TE Vwgh Erkenntnis 1995/9/28 95/06/0170

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Veröffentlicht am 28.09.1995
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Index

L37157 Anliegerbeitrag Aufschließungsbeitrag Interessentenbeitrag
Tirol;
L82000 Bauordnung;
L82007 Bauordnung Tirol;
40/01 Verwaltungsverfahren;

Norm

AVG §8;
BauO Tir 1989 §30 Abs2;
BauO Tir 1989 §30 Abs4;
BauO Tir 1989 §6 Abs4;
BauRallg;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Leukauf und die Hofräte Dr. Giendl, Dr. Bernegger, Dr. Waldstätten und Dr. Köhler als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Marihart, über die Beschwerde des AS und der NS in O, beide vertreten durch Dr. P, Rechtsanwalt in I, gegen den Bescheid der Tiroler Landesregierung vom 22. Juni 1995, Zl. Ve1-550-2324/1-1, betreffend Einwendungen gegen eine Baubewilligung (mP:

1.

Gemeinnützige Wohn- und Siedlungsgen reg.Gen.m.b.H. in L,

2.

Gemeinde O, vertreten durch den BM), zu Recht erkannt:

Spruch

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Begründung

Aus der Beschwerde und dem ihr angeschlossenen angefochtenen Bescheid ergibt sich folgender Sachverhalt:

Mit Bescheid des Bürgermeisters der mitbeteiligten Gemeinde vom 9. März 1995 wurde der erstmitbeteiligten Partei dieses Verfahrens die baupolizeiliche Bewilligung zur Errichtung einer Wohnhausanlage mit neun Wohnungen, Tiefgaragen, Kinderspielplatz und Einfriedung samt Baustelleneinrichtung auf der GP 303/6, KG O, erteilt. Die in der mündlichen Verhandlung erhobenen Einwendungen der Beschwerdeführer wurden als unzulässig zurückgewiesen.

Der Erstbeschwerdeführer ist Eigentümer des Grundstückes Nr. 653/1, die Zweitbeschwerdeführerin ist Eigentümerin des Grundstückes Nr. 652/1. Diese beiden Grundstücke sind durch die ca. 6 m breite Verkehrsfläche 1086/2 von der zu bebauenden Liegenschaft (die laut Flächenwidmungsplan im Wohngebiet liegt) getrennt und liegen dieser gegenüber.

Die gegen diesen Bescheid eingebrachte Berufung der Beschwerdeführer hat der Gemeindevorstand der mitbeteiligten Gemeinde mit Bescheid vom 9. Mai 1995 abgewiesen. Der dagegen erhobenen Vorstellung der Beschwerdeführer hat die belangte Behörde mit dem nunmehr in Beschwerde gezogenen Bescheid vom 22. Juni 1995 keine Folge gegeben. Zur Begründung wurde im wesentlichen nach Darstellung des Verwaltungsgeschehens ausgeführt, im vorliegenden Fall bestehe kein Bebauungsplan. Nach Zitierung des § 6 Abs. 4 der Tiroler Bauordnung wurde weiters ausgeführt, es habe der seitens der Gemeindebehörden befaßte Gutachter festgestellt, daß sich vom bezeichneten Straßenraum eine Abstufung der Bauflucht vom Grundstück 303/2

