TE Vwgh Erkenntnis 1995/5/30 94/05/0053

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Veröffentlicht am 30.05.1995
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Index

L37153 Anliegerbeitrag Aufschließungsbeitrag Interessentenbeitrag
Niederösterreich;
L81703 Baulärm Umgebungslärm Niederösterreich;
L82000 Bauordnung;
L82003 Bauordnung Niederösterreich;
10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG);
92 Luftverkehr;

Norm

BauO NÖ 1976 §1 Abs1;
BauO NÖ 1976 §1 Abs2;
BauO NÖ 1976 §100;
BauO NÖ 1976 §116 Abs1;
BauRallg;
B-VG Art10 Abs1 Z9;
B-VG Art15 Abs1;
LuftfahrtG 1958 §59;
LuftfahrtG 1958 §78;
LuftfahrtG 1958 §79;
LuftfahrtG 1958 §92;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Degischer und die Hofräte Dr. Giendl, Dr. Kail, Dr. Pallitsch und Dr. Bernegger als Richter, im Beisein der Schriftführerin Kommissär Dr. Gritsch, über die Beschwerde der L-AG in Schwechat, vertreten durch Dr. W, Rechtsanwalt in W, gegen den Bescheid der Niederösterreichischen Landesregierung vom 18. Jänner 1994, Zl. R/1-V-93153/00, betreffend eine Bauangelegenheit (mitbeteiligte Partei: Stadtgemeinde Schwechat, vertreten durch den Bürgermeister), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Das Land Niederösterreich hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von S 12.860,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Die Beschwerdeführerin beantragte mit dem an die Stadtgemeinde Schwechat gerichteten Schreiben vom 8. Jänner 1993 die Erteilung der Baubewilligung für die Errichtung einer Lagerhalle auf der Parzelle n1, EZ nn1, Grundbuch M. Diese Parzelle befindet sich nicht nur in der Sicherheitszone des Flughafens Wien-Schwechat, sondern ist auch Teil der vierten Flugplatzerweiterung, welche mit Bescheid des Bundesministers für öffentliche Wirtschaft und Verkehr vom 6. September 1991 bewilligt worden war. Die Beschwerdeführerin gab an, daß sie in der 50,30 m x 20,30 m großen und (laut Vorbringen der Beschwerdeführerin zur hg. Zl. 94/03/0073) 8,2 m hohen Lagerhalle EDV-Anlagen- und Geräte, "Catering-trolleys" (Rollwagen aus Metall, in denen die Verpflegung für die Flugpassagiere verstaut und transportiert wird) und Flugzeugsitze (die derzeit in einem Lager in F gelagert würden) unterbringen will.

Gleichfalls am 8. Jänner 1993 beantragte die Beschwerdeführerin beim Landeshauptmann von Niederösterreich gemäß § 78 Luftfahrtgesetz (im folgenden: LFG) die Bewilligung für die Errichtung und Benützung der - auch hier gegenständlichen - Lagerhalle; allerdings wurde dieser Antrag unter dem Vorbehalt gestellt, daß sich herausstellen sollte, das Lagergebäude sei eine Bodeneinrichtung gemäß § 59 LFG. Diesem Antrag gab der Bundesminister für öffentliche Wirtschaft und Verkehr mit Bescheid vom 1. Oktober 1993 keine Folge, weil zur Antragstellung nur der Flugplatzhalter legitimiert sei. Diesbezüglich ist beim Verwaltungsgerichtshof zur bereits erwähnten Zahl 94/03/0073 eine Beschwerde anhängig.

Über Anfrage der Baubehörde erster Instanz teilte der Bundesminister für öffentliche Wirtschaft und Verkehr mit Schreiben vom 23. Februar 1993 mit, es sei absolut unglaubhaft, daß die geplante Lagerhalle nicht mit der Abwicklung des Flugverkehrs in Zusammenhang stehe. Zuständig für die Erteilung der Errichtungsbewilligung sei daher die Luftfahrtbehörde, im vorliegenden Fall gemäß § 78 Abs. 2 LFG der Bundesminister; der Antrag an die Stadtgemeinde Schwechat wäre wegen Unzuständigkeit zurückzuweisen.

Der Bürgermeister der mitbeteiligten Stadtgemeinde wies das Bauansuchen mit Bescheid vom 15. März 1993 wegen Unzuständigkeit zurück. Der Antrag betreffe Belange des Luftfahrtrechtes, welche gemäß § 1 Abs. 2 Nö Bauordnung (i.d.F. LGBl. 8200-9; im folgenden: BO) vom Geltungsumfang der Bauordnung und somit von der Zuständigkeit des Bürgermeisters ausgeschlossen seien.

