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83 Natur- und UmweltschutzNorm
B-VG Art7 Abs1 / VerwaltungsaktLeitsatz
Keine Bedenken gegen eine Bestimmung des AbfallwirtschaftsG über die für eine Ausfuhrbewilligung geforderte umweltgerechte Behandlung der Abfälle im Einfuhrstaat im Hinblick auf das Determinierungsgebot; keine eigenständige inhaltliche Prüfung der im Ausland in Aussicht genommenen Abfallbehandlung; Verletzung im Gleichheitsrecht durch Versagung von Ausfuhrgenehmigungen für gefährliche Abfälle infolge Verkennung der Rechtslage wegen unzulässiger Überprüfung der Einhaltung der Umweltschutzstandards im AusfuhrlandSpruch
Die beschwerdeführenden Gesellschaften sind durch die angefochtenen Bescheide in ihrem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz verletzt worden.
Die Bescheide werden aufgehoben.
Der Bund (Bundesministerin für Umwelt, Jugend und Familie) ist schuldig, den beschwerdeführenden Gesellschaften zuhanden ihrer Rechtsvertreter die mit je S 15.000,-- bestimmten Prozeßkosten binnen 14 Tagen bei Exekution zu bezahlen.
Begründung
Entscheidungsgründe:
I. 1. Mit den angefochtenen Bescheiden vom 16. April 1991, 4. Juli 1991 und 15. April 1992 wies die Bundesministerin für Umwelt, Jugend und Familie gestützt auf §35 Abs2 Z8 des Abfallwirtschaftsgesetzes, BGBl. 325/1990 (künftig: AWG), Anträge der beschwerdeführenden Gesellschaften auf Erteilung von Bewilligungen für die Ausfuhr von gefährlichen Abfällen nach Frankreich und in die Bundesrepublik Deutschland ab. Die genannte Bestimmung stelle sich als innerstaatliche Umsetzung des Art4 Z 2 lite des Basler Übereinkommens über die Kontrolle der grenzüberschreitenden Verbringung gefährlicher Abfälle und ihrer Entsorgung dar; Zweck dieses Übereinkommens sei es sicherzustellen, daß Exporte nur mehr in Länder mit hohen Umweltschutzstandards zulässig sein sollen. Bei der Auslegung der angewendeten Vorschrift des AWG sei daher von einem hohen Schutzniveau auszugehen. Ein solches hielt die belangte Bundesministerin in allen Fällen für nicht gesichert:
a. In dem die erstbeschwerdeführende Gesellschaft (deren Beschwerde zu B652/91 protokolliert ist) betreffenden Bescheid vom 16. April 1991 wurde der mit Schriftsatz vom 7. Juni 1990 gestellte Antrag auf Genehmigung der Ausfuhr bestimmter, unter Bezugnahme auf die ÖNORM S 2101 spezifizierter gefährlicher Abfälle nach Einholung verschiedener Unterlagen über den Abfallexport und die geplante Art der Abfallbehandlung auf Grund von Feststellungen durch einen "abfalltechnischen Amtssachverständigen" aus folgendem Grund abgewiesen: Im Unternehmen des vorgesehenen französischen Importeurs würden die gegenständlichen Stoffe zu Industriebrennstoffen aufbereitet. Ständiger Abnehmer des die Abfälle so aufbereitenden Unternehmens sei ein Zementwerk, in dem die Staubemissionen - wie der Amtssachverständige feststellte - wesentlich über den Grenzwerten der in der BRD angewendeten TA-Luft ("Technische Anleitung zur Reinhaltung der Luft" vom 27. Februar 1986, eine von der (deutschen) Bundesregierung erlassene Allgemeine Verwaltungsvorschrift zum BundesImmissionsschutzgesetz) und der schweizerischen Luftreinhalteverordnung liege und für das keine Stickoxid-Emissionsgrenzwerte vorgeschrieben seien. Dementsprechend sei eine umweltgerechte Behandlung der Abfälle nicht gesichert.
