TE Vwgh Erkenntnis 1994/12/15 94/18/0816

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Veröffentlicht am 15.12.1994
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Index

001 Verwaltungsrecht allgemein;
24/01 Strafgesetzbuch;
41/02 Passrecht Fremdenrecht;

Norm

FrG 1993 §18 Abs1 Z1;
FrG 1993 §18 Abs2 Z1;
FrG 1993 §19;
FrG 1993 §20 Abs1;
StGB §43;
StGB §43a;
VwRallg;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Vizepräsident Dr. W. Pesendorfer und die Hofräte Dr. Zeizinger, Dr. Sauberer, Dr. Graf und Dr. Sulyok als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Runge, über die Beschwerde des S, vertreten durch Dr. H, Rechtsanwalt in L, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Oberösterreich vom 15. September 1994, Zl. St 204-1/94, betreffend Erlassung eines unbefristeten Aufenthaltsverbotes, zu Recht erkannt:

Spruch

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Begründung

I.

1. Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Oberösterreich (der belangten Behörde) vom 15. September 1994 wurde gegen den Beschwerdeführer, einen türkischen Staatsangehörigen, gemäß § 18 Abs. 1 Z. 1 und 2 sowie Abs. 2 Z. 1 iVm den §§ 19, 20 und 21 des Fremdengesetzes - FrG, BGBl. Nr. 838/1992, ein unbefristetes Aufenthaltsverbot erlassen.

Der Beschwerdeführer, der im 18. Lebensjahr stehe, sei in Österreich geboren und hier aufgewachsen. Die gesamte Familie halte sich in Österreich auf (der Vater seit 1968, die Mutter und seine Schwester seit 1977, eine weitere Schwester seit 1978).

Mit Urteil des Landesgerichtes Linz vom 25. Februar 1993 sei der Beschwerdeführer wegen des Vergehens der schweren Körperverletzung (§ 83 Abs. 1 und § 84 Abs.2 Z. 2 StGB) "zu einem Schuldspruch unter Vorbehalt der Strafe auf eine Probezeit von zwei Jahren rechtskräftig verurteilt worden". Mit Urteil desselben Gerichtes vom 18. Jänner 1994 sei der Beschwerdeführer wegen des Verbrechens des schweren Raubes nach den §§ 142 Abs. 1, 143 dritter Fall StGB unter gleichzeitigem nachträglichem Strafausspruch gemäß den §§ 15, 16 JGG zum Urteil vom 25. Februar 1993 zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren rechtskräftig verurteilt worden, wobei gemäß § 43 a StGB 18 Monate der verhängten Freiheitsstrafe unter Bestimmung einer Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehen worden seien.

Der zweitgenannten Verurteilung liege zugrunde, daß der Beschwerdeführer zusammen mit einem gleichfalls jugendlichen türkischen Staatsangehörigen, der ebenso wie der Beschwerdeführer beschäftigungslos und ohne Einkommen gewesen sei, am 11. November 1993 gegen Einbruch der Dunkelheit im Volksgarten in Linz einen 15jährigen Schüler in Raubabsicht überfallen habe. Der Beschwerdeführer habe den Schüler am Nacken gepackt und in der rechten Hand ein aufgeklapptes Butterflymesser gehalten, das er etwa in Brusthöhe des Opfers in drohender Haltung gehalten habe. Gleichzeitig habe er mit den Worten "Geld her" die Herausgabe von Bargeld gefordert. Als der Schüler erklärt habe, kein Geld zu haben, hätten die beiden Täter ihn zu Boden gerissen und mit den Füßen auf den Körper des Opfers eingeschlagen und ihm auch Faustschläge versetzt. Schließlich habe der Beschwerdeführer mit dem Butterflymesser zweimal auf die Oberschenkel des Überfallenen eingestochen, der dadurch am Körper schwer verletzt worden sei. Der Überfallene habe schließlich die Geldbörse aus der Hosentasche herausgezogen und sie den beiden Tätern hingeworfen. In der Geldbörse hätten sich S 45,-- befunden. Der überfallene Schüler habe sich bis zur Bushaltestelle schleppen können, wo er bewußtlos zusammengebrochen sei. Der Beschwerdeführer und sein Mittäter hätten kurz darauf in einem Cafe in Linz gestellt werden können.

Bei der Strafbemessung für den Beschwerdeführer sei sein Geständnis als mildernd gewertet worden, als erschwerend hingegen seine einschlägige Verurteilung, die mehrfache Qualifikation sowie der Umstand, daß der Beschwerdeführer bei der brutalen Begehungsweise der unmittelbar Ausführende gewesen sei, nämlich derjenige, der mit dem Messer zugestochen habe.

Vom Beschwerdeführer werde nicht bestritten, daß diese Verurteilung den Tatbestand des § 18 Abs. 2 Z. 1 FrG verwirkliche. Sowohl aufgrund der Art des Deliktes als auch der Schwere der Begehungsweise und zufolge des Umstandes, daß der Beschwerdeführer bereits eine Verurteilung wegen schwerer Körperverletzung aufweise, sei auch die im § 18 Abs. 1 FrG umschriebene Annahme gerechtfertigt.

