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20/01 Allgemeines bürgerliches Gesetzbuch (ABGB);Norm
ABGB §1324;Betreff
Der VwGH hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Liska und die Hofräte Dr. Knell, Dr. Müller, Dr. Novak und Dr. Sulyok als Richter, im Beisein der Schriftführerin
Dr. Möslinger-Gehmayr, über die Beschwerde der L in E, vertreten durch Dr. A, Rechtsanwalt, gegen den aufgrund des Beschlusses des Ausschusses für Leistungsangelegenheiten ausgefertigten Bescheid der Landesgeschäftsstelle des Arbeitsmarktservice OÖ vom 22. 9. 1994, Zl. IVa-AlV-7022-0-B/2769 110772/Gmunden, betr Vorschreibung eines Zuschlages nach § 32a Abs. 2 AlVG, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird insoweit, als der Beschwerdeführerin ein Zuschlag von S 2.000,-- vorgeschrieben wurde, wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund (Bundesminister für Arbeit und Soziales) hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von S 12.890,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Die Beschwerdeführerin bezog im Anschluß an die Geburt ihres unehelichen Sohnes Manuel am 3. Juli 1992 aufgrund ihres mit Wirksamkeit vom 29. August 1992 beim Arbeitsamt Gmunden gestellten Antrages Karenzurlaubsgeld für alleinstehende Mütter im Sinne des § 27 Abs. 2 AlVG in der Zeit ab 29. August 1992.
Am 15. Juni 1994 teilte sie dem Arbeitsamt persönlich mit, daß sie seit 15. April 1994 mit dem Kindesvater eine Lebensgemeinschaft führe. Sie habe nicht daran gedacht, die Lebensgemeinschaft zu melden; sie habe gedacht, daß dies von der Gemeinde (E) erledigt werde.
Mit Bescheid vom 1. Juli 1994 sprach daraufhin das Arbeitsamt aus, daß gemäß § 29 Abs. 1 in Verbindung mit § 24 Abs. 2 AlVG das Karenzurlaubsgeld für die Zeit vom 15. April 1994 bis 31. Mai 1994 widerrufen bzw. die Bemessung rückwirkend berichtigt werde und die Beschwerdeführerin gemäß § 29 Abs. 1 in Verbindung mit den §§ 25 Abs. 1, 32a AlVG zur Rückzahlung des unberechtigt empfangenen Karenzurlaubsgeldes samt Zuschlag in der Höhe von S 6.112,-- verpflichtet werde. Begründend wurde ausgeführt, daß der Beschwerdeführerin ab 15. April 1994 das Karenzurlaubsgeld für alleinstehende Mütter aufgrund des Einkommens ihres Lebensgefährten nicht mehr zustehe. Der Rückforderungsbetrag belaufe sich auf S 4.112--. Nach Anhörung des Vermittlungsausschusses sei ein Zuschlag zum Rückforderungsbetrag von S 2.000,-- festgesetzt worden.
Die Beschwerdeführerin erhob gegen die Vorschreibung eines "Strafgeldes" von S 2.000,-- Berufung mit folgender Begründung:
Sie sei am 15. April 1994 "zur Gemeinde E" gegangen und habe dort einem Gemeindebediensteten gemeldet, daß sie mit dem Kindesvater nunmehr im gemeinsamen Haushalt lebe. Dieser habe ihr daraufhin einen Meldezettel gegeben, den sie ausgefüllt und abgegeben habe. Daraufhin habe der Gemeindebedienstete zu ihr gesagt: "So Frau L, alles in Ordnung." Daraufhin habe sie ihn gefragt, ob sie das auch beim Arbeitsamt melden müsse.
Daraufhin habe ihr der Gemeindebedienstete gesagt: "Nein, das erledigen alles wir." Die Beschwerdeführerin habe deshalb gedacht, daß alles erledigt sei. Als sie dann aber am 15. Juni 1994 persönlich beim Arbeitsamt gewesen sei, weil sie sich wegen des "Sondernotstandes" erkundigt habe, sei sie eines Besseren belehrt worden. Sie sehe zwar ein, daß sie das zuviel bezogene Karenzurlaubsgeld zurückzahlen müsse. Sie finde es aber nicht in Ordnung, auch noch einen Zuschlag (Strafgeld) zu bezahlen.