b. In dem den Antrag der zweitbeschwerdeführenden Gesellschaft vom 19. Dezember 1990 abweisenden Bescheid vom 4. Juli 1991 wurde die Genehmigung der Ausfuhr bestimmter nach ÖNORM S 2100 bezeichneter gefährlicher Abfälle versagt, weil die Anlage des deutschen Importeurs - wie sich aus einer Äußerung des Regierungspräsidiums Stuttgart auf eine Anfrage der belangten Behörde ergibt - zum Zeitpunkt der Bescheiderlassung nicht in allen Bereichen den Anforderungen der TA-Luft entspreche, weshalb diesem Unternehmen auch gemäß §17 des (deutschen) Bundes-Immissionsschutzgesetzes (BImSchG) ein Sanierungsauftrag erteilt worden sei; erst nach der durchgeführten Sanierung sei eine umweltgerechte Entsorgung gesichert. Gegen diesen Bescheid wendet sich die zu B896/91 protokollierte Beschwerde.
c. Die drittbeschwerdeführende Gesellschaft stellte am 23. Juli 1991 unter Vorlage des Genehmigungsbescheides der Anlage des (französischen) Importeurs und anderer einschlägiger Unterlagen ebenfalls einen Antrag zur Erteilung einer Exportgenehmigung für bestimmte Abfälle; diesem Antrag wurde mit Bescheid vom 15. April 1992 keine Folge gegeben. In der Begründung wird - gestützt auf eine nicht näher ausgeführte Ansicht der abfalltechnischen Amtssachverständigen des Bundesministeriums für Umwelt, Jugend und Familie und des Umweltbundesamtes und entgegen der Auffassung in dem vom Antragsteller vorgelegten Sachverständigengutachten - ausgeführt, daß mit "hoher Wahrscheinlichkeit" zu erwarten sei, daß bei der Behandlung der Abfälle in der Anlage des Importeurs Dioxine entstehen; infolge der allgemein bekannten negativen Auswirkungen von Dioxinen erscheine eine Gefährdung der Gesundheit und der Umwelt durch die Verbrennung der gegenständlichen Abfälle in der Anlage des Importeurs sehr wahrscheinlich. Auch überschritten
"die gesetzlichen Grenzwerte für das Abwasser ... bei
verschiedenen Parametern ... jene der österreichischen
Abwasseremissionsverordnung". Im Vergleich zum österreichischen Luftreinhaltegesetz (sic!) seien auch andere Emissionswerte überhöht. Gegen diesen Bescheid wendet sich die zu B603/92 protokollierte Beschwerde.
2. Die beschwerdeführenden Gesellschaften behaupten, in nicht näher bezeichneten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten und in Rechten wegen Anwendung des ihrer Meinung nach verfassungswidrigen §35 Abs2 Z8 AWG verletzt zu sein. Sie sind der Auffassung, daß diese Bestimmung Art18 Abs1 B-VG widerspreche, weil der Begriff "umweltgerecht" das Verhalten der Behörde bei Entscheidung über einen Antrag auf Erteilung einer Bewilligung für die Ausfuhr von Abfällen für den Normunterworfenen in keiner Weise vorhersehbar mache. Es bleibe offen, an welchen Kriterien und Maßstäben (des inländischen oder ausländischen Rechts, des Standes der Technik oder im Hinblick auf bestimmte Richtlinien) die Umweltgerechtigkeit der Abfallbehandlung zu messen sei. Die Verknüpfung der Begriffe "umweltgerechte Behandlung" und "gesichert erscheint" führe zur völligen Unvorhersehbarkeit der Entscheidung der Behörde. Welcher Grad der Wahrscheinlichkeit zu fordern sei, bleibe offen. Darüberhinaus greife §35 Abs2 Z8 AWG "völkerrechtswidrigerweise in die Souveränität anderer Staaten" ein, weil auf deren Hoheitsgebiet befindliche Betriebe von österreichischen Behörden durch entsandte Sachverständige überprüft und als "umweltgerecht" oder "nicht umweltgerecht" eingestuft würden.
Aber selbst wenn man anderer Auffassung sei, widerspächen die angefochtenen Bescheide verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten, weil sie - so argumentieren die Beschwerden der Sache nach - Grundrechtspositionen der beschwerdeführenden Gesellschaften durch verfassungswidrige und denkunmögliche Gesetzesauslegung und eine willkürliche Vorgangsweise verletzten.
3. Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt und beantragt in ihren Gegenschriften, die Beschwerden kostenpflichtig abzuweisen. Sie weist insbesondere darauf hin, daß §35 Abs2 Z8 AWG die innerstaatliche Umsetzung des Art4 Z2 lite des Basler Übereinkommens über die Kontrolle der grenzüberschreitenden Verbringung gefährlicher Abfälle und ihrer Entsorgung darstelle, dessen Zweck es sei sicherzustellen, daß Ausfuhrbewilligungen nur erteilt werden, wenn die exportierten gefährlichen Abfälle in Anlagen mit hohem Umweltschutzstandard behandelt würden. Bei der Auslegung des §35 Abs2 Z8 AWG sei daher von einem "hohen Schutzniveau" auszugehen. Angesichts einer "Unzahl unterschiedlicher Abfallbehandlungsanlagen" habe der Gesetzgeber den Begriff "umweltgerechte Behandlung der Abfälle" zwar nicht näher determiniert; eine systematische Interpretation sei jedoch im Zusammenhang mit §1 Abs3 und §17 Abs4 AWG möglich.
4. Das Bundeskanzleramt-Verfassungsdienst erstattete auf Einladung des Verfassungsgerichtshofes eine Stellungnahme zu den in den Beschwerden geltend gemachten Bedenken gegen die Verfassungsmäßigkeit des §35 Abs2 Z8 AWG. Die inhaltliche Bestimmtheit des §35 Abs2 Z8 AWG im Sinne des Art18 Abs1 B-VG wird darin bejaht, weil für die (systematische) Interpretation des unbestimmten Gesetzesbegriffes "umweltgerechte Behandlung" auch die §§11, 17, 22, 23, 28 und 29 AWG sowie eine gemäß §29 Abs18 AWG erlassene (richtig: zu erlassende) Verordnung in Betracht kämen. Insbesondere die Bestimmung des §17 Abs4 AWG, wonach gefährliche Abfälle, die nicht verwertet werden, "auf eine solche Weise zu behandeln (sind), daß sie dem jeweiligen Stand der Technik entsprechend weitgehend reaktionsarm und möglichst konditioniert und geordnet auf einer Deponie abgelagert werden können, und ... nach einer derartigen Behandlung auf einer für diese Abfälle behördlich bewilligten Deponie abzulagern" sind, wird für die Ermittlung des Bedeutungsinhalts des §35 Abs2 Z8 AWG beachtlich sein.
Aus den Worten, daß "eine umweltgerechte Behandlung ... gesichert erscheint", will das Bundeskanzleramt-Verfassungsdienst weiters ableiten, "daß die Abfallbehandlung im Ausland nicht in allen Einzelheiten den in Österreich hiefür geltenden Rechtsvorschriften entsprechen muß. Die Bewilligung wird aber zu versagen sein, wenn die Behandlung im Ausland die durch diese Bestimmungen festgelegten Standards in wesentlichen Punkten unterschreiten würde." Ferner sollen sich aus der Z2 und der Z3 des §35 Abs2 AWG, also aus der notwendigen Erklärung des Einfuhrstaates, daß gegen die Einfuhr kein Einwand besteht, und aus der Bestätigung des Einfuhrstaates, daß in einem Vertrag zwischen dem Exporteur und dem Behandler die umweltgerechte Behandlung der Abfälle oder Altöle festgelegt wurde, Hinweise auf eine "umweltgerechte Behandlung" gemäß der Z8 des §35 Abs2 AWG ergeben; ohne daß freilich bei Vorliegen der Erklärung gemäß §35 Abs2 Z2 AWG oder der Bestätigung gemäß §35 Abs2 Z3 AWG bereits die Voraussetzungen des §35 Abs2 Z8 AWG als erfüllt angesehen werden könnten.
Aus den Erläuterungen der Regierungsvorlage zum AWG (1274 BlgNR 17. GP, 41) ergebe sich weiters, daß der Gesetzgeber bei Erlassung des §35 AWG den Bestimmungen des Basler Übereinkommens über die Kontrolle der grenzüberschreitenden Verbringung gefährlicher Abfälle und ihrer Entsorgung bereits entsprechen wollte. Dieses Übereinkommen sei von Österreich am 19. März 1990 unterzeichnet worden, die Ratifikation sei durch Österreich allerdings noch nicht erfolgt. Die Bestimmungen des zitierten Übereinkommens seien - trotz des Umstandes, daß zu einer Durchführung des genannten Übereinkommens die Erlassung bundesgesetzlicher Bestimmungen erforderlich sein werde - für die Auslegung des §35 Abs2 Z8 AWG heranzuziehen. Von besonderer Bedeutung seien Art2 Z8, Art4 Z2 lite und g und Art4 Z 8 und 9 des Übereinkommens. Das Bundeskanzleramt-Verfassungsdienst räumt allerdings ein, daß die für den Begriff der umweltgerechten Behandlung relevanten Richtlinien, die von den Vertragsparteien des Übereinkommens gemäß Art4 Z2 lite und Art4 Z8 zu beschließen sein werden, derzeit noch nicht bestünden. Es vertritt jedoch die Meinung, daß der Gesetzgeber bei Erlassung des Abfallwirtschaftsgesetzes bereits auf zwischenstaatliche Normen abstellen durfte, "mit deren völkerrechtlichem Inkrafttreten in näherer Zukunft zu rechnen war und dem beizutreten Österreich die feste Absicht" habe.
