TE Lvwg Erkenntnis 2022/5/11 VGW-101/069/10780/2021

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Veröffentlicht am 11.05.2022
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Entscheidungsdatum

11.05.2022

Index

L55009 Baumschutz Landschaftsschutz Naturschutz Wien
14/01 Verwaltungsorganisation
40/01 Verwaltungsverfahren
83 Naturschutz Umweltschutz

Norm

NatSchG Wr §7 Abs3
NatSchG Wr §9
NatSchG Wr §10 Abs3
NatSchG Wr §11
NatSchG Wr §11a
NatSchG Wr §40a Abs4
NatSchG Wr §53
NatSchV Wr §7
UVP-G 2000 §3
  1. UVP-G 2000 § 3 heute
  2. UVP-G 2000 § 3 gültig ab 01.12.2018 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 80/2018
  3. UVP-G 2000 § 3 gültig von 26.04.2017 bis 30.11.2018 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 58/2017
  4. UVP-G 2000 § 3 gültig von 24.02.2016 bis 25.04.2017 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 4/2016
  5. UVP-G 2000 § 3 gültig von 01.01.2014 bis 23.02.2016 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 95/2013
  6. UVP-G 2000 § 3 gültig von 03.08.2012 bis 31.12.2013 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 77/2012
  7. UVP-G 2000 § 3 gültig von 19.08.2009 bis 02.08.2012 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 87/2009
  8. UVP-G 2000 § 3 gültig von 01.04.2005 bis 18.08.2009 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 14/2005
  9. UVP-G 2000 § 3 gültig von 01.01.2005 bis 31.03.2005 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 153/2004
  10. UVP-G 2000 § 3 gültig von 11.08.2000 bis 31.12.2004 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 89/2000
  11. UVP-G 2000 § 3 gültig von 01.07.1994 bis 10.08.2000

Text

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Verwaltungsgericht Wien erkennt durch seine Richterin Mag. Hillisch über die Beschwerde des Vereins A. gegen den Bescheid des Magistrats der Stadt Wien vom 28.4.2021, Zl. MA22-…-2020, betreffend die Erteilung von naturschutzbehördlichen Ausnahmebewilligungen gemäß § 11 Abs. 2 Wiener Naturschutzgesetz, zu Recht:

I.     Die Beschwerde wird insoweit zurückgewiesen, als sie sich gegen die in Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheids erteilte naturschutzbehördliche Bewilligung richtet,

       - Fortpflanzungs- und Ruhestätten der Tierarten Wiener Schnirkelschnecke (Cepaea vindobonensis), Weißer Waldportier (Brintesia circe), und Kartäuserschnecke (Monacha cartusiana) zu beschädigen und zu vernichten sowie

       - Exemplare der Wiener Schnirkelschnecke (Cepaea vindobonensis) und der Kartäuserschnecke (Monacha cartusiana) zu fangen, in lebendem Zustand zu transportieren und vorübergehend zu halten.

II.    Im Übrigen wird der gegen Spruchpunkt I. gerichteten Beschwerde Folge gegeben und der angefochtene Bescheid insoweit abgeändert, als der Antrag vom 2. Dezember 2020, bei der Behörde eingelangt am 10. Dezember 2020, modifiziert am 21. Jänner 2021 sowie am 8. November 2021,

       - Fortpflanzungs- und Ruhestätten der streng geschützten Tierarten Zauneidechse (Lacerta agilis) und Großer Feuerfalter (Lycaena dispar) zu beschädigen und zu vernichten,

       - die streng geschützte Tierart Ziesel (Spermophilus citellus) absichtlich zu stören sowie in deren Lebensraum einzugreifen,

       - Exemplare der streng geschützten Tierarten Ziesel (Spermophilus citellus), Feldhamster (Cricetus cricetus), Zauneidechse (Lacerta agilis), zu fangen, in lebendem Zustand zu transportieren und vorübergehend zu halten,

       gemäß § 11 Abs. 4 Z 1 Wiener Naturschutzgesetz abgewiesen wird.

III.   Gegen dieses Erkenntnis ist gemäß § 25a VwGG eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 B-VG unzulässig.

E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e

I. Angefochtener Bescheid, Beschwerde und Verfahrensgang

1.       Mit dem angefochtenen Bescheid erteilte die belangte Behörde in Spruchpunkt I. gemäß § 10 Abs. 3 Z 1, 2, 4 und 6 iVm § 11 Abs. 2 Z 5 und Abs. 4 Wiener Naturschutzgesetz, LGBl. für Wien Nr. 45/1998 in der geltenden Fassung und § 7 Abs. 3 Wiener Naturschutzverordnung, LGBl. für Wien Nr. 5/2000 in der geltenden Fassung, der C. Gesellschaft m.b.H. und der D. AG (im Folgenden: die Antragstellerinnen) nach Maßgabe der mit dem amtlichen Sichtvermerk versehenen Projektunterlagen die naturschutzbehördliche Bewilligung,

„in Wien, auf dem Areal zwischen E.-Straße und dem F. nördlich der G. (Flächen nördlich des B.s), im Zuge der Baufeldfreimachung und der Baumaßnahmen für die Bauplätze 1 (1.04 und 1.05) und 6 (6.02, 6.03 und Garage 6.04)

a) Fortpflanzungs- und Ruhestätten der streng geschützten Tierarten Zauneidechse (Lacerta agilis), Wiener Schnirkelschnecke (Cepaea vindobonensis), Weißer Waldportier (Brintesia circe), Großer Feuerfalter (Lycaena dispar) und Kartäuserschnecke (Monacha cartusiana) zu beschädigen und zu vernichten (§ 10 Abs. 3 Z 4 Wiener Naturschutzgesetz);

b) die streng geschützte Tierart Ziesel (Spermophilus citellus) absichtlich zu stören (§ 10 Abs. 3 Z 2 Wiener Naturschutzgesetz);

c) Exemplare der streng geschützten Tierarten Ziesel (Spermophilus citellus), Feldhamster (Cricetus cricetus), Zauneidechse (Lacerta agilis), Wiener Schnirkelschnecke (Cepaea vindobonensis) und Kartäuserschnecke (Monacha cartusiana) zu fangen, in lebendem Zustand zu transportieren und vorübergehend zu halten (§ 10 Abs. 3 Z 1, 5 und 6 Wiener Naturschutzgesetz) und

d) in den Lebensraum der streng geschützten Tierart Ziesel (Spermophilus citellus) einzugreifen (§ 7 Abs. 3 Wiener Naturschutzverordnung).

