TE Lvwg Erkenntnis 2022/12/13 LVwG-M-62/001-2022

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 13.12.2022
beobachten
merken

Entscheidungsdatum

13.12.2022

Norm

B-VG Art130 Abs1 Z2
SPG 1991 §38a
  1. B-VG Art. 130 heute
  2. B-VG Art. 130 gültig ab 01.02.2019 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 14/2019
  3. B-VG Art. 130 gültig von 01.01.2019 bis 31.01.2019 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 22/2018
  4. B-VG Art. 130 gültig von 01.01.2019 bis 24.05.2018 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 138/2017
  5. B-VG Art. 130 gültig von 25.05.2018 bis 31.12.2018 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 22/2018
  6. B-VG Art. 130 gültig von 01.01.2015 bis 24.05.2018 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 101/2014
  7. B-VG Art. 130 gültig von 01.01.2014 bis 31.12.2014 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 115/2013
  8. B-VG Art. 130 gültig von 01.01.2014 bis 31.12.2013 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 51/2012
  9. B-VG Art. 130 gültig von 01.01.2004 bis 31.12.2013 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 100/2003
  10. B-VG Art. 130 gültig von 01.01.1998 bis 31.12.2003 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 87/1997
  11. B-VG Art. 130 gültig von 01.01.1991 bis 31.12.1997 zuletzt geändert durch BGBl. Nr. 685/1988
  12. B-VG Art. 130 gültig von 01.07.1976 bis 31.12.1990 zuletzt geändert durch BGBl. Nr. 302/1975
  13. B-VG Art. 130 gültig von 18.07.1962 bis 30.06.1976 zuletzt geändert durch BGBl. Nr. 215/1962
  14. B-VG Art. 130 gültig von 25.12.1946 bis 17.07.1962 zuletzt geändert durch BGBl. Nr. 211/1946
  15. B-VG Art. 130 gültig von 19.12.1945 bis 24.12.1946 zuletzt geändert durch StGBl. Nr. 4/1945
  16. B-VG Art. 130 gültig von 03.01.1930 bis 30.06.1934

Text

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Landesverwaltungsgericht Niederösterreich erkennt durch Mag.Dr. Wessely, LL.M., als Einzelrichter über die auf Art. 130 Abs. 1 Z 2 B-VG gestützte Beschwerde des Herrn B, vertreten durch Herrn C, Rechtsanwalt in ***, im Zusammenhang mit einer Amtshandlung von Organen der Landespolizeidirektion Niederösterreich am 16. September 2022 in ***, zu Recht:

1.   Der Beschwerde, der Beschwerdeführer sei durch das verhängte Betretungs- und Annäherungsverbot in seinen Rechten verletzt worden, wird gemäß § 28 Abs. 6 VwGVG Folge gegeben. Der angefochtene Verwaltungsakt wird für rechtswidrig erklärt.

2.   Der Bund (Bundesminister für Inneres) hat dem Beschwerdeführer gemäß §§ 53 i.V.m. 35 VwGVG i.V.m. der VwG-Aufwandsersatzverordnung, BGBl. II 2013/517, € 737,60 (Schriftsatzaufwand) und € 30,-- (Eingabegebühr), insgesamt daher € 767,60 binnen zwei Monaten ab Zustellung dieses Erkenntnisses bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

3.   Gegen dieses Erkenntnis ist eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig (§ 25a VwGG).


Entscheidungsgründe:

Zum bisherigen Verfahren: 

Mit Schriftsatz vom 27. Oktober 2022 erhob der Beschwerdeführer eine auf Art. 130 Abs. 1 Z 2 B-VG gestützte Beschwerde im Zusammenhang mit einem seitens Organen der Landespolizeidirektion Niederösterreich und damit der belangten Behörde am 16. September 2022 verfügten Betretungs- und Annäherungsverbot betreffend die Adresse ***, ***, sowie die Gattin des Beschwerdeführers. Konkret seien die Beamten zu Unrecht vom Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen für die Verfügung eines Betretungs- und Annäherungsverbots ausgegangen, zumal die Anschuldigungen seiner Gattin ihm gegenüber gänzlich unrichtig wären. Darüber hinaus sei zu beachten, dass sich die Anschuldigungen auf mutmaßliche Vorfälle bezögen, die zum Teil bereits mehrere Jahre zurückliegen sollen, sodass sie in der Gesamtbeurteilung nicht berücksichtigt hätten werden dürfen. Nicht zuletzt gäbe es keine Hinweise dafür, dass der Beschwerdeführer wiederholt die räumliche Nähe der Gattin aufsuche, diese aufgesucht habe oder der Verdacht bestehe, dass er dies tun werde.