Zusammenfassend entnimmt das Bundeskanzleramt-Verfassungsdienst dem §35 Abs2 Z8 AWG die Bedeutung,
"daß die Ausfuhr von Abfällen nach dieser Gesetzesstelle nur dann zulässig ist, wenn deren Behandlung im Einfuhrstaat die in Österreich für die Behandlung von Abfällen geltenden Standards nicht wesentlich unterschreitet und wenn diese Behandlung - sobald das Basler Übereinkommen völkerrechtlich in Kraft getreten ist - den gemäß Art4 Z2 lite oder Art4 Z8 des Basler Übereinkommens festgelegten Kriterien entspricht. Dieses Auslegungsergebnis räumt dem Bundesminister für Umwelt, Jugend und Familie zwar bis zur Erlassung von Richtlinien nach dem Basler Übereinkommen einen größeren Auslegungsspielraum ein. Dieser dürfte jedoch ... den im Art18 B-VG festgelegten verfassungsrechtlichen Anforderungen der Bestimmtheit einer Norm genügen."
II. Der Verfassungsgerichtshof hat über die - zulässigen - Beschwerden erwogen:
1. §35 AWG unterwirft die Ausfuhr von Abfällen einer Bewilligungspflicht. Seine Abs1 und 2 - in der anzuwendenden Fassung vor der AWG-Novelle 1992, BGBl. 715/1992 - lauten:
"§35. (1) Die Ausfuhr, ausgenommen, die Ausfuhr im Zwischenauslandsverkehr im Sinne der zollgesetzlichen Vorschriften von Abfällen oder Altölen im Sinne dieses Bundesgesetzes bedarf der Bewilligung des Bundesministers für Umwelt, Jugend und Familie.
(2) Die Bewilligung ist zu erteilen, wenn
1. keine entsprechenden Behandlungskapazitäten für Abfälle oder Altöle im Sinne dieses Bundesgesetzes im Inland bestehen oder die Abfälle oder Altöle im Sinne dieses Bundesgesetzes als Rohstoffe zur Verwertung und Aufbereitung im Ausland benötigt werden oder wenn zur Vermeidung von längeren Transportwegen bei gleichwertigem Entsorgungsstandard im In- und Ausland eine Behandlung im Inland nicht zweckmäßig erscheint;
2. eine Erklärung des Einfuhrstaates vorliegt, daß gegen die Einfuhr kein Einwand besteht;
3. eine Bestätigung des Einfuhrstaates vorliegt, daß ein Vertrag zwischen dem Exporteur und dem Behandler, in der die umweltgerechte Behandlung der Abfälle oder Altöle festgelegt ist, abgeschlossen wurde;
4. eine Erklärung der Durchfuhrstaaten vorliegt, daß gegen die Durchfuhr kein Einwand besteht bzw. die Durchfuhrstaaten binnen 60 Tagen nach Verständigung keine Erklärung abgegeben haben;
5. völkervertragsrechtliche Verpflichtungen nicht entgegenstehen;
6. der Antragsteller das Ausreisezollamt, das Einreisezollamt des Einfuhrstaates und, im Falle einer Durchfuhr, die Einreise- und Ausreisezollämter der Durchfuhrstaaten bekanntgibt;
7. der Bewilligungswerber eine ausreichende Versicherung oder Bankgarantie für die Ausfuhr von Abfällen oder Altölen im Sinne dieses Bundesgesetzes in einer Höhe nachweist, die voraussichtlich die Kosten einer umweltgerechten Behandlung umfaßt und
8. eine umweltgerechte Behandlung der Abfälle oder Altöle im Einfuhrstaat gesichert erscheint."
