburg (22.975 Einwohner) eine um 18x größere Einwohnerzahl als Lech (1.270 Einwohner). Dieses Beispiel macht deutlich, daß die Gemeindeeinnahmen aus dem Ausflugsverkehr und aus dem Betrieb von Supermärkten nicht jene Bedeutung besitzen können, die ihnen landläufig beigemessen wird, ganz abgesehen davon, daß nicht in allen Randgemeinden Supermärkte oder Ausflugsverkehr anzutreffen sind.

Nach Meinung der NÖ Landesregierung gibt es in Österreich keine Situation, die mit der Situation der Wiener Randgemeinden zu vergleichen wäre: Kein anderer Ballungsraum in Österreich - auch nicht Ballungsräume im Umkreis von anderen Landeshauptstädten - weist eine solche Dichte auf, wie sie bei Wien und den umliegenden Randgemeinden gegeben ist. Es handelt sich bei diesem Raum um ein im wesentlichen zusammenhängendes Siedlungs- und Wirtschaftsgebiet, in dem nahezu 2 Millionen Menschen leben. Um den daraus folgenden Anforderungen gerecht zu werden, waren die Randgemeinden daher gezwungen, besondere infrastrukturelle Maßnahmen zu setzen und die dafür erforderlichen Belastungen in Kauf zu nehmen. Ob sich also - wie der Verfassungsgerichtshof vorläufig annimmt - aus der Nähe zu einer Großstadt für die Nachbargemeinden vielfach finanzielle Vorteile ergeben, läßt sich durch den - wenn auch nur beispielsweise angeführten - regen Ausflugsverkehr und die Errichtung von Supermärkten nicht abschließend begründen. Vielmehr wären den behaupteten Vorteilen die sich daraus gleichzeitig ergebenden Nachteile gegenüberzustellen (Notwendigkeit der Schaffung von speziellen Ruhezonen für die vom Lärm übermäßig belastete Bevölkerung, Absiedlung von Betrieben in die Industriegebiete, verkehrsinfrastrukturelle Maßnahmen, etc.).

Aus dieser Gegenüberstellung ist zu ersehen, daß die Wiener Randgemeinden durch den Randgemeindeschlüssel nicht unsachlich begünstigt sind.

Da der abgestufte Bevölkerungsschlüssel im wesentlichen seine sachliche Rechtfertigung hat (vgl. VfGH vom 12. Oktober 1990, G66/90), so kann es nach Ansicht der NÖ Landesregierung nicht unsachlich sein, diesen erhöhten Verteilungsschlüssel auch für die Wiener Randgemeinden anzuwenden, die - was die finanziellen Belastungen betrifft - mit der Stadt Wien völlig zu vergleichen sind."

Der Verfassungsgerichtshof pflichtet dieser Argumentation nicht bei:

Der Umstand, daß die betroffenen Gemeinden in der Nähe eines großen Ballungszentrums (Wien) liegen, reicht nicht aus, um die in Prüfung gezogene Regelung sachlich zu rechtfertigen. Damit allein wird nämlich noch keine besondere finanzielle Belastung der Wiener Randgemeinden nachgewiesen, zumindest keine solche, die andere Gemeinden in ähnlicher geographischer Lage nicht ebenso trifft, denen aber keine gleichartige Begünstigung zuteil wird (vgl. SCHNIZER sowie ACHATZ in SMEKAL/THEURL (Hg.), Finanzkraft und Finanzbedarf von Gebietskörperschaften, Wien 1990, 218 bzw. 242 ff.). Die Nähe der Großstadt Wien wirkt sich im Gegenteil für manche Nachbargemeinden finanziell positiv aus, etwa wegen des regen Auflugsverkehrs und der Errichtung von Supermärkten zwar außerhalb, aber nahe der Stadtgrenze. Daß sich daraus höhere Einnahmen (insbesondere bei den Fremdenverkehrsabgaben, der Gewerbe- und Lohnsummensteuer sowie den Getränke- und Speiseeisabgaben) bei vielen, wenngleich nicht allen Wiener Randgemeinden ergeben, räumt die Niederösterreichische Landesregierung selbst ein.

