TE Vwgh Erkenntnis 1994/6/30 94/01/0303

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Veröffentlicht am 30.06.1994
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Index

001 Verwaltungsrecht allgemein;
10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG);
10/07 Verwaltungsgerichtshof;
40/01 Verwaltungsverfahren;
41/02 Passrecht Fremdenrecht;
49/01 Flüchtlinge;

Norm

AsylG 1991 §1 Z1;
AsylG 1991 §2 Abs2 Z3;
AsylG 1991 §20 Abs1;
AsylG 1991 §25 Abs1;
AsylG 1991 §25 Abs2;
AVG §66 Abs4;
AVG §73 Abs1;
B-VG Art7 Abs1;
FlKonv Art43;
VwGG §27;
VwRallg;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Herberth und die Hofräte Dr. Dorner und Dr. Bernegger als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Lammer, über die Beschwerde der N in G, vertreten durch Dr. A, Rechtsanwalt in G, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 9. November 1993, Zl. 4.327.274/2-III/13/92, betreffend Asylgewährung, zu Recht erkannt:

Spruch

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Begründung

Aufgrund der Beschwerde und der dieser angeschlossenen Ausfertigung des angefochtenen Bescheides ist von folgendem Sachverhalt auszugehen:

Mit dem im Instanzenzug gemäß § 66 Abs. 4 AVG ergangenen Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 9. November 1993 wurde ausgesprochen, daß Österreich der Beschwerdeführerin - einer Staatsangehörigen "der früheren SFRJ", die am 6. November 1991 den Asylantrag gestellt hat - kein Asyl gewähre.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z. 2 VwGG gebildeten Senat erwogen hat:

Die belangte Behörde hat der Beschwerdeführerin deshalb kein Asyl gewährt, weil sie der Ansicht war, daß der Ausschließungsgrund des § 2 Abs. 2 Z. 3 leg. cit. gegeben sei. Nach dieser Gesetzesstelle wird einem Flüchtling kein Asyl gewährt, wenn er bereits in einem anderen Staat vor Verfolgung sicher war.

Die belangte Behörde hat aufgrund der Angaben der Beschwerdeführerin anläßlich ihrer Vernehmung am 9. November 1991, sie habe sich vor ihrer Einreise in das Bundesgebiet am 3. November 1991 in Ungarn aufgehalten, angenommen, daß sie bereits in diesem Staat vor Verfolgung sicher gewesen sei. Verfolgungssicherheit sei insbesondere dann anzunehmen, wenn der Asylwerber vor seiner Einreise nach Österreich in einem Drittland keiner Verfolgung ausgesetzt gewesen sei und nicht habe befürchten müssen, ohne Prüfung der Fluchtgründe in sein Heimatland "bzw. in einen Verfolgerstaat" abgeschoben zu werden. Denn Ungarn sei seit dem 14. März 1989 Mitgliedstaat der Genfer Flüchtlingskonvention und es spreche nichts dafür, daß es die sich aus der Mitgliedschaft ergebenden Verpflichtungen, insbesondere das in deren Art. 33 verankerte Refoulement-Verbot, etwa vernachlässige. Somit habe die Beschwerdeführerin in Ungarn Verfolgungssicherheit erlangt. Daran ändere auch der relativ kurze Aufenthalt der Beschwerdeführerin in Ungarn nichts. Biete nämlich ein Zufluchtstaat von seiner effektiv geltenden Rechtsordnung her einen dem Standard der Genfer Flüchtlingskonvention entsprechenden Schutz (wie dies im Falle Ungarns anzunehmen sei), so sei Sicherheit im Augenblick des Betretens dieses Staates als gegeben anzunehmen und könne die einmal erlangte Verfolgungssicherheit durch Verstreichen von Zeit nicht wachsen. Es sei legitim, davon auszugehen, daß in einem Staat, dessen Rechts- und Verfassungsordnung im großen und ganzen effektiv sei, auch größere Teilbereiche dieses Rechtsbestandes, wie eben das "Non-Refoulement-Recht", ebenfalls effektiv in Geltung stünden. Im Hinblick auf § 2 Abs. 3 Asylgesetz 1991 sei eine generalisierende Betrachtungsweise ausreichend. Der Beschwerdeführer habe nicht vermocht darzutun, daß er keinen Rückschiebeschutz genossen hätte.

Wenn sich die Beschwerdeführerin zunächst dagegen wendet, daß das vor dem Asylgesetz 1991 in Geltung gestandene Asylgesetz (1968) angewendet worden wäre, wenn die belangte Behörde binnen fünf bzw. fünfeinhalb Monaten entschieden hätte, stellt dies keine Rechtswidrigkeit dar (vgl. die

hg. Erkenntnisse vom 19. Oktober 1956, Zl. 3043/53, und vom 9. September 1993, Zl. 93/01/0340).