Dem trat die belangte Behörde in ihrer Gegenschrift vom 22. November 2022 entgegen. Näherhin habe die Gattin des Beschwerdeführers diesen wegen diverser Übergriffe am 16. September 2022 zur Anzeige gebracht und unter einem darauf hingewiesen, dass sie der Beschwerdeführer für diesen Fall mit dem Tode bedroht habe. Die (verhältnismäßige) Maßnahme sei dem Beschwerdeführer telefonisch eröffnet worden. Schlussendlich teilte die belangte Behörde dem Landesverwaltungsgerichte Niederösterreich über dessen Nachfrage am 7. Dezember 2022 mit, dass es durch einen Fehler beim elektronischen Versand zu keiner Überprüfung des Betretungs- und Annäherungsverbots gemäß § 38a Abs. 7 SPG gekommen sei. Als der Fehler bemerkt worden sei, sei die Frist bereits verstrichen gewesen.

Zum durchgeführten Ermittlungsverfahren:

Beweis wurde erhoben durch Einsichtnahme in die Beschwerde samt Beilagen, den von der belangten Behörde vorgelegten Verwaltungsakt sowie die E-Mail der belangten Behörde vom 7. Dezember 2022.

Feststellungen und Beweiswürdigung:

Demnach steht folgender Sachverhalt fest: Am 16. September 2022 suchte die Gattin des Beschwerdeführers die Polizeiinspektion *** auf und erstattete unter gleichzeitiger Vorlage von Lichtbildern Anzeige gegen den Beschwerdeführer. Aufgrund der Anzeige gelangte die einschreitende Beamtin zum Schluss, dass der Verdacht einer mit gerichtlicher Strafe bedrohten Handlung gemäß § 107b StGB bestanden habe. Ihren Angaben der Beamtin gegenüber zufolge habe der Beschwerdeführer über einen Zeitraum von sechs Jahren seine Gattin Schläge gegen den Kopf versetzt, sie mit massiver Körperkraft festgehalten, sie eingesperrt und habe er für den Fall Anzeige mit dem Tod bedroht, um sie von einer solchen abzuhalten. Aufgrund einer Gesamtbetrachtung ging die einschreitende Beamtin davon aus, dass der Beschwerdeführer aufgrund der erstatteten Anzeige Gewalt gegen seine Gattin üben werde und eröffnete dies dem Beschwerdeführer telefonisch. Eine Überprüfung durch die belangte Behörde selbst unterblieb.

Diese Feststellungen gründen sich auf die vorgelegten unbedenklichen Unterlagen.

Daraus ergibt sich in rechtlicher Hinsicht:

Gegenstand der Beschwerden nach Art 130 Abs. 1 Z 2 B-VG sind einzelne Verwaltungsakte, mithin Lebenssachverhalte. Im gegenständlichen Fall lag ein Betretungs- und Annäherungsverbot vor, welches vom Verwaltungsgericht auf seine Rechtmäßigkeit zu überprüfen ist, wobei diese Prüfung – trotz der Gegenteiliges intendierenden Formulierung des § 27 VwGVG – unabhängig von den in der Beschwerde geltend gemachten Rechten in jede Richtung zu erfolgen hat (VfSlg 14.436/1996; VwGH 25.9.1996, 96/01/0286; 9.9.1997, 96/06/0096; 15.9.1997, 94/10/0027; 23.9.1998, 97/01/0407; vgl. insb. VwGH 30.3.2016, Ra 2015/09/0139, wonach eine Bindung an die Beschwerdegründe des § 27 VwGVG nicht besteht).