Einerseits treffen die Belastungen, die daraus resultieren, daß der Anteil von Einwohnern, die in diesen ehemals zu Wien gehörenden Gemeinden bloß ihren Zweitwohnsitz haben, relativ hoch ist (bis zu 30 %), sowie andere denkbare, aus der Nähe einer größeren Stadt resultierende Belastungen viele andere, nahe einem Ballungszentrum gelegenen Gemeinden in gleicher, wenn nicht in noch stärkerer Weise.

Andererseits ergeben sich aus der Nähe der Großstadt Wien nicht für alle Randgemeinden (besondere) Belastungen. Wenn für einige Gemeinden aus besonderen Gründen ein besonderer Bevölkerungsschlüssel zulässig sein sollte, müßte die Erfassung dieser Gruppen von Gemeinden nach anderen Kriterien erfolgen als danach, ob die Gemeinden einmal zu Wien gehört haben. Dieser Grund allein rechtfertigt jedenfalls sachlich die pauschalierende Begünstigung nicht.

bb) Der Verfassungsgerichtshof hat zwar im oben auszugsweise wiedergegebenen Erkenntnis vom 12. Oktober 1990, G66/90, die Bedeutung des Umstandes betont, daß die Finanzausgleichsgesetze auf einer Paktierung beruhen, d.h. auf einer vorangehenden Vereinbarung der Finanzausgleichspartner über den Inhalt des jeweiligen, neu zu erlassenden Finanzausgleichsgesetzes; dies einerseits deshalb, weil im Zweifel davon auszugehen ist, daß die Vertreter der Finanzausgleichspartner besonders sachkundig sind und auch die divergierenden Interessenslagen zutreffend zu artikulieren wissen; andererseits deshalb, weil eine - unerwartete - Änderung des - einen Komplex bildenden - Finanzausgleichsregelungssystems während dessen Laufzeit die kurz- und mittelfristige Finanzplanung der Gemeinden derart in Unordnung brächte, daß damit das Gebot des §4 F-VG 1948 mißachtet würde. Die Finanzausgleichspartner dürfen sich daher grundsätzlich darauf verlassen, daß der paktierte Finanzausgleich während der Laufzeit des jeweiligen FAG Bestand haben werde.

Diese Ausführungen bedeuten aber nicht, daß finanzausgleichsrechtliche Regelungen, die auf eine Paktierung zurückgehen, verfassungsrechtlich unangreifbar werden (vgl. VfGH vom 6.3.1991, A2088/90, wonach ein Anspruch nach Art137 B-VG auf solche Pakte nicht gegründet werden kann). Vielmehr liegt nach dem zitierten Erkenntnis G66/90 - ungeachtet der Paktierung - eine Verfassungswidrigkeit etwa dann vor, wenn einzelne Detailvorschriften zueinander in sachlich nicht rechtfertigbarem Widerspruch stehen, wenn einzelne Gebietskörperschaften gezielt bevorzugt oder benachteiligt wurden, oder wenn die notwendigen Anpassungen an die geänderten tatsächlichen Verhältnisse - auch unter Beachtung des Zeithorizontes - nicht vorgenommen oder wenigstens in die Wege geleitet wurden.

cc) Die Voraussetzungen dafür, daß ungeachtet der Vereinbarungen, die anläßlich der dem FAG 1989 vorangegangenen Finanzausgleichsverhandlungen geschlossen wurden, ein den Art7 B-VG und §4 F-VG 1948 verletzender Fehler vorliegt, sind bei §8 Abs3 vorletzter Satz FAG 1989 gegeben. Diese sachlich ungerechtfertigte Bestimmung des (paktierten) Finanzausgleiches geht nicht über Details hinaus. Die Finanzausgleichspartner mußten die Unsachlichkeit spätestens bei Beratung über das FAG 1989 wahrnehmen. Das Problem wurde auch bei den dem FAG 1989 vorangehenden Verhandlungen zwischen den Finanzausgleichspartnern erörtert.