Vom Vorhaben sind folgende Grundstücke betroffen:

• Gst. Nr.: …7/11, KG H.

• Gst. Nr.: …7/12, KG H.

• Gst. Nr.: …7/16, KG H.

• Gst. Nr.: …3/27, KG H.

• Gst. Nr.: …3/17, KG H.

• Gst. Nr.: …3/18, KG H.

• Gst. Nr.: …3/19, KG H.

• Gst. Nr.: …8/13, KG H.

Das Vorhaben wird durch die Einreichunterlagen beschrieben.“

Des Weiteren schrieb die belangte Behörde für den Fall der Umsetzung des Vorhabens die Einhaltung zahlreicher Auflagen vor.

In Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheids schrieb die belangte Behörde den Antragstellerinnen Verwaltungsabgaben in der Höhe von insgesamt € 21,80 vor.

2.       In der gegen diesen Bescheid rechtzeitig erhobenen Beschwerde bringt der beschwerdeführende Verein neben Ausführungen zur Zulässigkeit und Rechtzeitigkeit der Beschwerde zusammengefasst vor:

2.1.    Aufgrund des räumlichen und sachlichen Zusammenhangs gebe es ein Gesamtvorhaben, das jedoch entgegen der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes unbeachtet gelassen werde. Die belangte Behörde hätte zur Beurteilung der artenschutzrechtlich geschützten Schutzgüter (Unionsrecht sowie nationales Recht) die Einreichung eines Gesamtvorhabens fordern müssen. Jedenfalls wären die kumulative Wirkung der bisherigen Einzelprojekte auf den Rest der Projektfläche, die kumulative Wirkung der bisherigen Projekte auf für den Antrag akzeptierte Ausgleichsflächen (A2, A3 und weitere), die kumulative Wirkung an mehreren Stellen durch unterschiedliche Vorhaben sowie die Stellungsstraße am Gelände des B.s zu berücksichtigen gewesen.

2.2.    Die in der Bewilligung aufgelistete Darstellung der artenschutzrechtlichen Verbotstatbestände sei unvollständig. Nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes seien unter dem Begriff „Ruhestätten“ auch solche zu verstehen, die nicht mehr beansprucht werden, sofern eine hinreichend hohe Wahrscheinlichkeit bestehe, dass die Art an die Ruhestätte zurückkehre. Die Zerstörung von Ruhestätten könne nicht durch Maßnahmen wie Abfangen bzw. der (hier fehlenden) Errichtung von Initialröhren behoben werden. Die erteilten Ausnahmebewilligungen seien daher für einen unvollständigen Satz von Verbotstatbeständen erfolgt. Weiters würden artenschutzrechtliche Verbote unabhängig von der Populationsgröße gelten. Es werde auch darauf hingewiesen, dass weder bei Ziesel noch bei Feldhamster ein günstiger Erhaltungszustand in der biogeographischen Region vorliege. Auch der „Erhaltungszustand“ für das nicht primär maßgelbliche Landesgebiet von Wien sei entgegen der entsprechenden Angaben im Bescheid nicht günstig.

2.3.    Es sei keine Art. 16 FFH-RL entsprechende Alternativenprüfung durchgeführt worden. Darüber hinaus habe keine nachvollziehbare Interessenabwägung stattgefunden. Pauschalaussagen wie „fortgeschrittener Planungsprozess“ oder „frustrierte Aufwendungen“ seien keine zulässigen Argumente und entsprächen nicht dem hohen Maßstab des Art. 16 FFH-RL. Die Weiterführung des Gebiets im Stadtentwicklungsplan 2025 (STEP25) als Entwicklungsgebiet müsse als Planungsfehler angesehen werden. Widersprüchlich sei, dass der ins Treffen geführte Stadtentwicklungsplan festlege, dass Flächen wie der Ziesellebensraum unverbaut bleiben sollten. Unglaubwürdig sei die Passage im angefochtenen Bescheid, wonach es „in Wien keine anderen Flächen gibt, die die Bebauung in erforderlichem Ausmaß erlauben würde“. Im Übrigen sei die Beeinträchtigung der Schutzgüter in der Interessenabwägung nicht richtig wiedergegeben.

2.4.    Es seien unzureichende Erhebungen zum Vorkommen von Ziesel bzw. Feldhamster beim B. durchgeführt worden. Offenkundig liege lediglich ein Stand aus 2011 vor. Hinterfragt werde auch, ob diese Erhebungen gemäß dem Stand der Technik durchgeführt wurden.

2.5.    Die vorgeschriebenen Auflagen seien nicht durchgehend ausreichend konkretisiert.

2.5.1.  Soweit eine Bereitstellung der Ausgleichsflächen für „mindestens“ 15 Jahre vorgeschrieben worden sei, sei dies nicht hinreichend bestimmt und auch nicht durchsetzbar. Eine Frist von 15 Jahren sei auch nicht ausreichend bemessen. Die Ausgleichsflächen seien auch nicht ausreichend dimensioniert. Angesichts des Erhaltungszustands und der Beeinträchtigung des lokalen Vorkommens sei eine Kompensation im Verhältnis 1:1 nicht ausreichend.

2.5.2.  Hinsichtlich der Grenzwerte bezüglich Erschütterungen (Auflage 1) wäre eine Reevaluierung notwendig gewesen, da es seit Baubeginn der vorhergehenden Projekte zu einer auffallend hohen Wintersterblichkeit gekommen sei.

2.5.3.  Es sei zweifelhaft, ob die Population der Ziesel auf den Ausgleichsflächen selbsterhaltungsfähig sei oder nur durch Einwanderung von der Projektfläche her konstant bleibe. Auch bestünden Zweifel, ob der angenommene Radius der Auswirkungen des Projekts auf die Umgebung von 50 Metern korrekt sei; „Gegenbeweis“ sei der hohe Prozentsatz aufgegrabener Baue auf der gesamten Projektfläche sowie auf den vorgeschlagenen Ausgleichsflächen A7 und A8. Weiters erscheine die geforderte Mindestdichte von 15 Baue/ha als zu gering. Lege man den Bestand von 2012 (182 Baue auf 7,5 ha Projektfläche) zugrunde, komme man auf 24,3 Baue/ha. Das wären dann für 1,12 ha (Ausgleichsflächen A7 und A8) 27 Baue.