Das von Österreich am 19. März 1990 unterzeichnete Basler Übereinkommen über die Kontrolle der grenzüberschreitenden Verbringung gefährlicher Abfälle und ihrer Entsorgung (Basler Konvention) vom 22. März 1989, BGBl. 229/1993, und die AWG-Novelle 1992, BGBl. 715/1992, (mit der mit §35a AWG u.a. ein - beschränktes - Exportverbot für bestimmte Abfälle in bestimmte Länder eingeführt wurde) standen zum Zeitpunkt der Erlassung der angefochtenen Bescheide noch nicht in Geltung. Sie sind daher in diesem Verfahren nicht zu beachten.
2. Die gegen die Z8 des §35 Abs2 AWG vorgebrachten Bedenken (vgl. oben Pkt. I.2.) teilt der Verfassungsgerichtshof aus folgenden Erwägungen nicht:
Bei der Auslegung dieser Bestimmung ist davon auszugehen, daß die Basler Konvention weder zum Zeitpunkt der Erlassung der in Rede stehenden Bestimmung noch zum Zeitpunkt der Bescheiderlassung, also ihrer Anwendung in den Beschwerdefällen, in Österreich Geltung erlangt hatte und daß auch die in der Konvention vorgesehenen technischen Richtlinien (Art4 Z8 der Konvention) über eine umweltgerechte Abfallbehandlung nicht vorhanden sind. Solange aber diese Rechtsakte nicht Bestandteil des österreichischen Rechts sind, können die Bestimmungen der Konvention und die genannten Richtlinien bei der Auslegung und Anwendung des AWG (und auch dessen §35) nicht herangezogen werden.
Den Beschwerden ist zunächst zuzustimmen, daß die in Rede stehende Vorschrift verschiedene Deutungen zuläßt, unter anderem auch die vom Bundeskanzleramt präferierte (vgl. oben Pkt. I.4.). Sowohl diese Auffassung als auch die den angefochtenen Bescheiden zugrundeliegende Ansicht der belangten Bundesministerin gehen davon aus, daß im Zuge des Exportgenehmigungsverfahrens von den österreichischen Behörden die Art und Methode der Abfallbehandlung in dem jeweils in Aussicht genommenen ausländischen Importbetrieb zu erheben und mit nationalen und internationalen Standards in Relation gebracht werden müsse. Eine solche Sicht der in Rede stehenden Regelung ist - bei ihrer isolierten Betrachtung - möglich: Sie ist aber keineswegs zwingend; insbesondere sprechen systematische Erwägungen gegen eine solche Deutung. Denn diese ließe sich mit der Vorschrift des §35 Abs4 AWG nicht in Einklang bringen. Diese Bestimmung verlangt vom Bundesminister, über einen Exportbewilligungsantrag "unverzüglich, spätestens jedoch innerhalb von vier Wochen zu entscheiden".
Es ist nun völlig ausgeschlossen, bei einer längstens innerhalb von vier Wochen zu treffenden Entscheidung einläßliche Nachforschungen über die Art und die Methode der im Aufnahmestaat beabsichtigten Behandlung der Abfälle anzustellen und diese im Hinblick auf internationale Standards oder auch österreichische Rechtsvorschriften zu überprüfen. Hätte der Gesetzgeber der Behörde ein derartig aufwendiges Prüfungsverfahren über im Ausland gelegene Abfallbehandlungsanlagen und deren Betrieb vorschreiben wollen, hätte er nicht gleichzeitig die Verfahrensdauer derart beschränken können. Die gleichzeitige Einführung der Bestimmungen des §35 Abs2 Z8 AWG über die Prognose der umweltgerechten Behandlung der Abfälle im Ausland und des §35 Abs4 AWG über die maximale Verfahrensdauer zeigt deutlich, daß der Gesetzgeber ein anderes Prüfungsverfahren vor Augen gehabt haben muß. Illustriert wird dies auch durch die Verfahrensdauer in allen drei Beschwerdefällen.