Der dagegen eingebrachten Berufung gab der Gemeinderat der mitbeteiligten Stadtgemeinde mit Bescheid vom 25. Juni 1993 keine Folge. Der Gemeinderat verwies auf die Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes zum Eisenbahngesetz, wonach Anknüpfungspunkt für eine Zuständigkeit der Gemeinde als Baubehörde der Umstand sei, daß die Bauführung in keinem wie immer gearteten Zusammenhang mit der Eisenbahn stünde. Im vorliegenden Fall müsse eindeutig bejaht werden, daß die Lagerhalle für Gerätschaften und Ersatzteile, die für die Reparatur und andere Arbeiten an Flugzeugen verwendet würden,ähnlich einem Hangar eine Bodeneinrichtung gemäß § 59 LFG sei.

Der dagegen gerichteten Vorstellung gab die belangte Behörde mit dem angefochtenen Bescheid keine Folge. Die zu lagernden Gegenstände sollten im Rahmen des Flugbetriebes Verwendung finden und dienten der Reparatur und Wartung der Flugzeuge der Beschwerdeführerin. Wenn man einen Reparatur- und Einstellhangar jedenfalls als Bodeneinrichtung ansehe, müßten damit verbundene Lagerräume das gleiche rechtliche Schicksal teilen. Im übrigen habe der Bundesminister für öffentliche Wirtschaft und Verkehr im Bescheid vom 1. Oktober 1993 die Auffassung vertreten, daß es sich bei dieser Lagerhalle um eine Bodeneinrichtung handle, sodaß diese Vorfrage durch die zuständige Behörde als entschieden anzusehen sei (§ 38 AVG). Die Vorstellungsbehörde verwies weiters auf das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 8. April 1986, Zl. 85/05/0183, in welchem ausgesprochen worden sei, daß für eine Flugpiste zusätzlich zur luftfahrtrechtlichen Bewilligung keine baubehördliche Bewilligung erforderlich sei; sie führte aus, daß die Judikatur des Verfassungsgerichtshofes zum Eisenbahngesetz nicht sinngemäß ohne Einschränkung auf das gegenständliche Verfahren übertragen werden könne.

Dagegen richtet sich die vorliegende Beschwerde, mit welcher Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend gemacht werden. Die Beschwerdeführerin erachtet sich in ihrem Recht auf Erteilung einer Baubewilligung verletzt.

Die belangte Behörde legte die Verwaltungsakten vor und erstattete ebenso wie die mitbeteiligte Stadtgemeinde eine Gegenschrift.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Gemäß Art. 15 Abs. 1 B-VG verbleibt eine Angelegenheit, die nicht ausdrücklich durch die Bundesverfassung der Gesetzgebung oder auch der Vollziehung des Bundes übertragen ist, im selbständigen Wirkungsbereich der Länder. Dieser Kompetenztatbestand umfaßt insbesondere Regelungen über die Errichtung von Gebäuden und die Baupolizei (siehe die bei H. Mayer, B-VG Kurzkommentar, 77, wiedergegebenen Nachweise). Gemäß Art. 10 Abs. 1 Z. 9 B-VG ist das Verkehrswesen bezüglich der Luftfahrt Bundessache in Gesetzgebung und Vollziehung. Die hier maßgebenden Bestimmungen des am 1. Oktober 1925 unverändert in Geltung gestandenen Gesetzes betreffend die vorläufige Regelung der Luftfahrt vom 10. Dezember 1919, StGBl. Nr. 578, lauteten:

"§ 6.

(1) Flugplätze und die sonstigen dem Luftverkehre dienenden Anlagen dürfen nur mit Genehmigung der Behörde angelegt und betrieben werden. Die im Zeitpunkte des Inkrafttretens dieses Gesetzes vorhandenen Flugplätze und sonstigen dem Luftverkehre dienenden Anlagen dürfen nur mit dieser Genehmigung im Betriebe gehalten werden.

(2) Die Behörde hat bei der Entscheidung über die Genehmigung einer dem Luftverkehre dienenden Anlage alle jene Umstände zu berücksichtigen, die vom Standpunkte der öffentlichen und der Interessen der Anrainer oder sonstigen Beteiligten in Betracht kommen. In jedem Falle hat die Behörde vor dieser Entscheidung ein Gutachten jener Gemeinden einzuholen, in deren Gebiet die Anlagen gelegen oder geplant sind.