2.5.4.  Durch Fernwirkung komme es im Endeffekt zu einer Zweiteilung des Vorkommens (B. einerseits und Ausgleichsflächen östlich des F.s andererseits).

2.5.5.  Die funktionserhaltenen Maßnahmen (CEF-Maßnahmen) würden nicht die an sie zu stellenden Anforderungen erfüllen. Sowohl die Verbindung als auch die Ausgleichsflächen würden von der Fernwirkung des Projekts stark betroffen. Es sei auch unklar, ob der Bestand auf den Ausgleichsflächen selbsterhaltend sei oder nur durch Einwanderung stabil bleibe. Darüber hinaus fehle eine Absicherung, wie sie etwa in Deutschland durch grundbücherliche Eintragung vorgenommen werde.

2.6.    Weiteres lägen folgende Mängel vor: Der vorgesehene Zeitpunkt zur Baufeldfreimachung (April oder Juli) läge innerhalb der üblichen Brutzeitspanne (Mitte März – Mitte August). Zur Umzäunung und der Anbringung von Hinweisschildern sowie weiteren Maßnahmen wie Animal Aided Design oder eine Infokampagne „Ziesel“ sei auszuführen, dass der Nutzen eines Zaunes unklar sei. Eine Infokampagne habe es nie gegeben, obwohl dies auch bei früheren Einreichungen angekündigt worden sei. Es sei aus Sicht des beschwerdeführenden Vereins erforderlich, konkrete Vorschreibungen im Bescheid zu treffen und deren Einhaltungen zu überwachen. Es brauche auch Maßnahmen, um den Einfluss durch (insbesondere freilaufende) Hunde hintanzuhalten.

3.       Die belangte Behörde traf keine Beschwerdevorentscheidung und legte die Beschwerde dem Verwaltungsgericht Wien unter Anschluss des verwaltungsbehördlichen Akts vor.

4.       Nach Beschwerdemitteilung erstatteten die Antragstellerinnen mit Schreiben vom 11. August 2021 eine Beschwerdebeantwortung.

5.       Mit Schreiben vom 11. Oktober 2021 (unter einem mit der Ladung zur mündlichen Verhandlung am 8. November 2021) forderte das Verwaltungsgericht Wien die Antragstellerinnen zur Beurteilung einer etwaigen UVP-Pflicht, insbesondere im Hinblick auf die im Vorabentscheidungsersuchen des Verwaltungsgerichts Wien vom 14. September 2021, VGW-111/055/4533/2021-14, getroffenen Ausführungen zum Tatbestand „Städtebauvorhaben“ des UVP-G, zu näheren Angaben zum Gesamtprojekt auf. Die Antragstellerinnen sowie die belangte Behörde erstatteten im Vorfeld der Verhandlung jeweils eine Stellungnahme, wobei sie insbesondere auf den Feststellungsbescheid der Wiener Landesregierung vom 5. November 2013 hinwiesen, demzufolge es sich bei dem Wohnbauvorhaben „Nördlich B.“ (mit einer in Anspruch genommenen Fläche von 5,6810 ha, BGF 114 776 m2) um ein Städtebauvorhaben handelt, das nicht UVP-pflichtig ist.

6.       Am 8. November 2021 fand am Verwaltungsgericht Wien eine mündliche Beschwerdeverhandlung statt, im Zuge derer die Antragstellerinnen den verfahrenseinleitenden Antrag dahingehend konkretisierten, dass die mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid erteilten Ausnahmebewilligungen beantragt wurden.

7.       Mit Schreiben vom 9. November 2021 erteilte das Verwaltungsgericht Wien den Antragstellerinnen einen Mängelbehebungsauftrag gemäß § 13 Abs. 3 AVG im Hinblick auf die Angaben gemäß § 11 Abs. 4 Z 1 Wiener Naturschutzgesetz. Mit Schriftsatz vom 7. Dezember 2021 legten die Antragstellerinnen eine durchgeführte Alternativenprüfung vor.

8.       Der beschwerdeführende Verein erstattete nach Übermittlung der Alternativenprüfung dazu mit Schriftsatz vom 28. Jänner 2022 eine Stellungnahme, mit der er ein umfangreiches weiteres Vorbringen als Beilage übermittelte.

9.       Mit Schreiben vom 21. Februar 2022 forderte das Verwaltungsgericht Wien die Antragstellerinnen auf, auf das Vorbringen des beschwerdeführenden Vereins zur Alternativenprüfung in der übermittelten Stellungnahme einzugehen und jeweils nachvollziehbar darzulegen, aus welchem Grund – vor dem Hintergrund des erkennbaren Ziels, leistbare Wohnungen in Wien zu schaffen – lediglich Standortalternativen im XY. Bezirk (und nicht im gesamten Stadtgebiet), mit einer Fläche von mindestens 1,5 ha und außerhalb von Landschaftsschutzgebieten zu prüfen seien, bzw. die Alternativenprüfung entsprechend anzupassen; sowie warum im Einzelnen die jeweils dargestellte Alternative mit einer größeren Beeinträchtigung von geschützten Arten verbunden ist bzw. ungeeignet oder unzumutbar sei. Die Antragstellerinnen erstatteten dazu mit Schriftsatz vom 31. März 2022 eine umfangreiche Stellungnahme.

10.      Am 28. April 2022 wurde die mündliche Beschwerdeverhandlung fortgesetzt. Im Zuge der Verhandlung stellte der beschwerdeführende Verein klar, dass sich die Beschwerde nur gegen Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheids richtet.

II. Feststellungen

1.       Das gegenständliche Vorhaben zur Errichtung von mehreren mehrgeschossigen Wohnbauten für insgesamt 152 Wohnungen ist Teil eines größeren, aus mehreren Bauabschnitten bestehenden Bauprojekts, welches bereits teilweise verwirklicht wurde.

