TE Vwgh Erkenntnis 1995/9/5 94/08/0098

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Veröffentlicht am 05.09.1995
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Index

32/02 Steuern vom Einkommen und Ertrag;
40/01 Verwaltungsverfahren;
62 Arbeitsmarktverwaltung;
66/02 Andere Sozialversicherungsgesetze;

Norm

AlVG 1977 §12 Abs3 litb;
AlVG 1977 §12 Abs6 litc;
AlVG 1977 §12 Abs9;
AlVG 1977 §38;
AVG §39 Abs2;
AVG §45 Abs3;
AVG §66 Abs1;
AVG §66 Abs4;
EStG 1988 §2 Abs3 Z3;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Liska und die Hofräte Dr. Knell, Dr. Müller, Dr. Novak und Dr. Sulyok als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Möslinger-Gehmayr, über die Beschwerde der I in S, vertreten durch Dr. H, Rechtsanwalt in J, gegen den aufgrund des Beschlusses des Unterausschusses des zuständigen Verwaltungsausschusses ausgefertigten Bescheid des Landesarbeitsamtes Steiermark vom 11. März 1994, Zl. IVc 7022/B-Dr.J/Fe, betreffend Widerruf und Rückforderung von Notstandshilfe, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund (Bundesminister für Arbeit und Soziales) hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von S 13.040,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Die Beschwerdeführerin bezog im Anschluß an die Beendigung eines arbeitslosenversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisses mit 30. Juni 1990 Leistungen aus der Arbeitslosenversicherung, unter anderem auch im Jahre 1992 Notstandshilfe.

Nach der niederschriftlichen Vernehmung vor dem Arbeitsamt Judenburg am 11. November 1991 erklärte die Beschwerdeführerin an Eides Statt, daß der Gesamtbetrag ihrer Einkünfte aus der am 1. Oktober 1991 begonnenen selbständigen Erwerbstätigkeit im laufenden Wirtschaftsjahr voraussichtlich S 2.772,-- monatlich brutto betragen werde. Nach der niederschriftlichen Vernehmung vom 21. Jänner 1992 erklärte die Beschwerdeführerin an Eides Statt, daß der Gesamtbetrag ihrer Einkünfte aus selbständiger Erwerbstätigkeit im Wirtschaftsjahr 1992 maximal S 2.924,-- brutto monatlich betragen werde. Sie stimmte hiebei jeweils der Einholung von Auskünften des zuständigen Finanzamtes Judenburg zu. Über Ersuchen des Arbeitsamtes teilte das Finanzamt Judenburg unter Übermittlung der Einkommensteuererklärung der Beschwerdeführerin für 1992 vom 10. November 1993 mit Schreiben vom 11. November 1993 mit, daß eine Einkommensteuerveranlagung nicht durchgeführt werde. In der Einkommensteuererklärung der Beschwerdeführerin wird in der Rubrik "Einkünfte aus Gewerbebetrieb" ein Betrag von S 60.000,-- und in jener der "Einkünfte aus Kapitalvermögen" ein solcher von S 19.669,-- angeführt.

Mit Bescheid vom 26. November 1993 sprach daraufhin das Arbeitsamt aus, daß gemäß § 38 i.V.m. § 24 Abs. 2 AlVG der Bezug der Notstandshilfe für das Jahr 1992 widerrufen und die Beschwerdeführerin gemäß § 38 i.V.m. § 25 Abs. 1 AlVG zur Rückzahlung der unberechtigt empfangenen Notstandshilfe im Betrag von S 89.267,-- verpflichtet werde. Begründet wurde die Entscheidung damit, daß das Einkommen der Beschwerdeführerin aus ihrer selbständigen Erwerbstätigkeit im Jahre 1992 laut Einkommensteuererklärung für 1992 über der Geringfügigkeitsgrenze von monatlich S 2.924,-- gelegen sei.

In der von einem Steuerberater "i.V." unterfertigten Berufung vom 16. Dezember 1993 wird die ersatzlose Aufhebung des bekämpften Bescheides mit der Begründung beantragt, daß der Beschwerdeführerin im Jahre 1992 "keine Einkünfte aus einer selbständigen Erwerbstätigkeit zugeflossen" seien.

In dem an die Beschwerdeführerin gerichteten Schreiben vom 2. Februar 1994 teilte ihr die belangte Behörde mit, es habe ein näher genannter Steuerberater, ohne auf das bestehende Vollmachtsverhältnis hinzuweisen, Berufung gegen den erstinstanzlichen Bescheid erhoben. Um einen Verfahrensmangel zu vermeiden, werde die Beschwerdeführerin ersucht, entweder die als Beilage im Original an sie retournierte Berufung zu unterschreiben, die Berufung allenfalls zu ergänzen und wieder an die belangte Behörde zu senden, oder das Vollmachtsverhältnis schriftlich zu bestätigen. Dem kam die Beschwerdeführerin durch eigenhändige Unterfertigung der Berufung nach.

