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10/07 Verfassungs- und VerwaltungsgerichtsbarkeitNorm
B-VG Art139 Abs1 Z4Leitsatz
Zurückweisung eines Parteiantrags auf Aufhebung von Bestimmungen einer Anstaltsordnung für ein öffentliches Bezirkskrankenhaus mangels Verordnungsqualität der Anstaltsordnung; keine Qualifikation der Regelungen des "inneren Betriebs" durch eine Anstaltsordnung als generelle Akte der Hoheitsverwaltung gemäß dem KAKuG und Tir KAG; keine Qualifikation der Anstaltsordnung als Verordnung auch hinsichtlich einer – durch hoheitlichen Akt erfolgten – Einweisung eines Betroffenen nach dem UnterbringungsG, der Notwendigkeit der Genehmigung von Änderungen der Anstaltsordnung durch die Landesregierung sowie der Androhung einer Verwaltungsstrafe bei gröblichem Verstoß gegen die Anstaltsordnung; verfassungskonforme Auslegung wegen sonstigen Verstoßes gegen das staatliche Organisations- und Verantwortungssystem durch die Beleihung privater Rechtsträger mit Hoheitsgewalt bei Qualifikation der Anstaltsordnung als VerordnungRechtssatz
Unzulässigkeit eines Parteiantrags auf Aufhebung der §§1 Abs3, 5 Abs2 Z3, 7 Abs1 und 7 Abs2 der "Anstaltsordnung Allgemein öffentliches Bezirkskrankenhaus Kufstein", beschlossen am 23.6.2014 vom Gemeindeverbandsausschuss des Gemeindeverbandes Bezirkskrankenhaus Kufstein.
Zum Rechtscharakter der Anstaltsordnung:
Gemäß dem in Ausführung von §6 KAKuG ergangenen §10 Abs1 Tir KAG hat jeder Träger einer Krankenanstalt deren "inneren Betrieb" durch eine Anstaltsordnung zu regeln. §10 Abs1 zweiter Satz Tir KAG listet (nur) die zwingenden Inhalte der Anstaltsordnung auf und lässt damit weitere Inhalte zu, die den inneren Betrieb der Krankenanstalt zum Gegenstand haben.
Weder das KAKuG noch das Tir KAG qualifizieren die Anstaltsordnung ausdrücklich als Verordnung. Sie enthalten auch sonst keine Regelungen, welche die Deutung von Anstaltsordnungen als generelle Akte der Hoheitsverwaltung und damit als Verordnungen als zwingend erscheinen lassen.
Die nach §10 Abs1 Tir KAG gebotenen Inhalte einer Anstaltsordnung betreffen die Trägerschaft, Art, Aufgaben, Einrichtungen, innere Gliederung, Organisation, Grundzüge der Verwaltung und Betriebsform der Krankenanstalt, Dienstpflichten des Personals der Krankenanstalt, die Aufnahme und Entlassung von Patienten, Verhaltensvorschriften für Patienten, Besucher und auszubildende Personen sowie das Beschwerdemanagement.
Keiner dieser Inhalte steht einer Deutung der Anstaltsordnung als nicht-hoheitliche Anordnung des Anstaltsträgers, die teils als innerorganisatorische Organisationsmaßnahme, teils als arbeitsrechtliche Dienstanordnung für Dienstnehmer, teils als Rahmenbedingung für die Aufnahme von Patienten in ein privatrechtliches Behandlungsverhältnis und teils als Ausfluss des privatrechtlichen "Hausrechtes" nach den Vorschriften des Privatrechts zu beurteilen ist, entgegen.
Wenn in der Literatur darauf hingewiesen worden ist, dass für Fälle hoheitlich begründeter Behandlungsverhältnisse (wie etwa nach dem Unterbringungsgesetz) eine Deutung der Regelungen der Anstaltsordnung über das Anstalts-Patientenverhältnis als "Vertragsschablone" für einen privatrechtlichen Behandlungsvertrag ausscheide, so trifft das zwar zu, dies führt aber nicht zwangsläufig zur rechtlichen Qualifikation der Anstaltsordnung als Verordnung: In diesen Fällen wäre es nämlich bei privatrechtlicher Deutung der Anstaltsordnung nicht diese selbst, sondern der hoheitliche Akt der Einweisung eines Betroffenen in eine konkrete Krankenanstalt, der für diesen die Maßgeblichkeit der patientenbezogenen Regelungen der Anstaltsordnung begründet.