Die Bruttogeschoßfläche des verfahrensgegenständlichen Bauabschnitts beträgt 15.194 m2, jene des gesamten Projekts (einschließlich der bereits genehmigten und der künftig geplanten Abschnitte) ca. 100.314 m2. Die in Anspruch genommene Fläche beträgt verfahrensgegenständlich 9.800 m2, jene des gesamten Projekts ca. 48.027 m2. Insgesamt sollen 1023 Wohnungen auf mehreren Bauplätzen errichtet werden, wobei 448 bereits realisiert und/oder genehmigt sind; weiters 21 Geschäftslokale, eine Praxis sowie ein Kindergarten. Verfahrensgegenständlich ist weiters die Errichtung von 133 Kfz-Stellplätzen, insgesamt (einschließlich genehmigter und künftig geplanter Stellplätze) sind 710 Kfz-Stellplätze geplant.

2.       Die Antragstellerinnen erwarben die gegenständlichen Flächen im Wesentlichen im Jahr 2008. Im Hinblick auf die geplante Wohnbebauung wurde mit Beschluss des Gemeinderates vom 26. Februar 2010, …, der Flächenwidmungsplan und Bebauungsplan neu festgesetzt (Plandokument …). Im zugehörigen Vorlagebericht der Magistratsabteilung 21B wird zum Thema „Umwelterwägungen“ im Wesentlichen ausgeführt, dass nicht zu erwarten sei, dass aufgrund des vorgelegten Entwurfs Projekte entstehen würden, die nach dem UVP-G 2000 einer Umweltverträglichkeitsprüfung zu unterziehen seien. Europaschutzgebiete würden nicht berührt. Die aufgrund des vorgelegten Entwurfs zu erwartenden Umweltauswirkungen seien gegenüber der Bestandssituation (Ackerbau) als eher positiv einzustufen und jedenfalls nicht als erhebliche Umweltauswirkungen im Sinne der Kriterien des Anhangs II der Richtlinie 2001/42/EG zu beurteilen. Es sei daher weder gemäß § 2 Abs. 1a noch gemäß § 2 Abs. 1b Bauordnung für Wien eine Umweltprüfung erforderlich. Zu allfälligen Vorkommen von geschützten Arten finden sich im Vorlagebericht keine Ausführungen.

3.       Die Wiener Landesregierung stellte mit Bescheid vom 5. November 2013, …, auf Antrag der Antragstellerinnen fest, dass für das Wohnbauvorhaben „Nördlich B.“ keine Umweltverträglichkeitsprüfung durchzuführen ist. Begründend führte sie im Wesentlichen aus, dass zwar sowohl der Tatbestand „Städtebauvorhaben“ (Anhang 1 Z 18 lit. b UVP-G 2000) als auch der Tatbestand „Einkaufszentren in schutzwürdigen Gebieten der Kategorien A oder D“ (Anhang 1 Z 19 lit. b UVP-G 2000) grundsätzlich erfüllt seien, jedoch würden die jeweiligen Schwellenwerte durch das gegenständliche Projekt, welches eine Fläche von 56.810 m2 in Anspruch nehme und eine Bruttogeschoßfläche von 114.776 m2 aufweise, nicht erreicht. Auch eine Kumulierung mit anderen Projekten sei nicht vorzunehmen. Dieser Bescheid wurde nicht bekämpft und erwuchs in Rechtskraft.

4.       Der beschwerdeführende Verein wurde mit Bescheid des BMLFUW vom 17.12.2013, BMLFUW-UW…./2013, als Umweltorganisation gemäß § 19 Abs. 7 UVP-G 2000 anerkannt.

5.       Auswirkungen der Baumaßnahmen und des Betriebs der antragsgegenständlich geplanten Wohnhausanlage auf geschützte Arten:

Auf die auf den gegenständlichen Flächen lebenden Ziesel (Spermophilos citellus) hätte der Bau und der Betrieb der Wohnhausanlage eine Stör- und Scheuchwirkung, und zwar durch die Baumaßnahmen selbst, durch die Änderung des gewohnten Umfeldes durch eine Silhouettenwirkung der neuen Gebäude, durch die Anwesenheit zusätzlicher Bewohner im unmittelbaren Umfeld des Ziesellebensraumes sowie durch Haustiere (Hunde und Katzen) als Folge der Besiedelung. Von der Störung wären – ausgehend von einem Abstand von 50 Metern vom Bauzaun – jedenfalls eine Fläche von 0,98 ha („Störungszone“) bzw. jedenfalls 44 Zieselbaue betroffen. Darüber hinaus würden demnach (einschließlich der „Störungszone“) 1,17 ha Lebensraum der Ziesel beeinträchtigt. Für den Fall, dass die Ziesel nicht selbstständig nach Vergrämungsmaßnahmen die Baue verlassen würden, wäre die Umsiedlung (auf Ausgleichsflächen) geplant; diesfalls wäre es nötig, die Ziesel kurzfristig zu fangen, in lebendem Zustand zu transportieren und vorübergehend zu halten.

Auch für eine Umsiedlung von Exemplaren der Arten Feldhamster (Cricetus cricetus), Zauneidechse (Lacerta agilis), Wiener Schnirkelschnecke (Cepaea Vindobonensis) und Kartäuserschnecke (Monacha carusiana) auf Ausgleichsflächen wäre es nötig, die Tiere zu fangen, in lebendem Zustand zu transportieren und vorübergehend zu halten.

Folge der Baumaßnahmen wäre auf der Projektfläche eine Vernichtung von Fortpflanzungs- und Ruhestätten der Ziesel (Spermophilos citellus), der Zauneidechse (Lacerta agilis), der Wiener Schnirkelschnecke (Cepaea Vindobonensis), des Weißen Waldportiers (Brintesia circe), des Großen Feuerfalters (Lycaena dispar) und der Kartäuserschnecke (Monacha carusiana).

6.       Am 16.8.2007 fand ein Lokalaugenschein im Gelände des B.s aufgrund einer „Zieselplage“ auf dem dortigen Sportplatz statt, an welcher auch Vertreter der belangten Behörde teilnahmen. Im Jahr 2009 wurden in den unmittelbar an das B. grenzenden Flächen und dessen östlichen Randbereichen Ziesel und Hamster festgestellt. Auch in den landwirtschaftlich genutzten Flächen im Norden (Gst. Nr. …3/1 und angrenzende) fanden sich auf einer Stichprobenfläche von 1 ha insgesamt 18 (nicht artspezifisch zuordenbare) Baue. Ein weiterer Lokalaugenschein im Juli 2010 im Gelände des B.s aufgrund der dort anhaltenden „Zieselplage“ ließ auf eine weiterhin hohe Populationsdichte der Ziesel schließen. Im Jahr 2011 wurden sämtliche Grünflächen im Bereich des B.s und in dessen Umgebung östlich der E.-Straße zwischen K.-Straße und F. kartiert und auf Vorkommen von Zieseln und Hamstern überprüft. Dabei wurde ein Bestand von Zieseln von zwischen 600 und 850 Individuen und ein Bestand von Hamstern von 55 Individuen erhoben.

