TE Vwgh Erkenntnis 1994/6/22 94/01/0049

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Veröffentlicht am 22.06.1994
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Index

41/02 Passrecht Fremdenrecht;
49/01 Flüchtlinge;

Norm

AsylG 1991 §1 Z1;
AsylG 1991 §2 Abs2 Z3;
FlKonv Art1 AbschnB;
FlKonv Art33;
FlKonv Art43;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Herberth und die Hofräte Dr. Dorner, Dr. Händschke, Dr. Stöberl und Dr. Beck als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Lammer, über die Beschwerden 1) des GS und 2) der MS, beide in W und vertreten durch Dr. E, Rechtsanwalt in W, gegen die Bescheide des BMI vom 3. 12. 1993, Zl. 4.296.951/4-III/13/90 und Zl. 4.296.951/3-III/13/90, wegen Asylgewährung, zu Recht erkannt:

Spruch

Die angefochtenen Bescheide werden wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat den Beschwerdeführern Aufwendungen in der Höhe von je S 12.770,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit den im Instanzenzug gemäß § 66 Abs. 4 AVG ergangenen Bescheiden des Bundesministers für Inneres vom 3. Dezember 1993 wurde in Erledigung der Berufungen der Beschwerdeführer gegen die Bescheide der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien vom 23. Juli 1990 (hinsichtlich des Erstbeschwerdeführers) und vom 30. Juli 1990 (hinsichtlich der Zweitbeschwerdeführerin) ausgesprochen, daß Österreich den Beschwerdeführern - rumänischen Staatsangehörigen, die am 27. bzw. 17. Februar 1990 in das Bundesgebiet eingereist sind und am 28. Februar 1990 Asylanträge gestellt haben - kein Asyl gewähre.

Gegen diese Bescheide richten sich die vorliegenden, vom jeweiligen Beschwerdeführer in Ansehung des ihn betreffenden Bescheides erhobenen Beschwerden, über die der Verwaltungsgerichtshof - nach Verbindung zur gemeinsamen Beratung und Entscheidung wegen ihres sachlichen und persönlichen Zusammenhanges - erwogen hat:

Die belangte Behörde hat den Beschwerdeführern, ohne sich mit ihrer Flüchtlingseigenschaft gemäß § 1 Z. 1 Asylgesetz 1991 auseinanderzusetzen, deshalb kein Asyl gemäß § 3 leg. cit. gewährt, weil sie der Ansicht war, daß bei ihnen der Ausschließungsgrund des § 2 Abs. 2 Z. 3 leg. cit. gegeben sei, wonach einem Flüchtling kein Asyl gewährt wird, wenn er bereits in einem anderen Staat vor Verfolgung sicher war. Sie ging von den Angaben des Erstbeschwerdeführers bei seiner niederschriftlichen Vernehmung am 17. Mai 1990, daß er sich vor seiner Einreise nach Österreich "mehrere Monate lang" in Ungarn aufgehalten habe, und jenen der Zweitbeschwerdeführerin bei ihrer niederschriftlichen Vernehmung am 23. Mai 1990, daß sie sich vor ihrer Einreise nach Österreich "zwei Monate lang versehen mit einer Aufenthaltsgenehmigung" in Ungarn aufgehalten habe, aus und befaßte sich in rechtlicher Hinsicht jeweils näher mit dem Begriff der "Verfolgungssicherheit" im Sinne der genannten Gesetzesstelle, wobei sie im wesentlichen - im Einklang mit der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (beginnend mit dem Erkenntnis vom 27. Mai 1993, Zl. 93/01/0256), auf die gemäß § 43 Abs. 2 VwGG verwiesen wird - die Rechtslage richtig erkannt hat.