Am 30. Dezember 1988 brachten 137 burgenländische Gemeinden beim Verfassungsgerichtshof zu A1-137/89 auf Art137 B-VG gestützte Klagen gegen das Land Burgenland und den Bund ein; diese Klagen wurden u.a. damit begründet, daß die die Wiener Randgemeinden begünstigende Vorschrift des §8 Abs3 vorletzter Satz FAG 1985 verfassungswidrig sei. Der Verfassungsgerichtshof beschloß am 23. Juni 1989, aus Anlaß dieser Klagen u.a. die Verfassungsmäßigkeit des §8 FAG 1985 zu prüfen (G 89-225/89).

Daraufhin fand den dem Verfassungsgerichtshof zu A501-637/90 vorgelegten, unbestritten gebliebenen Unterlagen zufolge am 15. September 1989 eine Beratung zwischen dem Bundesminister für Finanzen, der Landesfinanzreferentenkonferenz, Vertretern des Österreichischen Städtebundes, des Österreichischen Gemeindebundes, des Burgenländischen Gemeindebundes und des Verbandes der Sozialistischen Gemeindevertreter Burgenlands statt. Dabei wurde zwischen den Finanzausgleichspartnern einvernehmlich folgendes Ergebnis erzielt:

"Die Sonderregelung des §8 Abs3 vorletzter Satz FAG 1989, für jene Gemeinden, die aufgrund des Gebietsänderungsgesetzes, BGBl. Nr. 110/1954, an das Bundesland Niederösterreich rückgegliedert worden sind, wird mit Wirksamkeit ab 1.1.1990 in vier Jahresschritten wie folgt abgebaut:

-

1990 wird der Randgemeindenschlüssel so berechnet, daß bei den betroffenen Gemeinden der Unterschiedsbetrag zwischen dem ihnen nach der Volkszahl gebührenden Vervielfältiger (§8 Abs3 dritter Satz) und dem Vervielfältiger nach §8 Abs3 vorletzter Satz FAG 1989 nur mehr zu 75 % in Anrechnung kommt.

-

1991 wird dieser Unterschiedsbetrag auf 50 % und 1992 auf 25 % reduziert. Mit 31.12.1992 tritt die gegenständliche Sonderregelung zur Gänze außer Kraft.

Dadurch ergeben sich für diese Gemeinden in den Jahren 1990 bis 1992 folgende Vervielfältiger:

Vervielfältiger gemäß §8 Abs3 FAG 1989 für die Gemeinden, die auf Grund des Gebietsänderungsgesetzes, BGBl. Nr. 110/1954, an das Bundesland Niederösterreich rückgegliedert worden sind:

             bis 10.0000 Ew.   10.001-20.000 Ew.  20.001-50.000

                                        Ew. u.Städte

                                        m.eig.Statut

1990         2 1/12             2 1/6               2 1/4

1991         1 5/6              2                   2 1/6

1992         1 7/12             1 5/6               2 1/12"

Die klagenden burgenländischen Gemeinden verpflichteten sich, die Klagen zurückzuziehen. Dieser Verpflichtung kamen sie nach. In der Folge stellte der Verfassungsgerichtshof mit Beschlüssen vom 27. September 1989 die Klageverfahren und die Gesetzesprüfungsverfahren ein.

Eine dem Ergebnis der Beratungen vom 15. September 1989 entsprechende Regierungsvorlage wurde zwar dem Nationalrat zugeleitet (1112 BlgNR, 17. GP). Zu einem entsprechenden Gesetzesbeschluß kam es jedoch nicht.

dd) Unter diesen Umständen hätte der Gesetzgeber ab dem FAG 1989 die die Wiener Randgemeinden privilegierende besondere Verteilungsregel des §8 Abs3 vorletzter Satz beseitigen oder zumindest deren schrittweisen Abbau vorsehen müssen. Jedenfalls aber hätte er erwägen müssen, ob dem am 15. September 1989 - in Abänderung der bisherigen Vereinbarung - geschlossenen Pakt (s. die vorstehende sublit. cc) Rechnung getragen werden soll; bei Realisierung dieses Paktes wäre die - nicht mehr länger sachlich zu rechtfertigende - Privilegierung der Wiener Randgemeinden schrittweise beseitigt worden. Die Wiener Randgemeinden konnten sich seither bei ihrer Finanzplanung nicht mehr auf die Beständigkeit der sie begünstigenden Regelung verlassen.

ee) §8 Abs3 vorletzter Satz FAG 1989 ist sohin wegen Widerspruchs zu Art7 B-VG und §4 F-VG 1948 aufzuheben.