Im Jahr 2013 wurden die Aktivitäten und Zielsetzungen der Stadt Wien zum Zieselschutz in einem „Zieselaktionsplan Wien“ zusammengefasst und detaillierte Schutzziele formuliert. Weitere Schutzmaßnahmen bis Juni 2016 wurden in einem ergänzenden Anhang dargestellt und darin eine Neufassung des Aktionsplans „nach dem nächsten Monitoring Ende 2017“ angekündigt.

III. Beweiswürdigung

1.       Die festgestellten Ausmaße des gegenständlichen Bauvorhabens sowie des gesamten Vorhabens ergeben sich aus den dem Bescheid zugrundeliegenden und einen Teil desselben bildenden Projektunterlagen sowie aus der Stellungnahme der Antragstellerinnen vom 28. Oktober 2021.

2.       Der Erwerb der Projektflächen ergibt sich aus dem Grundbuch. Die Feststellungen zum Verfahren zur Änderung des Flächenwidmungs- und Bebauungsplans ergeben sich aus dem zugehörigen Vorlagebericht. Aus dem Feststellungsbescheid der Wiener Landesregierung vom 5. November 2013, …, ergibt sich dessen Inhalt.

3.       Die Feststellungen zu den Auswirkungen der Baumaßnahmen und des Betriebs der Wohnhausanlage auf geschützte Arten gründen auf dem Gutachten des von der Behörde beigezogenen Amtssachverständigen für Artenschutz, welches insoweit nicht bestritten wurde.

4.       Die festgestellten Daten zur Dokumentation des Zieselvorkommens beim B. ergeben sich aus Ilse Hoffmann, Artenkartierung Europäisches Ziesel und Feldhamster in Wien, 20.9.2011. Aus dem „Zieselaktionsplan Wien“ ergeben sich die dazu getroffenen Feststellungen.

IV. Rechtsgrundlagen

1. Die maßgeblichen Bestimmungen der Richtlinie 92/43/EWG des Rates vom 21. Mai 1992 zur Erhaltung der natürlichen Lebensräume sowie der wildlebenden Tiere und Pflanzen, ABl. L 206 vom 22.7.1992, S. 7, (im Folgenden: FFH-Richtlinie) lauten auszugsweise:

Begriffsbestimmungen

Artikel 1

Im Sinne dieser Richtlinie bedeutet:

[...]

i) ‚Erhaltungszustand einer Art‘: die Gesamtheit der Einflüsse, die sich langfristig auf die Verbreitung und die Größe der Populationen der betreffenden Arten in dem in Artikel 2 bezeichneten Gebiet auswirken können.

Der Erhaltungszustand wird als ‚günstig‘ betrachtet, wenn

- aufgrund der Daten über die Populationsdynamik der Art anzunehmen ist, daß diese Art ein lebensfähiges Element des natürlichen Lebensraumes, dem sie angehört, bildet und langfristig weiterhin bilden wird, und

- das natürliche Verbreitungsgebiet dieser Art weder abnimmt noch in absehbarer Zeit vermutlich abnehmen wird und

- ein genügend großer Lebensraum vorhanden ist und wahrscheinlich weiterhin vorhanden sein wird, um langfristig ein Überleben der Populationen dieser Art zu sichern.

[...]

m) ‚Exemplar‘: jedes Tier oder jede Pflanze - lebend oder tot - der in Anhang IV und Anhang V aufgeführten Arten, jedes Teil oder jedes aus dem Tier oder der Pflanze gewonnene Produkt sowie jede andere Ware, die aufgrund eines Begleitdokuments, der Verpackung, eines Zeichens, eines Etiketts oder eines anderen Sachverhalts als Teil oder Derivat von Tieren oder Pflanzen der erwähnten Arten identifiziert werden kann.

[...]

Artikel 2

(1) Diese Richtlinie hat zum Ziel, zur Sicherung der Artenvielfalt durch die Erhaltung der natürlichen Lebensräume sowie der wildlebenden Tiere und Pflanzen im europäischen Gebiet der Mitgliedstaaten, für das der Vertrag Geltung hat, beizutragen.

(2) Die aufgrund dieser Richtlinie getroffenen Maßnahmen zielen darauf ab, einen günstigen Erhaltungszustand der natürlichen Lebensräume und wildlebenden Tier- und Pflanzenarten von gemeinschaftlichem Interesse zu bewahren oder wiederherzustellen.

(3) Die aufgrund dieser Richtlinie getroffenen Maßnahmen tragen den Anforderungen von Wirtschaft, Gesellschaft und Kultur sowie den regionalen und örtlichen Besonderheiten Rechnung.

Erhaltung der natürlichen Lebensräume und der Habitate der Arten

[...]

Artikel 6

(1) Für die besonderen Schutzgebiete legen die Mitgliedstaaten die nötigen Erhaltungsmaßnahmen fest, die gegebenenfalls geeignete, eigens für die Gebiete aufgestellte oder in andere Entwicklungspläne integrierte Bewirtschaftungspläne und geeignete Maßnahmen rechtlicher, administrativer oder vertraglicher Art umfassen, die den ökologischen Erfordernissen der natürlichen Lebensraumtypen nach Anhang I und der Arten nach Anhang II entsprechen, die in diesen Gebieten vorkommen.

(2) Die Mitgliedstaaten treffen die geeigneten Maßnahmen, um in den besonderen Schutzgebieten die Verschlechterung der natürlichen Lebensräume und der Habitate der Arten sowie Störungen von Arten, für die die Gebiete ausgewiesen worden sind, zu vermeiden, sofern solche Störungen sich im Hinblick auf die Ziele dieser Richtlinie erheblich auswirken könnten.