Mit dem angefochtenen Bescheid gab die belangte Behörde der Berufung nicht statt und sprach aus, daß gemäß § 29 Abs. 1 in Verbindung mit § 24 Abs. 2 AlVG das der Beschwerdeführerin in der Zeit vom 15. April bis 31. Mai 1994 zuerkannte Karenzurlaubsgeld gemäß § 27 Abs. 1, 3 und 4 AlVG von S 268,30 täglich auf S 180,80 täglich rückwirkend berichtigt und ihr gemäß § 29 Abs. 1 in Verbindung mit § 25 Abs. 1 AlVG der im genannten Zeitraum entstandene Übergenuß von S 4.112,-- zum Rückersatz und gemäß § 32a Abs. 2 AlVG ein Zuschlag von S 2.000,-- zur Zahlung vorgeschrieben werde. In der Bescheidbegründung wird zur ausgesprochenen Rückforderung und Vorschreibung eines Zuschlages ausgeführt, der Zweck der Vorschrift des § 50 AlVG liege darin, die Arbeitsämter in die Lage zu versetzen, jede Änderung in den Verhältnissen des Arbeitslosen daraufhin zu prüfen, ob die Leistung einzustellen oder zu ändern sei. Anzuzeigen sei jeder dem Arbeitsamt noch nicht bekannt gegebene Umstand, der für den Anspruch und die Höhe der Leistung von Belang sein könne, wie z.B. Eintritt in ein Arbeitsverhältnis oder die Änderung der Einkommensverhältnisse. Auf diese Meldepflicht sei die Beschwerdeführerin sowohl auf dem bundeseinheitlichen Antragsformular als auch auf dem bundeseinheitlichen Mitteilungsblatt hingewiesen worden. Mit ihrer Unterschrift am Antragsformular habe sie zur Kenntnis genommen, daß sie nach § 50 AlVG verpflichtet sei, jede Änderung ihrer wirtschaftlichen Verhältnisse und jede Wohnungsänderung dem Arbeitsamt ohne Verzug, jedoch spätestens binnen einer Woche seit dem Eintritt des Ereignisses anzuzeigen. Über diese Meldepflicht sei sie nochmals auf der Rückseite des bundeseinheitlichen Mitteilungsblattes informiert worden. Dieser Meldepflicht sei sie jedoch verspätet nachgekommen, wodurch sie einen Überbezug an Karenzurlaubsgeld von S 4.112,-- verursacht habe. Durch das Verschweigen maßgebender Tatsachen habe sie einen Rückforderungstatbestand nach § 25 Abs. 1 AlVG erfüllt und werde daher zur Rückzahlung des in der genannten Zeit entstandenen Übergenusses in der Höhe von S 4.112,-- verpflichtet. Auch die Auskunft der Gemeinde E, sie werde die Adressenänderung dem Arbeitsamt melden, habe die Beschwerdeführerin nicht von ihrer Verpflichtung entbunden, dies dem Arbeitsamt bekanntzugeben. Fehlleistungen Dritter habe sich die Beschwerdeführerin daher zurechnen zu lassen. Es liege aber auch der Tatbestand des § 32a Abs. 2 AlVG vor. Die Beschwerdeführerin habe nämlich maßgebliche Tatsachen verschwiegen, indem sie ihre gemeinsame Adresse mit dem Kindesvater dem Arbeitsamt verspätet gemeldet habe. In diesem Fall habe das Arbeitsamt einen Zuschlag in der Höhe des zu Unrecht bezogenen Karenzurlaubsgeldes zu verhängen. Hinsichtlich der Höhe habe das Arbeitsamt jedoch die aktuell vorliegenden Kreditrückzahlungen der Beschwerdeführerin von S 2.000,-- monatlich berücksichtigt und deshalb den zu verhängenden Zuschlag auf S 2.000,-- gesenkt.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend machende Beschwerde.
Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Gemäß § 32a Abs. 2 AlVG in der im Beschwerdefall anzuwendenden Fassung der Novelle BGBl. Nr. 817/1993 hat das Arbeitsamt Beziehern bzw. Bezieherinnen von Karenzurlaubsgeld, die grob fahrlässig oder vorsätzlich unwahre Angaben gemacht oder maßgebliche Tatsachen verschwiegen und dadurch zu Unrecht Karenzurlaubsgeld bezogen haben, nach Anhörung des Vermittlungsausschusses unbeschadet der Bestimmungen des § 25 einen Zuschlag in der Höhe des zu Unrecht bezogenen Karenzurlaubsgeldes zur Zahlung vorzuschreiben. Im Falle außergewöhnlicher sozialer Härten kann die Höhe dieses Zuschlages gesenkt werden. Die §§ 25 Abs. 4 und 5 sowie 73 finden Anwendung.
Die belangte Behörde bejaht das Vorliegen des Tatbestandes des § 32a Abs. 2 AlVG schon deshalb, weil die Beschwerdeführerin ihre gemeinsame Adresse mit dem Kindesvater dem Arbeitsamt verspätet gemeldet habe; die Auskunft der Gemeinde E, sie werde die Adressenänderung dem Arbeitsamt melden, habe die Beschwerdeführerin nicht von ihrer Verpflichtung entbunden, dies dem Arbeitsamt (persönlich) bekanntzugeben. Fehlleistungen Dritter habe sie sich daher zurechnen zu lassen.
Dagegen wendet die Beschwerdeführerin (wie schon im Verwaltungsverfahren) unter dem Gesichtspunkt der Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften und der Rechtswidrigkeit des Inhaltes ein, sie sei noch am 15. April 1994, dem Tag, an dem sie zum Kindesvater gezogen sei, ihrer Meldepflicht nach dem Meldegesetz durch eine persönliche Ummeldung am Meldeamt nachgekommen. Da ihr bekannt gewesen sei, daß die Adressenänderung auch dem Arbeitsamt zu melden sei, habe sie den Beamten des Meldeamtes ausdrücklich befragt, ob dies von ihr auch beim Arbeitsamt zu melden sei. Der Beamte habe dies mit der Begründung verneint, daß dies seitens der Gemeinde erledigt werde. Deshalb habe sie guten Glaubens sein dürfen, daß die erforderliche Meldung seitens des Gemeindeamtes erfolgen werde. Daß dies aus ihr nicht bekannten Gründen unterblieben sei, habe sie erst anläßlich ihrer persönlichen Vorsprache beim Arbeitsamt am 15. Juni 1994 erfahren. Diesem Vorbringen habe die belangte Behörde deshalb keine Bedeutung beigemessen, weil sie die Rechtsmeinung vertrete, daß die genannte Auskunft der Gemeinde E die Beschwerdeführerin nicht von ihrer Verpflichtung entbunden habe, selbst die Adressenänderung dem Arbeitsamt bekanntzugeben und Fehlleistungen Dritter sie sich selbst zurechnen lassen müsse. Dabei übersehe sie aber, daß ein Zuschlag nach § 32a AlVG nur verhängt werden dürfe, wenn grob fahrlässig oder vorsätzlich unwahre Angaben gemacht oder maßgebliche Tatsachen verschwiegen worden seien. Zu der von der Beschwerdeführerin verwirklichten Schuldform habe die belangte Behörde aber - aufgrund ihrer irrigen Rechtsmeinung - überhaupt keine Feststellungen getroffen. Hätte sie dies getan, so wäre sie zum Ergebnis gekommen, daß keinesfalls von einem vorsätzlichen oder grob fahrlässigen Handeln der Beschwerdeführerin gesprochen werden könne.