Der dadurch herbeigeführte rückwirkende Wegfall der bisher für die Wiener Randgemeinden bestehenden Privilegierung bedeutet nicht, daß diese von den finanziellen Konsequenzen voll betroffen werden müssen. Es steht dem Finanzausgleichsgesetzgeber nämlich im Rahmen seines weiten rechtspolitischen Gestaltungsspielraumes frei, diesen rückwirkenden Wegfall zu Lasten der anderen Gebietskörperschaften (insbesondere auch der anderen Gemeinden) zu mildern. Der Gesetzgeber könnte sich dabei - ohne die Verfassung zu verletzen - etwa an der Regelung orientieren, wie sie im wiederholt erwähnten Pakt vom 15. September 1989 (s. die vorstehende sublit. cc) vorgesehen war.

ff) Der Ausspruch, daß frühere gesetzliche Bestimmungen nicht wieder in Wirksamkeit treten, stützt sich auf Art140 Abs6 B-VG.

Die Verfügung, daß die aufgehobene Gesetzesbestimmung nicht mehr anzuwenden ist, gründet sich auf Art140 Abs7 zweiter Satz zweiter Halbsatz B-VG. Diese Aussprüche erfolgten - im Sinne einer Anregung der Bundesregierung - zum einen deshalb, um zu bewirken, daß alle betroffenen Gebietskörperschaften (gleichgültig, ob für sie aufgrund erhobener Klagen die Anlaßfallwirkung einträte oder nicht) gleich behandelt werden; dies ist hier ausnahmsweise deshalb geboten, weil für einen sehr großen Teil der von der als verfassungswidrig erkannten Norm Betroffenen die Anlaßfallwirkung gegeben, diese also nicht bloß die Ausnahme wäre. Zum anderen wäre die aufgrund der Aufhebung gebotene Rückabwicklung der zu viel und zu wenig aus dem Finanzausgleich bezahlten Beträge verwaltungsökonomisch kaum zu bewerkstelligen, wenn nicht die Rechtslage für alle betroffenen Gebietskörperschaften gleich gestaltet wäre.

Die Verpflichtung des Bundeskanzlers zur Kundmachung all dieser Aussprüche ergibt sich aus Art140 Abs5 erster Satz B-VG.

c)aa) Die in der vorstehenden litb, sublit. cc und dd angestellten Überlegungen gelten für §8 Abs3 vorletzter Satz FAG 1985 idF der Novelle 1986 nicht.

Zwar wurde - wie auch der Vertreter des Bundes bei der mündlichen Verhandlung vor dem Verfassungsgerichtshof ausdrücklich bestätigte und wie dies im Gesetzesprüfungsverfahren niemand bestritt - das Problem des Weiterbestehens der für die Wiener Randgemeinden geltenden Begünstigung anläßlich der dem FAG 1985 vorangegangenen Gespräche erörtert. "Die Frage des Weiterbestehens ihrer Berechtigung wurde jedoch" - wie dies die Wiener Landesregierung in ihrer Äußerung formuliert - "von übergeordneten Interessen überlagert".

Die Wiener Randgemeinden durften daher damals noch ihre Finanzplanung dementsprechend ausrichten. Die Feststellung, daß §8 Abs3 vorletzter Satz FAG 1985 idF der Novelle 1986 verfassungswidrig war, hätte - anders als in dem mit hg. Erkenntnis VfSlg. 10 633/1985 abgeschlossenen Fall Krems - für das Budget der von der Feststellung negativ betroffenen Gebietskörperschaft(en) schwerwiegende und daher §4 F-VG 1948 verletzende Auswirkungen.

bb) Das FAG 1985 regelt den Finanzausgleich für die Jahre 1985 bis 1988. §8 Abs3 vorletzter Satz FAG 1985 idF der Novelle 1986 ist daher bereits (iS des Art140 Abs4 B-VG) außer Kraft getreten.

