TE Vfgh Erkenntnis 1991/11/25 B792/91

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Veröffentlicht am 25.11.1991
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Index

27 Rechtspflege
27/01 Rechtsanwälte

Norm

B-VG Art83 Abs2
DSt 1872 §17 Abs3 Z1 lita
DSt 1990 §19 Abs3 Z1 lita
DSt 1990 §57 Abs2
DSt 1990 §67 Abs1
VfGG §82 Abs1

Leitsatz

Keine Zuständigkeit der OBDK zur Entscheidung über eine Berufung gegen eine Weisung des Ausschusses einer Rechtsanwaltskammer sowie über einen Antrag auf Hemmung des Vollzugs dieser Weisung; keine Verletzung im Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter durch die Zurückweisung dieser Berufung; Zuständigkeit der OBDK als Rechtsmittelinstanz gegen Entscheidungen des Kammerausschusses nur in den im Gesetz ausdrücklich genannten Fällen; Zurückweisung der eventualiter bekämpften Weisung als verspätet

Spruch

1. Der Beschwerdeführer ist durch den Bescheid der Obersten Berufungs- und Disziplinarkommission für Rechtsanwälte und Rechtsanwaltsanwärter vom 13. Mai 1991, Z Bkv 3/91-7, weder in einem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht noch wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm in seinen Rechten verletzt worden.

Die Beschwerde wird daher abgewiesen.

2. Die Beschwerde gegen die Weisung des Ausschusses der Tiroler Rechtsanwaltskammer vom 6. Februar 1991 wird zurückgewiesen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

1. Gegen den Beschwerdeführer ist beim Disziplinarrat der Tiroler Rechtsanwaltskammer zu D 45/90 ein Disziplinarverfahren anhängig, in welchem der Disziplinarrat mit Beschluß vom 19. Dezember 1990 als einstweilige Maßnahme gemäß §17 Abs3 Z1 lita des (zum damaligen Zeitpunkt in Geltung gestandenen) Disziplinarstatutes für Rechtsanwälte und Rechtsanwaltsanwärter vom 1. April 1872, RGBl. Nr. 40/1872 (DSt 1872), die Überwachung der Kanzleiführung des Beschwerdeführers durch den Ausschuß der Tiroler Rechtsanwaltskammer verfügte.

2.1. In Vollziehung dieses Beschlusses erteilte der Ausschuß der Tiroler Rechtsanwaltskammer am 6. Februar 1991 (in Anwendung des DSt 1990) dem Beschwerdeführer die Weisung, binnen acht Tagen eine Aufstellung über alle Ein- und Ausgänge von Fremdgeldern seiner Kanzlei ab 1. Jänner 1990 zu verfassen, alle Konti, über welche Fremdgelder ein- und ausgegangen sind, samt den Kontoauszügen und Belegen offenzulegen und diese Urkunden dem vom Ausschuß mit der Durchführung der Überwachung der Kanzleiführung Beauftragten über Verlangen vorzulegen, sodaß der Geldfluß der Fremdgelder genau nachgewiesen werde; zugleich wurde darauf verwiesen, daß durch die angeführten Maßnahmen gegen die anwaltliche Verschwiegenheitspflicht nicht verstoßen werde, weil die Mitglieder des Ausschusses zur Verschwiegenheit verpflichtet seien.

Mit Bundesgesetz vom 28. Juni 1990, BGBl. Nr. 474/1990, über das Disziplinarrecht der Rechtsanwälte und Rechtsanwaltsanwärter (Disziplinarstatut 1990 - DSt 1990) sowie über Änderungen der Rechtsanwaltsordnung, der Zivilprozeßordnung und der Strafprozeßordnung wurde das Disziplinarrecht der Rechtsanwälte und Rechtsanwaltsanwärter neu geregelt. Gemäß ArtV des Bundesgesetzes vom 28. Juni 1990, BGBl. Nr. 474/1990, trat mit Inkraftreten des DSt 1990 am 1. Jänner 1991 das DSt 1872 mit der Maßgabe außer Kraft, daß die in diesem Zeitpunkt anhängigen Disziplinarverfahren gemäß ArtV Z5 nach dem DSt 1990 fortzuführen sind.

2.2. Gegen diese Weisung des Ausschusses der Tiroler Rechtsanwaltskammer erhob der Beschwerdeführer Berufung an die Oberste Berufungs- und Disziplinarkommission für Rechtsanwälte und Rechtsanwaltsanwärter (OBDK) mit dem Antrag, die bekämpfte Weisung ersatzlos aufzuheben und deren Vollzug bis zur Entscheidung über die Berufung zu hemmen.