Die Beschwerdeführer machen der belangten Behörde übereinstimmend zum Vorwurf, es unterlassen zu haben, "sich von der tatsächlichen Situation in Ungarn im Februar 1990 ein Bild zu machen". Sie bringen dazu vor, daß "es wohl richtig" sei, "daß Ungarn zu diesem Zeitpunkt bereits der Genfer Konvention beigetreten war (14.03.1989) und die Genfer Konvention im Oktober 1989 ratifiziert hat" (siehe BGBl. Nr. 260/1992, woraus sich unter Bedachtnahme auf Art. 43 der Konvention deren Inkrafttreten am 12. Juni 1989 ergibt), "es jedoch noch kein innerungarisches Ausführungsgesetz" und "ebenso in Ungarn keinen stellvertretenden UNO-Hochkommissär für Flüchtlingswesen gab". Im Februar 1990 habe es in Ungarn "noch die alte kommunistische Regierung" gegeben, die ersten freien Wahlen in Ungarn hätten erst im Mai 1990 stattgefunden. "Die kommunistische Regierung, die sehr wohl - sowohl vor als auch nach dem Beitritt zur Genfer Konvention - Flüchtlinge aus Rumänien nach Rumänien zurückgeschickt hat", sei für die Beschwerdeführer "kein Garant für eine Verfolgungssicherheit" gewesen, weshalb sie "nicht gewillt" gewesen seien, "in Ungarn zu verbleiben". Die Beschwerdeführer gehörten zwar der ungarischen Volksgruppe an, seien jedoch "vor einer Zurückweisung nach Rumänien trotzdem keineswegs sicher" gewesen. Es sei bekannt gewesen, "daß rumänische Staatsbürger an die Grenze in Gyula gebracht und von dort den rumänischen Behörden übergeben worden waren", und habe "das damalige Ungarische Demokratische Forum, das damals eine illegale außerparlamentarische Opposition war, gegen diese Verstöße der ungarischen Behörden wiederholt protestiert, ebenso" sei "von diversen Menschenrechts- und Flüchtlingsorganisationen gegen die Zurückschiebung nach Rumänien protestiert" worden. Ein Verbleib in Ungarn sei daher den Beschwerdeführern nicht zumutbar gewesen und hätten sie auch in Ungarn Angst gehabt, verfolgt bzw. an die rumänischen Behörden "rücküberstellt" zu werden. Die angenommene "Verfolgungssicherheit" sei daher für sie nicht gegeben gewesen.

Würde diese Behauptung zutreffen, so könnte nicht mehr ohne weiteres davon die Rede sein, daß - entsprechend der Begründung der angefochtenen Bescheide - nichts dafür spreche, daß Ungarn die sich aus seiner Mitgliedschaft zur Genfer Flüchtlingskonvention ergebenden Verpflichtungen, insbesondere das in deren Art. 33 verankerte Refoulementverbot, "etwa vernachlässige", bzw. daß Ungarn im Falle der Zweitbeschwerdeführerin seiner in Art. 33 der Genfer Flüchtlingskonvention statuierten, völkerrechtlichen Verpflichtung zuwidergehandelt hätte, dies jeweils bezogen auf den hiebei allein maßgebenden (letzten) Zeitpunkt des Aufenthaltes der Beschwerdeführer in diesem Land (vgl. unter anderem die Erkenntnisse des Verwaltungsgerichtshofes vom 24. November 1993, Zl. 93/01/0357, und vom 26. Jänner 1994, Zl. 93/01/1522). Die Beschwerdeführer haben zwar diese Behauptungen erstmals in der Beschwerde aufgestellt, doch wurde ihnen im Verwaltungsverfahren nicht Gelegenheit gegeben, dazu Stellung zu nehmen, weshalb dieses Vorbringen nicht gegen das im verwaltungsgerichtlichen Verfahren geltende Neuerungsverbot des § 41 Abs. 1 VwGG verstößt. Damit haben die Beschwerdeführer die Wesentlichkeit eines Verfahrensmangels aufgezeigt, woran die dem angefochtenen Bescheid beigegebene Begründung nichts zu ändern vermag.