(3) Pläne oder Projekte, die nicht unmittelbar mit der Verwaltung des Gebietes in Verbindung stehen oder hierfür nicht notwendig sind, die ein solches Gebiet jedoch einzeln oder in Zusammenwirkung mit anderen Plänen und Projekten erheblich beeinträchtigen könnten, erfordern eine Prüfung auf Verträglichkeit mit den für dieses Gebiet festgelegten Erhaltungszielen. Unter Berücksichtigung der Ergebnisse der Verträglichkeitsprüfung und vorbehaltlich des Absatzes 4 stimmen die zuständigen einzelstaatlichen Behörden dem Plan bzw. Projekt nur zu, wenn sie festgestellt haben, daß das Gebiet als solches nicht beeinträchtigt wird, und nachdem sie gegebenenfalls die Öffentlichkeit angehört haben.

(4) Ist trotz negativer Ergebnisse der Verträglichkeitsprüfung aus zwingenden Gründen des überwiegenden öffentlichen Interesses einschließlich solcher sozialer oder wirtschaftlicher Art ein Plan oder Projekt durchzuführen und ist eine Alternativlösung nicht vorhanden, so ergreift der Mitgliedstaat alle notwendigen Ausgleichsmaßnahmen, um sicherzustellen, daß die globale Kohärenz von Natura 2000 geschützt ist. Der Mitgliedstaat unterrichtet die Kommission über die von ihm ergriffenen Ausgleichsmaßnahmen.

Ist das betreffende Gebiet ein Gebiet, das einen prioritären natürlichen Lebensraumtyp und/oder eine prioritäre Art einschließt, so können nur Erwägungen im Zusammenhang mit der Gesundheit des Menschen und der öffentlichen Sicherheit oder im Zusammenhang mit maßgeblichen günstigen Auswirkungen für die Umwelt oder, nach Stellungnahme der Kommission, andere zwingende Gründe des überwiegenden öffentlichen Interesses geltend gemacht werden.

[...]

Artenschutz

Artikel 12

(1) Die Mitgliedstaaten treffen die notwendigen Maßnahmen, um ein strenges Schutzsystem für die in Anhang IV Buchstabe a) genannten Tierarten in deren natürlichen Verbreitungsgebieten einzuführen; dieses verbietet:

a) alle absichtlichen Formen des Fangs oder der Tötung von aus der Natur entnommenen Exemplaren dieser Arten;

b) jede absichtliche Störung dieser Arten, insbesondere während der Fortpflanzungs-, Aufzucht-, Überwinterungs- und Wanderungszeiten;

c) jede absichtliche Zerstörung oder Entnahme von Eiern aus der Natur;

d) jede Beschädigung oder Vernichtung der Fortpflanzungs- oder Ruhestätten.

(2) Für diese Arten verbieten die Mitgliedstaaten Besitz, Transport, Handel oder Austausch und Angebot zum Verkauf oder Austausch von aus der Natur entnommenen Exemplaren; vor Beginn der Anwendbarkeit dieser Richtlinie rechtmäßig entnommene Exemplare sind hiervon ausgenommen.

(3) Die Verbote nach Absatz 1 Buchstaben a) und b) sowie nach Absatz 2 gelten für alle Lebensstadien der Tiere im Sinne dieses Artikels.

(4) Die Mitgliedstaaten führen ein System zur fortlaufenden Überwachung des unbeabsichtigten Fangs oder Tötens der in Anhang IV Buchstabe a) genannten Tierarten ein. Anhand der gesammelten Informationen leiten die Mitgliedstaaten diejenigen weiteren Untersuchungs- oder Erhaltungsmaßnahmen ein, die erforderlich sind, um sicherzustellen, daß der unbeabsichtigte Fang oder das unbeabsichtigte Töten keine signifikanten negativen Auswirkungen auf die betreffenden Arten haben.

[...]

Artikel 16

(1) Sofern es keine anderweitige zufriedenstellende Lösung gibt und unter der Bedingung, daß die Populationen der betroffenen Art in ihrem natürlichen Verbreitungsgebiet trotz der Ausnahmeregelung ohne Beeinträchtigung in einem günstigen Erhaltungszustand verweilen, können die Mitgliedstaaten von den Bestimmungen der Artikel 12, 13 und 14 sowie des Artikels 15 Buchstaben a) und b) im folgenden Sinne abweichen:

a) zum Schutz der wildlebenden Tiere und Pflanzen und zur Erhaltung der natürlichen Lebensräume;

b) zur Verhütung ernster Schäden insbesondere an Kulturen und in der Tierhaltung sowie an Wäldern, Fischgründen und Gewässern sowie an sonstigen Formen von Eigentum;

c) im Interesse der Volksgesundheit und der öffentlichen Sicherheit oder aus anderen zwingenden Gründen des überwiegenden öffentlichen Interesses, einschließlich solcher sozialer oder wirtschaftlicher Art oder positiver Folgen für die Umwelt;

d) zu Zwecken der Forschung und des Unterrichts, der Bestandsauffüllung und Wiederansiedlung und der für diese Zwecke erforderlichen Aufzucht, einschließlich der künstlichen Vermehrung von Pflanzen;

e) um unter strenger Kontrolle, selektiv und in beschränktem Ausmaß die Entnahme oder Haltung einer begrenzten und von den zuständigen einzelstaatlichen Behörden spezifizierten Anzahl von Exemplaren bestimmter Tier- und Pflanzenarten des Anhangs IV zu erlauben.

[...]

ANHANG IV STRENG ZU SCHÜTZENDE TIER- UND PFLANZENARTEN VON GEMEINSCHAFTLICHEM INTERESSE

[...]

a) TIERE

[...]

Spermophilus citellus (Citellus citellus)

[...]

Cricetus cricetus (ausgenommen die ungarischen Populationen)

[...]

Lacerta agilis

[...]

Lycaena dispar

[...]“

2. Die maßgeblichen Bestimmungen des Wiener Naturschutzgesetzes, LGBl. 45/1998, idF LGBl. 27/2021, lauten:

Artenschutz

§ 9. (1) Die Landesregierung kann Arten wildwachsender Pflanzen und freilebender Tiere sowie deren Lebensräume durch Verordnung unter Schutz stellen. Die Verordnung hat zur Erhaltung dauerhaft lebensfähiger Bestände festzulegen:

1.

vom Aussterben bedrohte Arten, stark gefährdete Arten und Arten von überregionaler Bedeutung, die eines strengen Schutzes der Vorkommen bedürfen (streng geschützte Arten) und

2.

gefährdete Arten, potentiell gefährdete Arten und Arten von regionaler Bedeutung, deren Entnahme aus der Natur oder sonstige menschliche Nutzung einer Regelung bedarf (geschützte Arten).