Es ist in diesem Verfahren nicht zu untersuchen, in welcher Weise die in Rede stehende Bestimmung über die Prognose der umweltgerechten Behandlung der Abfälle im Ausland seit der Geltung der Basler Konvention in Österreich und nach Vorhandensein der von den Konventionsorganen zu erlassenden technischen Richtlinien anzuwenden sein wird. Jedenfalls bis zu diesem Zeitpunkt kann die Bestimmung nicht in dem Sinn verstanden werden, daß sie eine eingehende und eigenständige inhaltliche Prüfung der im Ausland in Aussicht genommenen Abfallbehandlung anordnet, sondern nur als Anordnung der Überprüfung des Vorhandenseins entsprechender - nach Umweltstandards vergleichbarer Umweltrechtsregime des jeweiligen Importlandes erteilter - Berechtigungen zu der in Aussicht genommenen Abfallbehandlung. Daß dies auch dem Selbstverständnis des österreichischen Gesetzgebers entspricht, zeigt der inzwischen publizierte, auf Gesetzesstufe stehende Staatsvertrag BGBl. 371/1993 (vgl. den 2. Absatz des Briefes des österreichischen Bundesministers für auswärtige Angelegenheiten in diesem Vertragswerk: "wie bisher").
Diese Deutung läuft im Ergebnis auf jene Lösung hinaus, die - freilich in anderem normativen Zusammenhang - den Europäischen Gerichtshof zur sog. "Cassis de Dijon-Rechtsprechung" (vgl. EuGH Slg. 1979, 649, und die seither ständige Rechtsprechung des EuGH, z. B. EuGH Slg. 1987, 1227) geführt hat: Weil und insoweit die grundlegenden Anforderungen an eine bestimmte Art der Abfallbeseitigung in verschiedenen Staaten gleichartig sind, d.h. in concreto Vorschriften über eine umweltschonende Abfallbehandlung bestehen, und solange keine materienspezifischen (d.h. in concreto: die Behandlung der Abfälle im einzelnen regelnden) internationalen Vorschriften vorhanden sind, ist die konkrete Prüfung, ob eine umweltgerechte Behandlung zu erwarten ist, nach den Vorschriften des jeweils anzuwendenden materiellen Rechts (des Importstaates) vorzunehmen.
In diesem Verständnis verbietet §35 Abs2 Z8 AWG einerseits, die Genehmigung zum Export von Abfällen zu erteilen, wenn der Abfall in ein Land verbracht werden soll, in dem es Rechtsvorschriften über eine umweltgerechte Behandlung der Abfälle gar nicht gibt, andererseits schließt er eine Exportgenehmigung aus, wenn das für die Behandlung im Importland in Aussicht genommene Unternehmen den im betreffenden Importstaat bestehenden Rechtsvorschriften nicht entspricht, also z.B. über keine Betriebsanlagengenehmigung verfügt oder zur Behandlung des importierten Abfalls nicht berechtigt ist.
Bestehen aber rechtliche Regelungen, die auf eine umweltschonende Behandlung von Abfällen Rücksicht nehmen, und verfügt das in Aussicht genommene Importunternehmen über entsprechende Genehmigungen (deren Einhaltung nach dem jeweiligen nationalen Recht überwacht wird), so liegt es nicht im Belieben der österreichischen Behörde, eine Exportgenehmigung im Hinblick auf andere als die im Importland geltenden Regeln und Standards zu versagen. Die für die Erteilung oder Versagung einer Exportbewilligung zuständige (österreichische) Behörde wird sich also auf die Nachprüfung des Vorliegens auf vergleichbaren Standards beruhender (ausländischer) Genehmigungen und allenfalls auch Überwachungsergebnisse zu konzentrieren, nicht aber eine eigenständige Prüfung der im Ausland gelegenen Anlage des Importeurs vorzunehmen haben; dies wird der Behörde innerhalb der nach §35 Abs4 AWG eingeräumten Entscheidungsfrist regelmäßig auch möglich sein.
Bei diesem, aus den genannten Gründen gebotenen Verständnis der Z8 des §35 Abs2 AWG verlieren aber die gegen diese Bestimmung vorgebrachten verfassungsrechtlichen Bedenken ihre Grundlage. Denn die Vorschrift ist, legt man sie im genannten Sinne aus, im Hinblick auf das Gebot des Art18 Abs1 B-VG keineswegs zu unbestimmt. Auch kann keine Rede davon sein, daß durch sie die österreichische Behörde in völkerrechtswidriger Weise gezwungen wird, in die Souveränität anderer Staaten einzugreifen.
Die von den Beschwerden gegen die Vorschrift vorgetragenen Bedenken sind daher nicht stichhaltig.