Die belangte Behörde hat ihre Entscheidung hinsichtlich des Erstbeschwerdeführers - wie bereits gesagt - zwar darauf gestützt, daß sich dieser vor seiner Einreise nach Österreich "mehrere Monate lang" in Ungarn aufgehalten habe. Ihre daraus abgeleitete Schlußfolgerung, daß es dem Erstbeschwerdeführer "somit möglich gewesen wäre, bei den ungarischen Behörden um Asyl anzusuchen", wäre aber insbesondere dann nicht berechtigt, wenn sein (dahin zu verstehendes) Beschwerdevorbringen, es habe auch noch im Zeitpunkt der Beendigung seines Aufenthaltes in Ungarn "kein innerungarisches Ausführungsgesetz" gegeben und es seien auch noch damals rumänische Staatsangehörige, auch wenn sie der ungarischen Volksgruppe angehört hätten, wieder nach Rumänien abgeschoben worden, den Tatsachen entsprechen sollte. Der Umstand, daß ein Staat trotz seines Beitrittes zur Genfer Flüchtlingskonvention die damit übernommenen Verpflichtungen nicht erfüllt, bedeutet noch nicht zwangsläufig, daß in diesem Land im Einzelfall keine "Verfolgungssicherheit" im Sinne des § 2 Abs. 2 Z. 3 Asylgesetz 1991 gegeben wäre (vgl. das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 20. Mai 1994, Zl. 93/01/1290). Um jedoch vom Vorliegen eines solchen Einzelfalles ausgehen zu können, bedürfte es zusätzlicher Feststellungen seitens der belangten Behörde über die näheren Umstände des Aufenthaltes der betreffenden Person in diesem Land. Die Tatsache, daß sich jemand "mehrere Monate lang" in einem Staat aufgehalten hat, besagt nämlich für sich allein (unter Berücksichtigung eines Vorbringens, wie es die Beschwerdeführer erstattet haben) keineswegs, daß diese Person vor Verfolgung sicher gewesen sei, kommt es doch hiebei entscheidend darauf an, ob dieser Aufenthalt den staatlichen Behörden überhaupt bekannt gewesen und daraufhin von ihnen gebilligt worden ist (wie dies in dem dem zuletzt zitierten Erkenntnis zugrundeliegenden Beschwerdefall als erwiesen angenommen wurde, wobei jener Beschwerdeführer keine hinreichenden Gründe dafür vorgebracht hat, auf Grund welcher Umstände es ihm nicht möglich oder zumutbar gewesen wäre, weiterhin mit Billigung der dortigen staatlichen Behörden in Ungarn zu bleiben). Derartige Feststellungen fehlen in Ansehung des Aufenthaltes des Erstbeschwerdeführers in Ungarn zur Gänze, weshalb er ihnen auch in der Beschwerde nicht mit konkreten Sachverhaltsbehauptungen hätte entgegentreten können.

Das gleiche gilt sinngemäß auch hinsichtlich der Zweitbeschwerdeführerin, ungeachtet der Feststellung der belangten Behörde, daß sich die Zweitbeschwerdeführerin vor ihrer Einreise nach Österreich "zwei Monate lang versehen mit einer Aufenthaltsgenehmigung" in Ungarn aufgehalten habe. Die Zweitbeschwerdeführerin befand sich demnach (sogar) mit Billigung (und nicht nur, wovon die belangte Behörde ausgegangen ist, "mit Duldung") der ungarischen Behörden während dieses Zeitraumes in Ungarn. Die darauf beruhende Annahme der belangten Behörde, die Zweitbeschwerdeführerin sei nicht in Gefahr gewesen, nach Rumänien abgeschoben zu werden, erweist sich im Hinblick auf die (von der belangten Behörde nicht in Abrede gestellte) Befristung der Aufenthaltsberechtigung in Verbindung damit, daß die belangte Behörde die Möglichkeit einer Verlängerung dieser Berechtigung gar nicht ins Auge gefaßt hat, als nicht schlüssig. Was aber das Argument der belangten Behörde anlangt, die Zweitbeschwerdeführerin hätte "auch bei einem allfälligen Ablauf" ihrer Aufenthaltsberechtigung (mit Rücksicht auf den Beitritt Ungarns zur Genfer Flüchtlingskonvention) nicht befürchten müssen, ohne Prüfung ihrer Fluchtgründe in ihr Heimatland abgeschoben zu werden, so ist auf das gegenteilige Beschwerdevorbringen der Zweitbeschwerdeführerin zu verweisen.

Da somit Verfahrensvorschriften außer acht gelassen wurden, bei deren Einhaltung die belangte Behörde jeweils zu einem anderen Bescheid hätte kommen können, waren die angefochtenen Bescheide gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1994:1994010049.X00

Im RIS seit

20.11.2000
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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