Durch das Aufenthaltsverbot werde zweifellos in das Privat- und Familienleben des Beschwerdeführers eingegriffen. Zur Verhinderung von strafbaren Handlungen und zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer (Art. 8 Abs. 2 MRK) sei diese Maßnahme aber dringend geboten. Abgesehen davon, daß es sich bei der Verurteilung wegen Raubes schon um die zweite gerichtliche Verurteilung handle, mache die brutale Vorgangsweise des Beschwerdeführers den Entzug der Aufenthaltsberechtigung notwendig (§ 19 FrG).

Daß das Aufenthaltsverbot in sogar bedeutendem Maß in das Privat- und Familienleben des Beschwerdeführers eingreife, zumal er noch minderjährig sei und im Kreis seiner Familie lebe, werde von der belangten Behörde nicht bestritten. Die beantragte Einvernahme von Familienangehörigen erübrige sich daher. Allerdings würden die nachteiligen Folgen der Abstandnahme von der Erlassung des Aufenthaltsverbotes immer noch schwerer wiegen, als die Auswirkungen dieser Maßnahme auf die Lebenssituation des Beschwerdeführers und seiner Familie, selbst wenn zweifellos familiäre Bindungen gegeben und der Beschwerdeführer auch, wie erwähnt, schon seit Geburt in Österreich aufhältig sei. Es dürfe nämlich nicht übersehen werden, daß der Beschwerdeführer die treibende Kraft an dem Raubüberfall gewesen sei und auf das Opfer eingestochen habe. Wenn man dazu noch die erste gerichtliche Verurteilung des Beschwerdeführers berücksichtige und die Gefahr, die von derartigen Gewaltdelikten Jugendlicher allgemein ausgehe und der begegnet werden müsse, würden die öffentlichen Interessen an der Verhängung eines Aufenthaltsverbotes schwerer wiegen als die gegenläufigen privaten Interessen des Beschwerdeführers.

2. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde mit dem Begehren, ihn wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes oder Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

II.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

1. In der Beschwerde bleibt die Ansicht der belangten Behörde, daß aufgrund der - unbestrittenen - maßgeblichen Sachverhaltsfeststellungen der Tatbestand des § 18 Abs. 2 Z. 1 FrG verwirklicht und aus den dazu angeführten Gründen die im § 18 Abs. 1 leg. cit. umschriebene Annahme gerechtfertigt sei, unbekämpft. Auch der Gerichtshof hegt gegen diese rechtliche Beurteilung keine Bedenken.

2.1. Die Beschwerde meint allerdings, daß im Hinblick auf den intensiven Eingriff in das Privat- und Familienleben des Beschwerdeführers durch das Aufenthaltsverbot dieses keinesfalls dringend geboten sei, um die Ziele des Art. 8 Abs. 2 MRK zu erreichen. Dies vor allem deshalb, weil der Beschwerdeführer noch minderjährig (knapp 18 Jahre) sei und auch die vom Gericht verhängten Strafen zeigten, daß ihm eine günstige Zukunftsprognose zugestanden werde. Das Urteil vom 25. Februar 1993 sei unter Vorbehalt einer Straffestsetzung ergangen. Das Urteil wegen schweren Raubes habe dem Beschwerdeführer die Rechtswohltat des § 43 a StGB zugute kommen lassen und es sei ein Teil der Freiheitsstrafe im Ausmaß von 18 Monaten bedingt nachgesehen worden. Zu bedenken sei auch, daß seit dem Raubüberfall am 11. November 1993 nahezu ein Jahr verstrichen sei und der Beschwerdeführer sich in diesem Zeitraum wohlverhalten habe. Die Frage, ob eine bedingte oder unbedingte Strafe verhängt werde, sei bei der Beurteilung der Kriterien nach § 19 FrG jedenfalls von entscheidungswesentlicher Bedeutung.

2.2. Zu der zuletzt vertretenen Auffassung ist dem Beschwerdeführer entgegenzuhalten, daß diese im Gesetz keine Deckung findet. Eine bedingte Strafnachsicht (§ 43 StGB) oder eine bedingte Nachsicht eines Teiles der Strafe (§ 43 a StGB) sind zwar für die Beurteilung, ob der Tatbestand des § 18 Abs. 2 Z. 1 FrG verwirklicht ist, von Relevanz, nicht jedoch (auch) für die Beurteilung der Zulässigkeit eines Aufenthaltsverbotes im Grunde des § 19 FrG. Die Tatsache, daß das Gericht, wie im Beschwerdefall, von § 43 a StGB Gebrauch gemacht hat, enthebt die für die Vollziehung des Fremdengesetzes zuständige Behörde nicht ihrer Aufgabe, selbständig, d.h. ohne Bindung an die vom Gericht zur bedingten Nachsicht eines Teiles der Strafe angestellten Erwägungen, ausschließlich aus dem Blickwinkel der von ihr anzuwendenden fremdenrechtlichen Normen die Frage des Dringend-geboten-seins eines Aufenthaltsverbotes zu beurteilen.