3. Dennoch sind die Beschwerden im Ergebnis im Recht. Die belangte Behörde hat nämlich, indem sie von einer grundlegend verfehlten Rechtsansicht ausging und die beantragten Genehmigungen mit Argumenten versagte, die bei ihren Erwägungen nicht ausschlaggebend hätten sein dürfen, die Bescheide mit Willkür belastet und damit die beschwerdeführenden Gesellschaften im Gleichheitsrecht verletzt:
a. Der die erstbeschwerdeführende Gesellschaft betreffende Bescheid gründet die Versagung der beantragten Bewilligung - wie in der Sachverhaltserzählung (vgl. Pkt. I.1.a.) näher dargestellt wurde - darauf, daß die Betriebsanlage des französischen Unternehmens, das die im französischen Importwerk behandelten Abfälle weiter verwenden soll, deutschen und schweizerischen Umweltschutzstandards nicht entspricht. Daß es darauf aber bei richtigem Verständnis der angewendeten Bestimmung des §35 Abs2 Z8 AWG nicht ankommen kann, ergibt sich zwingend aus dem eben darstellten Norminhalt (vgl. Pkt. II.2.).
b. Mit dem die zweitbeschwerdeführende Gesellschaft betreffenden Bescheid wurde die Exportbewilligung versagt, obgleich das vorgesehene Importunternehmen zur Behandlung der Abfälle berechtigt ist, diesem aber vorgeschrieben wurde, bis zu einem späteren Zeitpunkt seine Anlage dem inzwischen angehobenen Standard der neuen TA-Luft anzupassen. Die belangte Behörde hat ihre Entscheidung also nicht darauf abgestellt, daß das deutsche Unternehmen zur beabsichtigten Abfallbehandlung nicht berechtigt ist, sondern darauf, daß das Unternehmen den Anforderungen der TA-Luft nicht vollständig entspricht, ohne zu berücksichtigen, daß ihm von den hiefür zuständigen deutschen Behörden eine Anpassungsfrist eröffnet wurde. Die Bundesministerin hat also die Exportgenehmigung versagt, weil sie die umweltgerechte Abfallbehandlung selbständig an den Anforderungen der TA-Luft gemessen hat, ohne die Tatsache in Rechnung zu stellen, daß die deutschen Behörden dem Unternehmen nach dem BImSchG eine Frist zur Anpassung seiner Anlage eingeräumt haben. Auch diese Entscheidung beruht somit auf einem grundlegenden Fehlverständnis der Bestimmung des §35 Abs2 Z8 AWG, sodaß dem Bescheid Verfassungswidrigkeit anzulasten ist.
c. Auf einer grundlegenden Verkennung der Rechtslage beruht auch der den Antrag der drittbeschwerdeführenden Gesellschaft abweisende Bescheid. Trotz Vorliegens entsprechender Berechtigungen für das französische Importunternehmen und obwohl dieses nach dem Akteninhalt einer behördlichen Aufsicht unterliegt, wurden von der belangten Behörde einläßliche Erhebungen durchgeführt und die Ergebnisse von Meßdaten mit österreichischen Grenzwerten in Beziehung gesetzt, da die "gesetzlichen Grenzwerte" in Frankreich die österreichischen Werte überschritten. Die belangte Behörde hat sich keineswegs darauf konzentriert, zu überprüfen, ob das französische Unternehmen nach dem für dieses geltenden Recht berechtigt ist, die in Aussicht genommene Abfallbehandlung durchzuführen und dabei entsprechend überwacht wird, sondern hat eigene Erhebungen durchgeführt und die Erhebungsergebnisse am österreichischen Rechtsbestand gemessen (wobei überdies die von der Behörde angestellten Abwägungen weder aus der Begründung noch aus dem Akteninhalt vollkommen nachvollziehbar sind).
4. Da die Behörde somit in allen Fällen die Rechtslage in einem wesentlichen Punkt grundlegend verkannt hat (vgl. VfSlg. 10337/1985, 11436/1987), hat sie ihre Entscheidung auf Umstände gegründet, die für die Entscheidung nicht maßgeblich sind, und so die Bescheide mit Willkür belastet, weshalb diese wegen Gleichheitswidrigkeit aufzuheben waren.
III. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VerfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.
Die Kostenentscheidung beruht auf §88 VerfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in der Höhe von je S 2.500,-- enthalten.
Schlagworte
Abfallwirtschaft, Umweltschutz, Determinierungsgebot, Abfallausfuhr, Export (Müll), Geltungsbereich eines StaatsvertragesEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:1993:B652.1991Dokumentnummer
JFT_10069378_91B00652_00