2.3. Mit Bescheid der OBDK vom 13. Mai 1991, Z Bkv 3/91-7, wurden die Berufung und der Antrag zurückgewiesen.

Dies wurde im wesentlichen wie folgt begründet:

"Aus den Bestimmungen der Rechtsanwaltsordnung und des Disziplinarstatuts 1990 ergibt sich, daß die Rechtsanwaltskammern Körperschaften öffentlichen Rechts sind (§22 Abs2 RAO), welche durch ihre Organe die Aufsicht über die Rechtsanwälte ausüben (§1 Abs2 und 3 DSt 1990), sodaß sich der von den Gerichten unabhängige Rechtsanwaltsstand (§33 Abs1 RAO) stets als autonom iS eines freien Berufs mit dem Recht auf Selbstverwaltung verstanden hat. Es gibt daher auch keine 'sachlich in Betracht kommende Oberbehörde' etwa iS der §§3 litc, 4 Abs2, 5 Abs1, 68 Abs2 bis 4, 73 Abs2 AVG, welche aufgrund einer generellen Zuständigkeitsvorschrift zur Entscheidung über Rechtsmittel gegen Verfügungen der Organe des Selbstverwaltungskörpers allgemein zuständig wäre. Abgesehen von der Zuständigkeit, welche der Obersten Berufungs- und Disziplinarkommission gemäß §46 DSt 1990 im Disziplinarverfahren gegen Entscheidungen des Disziplinarrates einer Rechtsanwaltskammer zukommt, ist die Oberste Berufungs- und Disziplinarkommission zur Entscheidung über Rechtsmittel gegen Beschlüsse des Ausschusses einer Rechtsanwaltskammer nur in den in der Rechtsanwaltsordnung ausdrücklich angeführten Fällen zuständig. Eine solche Zuständigkeit besteht nur in den Fällen der §§1a Abs4, 5a und 30 Abs4 RAO (vgl zum ganzen AnwBl 1986, 350).

Im vorliegenden Fall hat der Ausschuß der Tiroler Rechtsanwaltskammer dem Beschwerdeführer in Vollziehung (§67 Abs1 DSt 1990) der vom Disziplinarrat dieser Rechtsanwaltskammer angeordneten einstweiligen Maßnahme der Überwachung seiner Kanzleiführung (§17 Abs3 Z1 lita DSt aF; §19 Abs3 Z1 lita DSt nF) eine schriftliche Weisung erteilt. Daß gegen die Anordnung der einstweiligen Maßnahme Beschwerde ergriffen wurde, über welche noch nicht entschieden worden ist, stand deren Vollziehung nicht entgegen (§57 Abs2 DSt 1990). Gegen eine solche Vollzugsmaßnahme des Ausschusses der Rechtsanwaltskammer ist ein Rechtsmittel weder in der Rechtsanwaltsordnung noch im Disziplinarstatut vorgesehen. Es mangelt daher an einer Zuständigkeit der Obersten Berufungs- und Disziplinarkommission zur Entscheidung über die gegenständliche Beschwerde.

Gleiches gilt aber auch für den mit der Beschwerde verbundenen, an die Oberste Berufungs- und Disziplinarkommission gerichteten Antrag, den Vollzug der Weisung des Ausschusses der Tiroler Rechtsanwaltskammer bis zur Entscheidung über die Beschwerde zu hemmen. Abgesehen davon, daß der Vollzug einer vom Disziplinarrat beschlossenen einstweiligen Maßnahme durch ein dagegen ergriffenes Rechtsmittel kraft Gesetzes nicht gehindert wird (§57 Abs2 DSt 1990), fehlt es auch insoweit an einer ausdrücklichen gesetzlichen Zuständigkeitsvorschrift, derzufolge die Oberste Berufungs- und Disziplinarkommission zur Entscheidung über den in Rede stehenden Antrag berufen wäre."

3.1. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, offenkundig auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung der verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechte auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz und auf Freiheit der Erwerbsausübung geltend gemacht und die Aufhebung des angefochtenen Bescheides beantragt wird; für den Fall, daß die OBDK zur Überprüfung von Beschlüssen und Weisungen der Rechtsanwaltskammer nicht zuständig sein sollte, wird vorsorglich die Beschwerde auch gegen die Weisung der Tiroler Rechtsanwaltskammer vom 6. Februar 1991 gerichtet und deren Aufhebung begehrt.

3.2. Die OBDK hat eine Gegenschrift erstattet, in der sie die Abweisung der gegen ihre Entscheidung gerichteten Beschwerde begehrt.

4. Der Verfassungsgerichtshof hat zur - zulässigen - Beschwerde gegen den Bescheid der OBDK vom 13. Mai 1991 erwogen:

Mit dem angefochtenen Bescheid weist die belangte Behörde die Berufung gegen die - in Vollziehung der mit Beschluß vom 19. Dezember 1990 gemäß §17 Abs3 Z1 lita DSt 1872 verfügten Kanzleiüberwachung erteilte - Weisung des Ausschusses der Tiroler Rechtsanwaltskammer vom 6. Februar 1991 und den damit verbundenen Antrag auf Hemmung des Vollzuges dieser Weisung zurück. Damit wird dem Beschwerdeführer eine Sachentscheidung in beiden Belangen verweigert.

