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40/01 VerwaltungsverfahrenNorm
AsylG 1991 §1 Z1Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Herberth und die Hofräte Dr. Kremla, Dr. Händschke, Dr. Bernegger und Dr. Stöberl als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Kopp, über die Beschwerde des S in M, vertreten durch Dr. J, Rechtsanwalt in X, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 5. Oktober 1992, Zl. 4.338.559/1-III/13/92, betreffend Asylgewährung, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 10.110,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit dem im Instanzenzug gemäß § 66 Abs. 4 AVG ergangenen Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 5. Oktober 1992 wurde die Berufung des Beschwerdeführers, eines Staatsangehörigen der früheren SFRJ, der am 20. Mai 1992 in das Bundesgebiet eingereist ist, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Niederösterreich vom 16. Juni 1992, betreffend Feststellung der Flüchtlingseigenschaft abgewiesen. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof erwogen hat:
Der Beschwerdeführer hat bei seiner niederschriftlichen Vernehmung durch die Sicherheitsdirektion für das Bundesland Niederösterreich am 23. Mai 1992 im wesentlichen ausgeführt, er sei in Bosnien geboren und habe sein bisheriges Leben in Bosnien verbracht, doch sei er „Staatsangehöriger von Jugoslawien, denn so steht es in allen meinen Dokumenten“. Vor Ausbruch des Krieges im ehemaligen Jugoslawien habe er keiner politischen Organisation angehört, er habe sich nie um Politik gekümmert und daher auch nie Schwierigkeiten gehabt. Er sei weder aus politischen noch aus religiösen oder rassischen Gründen Verfolgungen ausgesetzt gewesen. Seine Religion - er sei Moslem - habe er immer frei ausüben können. Er sei bisher immer bemüht gewesen, seine Familie als Musiker zu ernähren. Auf Grund des herrschenden Bürgerkrieges seien die Menschen jedoch nicht an Musik interessiert, und er sei somit arbeitslos gewesen. Ohne Arbeit könne er aber seine Familie nicht ernähren, und so habe er sich entschlossen, seine Heimat zu verlassen.
In seiner Berufung gegen den erstinstanzlichen Bescheid hat der Beschwerdeführer im wesentlichen vorgebracht, daß sich die Situation in seinem Heimatland seit seiner Ausreise verschlimmert habe. In B, der Stadt, wo er geboren worden sei und gewohnt habe, gebe es keine Moslems mehr. In seiner Wohnung lebten jetzt Serben, die Stadt B sei von der „serbischen Armee“ besetzt. Er und seine Familie könnten nicht zurück, denn „die werden mich und meine Familie umbringen“.
Die belangte Behörde hat die Abweisung der Berufung im wesentlichen damit begründet, daß es dem Beschwerdeführer im gesamten Verwaltungsverfahren nicht möglich gewesen sei, konkrete Verfolgungen seiner Person aus einem der im - im vorliegenden Fall, weil das Verfahren „am bzw. nach dem 1. Juni 1992 beim Bundesministerium für Inneres anhängig war“, gemäß § 25 Abs. 2 Asylgesetz 1991 anzuwendenden - Asylgesetz 1991 taxativ aufgezählten Tatbestände darzutun. Er habe selbst angegeben, weder aus politischen, noch aus religiösen oder rassischen Gründen Verfolgungen ausgesetzt gewesen zu sein. Der Umstand, daß der Beschwerdeführer von den „bürgerkriegsähnlichen Ereignissen“ in seinem Heimatland betroffen gewesen sei und ihm dadurch die Möglichkeit einer gesicherten Lebensführung gefehlt habe, könne mangels Vorliegen einer konkreten Verfolgung die Gewährung von Asyl nicht rechtfertigen. Seine Betroffenheit von dem von ihm angesprochenen Ereignissen sei „in typologischer Hinsicht eher der Heimsuchung durch eine Naturkatastrophe vergleichbar denn intentional und gezielt“ gegen die Person des Beschwerdeführers „gerichteten Repressionshandlungen der Staatsgewalt, welch letztere allein allenfalls „Verfolgung“ zu begründen vermöchten“. Auch die Tatsache, daß ihm durch die Ereignisse in seinem Heimatland die Ausübung seines Berufes nicht möglich gewesen sei, könne die Flüchtlingseigenschaft nicht indizieren.