Dass die Anstaltsordnung und jede ihrer Änderungen der Genehmigung der Landesregierung bedürfen, lässt ebenfalls keine Rückschlüsse auf die Qualität der Anstaltsordnung zu; eine solche Genehmigung verändert nämlich die Rechtsnatur der zugrundeliegenden Maßnahme nicht.
Auch §64 Abs2 lite Tir KAG, der jeden mit Verwaltungsstrafe bedroht, der gegen die "genehmigte Anstaltsordnung gröblich verstößt", schließt die Deutung der Anstaltsordnung als nicht-hoheitliche Anordnung des Anstaltsträgers nicht aus. Ob diese - nicht in Anfechtung gezogene - Verwaltungsstrafbestimmung ihrerseits in jeder Hinsicht verfassungskonform ist, hat der VfGH hier nicht zu beurteilen.
Angesichts dieser ambivalenten Deutbarkeit einer Anstaltsordnung nach §10 Tir KAG kommt dem folgenden Umstand tragende Bedeutung für die rechtliche Einordnung von Anstaltsordnungen iS dieser Bestimmung zu: Die Anstaltsordnung ist gemäß §10 Abs1 Tir KAG - unabhängig davon, ob es sich um öffentliche oder private Krankenanstalten handelt - vom jeweiligen "Träger der Krankenanstalt" zu erlassen. Träger von Krankenanstalten können neben Gebietskörperschaften und anderen Rechtspersonen öffentlichen Rechts auch natürliche Personen und juristische Personen des Privatrechts sein. Würde man die Anstaltsordnung als Verordnung qualifizieren, läge (teilweise) ein Fall der Beleihung privater Rechtsträger mit Hoheitsgewalt vor. Eine solche Beleihung erschiene jedoch, weil das Tir KAG keine (hinreichende) Einbindung aller Träger von Krankenanstalten in das staatliche Organisations- und Verantwortungssystem (insbesondere durch Begründung von Weisungszusammenhängen) vorsieht, angesichts der Rsp des VfGH zu Voraussetzungen einer verfassungskonformen Beleihung verfassungswidrig. In verfassungskonformer Interpretation verbietet sich daher die Annahme, dass §10 Tir KAG die Anstaltsordnung von Krankenanstalten als Verordnung einordnet und damit die Träger der Krankenanstalten als Beliehene einrichtet.
§10 Tir KAG hat Anstaltsordnungen daher nicht als Verordnungen, sondern als Rechtsakte des Privatrechts konzipiert. Eine konkrete Anstaltsordnung ist im Zweifel im Einklang mit diesem gesetzlichen Konzept zu deuten.
Der - weder durch §10 Tir KAG noch durch das Tir BKH-GVG mit Verordnungsmacht betraute - Gemeindeverbandsausschuss des Gemeindeverbandes Bezirkskrankenhaus Kufstein hat die angefochtenen Bestimmungen als Teil der Anstaltsordnung dieser Krankenanstalt beschlossen. Er überträgt mit §1 Abs3 und §5 Abs2 Z3 der Anstaltsordnung privatrechtliche Vertretungs- bzw Entscheidungsbefugnisse auf den Verwaltungsdirektor bzw die Anstaltsleitung. Diese Regelungen teilen daher den privatrechtlichen Rechtscharakter der Anstaltsordnung. Nichts Anderes gilt für §7 Abs1 der Anstaltsordnung, der lediglich §16 Abs1 erster Satz Tir KAG wiederholt, und für §7 Abs2 Z1 erster Satz der Anstaltsordnung, der §7 Abs1 leg cit bloß exemplarisch ausführt.
Mangels Verordnungsqualität der angefochtenen Bestimmungen der Anstaltsordnung des Bezirkskrankenhauses Kufstein ist der Antrag daher als unzulässig zurückzuweisen. Ob die angefochtenen Bestimmungen in der Sache dem Tir BKH-GVG widersprechen und gegebenenfalls mit Nichtigkeit bedroht sind (§879 Abs1 ABGB), haben die ordentlichen Gerichte zu beurteilen.
Entscheidungstexte
Schlagworte
Krankenanstalten, Verordnung, Verordnungsbegriff, VfGH / Prüfungsgegenstand, VfGH / Parteiantrag, Zivilrecht, Hoheitsverwaltung, Beleihung, Weisungsgebundenheit, Weisung, Auslegung verfassungskonforme, VerwaltungsstrafrechtEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:2024:V5.2022Zuletzt aktualisiert am
17.07.2024