(Wohnanlage I) mit ca. 15,5 m über Grundstück Nr. 303/6

(Wohnanlage II) mit ca. 8 m zum Grundstück Nr. 303/4 mit 4,4 m ergebe. Diese Feststellungen des Sachverständigen ließen sich schon allein aufgrund der Einsichtnahme in den seitens der Bauwerber beigeschlossenen Lageplan unschwer bestätigen, nämlich daß entlang der GP 1086/2 kein einheitlicher Abstand zu den Verkehrsflächen vorliege. Durch die Anordnung des gegenständlichen Gebäudes (Abstand von 7,87 m an der engsten Stelle zur südlichen Parzellengrenze, nämlich zur Wegparzelle 1086/2) sei eine Beeinträchtigung der Sicherheit, Leichtigkeit und Flüssigkeit des Verkehrs auszuschließen. Hinsichtlich des Orts-, Straßen- und Landschaftsbildes käme den Beschwerdeführern kein Mitspracherecht zu.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften. Die Beschwerdeführer rügen insbesondere, daß eine entsprechende Baubewilligung ohne Vorliegen eines Bebauungsplanes nicht erteilt werden dürfe; da im vorliegenden Fall ein Bebauungsplan nicht bestehe, sei die dennoch erteilte Baubewilligung mit Nichtigkeit bedroht; diesen Fehler hätte die Behörde von Amts wegen berücksichtigen müssen. Die Beschwerdeführer hätten auch vorgebracht, daß eine einheitliche Baufluchtlinie vorliege, da zur Ermittlung der Baufluchtlinie das Grundstück Nr. 303/4 nicht herangezogen werden dürfe, dies deshalb, weil dieses Gebäude nach dem Beschwerdevorbringen gesetzwidrig errichtet worden sei. Hinsichtlich der im Verfahren abzuklärenden Frage, ob das Projekt zu einer Beeinträchtigung des Orts-, Straßen- und Landschaftsbildes führe, bestünden Verfahrensmängel insbesondere in bezug auf eingeholte Sachverständigengutachten, mit welchen sich die belangte Behörde nicht auseinandergesetzt habe.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Das Mitspracherecht des Nachbarn im Baubewilligungsverfahren ist in zweifacher Weise beschränkt:

Es besteht einerseits nur insoweit, als dem Nachbarn nach den in Betracht kommenden baurechtlichen Vorschriften subjektiv-öffentliche Rechte zukommen und andererseits nur in jenem Umfang, in dem der Nachbar solche Rechte im Verfahren durch die rechtzeitige Erhebung entsprechender Einwendungen wirksam geltend gemacht hat.

Gemäß § 30 Abs. 4 der Tiroler Bauordnung, LGBl. Nr. 33/1989 (TBO), können subjektiv-öffentlich-rechtliche Einwendungen insbesondere auf Vorschriften über die widmungsgemäße Verwendung von Grundstücken, die Bauweise, die Bauhöhe, die Mindestabstände von baulichen Anlagen, die Beschaffenheit des Bauplatzes und den Brandschutz gestützt werden.

Unbestritten ist, daß für das zu bebauende Gebiet kein Bebauungsplan erstellt wurde, und es im Flächenwidmungsplan auch schon am 1. Jänner 1994 als Bauland-Wohngebiet ausgewiesen war (und ist).

§ 55 Abs. 4 des Tiroler Raumordnungsgesetzes 1994, LGBl. 81/1993 (TROG 1994), lautet:

"(4) Die Baubewilligung für den Neubau von Gebäuden mit Ausnahme von Nebengebäuden zu bestehenden Gebäuden darf nur erteilt werden, wenn für das betreffende Grundstück der allgemeine und der ergänzende Bebauungsplan bestehen und die darin festgelegte verkehrsmäßige Erschließung rechtlich sichergestellt ist. Bescheide, mit denen entgegen dieser Bestimmung eine Baubewilligung erteilt wird, leiden an einem mit Nichtigkeit bedrohten Fehler."

§ 115 Abs. 1 leg. cit. lautet:

"(1) Auf den im Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Gesetzes als Bauland und als Sonderflächen gewidmeten Grundstücken und auf Grundstücken, für die Verbauungspläne (Wirtschaftspläne) bestehen, darf abweichend vom § 55 Abs. 4 eine Baubwilligung auch erteilt werden, wenn der allgemeine und der ergänzende Bebauungsplan für das betreffende Grundstück noch nicht bestehen. Soweit diese Bebauungspläne jedoch bestehen, darf die Baubewilligung für den Neubau von Gebäuden mit Ausnahme von Nebengebäuden zu bestehenden Gebäuden nur erteilt werden, wenn die darin festgelegte verkehrsmäßige Erschließung rechtlich sichergestellt ist."

Damit ergibt sich im Beschwerdefall, daß § 115 Abs. 1 TROG 1994 eingreift (wegen der Ausweisung im Flächenwidmungsplan 1980 als Bauland-Wohngebiet) und somit nicht von der Anwendbarkeit des § 55 Abs. 4 TROG auszugehen ist, sodaß keine von der belangten Behörde als Aufsichtsbehörde wahrzunehmende Rechtswidrigkeit des Berufungsbescheides des Gemeindevorstandes der mitbeteiligten Gemeinde vorgelegen ist.

