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L8 Boden- und VerkehrsrechtNorm
B-VG Art140 Abs7 zweiter SatzLeitsatz
Quasianlaßfall; Anlaßfallwirkung der Aufhebung des §69 Abs1 Wr BauO 1930 mit E v 11.12.91, G74/90, G178/90.Spruch
Die Beschwerdeführerinnen sind durch den angefochtenen Bescheid wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes in ihren Rechten verletzt worden.
Der Bescheid wird aufgehoben.
Die Stadt Wien ist schuldig, den Beschwerdeführerinnen zuhanden ihres Rechtsvertreters die mit 15.000 S bestimmten Prozeßkosten binnen 14 Tagen bei Exekution zu bezahlen.
Begründung
Entscheidungsgründe:
I. Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid vom 6. Dezember 1990 versagte die Bauoberbehörde für Wien den Beschwerdeführerinnen gemäß §69 Abs1 lita und f BauO f Wien die Bewilligung, bei einem näher bezeichneten Bauvorhaben "a) die vordere Baufluchtlinie an der Front Hödlgasse zu überschreiten, b) die innere Baufluchtlinie in Richtung zur Nachbarliegenschaft EZ 1053, KG Atzgersdorf, zu überschreiten, c) nicht bebaute, aber bebaubare Grundflächen durch die Anordnung von Einstellplätzen der gärtnerischen Gestaltung zu entziehen und d) mehr als 33 % der Bauplatzfläche zu bebauen."
In der dagegen erhobenen Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof machen die Beschwerdeführerinnen die Verletzung näher bezeichneter verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte sowie eine Verletzung in Rechten infolge Anwendung eines gesetzwidrigen Flächenwidmungs- und Bebauungsplanes (PD Nr. 6020) geltend und begehren die Aufhebung des angefochtenen Bescheides.
Mit Erkenntnis vom 11.12.1991, G74/90, G178/90, hob der Verfassungsgerichtshof §69 Abs1 BauO für Wien wegen Verstoßes gegen Art18 B-VG als verfassungswidrig auf.
II. 1. Wie sich aus Art140 Abs7 B-VG ergibt, wirkt die Aufhebung eines Gesetzes auf den Anlaßfall zurück. Es ist darum so vorzugehen, als ob die als verfassungswidrig erkannte Norm bereits zur Zeit der Verwirklichung des dem Bescheid zugrundegelegten Tatbestandes nicht mehr der Rechtsordnung angehört hätte.
Dem im Art140 Abs7 B-VG genannten Anlaßfall im engeren Sinn (anläßlich dessen das Gesetzesprüfungsverfahren tatsächlich eingeleitet worden ist) sind all jene Fälle gleichzuhalten, die im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung im Gesetzesprüfungsverfahren (bei Unterbleiben einer mündlichen Verhandlung mit Beginn der nichtöffentlichen Beratung) bereits anhängig waren
(VfSlg. 10616/1985, 11711/1988).
Die nichtöffentliche Beratung im Gesetzesprüfungsverfahren fand am 11. Dezember 1991 statt.
Die vorliegende Beschwerde ist beim Verfassungsgerichtshof am 28. Jänner 1991 - also vor der Beratung im Gesetzesprüfungsverfahren - eingelangt.
Nach dem Gesagten ist der Fall daher einem Anlaßfall gleichzuhalten.
Die belangte Behörde wendete bei Erlassung des angefochtenen Bescheides die als verfassungswidrig befundene Vorschrift an. Nach der Lage des Falles ist es nicht ausgeschlossen, daß diese Gesetzesanwendung für die Rechtsstellung der Beschwerdeführerinnen nachteilig war.
Es ist daher auszusprechen, daß die Beschwerdeführerinnen durch den angefochtenen Bescheid wegen der Anwendung einer verfassungswidrigen Gesetzesbestimmung in ihren Rechten verletzt wurde sowie, daß der Bescheid aufgehoben wird (vgl. etwa VfSlg. 10736/1985).
2. Die Kostenentscheidung stützt sich auf §88 VerfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in der Höhe von S 2.500 enthalten.
III. Von der Durchführung einer mündlichen
Verhandlung wurde gemäß §19 Abs4 Z3 VerfGG abgesehen.
Schlagworte
VfGH / AnlaßfallEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:1992:B104.1991Dokumentnummer
JFT_10079072_91B00104_00