Diesen Einwänden kommt Berechtigung zu. Für die Vorschreibung eines Zuschlages nach § 32a Abs. 2 AlVG genügt es nicht, daß zu Unrecht Karenzurlaubsgeld bezogen wurde. Es muß dieser Bezug vielmehr dem Bezieher bzw. der Bezieherin insofern in qualifizierter Form vorwerfbar sein, als sie den Bezug "dadurch" herbeigeführt hat, daß sie "grob fahrlässig oder vorsätzlich unwahre Angaben gemacht oder maßgebliche Tatsachen verschwiegen" hat. Was unter diesen beiden alternativ erforderlichen Schuldformen des Vorsatzes und der groben Fahrlässigkeit zu verstehen ist, sagt das AlVG nicht. Zur Bestimmung ihres Inhaltes kann aber nach Auffassung des Verwaltungsgerichtshofes jener der diesbezüglich grundlegenden Begriffe des privatrechtlichen Schadenersatzrechtes, also der "bösen Absicht" und der "auffallenden Sorglosigkeit" im Sinne des § 1324 ABGB, herangezogen werden. Danach handelt jemand mit Vorsatz (mit "böser Absicht"), wenn ihm die Rechtswidrigkeit bewußt ist, er den schädlichen Erfolg vorhersieht und seinen Eintritt billigt, wobei es genügt, wenn er den Erfolg nur für möglich hält und sich mit der möglichen Verwirklichung abfindet (dolus eventualis). Grobe Fahrlässigkeit ("auffallende Sorglosigkeit") liegt hingegen dann vor, wenn unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalles eine ungewöhnliche und darum auffallende Vernachlässigung der Sorgfaltspflicht vorliegt und der Eintritt eines Schadens als wahrscheinlich - und nicht bloß als möglich - voraussehbar gewesen ist, der Handelnde aber dennoch darauf vertraut, daß der Erfolg nicht eintreten werde. Es muß sich um ein Versehen handeln, welches mit Rücksicht auf die Schwere und die Häufigkeit nur bei besonders nachlässigen und leichtsinnigen Menschen vorkommt, etwa wenn einfache und naheliegende Überlegungen nicht angestellt wurden (vgl. Koziol-Welser, Grundriß des bürgerlichen Rechts I10, S. 456; zur groben Fahrlässigkeit auch die Erkenntnisse des Verwaltungsgerichtshofes vom 21. November 1990, Zl. 89/08/0125, und vom 17. November 1992, Zl. 91/08/0073).
Unter Bedachtnahme auf diese Grundsätze ist es rechtsirrig, wenn die belangte Behörde meint, die Beschwerdeführerin habe - ungeachtet der behaupteten Auskunft des Bediensteten der Gemeinde E und der (in der genannten Form qualifizierten) Vorwerfbarkeit des Sichbegnügens der Beschwerdeführerin mit dieser Auskunft - im Hinblick auf die entsprechenden Belehrungen der Beschwerdeführerin in den amtlichen Schriftstücken schon dadurch im Sinne des § 32a Abs. 2 AlVG tatbestandsmäßig gehandelt, daß sie dem Arbeitsamt die Aufnahme ihrer Lebensgemeinschaft mit dem Kindesvater erst verpätet gemeldet habe. Unter Zugrundelegung der Behauptungen der Beschwerdeführerin und unter Bedachtnahme auf die aktenkundigen Umstände, daß das Gemeindeamt E schon bei der Antragstellung auf Karenzurlaubsgeld mitgewirkt hat und der Beschwerdeführerin vom Arbeitsamt selbst mit Schreiben vom 9. September 1992 freigestellt wurde, den zunächst schriftlich gestellten Antrag entweder persönlich beim Arbeitsamt oder beim Gemeindeamt E abzugeben, hätte die belangte Behörde vielmehr eine vorsätzliche oder grob fahrlässige Verschweigung der maßgebenden Tatsache der Aufnahme einer Lebensgemeinschaft mit dem Kindesvater im Sinne der obigen Darlegungen verneinen müssen.
Da die belangte Behörde, ausgehend vom genannten Rechtsirrtum, Feststellungen über die Richtigkeit des mehrfach genannten Vorbringens der Beschwerdeführerin über die Vorgänge im Gemeindeamt E unterlassen hat, war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.
Die Entscheidung über den Aufwandersatz stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung des Bundeskanzlers, BGBl. Nr. 416/1994.
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1995:1994080255.X00Im RIS seit
18.10.2001