...

§ 10.

...

(2) Auf die dem Luftverkehre dienenden Grundstücke und Anlagen finden die Bestimmungen der Bauordnungen nur insoweit Anwendung, als sie mit den Bestimmungen dieses Gesetzes und den hiezu erlassenen Durchführungsanordnungen vereinbar sind.

(3) Es bedarf daher neben den in diesem Gesetze vorgesehenen Genehmigungen weder der Erwerbung einer Konzession und einer Genehmigung der Betriebsanlage nach der Gewerbeordnung noch auch einer besonderen Bewilligung im Sinne der Bauordnungen."

Unter Heranziehung der bei der Auslegung von Kompetenzbestimmungen maßgeblichen Versteinerungstheorie kann somit für Anlagen, die dem Luftverkehr dienen - wie für Eisenbahnanlagen -, im Lichte des Art. 10 Abs. 1 Z. 9 B-VG ("Verkehrswesen bezüglich der Eisenbahnen und der Luftfahrt") abgeleitet werden, daß derartige Anlagen ausschließlich (vgl. § 1 Abs. 2 BO) in die genannte Bundeskompetenz fallen. Daraus kann gefolgert werden, daß das luftfahrtbehördliche Verfahren für zivile Bodeneinrichtungen gemäß § 78 LFG, soferne sie als dem Luftverkehr dienend zu qualifizieren sind, auch das baubehördliche Verfahren in sich schließt und somit eine gesonderte Baubewilligung nicht in Betracht kommt (vgl. Krzizek, System des Österreichischen Baurechts I, 164).

Der dargelegten kompetenzrechtlichen Situation entspricht die Anordnung in § 1 Abs. 2 BO, die wie folgt lautet:

"(2) Durch dieses Gesetz werden andere Zuständigkeiten nicht berührt, wie z.B. die ausschließliche Zuständigkeit des Bundes für Bundesstraßen, Bergbau-, Eisenbahn- und Luftfahrtsanlagen, öffentliche Schiffahrtsanlagen und militärische Anlagen. Nicht berührt werden auch jene Vorschriften, wonach für Bauwerke zusätzliche Bewilligungen erforderlich sind (z.B. nach dem Gewerbe-, Wasser-, Naturschutz- und Arbeitnehmerschutzrecht)."

Aus der dargestellten verfassungsrechtlichen Kompetenzrechtslage zu dem im vorliegenden Fall relevanten Kompetenztatbestand des Art. 10 Abs. 1 Z. 9 B-VG folgt aber, daß für Bauten, die dem Luftverkehr nicht dienen, eine luftfahrtrechtliche Bewilligung nicht in Betracht kommt, selbst wenn sich solche Bauten auf Flugplätzen befinden. Solche Bauten sind keine Luftfahrtsanlagen im Sinne des Art. 10 Abs. 1 Z. 9 B-VG und des § 1 Abs. 2 BO. Es kommt daher § 1 Abs. 1 BO im Einklang mit der Verfassungslage zur Anwendung, wonach die Bestimmungen der Nö Bauordnung für bauliche Vorhaben aller Art ohne Rücksicht auf den Verwendungszweck gelten. Unter Umständen kommt allerdings ZUSÄTZLICH eine luftfahrtrechtliche Bewilligung unter dem Gesichtspunkt der Gewährleistung der Sicherheit des Luftverkehrs bei solchen nicht dem Luftverkehr dienenden Anlagen in Betracht (vgl. die Ausnahmebewilligung für Luftfahrthindernisse gemäß § 92 LFG); eine solche Bewilligung kann daher als vom Kompetenztatbestand "Luftfahrt" erfaßt angesehen werden.

Hinsichtlich der Frage, welche Bauten zivile Bodeneinrichtungen i.S.d. § 59 LFG sind, wird auf Halbmayer-Wiesenwasser, Das österreichische Luftfahrtrecht, Anm. 2 zu § 59 LFG verwiesen, wonach Abfertigungsgebäude, ortsfeste Einrichtungen für die Betankung und Enttankung von Luftfahrzeugen sowie Hangars dieser Qualifikation entsprechen. Der Verwaltungsgerichtshof ging in seinen Erkenntnissen vom 26. Mai 1993, Zl. 92/03/0108 und vom 21. September 1994, Zl. 94/03/0238, bezüglich der Errichtung eines Hangars, von der Bewilligungspflicht nach den §§ 78, 79 LFG aus.