(2) In der Verordnung gemäß Abs. 1 kann für die unter Z 1 und 2 genannten Arten, unter Berücksichtigung deren Bestandsituation und deren Anpassungsfähigkeit verboten werden, Maßnahmen zu setzen, die den weiteren Bestand der Tiere (oder deren Entwicklungsformen) in diesem Lebensraum erschweren oder unmöglich machen. Die Verbote können auf bestimmte Zeiten oder Räume beschränkt werden.

(3) Streng geschützte Arten, die einen besonders hohen Gefährdungsgrad aufweisen oder von nationaler oder internationaler Bedeutung sind, können in der Verordnung gemäß Abs. 1 als „prioritär bedeutend“ eingestuft werden.

Besondere Schutzmaßnahmen

§ 10. (1) Für streng geschützte Pflanzen nach § 9 Abs. 1 Z 1 sind folgende Maßnahmen verboten:

[…]

(3) Für streng geschützte Tiere nach § 9 Abs. 1 Z 1, mit Ausnahme der Vögel, sind folgende Maßnahmen verboten:

1.

alle Formen des Fangens oder der Tötung, ungeachtet der angewandten Methode,

2.

jede absichtliche Störung dieser Tiere, insbesondere während der Fortpflanzungs-, Aufzuchts-, Überwinterungs- und Wanderungszeiten,

3.

jede absichtliche Zerstörung oder Beschädigung sowie die Entnahme von Eiern aus der Natur,

4.

jede Beschädigung oder Vernichtung der Fortpflanzungs- oder Ruhestätten,

5.

der Besitz, das Halten, der Handel oder der Austausch und das Angebot zum Verkauf oder zum Austausch von aus der Natur entnommenen Tieren im lebenden oder toten Zustand oder deren Körperteilen,

6.

der Transport im lebenden Zustand.

 

Diese Verbote gelten für alle Entwicklungsstadien der Tiere.

(4) – (8) […]

Ausnahmen

§ 11. (1) Von den Verboten des § 10 sind ausgenommen: […]

(2) Von den Verboten des § 10 oder von den in der gemäß § 9 Abs. 2 erlassenen Verordnung vorgesehenen Verboten zum Schutz des Lebensraumes, kann die Naturschutzbehörde auf Antrag Ausnahmen aus nachstehenden Gründen bewilligen:

1.

zu Forschungs- und Lehrzwecken, zum Zweck der Bestandsverbesserung und Wiederansiedlung und der für diese Zwecke erforderlichen Aufzucht von Tieren oder der für diese Zwecke erforderlichen künstlichen Vermehrung von Pflanzen,

2.

zum Schutz wild lebender Tiere und wild wachsender Pflanzen oder zur Erhaltung von Biotopen,

3.

zur Verhinderung erheblicher Schäden insbesondere an Kulturen und in der Tierhaltung sowie an Wäldern, Fischgründen und Gewässern sowie an sonstigen Formen von Eigentum,

4.

im Interesse der Volksgesundheit oder der öffentlichen Sicherheit,

5.

aus anderen zwingenden Gründen des überwiegenden öffentlichen Interesses, wenn das öffentliche Interesse an der beantragten Maßnahme unter dem Gesichtspunkt des Gemeinwohles deutlich höher zu bewerten ist als das öffentliche Interesse an der Erhaltung dauerhaft lebensfähiger Bestände oder

6.

um unter strenger Kontrolle, selektiv und in beschränktem Ausmaß die Entnahme oder Haltung einer begrenzten Anzahl von Exemplaren bestimmter Tier- oder Pflanzenarten in geringen Mengen zu ermöglichen.

 

 

(3) […]

(4) Die Bewilligung nach Abs. 2 und Abs. 3 kann nur dann erteilt werden, wenn:

1.

der Antragsteller glaubhaft macht, dass es keine andere zufriedenstellende Lösung im Sinne der Art. 16 Abs. 1 der Fauna-Flora-Habitat – Richtlinie und Art. 9 Abs. 1 der Vogelschutz – Richtlinie gibt und

2.

der Erhaltungszustand der betroffenen Art im Gebiet der Bundeshauptstadt Wien trotz Durchführung der bewilligten Maßnahme günstig ist.

 

Die Bewilligung ist erforderlichenfalls unter Vorschreibung von Bedingungen, Befristungen und Auflagen zu erteilen, um die Beeinträchtigung möglichst gering zu halten oder einen nötigen Ausgleich für die Beeinträchtigung zu schaffen.

(5) Der Erhaltungszustand einer Art ist dann günstig, wenn in dem natürlichen Verbreitungsgebiet dieser Art genügend geeignete Lebensräume sowie eine ausreichende Anzahl von Exemplaren für die Besiedelung von geeigneten Lebensräumen vorhanden sind und voraussichtlich auch weiter vorhanden sein werden.

(6) Der Bewilligungsbescheid hat erforderlichenfalls folgende Angaben zu enthalten:

1.

die für das Töten oder Fangen zugelassenen Mittel,

2.

die zeitlichen und örtlichen Umstände, unter denen diese Ausnahmen zugelassen werden oder

3.

die Kontrollmaßnahmen.

(7) […]

Form der Ansuchen

§ 11a. (1) Ansuchen gemäß § 11 sind schriftlich einzubringen. Dem Ansuchen sind folgende Unterlagen anzuschließen:

1.

Beschreibung der geplanten Maßnahme,

2.

gegebenenfalls Lageplan, Baupläne, aktuelle Grundbuchsabschrift und schriftliche Zustimmung des Grundeigentümers zur beantragten Maßnahme, wenn dieser nicht selbst Antragsteller ist,

3.

Angaben gemäß § 11 Abs. 4 Z 1 und

4.

Unterlagen aus denen erkennbar ist, wie Beeinträchtigungen der betroffenen Art vermieden, auf einen geringen Umfang beschränkt oder ausgeglichen werden können.