Das Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter wird durch den Bescheid einer Verwaltungsbehörde verletzt, wenn die Behörde eine ihr gesetzlich nicht zukommende Zuständigkeit in Anspruch nimmt oder in gesetzwidriger Weise ihre Zuständigkeit ablehnt (zB VfSlg. 9696/1983), etwa indem sie zu Unrecht eine Sachentscheidung verweigert (zB VfSlg. 10374/1985).

Der Beschwerdeführer wäre somit tatsächlich im Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter verletzt, wenn die belangte Behörde die Berufung und den Hemmungsantrag des Beschwerdeführers zu Unrecht zurückgewiesen hätte. Dies ist jedoch nicht der Fall.

Gemäß §67 Abs1 DSt 1990 obliegt es dem Ausschuß jener Rechtsanwaltskammer, der der Beschuldigte angehört, die Entscheidungen des Disziplinarrates und der OBDK zu vollziehen. Nach §57 Abs2 leg.cit. wird der Vollzug der vom Disziplinarrat gemäß §19 leg.cit. beschlossenen einstweiligen Maßnahmen durch ein dagegen erhobenes Rechtsmittel nicht gehindert.

Die Weisung vom 6. Februar 1991 wurde vom Ausschuß und nicht vom Disziplinarrat der Tiroler Rechtsanwaltskammer erteilt; es handelt sich also um einen Akt des Ausschusses der Tiroler Rechtsanwaltskammer, der gemäß §67 Abs1 DSt 1990 in Vollziehung einer Entscheidung des Disziplinarrates, nämlich eines Beschlusses, mit dem eine einstweilige Maßnahme verfügt wurde, gesetzt wurde.

Gegen einen solchen Vollzugsakt kann die OBDK nicht angerufen werden. Denn sie ist zwar allgemein berufen, über Beschlüsse und Erkenntnisse des Disziplinarrates nach Maßgabe des Sechsten Abschnittes des DSt 1990 (§§46 ff.) zu entscheiden, gegen Entscheidungen des Kammerausschusses ist die OBDK jedoch nur in den im Gesetz ausdrücklich genannten Fällen Rechtsmittelinstanz (s. §§1a, 5a und 30 Abs4 RAO; vgl. zu der vergleichbaren Rechtslage nach dem DSt 1872 VfSlg. 3311/1958).

Der belangten Behörde kam somit keine Zuständigkeit zu, über die an sie gerichtete Berufung und über den unter einem gestellten Antrag, den Vollzug der bekämpften Weisung zu hemmen, zu entscheiden.

Da die Berufung und der Antrag des Beschwerdeführers somit zu Recht zurückgewiesen worden sind, ist der Beschwerdeführer im Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter nicht verletzt. Angesichts der verfassungsrechtlichen Unbedenklichkeit der die Zurückweisung tragenden Rechtsvorschriften ist es damit auch ausgeschlossen, daß er in anderen verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten verletzt worden wäre (vgl. zB VfSlg. 10374/1985).

5. Die eventualiter gegen die Weisung des Ausschusses der Tiroler Rechtsanwaltskammer vom 6. Februar 1991 erhobene Beschwerde ist unzulässig.

Diese Erledigung ist dem Beschwerdeführer am 11. Februar 1991 zugegangen. Sie enthielt keine Rechtsmittelbelehrung, daß gegen diesen Akt eine Beschwerde an die OBDK zulässig sei. Wenn der Beschwerdeführer darlegt, die Frist zur Einbringung dieser Beschwerde sei von ihm gewahrt, "da vor Vorliegen des am 31.5.1991 zugestellten Beschlusses (der OBDK) vom 13.5.1991 der Beschwerdeführer nicht hat wissen können, daß ein Rechtsmittel gegen Beschlüsse und Weisungen der Rechtsanwaltskammer nicht möglich ist", so wird damit nicht die rechtzeitige Einbringung der Beschwerde gegen die Weisung des Ausschusses der Tiroler Rechtsanwaltkammer belegt. Da die bekämpfte Weisung vom 6. Februar 1991 am 11. Februar 1991 zugestellt wurde, war die sechswöchige Frist zur Erhebung der Beschwerde, die erst am 15. Juli 1991 hg. eingegangen ist, seit langem verstrichen. Die Beschwerde gegen die Weisung vom 6. Februar 1991 war daher als verspätet zurückzuweisen.

6. Dies konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz sowie §19 Abs3 Z2 litb VerfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen werden.

Schlagworte

Rechtsanwälte, Disziplinarrecht Rechtsanwälte, Rechtsanwaltskammer, VfGH / Fristen, Weisung, Berufung, Behördenzuständigkeit

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1991:B792.1991

Dokumentnummer

JFT_10088875_91B00792_2_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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