Die belangte Behörde ist bei dieser Beurteilung - insoweit durchaus in Übereinstimmung mit der in der Beschwerde geäußerten Ansicht - von einem Eingriff in das Privat- und Familienleben des Beschwerdeführers durch das Aufenthaltsverbot in "sogar bedeutendem Maße" ausgegangen. Diesem erheblichen Eingriff hat sie die hier maßgeblichen, im Art. 8 Abs. 2 MRK verankerten Ziele, die es durch die Verhängung des Aufenthaltsverbotes zu erreichen gilt, gegenübergestellt. Sie ist hiebei zu dem Ergebnis gelangt, daß es angesichts der brutalen Vorgangsweise des Beschwerdeführers bei dem von ihm verübten Raub und des dadurch herbeigeführten Erfolges (schwere Verletzung des Opfers), aber auch in Anbetracht der Tatsache, daß sich der Beschwerdeführer kurze Zeit vorher des Deliktes der schweren Körperverletzung schuldig gemacht habe, zur Verhinderung (weiterer) strafbarer Handlungen durch den Beschwerdeführer wie auch zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig sei, gegen ihn ein Aufenthaltsverbot zu erlassen. Der Gerichtshof vermag diese Auffassung nicht als rechtswidrig zu erkennen.

3.1. Die Beschwerde hält auch die gemäß § 20 Abs. 1 FrG vorgenommene Interessenabwägung für rechtswidrig. Sie begründet diese Anschauung mit den stark ausgeprägten privaten- und familiären Interessen des Beschwerdeführers (Geburt und Schulbesuch in Österreich, Minderjährigkeit, Integration, Aufenthalt der Familie in Österreich), seinem Wohlverhalten seit nahezu einem Jahr sowie dem Umstand, daß die verbüßte Strafhaft hinreichend Gewähr für ein künftiges Wohlverhalten biete.

3.2. Auch insoweit vermag die Beschwerde keine Rechtswidrigkeit des bekämpften Bescheides aufzuzeigen. Wie bereits erwähnt, hat die belangte Behörde auf die genannten Kriterien zugunsten des Beschwerdeführers Bedacht genommen und ihnen großes Gewicht beigemessen. Sie hat - in diesem Zusammenhang bedeutsam - allerdings auf die Schwere der vom Beschwerdeführer begangenen Straftaten und die seit 30. September 1993 (vorzeitige Auflösung des Lehrverhältnisses) gegebene Beschäftigungslosigkeit des Beschwerdeführers hingewiesen, womit das Ausmaß der Integration des Beschwerdeführers zufolge eines Defizites der hiefür ganz wesentlichen sozialen Komponente eine nicht unbeachtliche Minderung erfährt (vgl. dazu das hg. Erkenntnis vom 23. Juni 1994, Zl. 94/18/0338). Wenn die belangte Behörde trotz der - ungeachtet der vorbezeichneten Einschränkung - insgesamt betrachtet gewichtigen, für einen (weiteren) Aufenthalt des Beschwerdeführers im Bundesgebiet sprechenden Interessen den gegenläufigen maßgeblichen öffentlichen Interessen ein noch größeres Gewicht zugemessen hat, so kann darin kein rechtswidriges Abwägungsergebnis erblickt werden. Denn die von ihr zu Recht hervorgehobene Brutalität der Tatausführung mit der allein dem Beschwerdeführer zuzurechnenden schweren Verletzung des Opfers durch Messerstiche einerseits und die dem schweren Raub relativ kurze Zeit vorangegangene, dem Beschwerdeführer zur Last liegende schwere Körperverletzung andererseits lassen eine krasse Mißachtung des Lebens bzw. der körperlichen Integrität anderer Menschen durch den Beschwerdeführer zutagetreten, die es rechtfertigt, die Auswirkungen des Aufenthaltsverbotes auf die Lebenssituation des Beschwerdeführers und seiner Familie nicht als schwerer wiegend zu werten als die nachteiligen Folgen der Abstandnahme von dieser Maßnahme (§ 20 Abs. 1 FrG).

4. Auf dem Boden dieses Ergebnisses gehen die Verfahrensrügen - Begründungsmängel hinsichtlich der Tatbestandsvoraussetzungen der §§ 19 und 20 FrG; Unterlassen einer Auseinandersetzung mit dem Bericht der Bewährungshilfe - ins Leere.

5. Da bereits der Inhalt der Beschwerde erkennen läßt, daß die behauptete Rechtsverletzung nicht vorliegt, war die Beschwerde gemäß § 35 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren als unbegründet abzuweisen.

6. Im Hinblick auf die Entscheidung in der Hauptsache erübrigte sich ein gesonderter Abspruch über den Antrag, der Beschwerde aufschiebende Wirkung zuzuerkennen.

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1994:1994180816.X00

Im RIS seit

11.07.2001
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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