(2) Die Naturschutzbehörde kann von einzelnen der in Abs. 1 aufgezählten Angaben und Unterlagen absehen, wenn diese für die Beurteilung der Maßnahme unerheblich sind. Sie kann die Vorlage weiterer Unterlagen verlangen, wenn aus den angeführten und vorgelegten Unterlagen allein nicht beurteilt werden kann, ob die Maßnahme den Vorschriften dieses Gesetzes entspricht

[…]

§ 40a. […]

(4) Umweltorganisationen, die gemäß § 19 Abs. 7 des Umweltverträglichkeitsprüfungsgesetzes 2000 (UVP-G 2000), BGBl. Nr. 697/1993, in der Fassung BGBl. I Nr. 80/2018, anerkannt und für Wien zugelassen sind, steht das Recht zu, gegen Bescheide gemäß § 11 Abs. 2, 3, 4 und 7 (Ausnahmen von artenschutzrechtlichen Verboten), soweit Tier- oder Pflanzenarten betroffen sind, die durch die Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie oder die Vogelschutz-Richtlinie geschützt sind, eine Beschwerde beim Verwaltungsgericht Wien zu erheben.

(5) Die in Abs. 4 genannten Bescheide sind unverzüglich auf einer für diese Umweltorganisationen zugänglichen elektronischen Plattform für vier Wochen bereitzustellen. Ab dem Tag der Bereitstellung auf der elektronischen Plattform gilt der Bescheid diesen Umweltorganisationen als zugestellt. Ab diesem Zeitpunkt ist ihnen Einsicht in den Verwaltungsakt zu gewähren.

[…]

§ 53 […] (4) Für Bescheide gemäß § 22 Abs. 5, 6, 7 und 8 (Eingriffe in Europaschutzgebiete) und § 11 Abs. 2, 3, 4 und 7 (Ausnahmen von artenschutzrechtlichen Verboten soweit Tier- oder Pflanzenarten betroffen sind, die durch die Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie oder die Vogelschutz-Richtlinie geschützt sind), die längstens ein Jahr vor dem Inkrafttreten dieser Bestimmung erlassen worden sind, gilt § 40a Abs. 5 sinngemäß. Beschwerden gegen solche Bescheide haben keine aufschiebende Wirkung. Gleiches gilt für Verfahren gemäß § 22 Abs. 5, 6, 7 und 8 (Eingriffe in Europaschutzgebiete), die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieser Bestimmung anhängig, aber noch nicht abgeschlossen sind. Dies gilt nicht für Bescheide, die bereits rechtskräftig einer inhaltlichen Überprüfung durch das Verwaltungsgericht Wien unterzogen wurden und gegen die auf Grund einer Revision beim Verwaltungsgerichtshof oder Beschwerde beim Verfassungsgerichtshof auch kein Verfahren anhängig ist.“

3. § 7 Verordnung der Wiener Landesregierung über den Schutz wild wachsender Pflanzen- und frei lebender Tierarten und deren Lebensräume sowie zur Bezeichnung von Biotoptypen (Wiener Naturschutzverordnung - Wr. NschVO), LGBl. 5/2000, idF LGBl. 12/2010, sowie die Anlage zu dieser Verordnung lauten:

„Lebensraumschutz (Schutz der Habitate)

§ 7.

 (1) Der Schutz des Lebensraumes streng geschützter und geschützter Arten (§§ 2 bis 5) ist im 1. und 2. Abschnitt der Anlage geregelt und gliedert sich unter Berücksichtigung der Bestandssituation und der Anpassungsfähigkeit der betroffenen Arten in folgende Schutzkategorien:

A - Streng geschützte Arten mit Lebensraumschutz im gesamten Stadtgebiet,

B - streng geschützte Arten, deren Lebensraum in allen nach dem Wiener Naturschutzgesetz geschützten Objekten, Flächen und Gebieten sowie in jenen Bereichen, die nach dem Wiener Nationalparkgesetz, LGBl. für Wien Nr. 37/1996, und der Wiener Nationalparkverordnung, LGBl. für Wien Nr. 50/1996, in deren jeweils geltenden Fassung zum Nationalpark Donau-Auen erklärt wurden, geschützt ist,

C - geschützte Arten, deren Lebensraum in allen nach dem Wiener Naturschutzgesetz geschützten Objekten, Flächen und Gebieten sowie in jenen Bereichen, die nach dem Wiener Nationalparkgesetz, LGBl. für Wien Nr. 37/1996, und der Wiener Nationalparkverordnung, LGBl. für Wien Nr. 50/1996, in deren jeweils geltenden Fassung zum Nationalpark Donau-Auen erklärt wurden, geschützt ist und

D - geschützte Arten ohne Lebensraumschutz.

(2) Für die im 2. Abschnitt unter Z 2.2. der Anlage aufgelisteten Tierarten gilt der Schutz des Lebensraumes nur während der dort jeweils angegebenen Zeiten oder während des dort jeweils angegebenen Entwicklungsstadiums.

(3) In den geschützten Lebensraum einer Pflanze oder eines Tieres darf nicht auf eine solche Weise eingegriffen werden, dass das weitere Vorkommen der Art in diesem Lebensraum erschwert oder unmöglich wird.“

„Anlage

Übersicht:

1.

Abschnitt - Streng geschützte Arten:

 

 

1.1. Pflanzenarten

 

 

1.2. Tierarten

 

 

Kategorien für den Lebensraumschutz (Schutz der Habitate):

 

 

A -              Streng geschützte Arten mit Lebensraumschutz im gesamten Stadtgebiet

 

 

B -              Streng geschützte Arten, deren Lebensraum in allen nach dem Wiener Naturschutzgesetz geschützten Objekten, Flächen und Gebieten sowie in jenen Bereichen, die nach dem Wiener Nationalparkgesetz, LGBl. für Wien Nr. 37/1996, und der Wiener Nationalparkverordnung, LGBl. für Wien Nr. 50/1996, in deren jeweils geltenden Fassung zum Nationalpark Donau-Auen erklärt wurden, geschützt ist.

 

2.

Abschnitt - Geschützte Arten:

 

 

2.1. Pflanzenarten

 
Quelle: Landesverwaltungsgericht Wien LVwg Wien, http://www.verwaltungsgericht.wien.gv.at
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