Weiters meint die Beschwerdeführerin, daß die Begründung des Bescheides nicht ausreichend sei, da in ihrer Asylsache die sogenannte "Drittlandsklausel" nicht zum Tragen komme. Sie sei mit dem Bus in das Bundesgebiet eingereist. Es sei ihr nicht möglich gewesen, bei den dortigen Behörden um Asyl anzusuchen, da der Bus vereinbarungsgemäß, ohne in Ungarn anzuhalten, nach Österreich gefahren sei. Im übrigen sei sie in der Zeit der Geltung des "alten Asylgesetzes" eingereist und habe daher darauf vertrauen dürfen, in Österreich Asyl zu erhalten.

Eine Durchreise durch Ungarn, die auf Grund privatrechtlicher Vereinbarung ohne Anhalten erfolgt, kann nicht als ein Grund qualifiziert werden, der die Beschwerdeführerin darin gehindert hätte, um das Anhalten des Busses dennoch zu ersuchen und in Ungarn allenfalls länger zu bleiben und bereits dort um Asyl anzusuchen (vgl. das hg. Erkenntnis vom 26. Jänner 1994, Zl. 93/01/1083).

Sofern sich die Beschwerdeführerin auf ihr im Zeitpunkt ihrer Einreise bestehendes Vertrauen, in Österreich Asyl zu erhalten, beruft, ist darauf zu verweisen, daß der Verfassungsgerichtshof die Einführung u.a. neuer materieller Kriterien für die Asylgewährung, wie die Verfolgungssicherheit gemäß § 2 Abs. 2 Z. 3 Asylgesetz 1991, während des Berufungsverfahrens für zulässig erachtet hat (vgl. das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 16. Dezember 1992, B 1387/92, B 1542/92). Ein Vertrauen auf die alte Rechtslage stellt weiters einen subjektiven Grund dar; demgegenüber kommt es aber bei der Frage des Vorliegens des dem § 2 Abs. 2 Z. 3 Asylgesetz 1991 zugrundeliegenden Sicherheitsbedürfnisses als Voraussetzung für die Asylgewährung (vgl. das hg. Erkenntnis vom 24. November 1993, Zl. 93/01/0357) allein auf einen objektiven Maßstab an.

Wenn sich die Beschwerdeführerin weiters auf den von Ungarn aus Anlaß des Beitrittes zur Genfer Flüchtlingskonvention abgegebenen Vorbehalt bezieht, ist klarzustellen, daß Ungarn gegenüber allen Ereignissen in Europa, also auch im Hinblick auf Ereignisse in "der früheren SFRJ", die Verpflichtungen der Konvention eingegangen ist.

Daß Ungarn, das der Genfer Flüchtlingskonvention am 14. März 1989 mit Wirksamkeit für den 12. Juni 1989 (siehe Art. 43 der Genfer Flüchtlingskonvention) und mit der Maßgabe, daß es hinsichtlich seiner Verpflichtungen aus dieser Konvention die Alternative a des Abschnittes B des Art. 1 (betreffend Ereignisse, die in Europa eingetreten sind) anwenden wird, beigetreten ist (vgl. BGBl. Nr. 260/1992), seine Verpflichtungen nach der Konvention nicht einhalte und sie daher in Ungarn keinen wirksamen Schutz vor Abschiebung in ihren Heimatstaat gehabt habe, wird von der Beschwerdeführerin nicht behauptet. Der Verwaltungsgerichtshof kann daher im Hinblick auf seine ständige Judikatur zur "Verfolgungssicherheit" (vgl. u.a. das hg. Erkenntnis vom 27. Mai 1993, Zl. 93/01/0256, und das zitierte hg. Erkenntnis, Zl. 93/01/0357) der Annahme der belangten Behörde, die Beschwerdeführerin sei in Ungarn vor Verfolgung sicher gewesen, nicht entgegentreten.

Da somit bereits der Inhalt der Beschwerde erkennen läßt, daß die von der Beschwerdeführerin behauptete Rechtsverletzung nicht vorliegt, war die Beschwerde ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung gemäß § 35 Abs. 1 VwGG abzuweisen.

Bei diesem Ergebnis erübrigt sich eine Entscheidung des Berichters über den Antrag, der Beschwerde aufschiebende Wirkung zuzuerkennen.

Schlagworte

Maßgebende Rechtslage maßgebender Sachverhalt Beachtung einer Änderung der Rechtslage sowie neuer Tatsachen und BeweiseRechtsverletzung sonstige FälleVerletzung der Entscheidungspflicht Allgemein Behördliche AngelegenheitenVerhältnis zu anderen Materien und Normen VwGG (siehe auch Heilung von Verfahrensmängeln der Vorinstanz im Berufungsverfahren)

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1994:1994010303.X00

Im RIS seit

11.07.2001

Zuletzt aktualisiert am

26.06.2017
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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