Beim vorliegenden Bauvorhaben handelt es sich aber um ein selbständiges Lagergebäude; irgendeine Bezugnahme zu einem Hangar, also einem typischerweise für Reparatur und Wartung von Flugzeugen bestimmten Betriebsgebäude, ist nicht aktenkundig.

Zur Klärung der Frage, was unter dem Begriff einer dem Luftverkehr dienenden "Anlage" zu verstehen ist und ob das vorliegende Objekt dem Luftverkehr dient, sei zunächst auf die zum Begriff "Eisenbahnanlagen" im Zusammenhang mit Art. 10 Abs. 1 Z. 9 B-VG ergangene Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (VfSlg. 5578, 5019) verwiesen: Danach sind Bauten dann Eisenbahnanlagen, wenn sie ganz oder teilweise, unmittelbar ODER MITTELBAR der Abwicklung oder Sicherung des Eisenbahnbetriebes oder Eisenbahnverkehrs dienen. Dazu hat der Verwaltungsgerichtshof im Erkenntnis vom 17. Oktober 1963, Slg. Nr. 6123/A, ausgesprochen, daß es sich um eine Einrichtung handeln müsse, die mit dem Eisenbahnbetrieb oder dem Eisenbahnverkehr in einem solchen Zusammenhang steht, daß ohne diese ein geordneter Eisenbahnbetrieb oder Eisenbahnverkehr nicht möglich ist. Die damals behandelte zentrale Rechnungsstelle, Pensionsabteilung und Bibliothek werde zwar vom Eisenbahnunternehmen gebraucht; es könne aber nicht mit Recht behauptet werden, daß dann, wenn bei einem Eisenbahnunternehmen für diese Dienststellen kein im Eigentum des Bahnunternehmens stehendes Gebäude vorhanden ist, ein ordnungsgemäßer Eisenbahnbetrieb oder Eisenbahnverkehr nicht aufrecht erhalten werden könne.

Wenn somit hinsichtlich des verlangten unmittelbaren ODER MITTELBAREN Zusammenhanges gefordert wurde, daß ohne die geplante Einrichtung ein geordneter Betrieb nicht möglich ist, dann kann für den vorliegenden Fall keine Rede davon sein, daß, wie die Berufungsbehörde meinte, ein Anknüpfungspunkt für die Gemeinde als Baubehörde nur dann besteht, wenn die Bauführung "in keinem wie immer gearteten Zusammenhang mit der Eisenbahn" steht.

Ein solcher Zusammenhang mit dem Luftverkehr kann bei einem Lagergebäude, in welchem EDV-Einrichtungen, Flugzeugsitze und Transportwagen für die Verpflegung gelagert werden, nicht erkannt werden, weil keine Rede davon sein kann, daß ohne dieses Lagergebäude ein geordneter Flugbetrieb nicht möglich wäre. Zu bemerken ist in diesem Zusammenhang, daß die Flugzeugsitze nach den bereits erwähnten Angaben der Beschwerdeführerin vorher in F gelagert wurden und jetzt in dieser Lagerhalle untergebracht werden sollen.

Selbstverständlich sind Lagerhallen für die Luftfracht, die so wie Abfertigungsgebäude für Passagiere zu sehen sind, für den Flugbetrieb erforderlich; Lagerhallen für Flugzeugeinrichtungen und Transportwagen für die Verpflegung dienen aber keinesfalls der Abwicklung des Flugverkehrs.

Dem Argument der belangten Behörde, der Bundesminister für öffentliche Wirtschaft und Verkehr habe mit seinem Bescheid vom 1. Oktober 1993 eine Vorfrage entschieden, ist zu entgegnen, daß die Vorstellungsbehörde die Rechtslage im Zeitpunkt der Berufungsentscheidung zu beurteilen hatte; zur Zeit der Erlassung des Berufungsbescheides vom 25. Juni 1993 lag aber der genannte Bescheid noch nicht vor, sodaß unerörtert bleiben kann, ob mit ihm über diese Vorfrage abgesprochen worden ist.

Da somit die Vorstellungsbehörde zu Unrecht von der Unzuständigkeit der Baubehörden ausgegangen ist, belastete sie ihren Bescheid mit Rechtswidrigkeit des Inhaltes. Er war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG i.V.m. der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994, insbesondere deren Art. III Abs. 2.

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1995:1994050053.X00

Im RIS seit

03.05.2001

Zuletzt aktualisiert am

23.10.2015
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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