Der Verfassungsgerichtshof hatte nach dem Gesagten sohin festzustellen, daß diese Gesetzesbestimmung nicht mit der im Einleitungsbeschluß angenommenen Verfassungswidrigkeit belastet war.

B. Zu §21 FAG 1985 und 1989

1. Zur Rechtslage

Die Anlaß-Klagen stützen das Klagebegehren zum Teil (s.o. I.1.) darauf, daß für jeweils näher bezeichnete Zeiträume ab 1985 Finanzzuweisungen an Gemeinden aufgrund verfassungswidriger Bestimmungen erfolgt seien.

Finanzzuweisungen in dieser Form waren erstmals in der ab 1985 geltenden Finanzausgleichsregelung (nämlich im FAG 1985) vorgesehen. Die in Betracht kommenden Vorschriften sind §21 FAG 1985 (für die Jahre 1985 bis 1988) und der - von im gegebenen Zusammenhang unwesentlichen Abweichungen im Abs2 Z2, Abs4 und Abs5 abgesehen - gleichlautende §21 FAG 1989 (für die Jahre 1989 bis 1992).

§21 FAG 1989 lautet:

"§21. (1) Der Bund gewährt Gemeinden (Wien als Gemeinde) einen Betrag in der Höhe von 1,4 vH der ungekürzten Ertragsanteile der Gemeinden (Wien als Gemeinde). Dieser Betrag ist länderweise nach der Volkszahl aufzuteilen und von den Ländern nach Maßgabe der folgenden Bestimmungen den Gemeinden als Finanzzuweisung zur Bewältigung der ihnen obliegenden Aufgaben zu überweisen. Die Überweisung des Bundes an die Länder hat bis spätestens 15. Juli eines jeden Jahres zu erfolgen.

(2) Auf die Finanzzuweisung haben jene Gemeinden (ohne Wien) Anspruch, die eine solche Finanzzuweisung zur Aufrechterhaltung oder Wiederherstellung des Gleichgewichtes im Haushalt benötigen. Diese Voraussetzung ist dann gegeben, wenn

1. eine Gemeinde jeweils alle Abgaben im höchstmöglichen Ausmaß erhebt, zu deren Erhebung sie berechtigt wäre, und sofern diese Abgaben zur Aufrechterhaltung oder Wiederherstellung des Gleichgewichtes oder zur Deckung bestimmter Erfordernisse im Haushalt geeignet sind und dessenungeachtet

2. eine Gemeinde innerhalb der Größenklasse mit einer ermittelten Volkszahl (§8 Abs3) bis höchstens 2 500 Einwohner, von 2501 bis 10 000 Einwohner, von 10 001 bis 20 000 Einwohner, von 20 001 bis 50 000 Einwohner und über 50 000 Einwohner eine Finanzkraft aufweist, die auf den Kopf der Bevölkerung der Gemeinde berechnet (Gemeindekopfquote) mit mehr als 10 vH unter der Bundesdurchschnittskopfquote der Finanzkraft (Abs4) aller Gemeinden ausgenommen Wien derselben Größenklasse liegt.

(3) Berechnungsgrundlage für die Ermittlung der Höhe der bereitzustellenden Bundesmittel sind die Ertragsanteile der Gemeinden im Sinne dieses Bundesgesetzes, die sich aus den im jeweiligen Bundesfinanzgesetz enthaltenen gemeinschaftlichen Bundesabgaben ohne Spielbankabgabe ergeben.

(4) Die Finanzkraft einer Gemeinde wird ermittelt aus der Summe der ausschließlichen Gemeindeabgaben, ohne die Gebühren für die Benützung von Gemeindeeinrichtungen und -anlagen und ohne die Interessentenbeiträge von Grundstückseigentümern und Anrainern, jedoch unter Einbeziehung der Gewerbesteuer

Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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