Mit dem angefochtenen Bescheid gab die belangte Behörde der Berufung gemäß § 66 Abs. 4 AVG keine Folge. In der Bescheidbegründung wird nach Zitierung der anzuwendenden gesetzlichen Bestimmungen und nach Wiedergabe des erstinstanzlichen Bescheides sowie der Berufung ausgeführt, es sei eine Ergänzung der Berufung trotz der mit Schreiben der belangten Behörde vom 2. Februar 1994 dazu eingeräumten Möglichkeit nicht erfolgt. Die Beschwerdeführerin habe im Jahre 1992 ganzjährig (366 Tage mit einem Tagessatz von S 243,90) Notstandshilfe bezogen. Nach der für 1992 erstatteten Einkommensteuererklärung hätten ihre Einkünfte aus Gewerbebetrieb S 60.000,-- und ihre Einkünfte aus Kapitalvermögen S 19.669,-- betragen. Nach den zitierten gesetzlichen Bestimmungen sei eine der Voraussetzungen für den rechtmäßigen Bezug von Notstandshilfe das Vorliegen von Arbeitslosigkeit, wobei jemand, der eine selbständige Erwerbstätigkeit ausübe, nur dann als arbeitslos gelte, wenn das daraus erzielte Einkommen die sogenannte Geringfügigkeitsgrenze nicht übersteige. Da im vorliegenden Fall eine Einkommensteuerveranlagung nicht durchgeführt werde, sei das Einkommen aus selbständiger Erwerbstätigkeit aufgrund der von der Beschwerdeführerin gelegten Steuererklärung zu beurteilen und daher davon auszugehen, daß die im Jahre 1992 von ihr aus selbständiger Erwerbstätigkeit erzielten Einkünfte S 60.000,-- betragen hätten. Der durch Zwölftelung zu ermittelnde (rechnerische) Monatsverdienst liege über dem Betrag von S 2.924,--. Arbeitslosigkeit, und damit eine der Voraussetzungen für einen rechtmäßigen Bezug von Notstandshilfe, sei daher im Jahre 1992 nicht vorgelegen. Da die erstinstanzliche Behörde von den Einkommensverhältnissen der Beschwerdeführerin im Jahre 1992 erst im November 1993 Kenntnis erlangt habe, erweise sich sowohl der Widerruf der Zuerkennung der Notstandshilfe als auch die Rückforderung als zutreffend.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend machende Beschwerde.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Die Berechtigung des Widerrufs der von der Beschwerdeführerin im Jahre 1992 bezogenen Notstandshilfe hängt - sachverhaltsbezogen - ausschließlich davon ab, ob sie aus der im Jahre 1992 unstrittig ausgeübten selbständigen Erwerbstätigkeit als Geschäftsführerin einer Ges.m.b.H. im Sinne des § 12 Abs. 3 lit. b und Abs. 6 lit. c AlVG (in der im Beschwerdefall wegen der Zeitraumbezogenheit von Absprüchen über Geldleistungen aus der Arbeitslosenversicherung noch geltenden Fassung der Novelle BGBl. Nr. 615/1987) ein nach Maßgabe des § 12 Abs. 9 AlVG festgestelltes Einkommen erzielt hat, das den in § 5 Abs. 2 lit. c AlVG angeführten Betrag (vgl. die Erkenntnisse vom 27. April 1993, Zl. 92/08/0260, und vom 30. September 1994, Zl. 93/08/0175) überstiegen hat.

Nach § 12 Abs. 9 i.V.m. § 38 AlVG (in der im Beschwerdefall noch anzuwendenden Fassung der Novelle BGBl. Nr. 364/1989) wird das Einkommen aus selbständiger Erwerbstätigkeit grundsätzlich aufgrund des Einkommensteuerbescheides für das Kalenderjahr, in dem Notstandshilfe bezogen wird, festgestellt. Bis zur Erlassung und Vorlage des Bescheides ist die Frage der Arbeitslosigkeit insbesondere ausgrund einer eidesstattlichen Erklärung des Arbeitslosen über die Höhe seines Bruttoeinkommens, einer allenfalls bereits erfolgten Einkommensteuererkärung bzw. eines Einkommensteuerbescheides aus einem früheren Jahr vorzunehmen. Als monatliches Einkommen gilt ein Zwölftel des sich ergebenden Jahreseinkommens.

Die Beschwerdeführerin hält der allein auf ihre Einkommensteuererklärung gestützten Feststellung der belangten Behörde, sie habe im Jahre 1992 Einkünfte aus Gewerbebetrieb in der Höhe von S 60.000,-- und damit im Sinne des § 12 Abs. 6 lit. c AlVG ein nach Maßgabe des Abs. 9 festgestelltes Einkommen über der Geringfügigkeitsgrenze des § 5 Abs. 2 lit. c AlVG erzielt, Nachstehendes entgegen:

Sie habe die vom Finanzamt Judenburg "abberufene" Einkommensteuererkärung für 1992 am 10. November 1993 eingereicht und dabei aufgrund der getroffenen Vereinbarung einen Betrag von S 60.000,-- als Vergütung für das Jahr 1992 als Einkünfte aus Gewerbebetrieb ausgewiesen. Die Bilanz der "Beschwerdeführerin bzw. deren Firma" sei jedoch erst am 31. Jänner 1994 fertiggestellt und an diesem Tag beim Finanzamt eingereicht worden. Erst zu diesem Zeitpunkt habe sich herausgestellt, daß der Beschwerdeführerin der als Abgeltung für die Geschäftsführung vorgesehene Betrag nicht zugeflossen sei, weil der Firma der Beschwerdeführerin die Mittel dafür gefehlt hätten. Es sei daher davon auszugehen, daß der Beschwerdeführerin im Jahre 1992 ein Entgelt weder zahlungsmäßig noch verrechnungsweise zugeflossen sei. Aufgrund dessen sei im Februar 1994 eine berichtigte Einkommensteuererklärung für 1992 für die Beschwerdeführerin durch ihren Steuerberater abgegeben worden, in der die Einkünfte aus dem Gewerbebetrieb ausdrücklich mit "0" ausgewiesen worden seien. Da sich jedoch weder nach der ursprünglichen noch nach der berichtigten Einkommensteuererklärung für die Beschwerdeführerin irgendeine steuerliche Auswirkung ergeben habe, sei ein Einkommensteuerbescheid bisher nicht erlassen worden. Die Tatsache, daß der Beschwerdeführerin keine Einkünfte aus ihrer selbständigen Tätigkeit zugeflossen seien, sei erst nach Erlassung des Bescheides der erstinstanzlichen Behörde hervorgekommen. Nach der dem Rechtsfreund der Beschwerdeführerin erteilten Information sei dieser Sachverhalt jedoch der belangten Behörde bei Bescheiderlassung bekannt gewesen. Die Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides werde darin gesehen, daß die belangte Behörde, obwohl von der Beschwerdeführerin eingehend über den Sachverhalt informiert bzw. aufgeklärt, rechtswidrig von einem anderen, und zwar unrichtigen ausgegangen sei.

Nach der (oben wiedergegebenen) Aktenlage sind die beiden letzten (auch von der belangten Behörde in der Gegenschrift in Abrede gestellten) Behauptungen über die eingehende Informierung und Aufklärung der belangten Behörde über den in der Beschwerde vorgebrachten Sachverhalt unrichtig; dennoch ist der angefochtene Bescheid mit relevanten Verfahrensmängeln behaftet:

Das Berufungsvorbringen der Beschwerdeführerin, wonach ihr im Jahre 1992 keine Einkünfte aus einer selbständigen Erwerbstätigkeit zugeflossen seien, stand im Widerspruch zur Einkommensteuererkärung für 1992, weil die darin angeführten "Einkünfte aus Gewerbebetrieb" im Sinne des § 2 Abs. 3 Z. 3 EStG 1988 ebenfalls Grundlage der Ermittlung des Einkommens aus selbständiger Erwerbstätigkeit im Sinne des § 12 Abs. 3 lit. b, Abs. 6 lit. c und Abs. 9 AlVG sind (vgl. dazu Pfeil, ZAS 1993, im Kommentar zum Erkenntnis vom 28. April 1992, Zl. 92/08/0025, S. 77). Angesichts dieses Widerspruches hätte sich die belangte Behörde aber nicht allein auf die Einkommensteuererkärung stützen dürfen, die im § 12 Abs. 9 AlVG nur als eine der möglichen Erkenntnisquellen bei Fehlen eines Einkommensteuerbescheides angeführt ist. Sie hätte vielmehr aufgrund des Berufungsvorbringens das Ermittlungsverfahren im Sinne des § 66 Abs. 1 AVG i.V.m. den §§ 37 und 39 Abs. 2 AVG von Amts wegen, insbesondere durch eine ausdrückliche Aufforderung an die Beschwerdeführerin, diesen Widerspruch aufzuklären, und durch danach allenfalls erforderlich werdende Ermittlungen, ergänzen müssen. Entgegen der Auffassung der belangten Behörde stellte das oben wiedergegebene Schreiben vom 2. Februar 1994 keinen solchen ausdrücklichen Vorhalt dar, weil es in diesem Schreiben nur um die Klärung des Vollmachtsverhältnisses des primär einschreitenden Steuerberaters ging. Das bloße Ersuchen, "die Berufung allenfalls zu ergänzen", stellte keinen solchen (erforderlichen) Vorhalt des Widerspruchs zwischen Einkommensteuererklärung und Berufung dar.

Da - aufgrund des Beschwerdevorbringens - nicht ausgeschlossen werden kann, daß die belangte Behörde bei Einhaltung der verletzten Verfahrensvorschriften zu einem anderen Bescheid gekommen wäre, war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG i.V.m. der Verordnung des Bundeskanzlers, BGBl. Nr. 416/1994.

Schlagworte

Besondere verfahrensrechtliche Aufgaben der Berufungsbehörde Spruch des Berufungsbescheides Parteiengehör Erhebungen Ermittlungsverfahren

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1995:1994080098.X00

Im RIS seit

18.10.2001
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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