Gemäß § 6 Abs. 1 TBO wird der Abstand baulicher Anlagen von den Verkehrsflächen durch die im Bebauungsplan festgelegte Baufluchtlinie bestimmt, soweit in den Absätzen 2 und 3 nichts anderes bestimmt ist.

Gemäß Abs. 4 dieser Bestimmung müssen, soweit kein Bebauungsplan besteht, bauliche Anlagen von den Verkehrsflächen mindestens soweit entfernt sein, daß sie das Orts- und Straßenbild und die Sicherheit, Leichtigkeit und Flüssigkeit des Verkehrs nicht beeinträchtigen. Soweit bestehende Gebäude einen einheitlichen Abstand von den Verkehrsflächen haben, ist auch bei weiteren baulichen Anlagen mindestens dieser Abstand einzuhalten.

Dem Eigentümer eines dem Bauplatz gegenüberliegenden, von diesem durch eine öffentliche Verkehrsfläche getrennten Grundstückes, kommt ein subjektiv-öffentliches Recht auf Einhaltung der Abstandsvorschriften zu, die zur Verkehrsfläche in Beziehung stehen (vgl. das hg. Erkenntnis vom 20. April 1995, Zl. 94/06/0214). Das zu errichtende Gebäude hält zur öffentlichen Verkehrsfläche an der schmalsten Stelle einen Abstand von 7,87 m ein, die öffentliche Verkehrsfläche selbst ist ca. 6 m breit. Das zu errichtende Gebäude ist ca. 9 m hoch. Aufgrund der Entfernung des verfahrensgegenständlichen Gebäudes von der öffentlichen Verkehrsfläche und der Breite der öffentlichen Verkehrsfläche liegt auch unter Berücksichtigung der Gebäudehöhe eine Verletzung von subjektiven Rechten der Beschwerdeführer in Belangen des Abstandes des zu errichtenden Gebäudes zur öffentlichen Verkehrsfläche nicht vor. Die Beschwerdeführer sind aber nur legitimiert, die Verletzung eines ihnen zukommenden, subjektiv-öffentlichen Rechtes geltend zu machen. Ein weiteres Mitspracherecht, etwa in bezug auf die Leichtigkeit und Flüssigkeit des Verkehrs auf öffentlichen Verkehrsverhältnissen sowie auf das Orts- und Staßenbild ist den Beschwerdeführern durch die Tiroler Bauordnung nicht eingeräumt (vgl. das bereits zitierte hg. Erkenntnis vom 20. April 1995). Daß das Gebäude in bezug auf die Gebäudehöhe zu nahe an der öffentlichen Verkehrsfläche und daher auch zu nahe an der Liegenschaft der Beschwerdeführer stünde, haben diese nicht einmal in der Beschwerde behauptet.

Die Prüfungsbefugnis der Berufungsbehörde, der Aufsichtsbehörde und auch der Gerichtshöfe des öffentlichen Rechtes ist im Falle des Rechtsmittels einer Partei des Verwaltungsverfahrens mit beschränktem Mitspracherecht, wie dies auf Anrainer auch nach der Tiroler Bauordnung zutrifft, auf jene Fragen beschränkt, hinsichtlich derer dieses Mitspracherecht als subjektiv-öffentliches Recht besteht (vgl. das Erkenntnis eines verstärkten Senates des Verwaltungsgerichtshofes vom 3. Dezember 1980, Slg. Nr. 10317/A). Da infolge der Voraussetzung des § 115 Abs. 1 TROG 1994 die Bestimmung des § 55 Abs. 4 leg. cit. nicht anzuwenden ist, erübrigt sich ein Eingehen auf die Frage, ob § 55 Abs. 4 TROG 1994 eine nachbarschützende Wirkung zukommt. In einem solchen Fall sind eben für die Festsetzung des Abstandes zur öffentlichen Verkehrsfläche die Bestimmungen des § 6 Abs. 4 TBO anzuwenden.

Da schon der Inhalt der Beschwerde im Zusammenhalt mit dem angefochtenen Bescheid erkennen läßt, daß die behaupteten Rechtsverletzungen nicht vorliegen, war die Beschwerde gemäß § 35 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren als unbegründet abzuweisen.

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1995:1995060170.X00

Im RIS seit

03.05.2001
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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