Dem hält der Beschwerdeführer im wesentlichen entgegen, daß vom 1. bis 4. April 1992 - also vor der Ausreise des Beschwerdeführers - in der Stadt B etwa 1.500 Moslems ermordet worden seien. Es sei notorisch, daß in Bosnien Völkermord an der moslemischen Volksgruppe begangen werde. Die Argumentation der belangten Behörde, diese Ereignisse seien „eher der Heimsuchung durch eine Naturkatastrophe vergleichbar“ klinge geradezu zynisch, die von ihr für das Vorliegen einer Verfolgungsgefahr angelegten Kriterien seien unangemessen streng. In Wahrheit bestehe beim Beschwerdeführer wohlbegründete Furcht, in seiner Heimat verfolgt und getötet zu werden, weil er bosnischer Moslem sei. Die vom Beschwerdeführer vor der Sicherheitsdirektion getätigte Aussage sei in der Begründung des angefochtenen Bescheides völlig entstellt wiedergegeben worden. Offenbar wären nur nebensächliche Fragen in das Protokoll aufgenommen worden, was sich schon daraus ergebe, daß „wohl nicht ernsthaft“ angenommen werden könne, daß der Beschwerdeführer, der nachweislich eben erst den furchtbaren Ereignissen in seiner Heimatstadt entronnen sei, seinen Asylantrag tatsächlich nur wie ausgeführt begründet haben sollte.
Die Beschwerde ist im Ergebnis berechtigt:
Gemäß § 25 Abs. 1 Asylgesetz 1991 sind am 1. Juni 1992 in erster Instanz anhängige Verfahren nach der bis zum Inkrafttreten dieses Bundesgesetzes geltenden Rechtslage zu Ende zu führen. Lediglich die am 1. Juni 1992 beim Bundesminister für Inneres bereits anhängigen Verfahren sind gemäß § 25 Abs. 2 Asylgesetz 1991 nach den Bestimmungen des Asylgesetzes 1991 zu Ende zu führen. Im Gegensatz zur Auffassung der belangten Behörde folgt daraus, daß sie im vorliegenden Fall das Asylgesetz (1968) anzuwenden gehabt hätte, weil nach Ausweis der vorgelegten Verwaltungsakten das Verfahren beim Bundesminister für Inneres - zufolge des am 25. Juni 1992 erlassenen erstinstanzlichen Bescheides und der am 3. Juli 1992 dagegen erhobenen Berufung - am 1. Juni 1992 nicht anhängig war (vgl. z.B. Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 31. März 1993, Zl. 92/01/0831). Die belangte Behörde war daher - anders als nach § 20 Abs. 1 Asylgesetz 1991 - gehalten, ihren Sachverhaltsfeststellungen nach Maßgabe des Ergebnisses der Beweiswürdigung das Vorbringen des Beschwerdeführers im Berufungsverfahren in gleicher Weise zugrunde zu legen wie dessen Vorbringen in erster Instanz. Davon ausgehend erweist sich freilich die Argumentation der belangten Behörde, der Beschwerdeführer habe „im gesamten Verwaltungsverfahren“ seine Person konkret betreffende Verfolgung nicht darzutun vermocht, als nicht überzeugend. Brachte der Beschwerdeführer in seiner Berufung doch vor, er müsse im Falle seiner Rückkehr in seine von der „serbischen Armee“ besetzte Heimatstadt befürchten, getötet zu werden, weil er bosnischer Moslem sei. Vor dem Hintergrund der - wie die Beschwerde zutreffend ausführt - notorischen Lage der Moslems in den umkämpften Gebieten Bosniens ist dieses Vorbringen geeignet, wohlbegründete Furcht des Beschwerdeführers vor konkreter Verfolgung aus einem Konventionsgrund in seinem Heimatland - das beide Parteien des verwaltunsgerichtlichen Verfahrens offensichtlich in Bosnien-Herzegovina, das von Österreich am 7. April 1992 als unabhängiger Staat anerkannt wurde, erblicken - darzulegen. Die Annahme einer derartigen Befürchtung setzt nämlich nicht voraus, daß der Beschwerdeführer vor seiner Ausreise eine individuell gegen ihn gerichtete Verfolgung erlitten hätte oder ihm zumindest eine solche bereits konkret angedroht worden wäre. Auch dann, wenn die Verhältnisse im Heimatland des Beschwerdeführers dergestalt wären, daß davon gesprochen werden müßte, daß systematisch eine Gruppenverfolgung der Moslems, denen der Beschwerdeführer angehört, aus Gründen seiner Nationalität (und, davon offenbar nicht zu trennen, auch seiner Religion) erfolgt, wäre eine derartige Befürchtung gerechtfertigt, weil der Beschwerdeführer dadurch der Gefahr ausgesetzt wäre, davon unmittelbar betroffen zu sein (vgl. das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 27. Mai 1993, Zl. 92/01/0982). Das Berufungsvorbringen des Beschwerdeführers enthielt einen deutlichen Hinweis darauf, daß für ihn eine daraus resultierende Verfolgungsgefahr von erheblicher Intensität bestanden habe. Es handelte sich nicht allein um die Tatsache, daß es im Heimatland des Beschwerdeführers zu kriegerischen Auseinandersetzungen gekommen ist - worin noch kein Grund gelegen wäre, darin gegen ihn selbst konkret gerichtete Verfolgungshandlungen zu erblicken (vgl. das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 20. Dezember 1989, Zlen. 89/01/0283-0286). Vielmehr hatten (nach dem Vorbringen des Beschwerdeführers) diese Aktivitäten Maßnahmen gegen die Gesamtheit der dort lebenden Moslems zum Ziel, und zwar solche, die nicht bloß in Beeinträchtigungen allgemeiner Natur bestanden, wie sie von allen hingenommen werden müßten, wobei sich aus dem Vorbringen auch nicht ergibt, daß eine inländische Fluchtalternative bestanden habe.
Inwieweit diese, dem Beschwerdeführer nach seinem Vorbringen von der „serbischen Armee“ drohende Verfolgung staatlichen Stellen seines Heimatlandes zuzurechnen ist, ist nach der hg. Judikatur davon abhängig, ob der betreffende Staat in der Lage ist, diese Verfolgung hintanzuhalten (vgl. z.B. das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 10. März 1993, Zl. 92/01/1090). Hätte daher die staatliche Autorität zufolge der Besetzung durch die „serbische Armee“ ihre Wirksamkeit in dem davon betroffenen Gebiet verloren, so wären die von dieser „Armee“ dort gesetzten Verfolgungshandlungen - in asylrechtlicher Hinsicht - staatlichen Maßnahmen gleichzuhalten.
Dadurch, daß die belangte Behörde es in Verkennung der Rechtslage unterlassen hat, sich mit dem Berufungsvorbringen des Beschwerdeführers dahingehend auseinanderzusetzen, ob durch die Besetzung u.a. der Heimatstadt des Beschwerdeführers durch die „serbische Armee“ aus objektiver Sicht entsprechend der vom Beschwerdeführer geäußerten Befürchtung, im Falle seiner Rückkehr in sein Heimatland getötet zu werden, eine solche Situation geschaffen wurde, daß die Furcht des Beschwerdeführers, wegen seiner Zugehörigkeit zur moslemischen Volksgruppe verfolgt zu werden, wohlbegründet ist, hat sie den angefochtenen Bescheid mit Rechtswidrigkeit seines Inhaltes belastet. Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben, ohne daß auf das weitere Beschwerdevorbringen eingegangen werden mußte.
Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 104/1991.
Wien,am 26. Jänner 1994
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1994:1993010034.X00Im RIS seit
18.01.2022Zuletzt aktualisiert am
18.01.2022