Den Beurteilungsmaßstab im Maßnahmenbeschwerdeverfahren bildet die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der gesetzten Amtshandlung (VwGH 24.11.2015, Ra 2015/05/0063), näherhin jene vom eingeschrittenen Organ angenommene Sachlage (vgl. dazu VfSlg 12.301/1990), wie sie ihm im Handlungszeitpunkt bekannt war bzw. (insbesondere im Hinblick auf den Zeitfaktor) bei zumutbarer Sorgfalt bekannt sein musste (VwSlg 14.706 A/1997; VwGH 6.8.1998, 96/07/0053; vgl. N.Raschauer/Wessely, Die abgestufte Gefährdungsprognose nach § 38a SPG, SIAK 2006, 22 ff). Im Ergebnis ist daher zu prüfen, ob das Organ vertretbarer Weise das Vorliegen der Voraussetzungen für sein Einschreiten annehmen durfte (ex ante-Beurteilung; VwSlg 14.142 A/1994; 14.706 A/1997; VwGH 25.1.1990, 89/16/0163; 21.3.2006, 2006/11/0019). Dass diese Voraussetzungen bei einer objektiven ex post-Betrachtungsweise nicht vorlagen, hindert demgemäß die Rechtmäßigkeit der Maßnahme ebenso wenig, wie – umgekehrt – vom eingeschrittenen Organ bei seiner Beurteilung nicht herangezogene, tatsächlich aber vorhanden gewesene Umstände, eine gesetzte Maßnahme rechtfertigen können (VfSlg 12.301/1990).

Gemäß § 38a Abs. 1 SPG sind die Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes ermächtigt, einem Menschen, von dem auf Grund bestimmter Tatsachen, insbesondere wegen eines vorangegangenen gefährlichen Angriffs, anzunehmen ist, dass er einen gefährlichen Angriff auf Leben, Gesundheit oder Freiheit begehen werde (Gefährder), das Betreten einer Wohnung, in der ein Gefährdeter wohnt, samt einem Bereich im Umkreis von hundert Metern zu untersagen (Betretungsverbot). Mit dem Betretungsverbot verbunden ist das Verbot der Annäherung an den Gefährdeten im Umkreis von hundert Metern (Annäherungsverbot). Nach Abs. 7 diese Bestimmung ist die Anordnung eines Betretungs- und Annäherungsverbots der Sicherheitsbehörde unverzüglich bekanntzugeben und von dieser binnen drei Tagen zu überprüfen.

Im konkreten Fall können zunächst die der Verfügung zugrundegelegten Überlegungen nicht als unschlüssig erkannt werden. Wenngleich der Beschwerdeführer zutreffend darauf verweist, dass die Indizwirkung früherer Vorfälle (die zu keinem Einschreiten von Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes führten) bei größerem Zeitabstand zum Zeitpunkt der Prognose relativiert wird (VwGH 31.5.2012, 2012/01/0018), kann ihnen zum einen eine Relevanz in der Gesamtbeurteilung eben gerade nicht abgesprochen werden. Zum anderen sind in die Beurteilung auch jene Gründe mit einzubeziehen, die für eine unter Umständen auch längere Verzögerung bei der Einschaltung der Sicherheitsbehörden ausschlaggebend waren. Dass in diesem Zusammenhang auch allfällige Drohungen, für den Fall der Einschaltung der Behörden Gewalt bis hin zur Tötung anzuwenden, berücksichtigt werden können, kann nicht als rechtswidrig betrachtet werden.

Zutreffenderweise ist der mutmaßliche Gefährder, soweit dies Situation zulässt, aber vor Verfügung des Betretungs- und Annäherungsverbots zu hören, und istr ihm Gelegenheit zu geben, seine Sicht der Dinge darzulegen. Ob dies vorliegend der Fall war oder nicht (die Dokumentation gemäß § 38a Abs. 6 SPG ist insoweit nicht eindeutig), kann jedoch im vorliegenden Fall schon deswegen dahingestellt bleiben, weil entgegen § 38a Abs. 7 SPG eine Überprüfung der Maßnahme durch die belangte Behörde unbestrittenermaßen nicht erfolgte. Unterbleibt eine solche Überprüfung aber, erweist sich das Betretungs- und Annäherungsverbot schon alleine aus diesem Grund als rechtswidrig (vgl. nur IA 970/A 26. GP 26), sodass der Beschwerde bereits aus diesem Grunderfolg beschieden war.

Zur Kostentragung:

Gemäß § 35 VwGVG hat die obsiegende Partei im Verfahren über Beschwerden wegen Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt Anspruch auf den Ersatz ihrer Aufwendungen durch die unterlegene Partei. Wenn die Beschwerde zurückgewiesen oder abgewiesen wird oder vom Beschwerdeführer vor der Entscheidung durch das Verwaltungsgericht zurückgezogen wird, dann ist die Behörde die obsiegende und der Beschwerdeführer die unterlegene Partei.

Im konkreten Fall ergibt sich, dass der Beschwerdeführer als obsiegende Partei zu betrachten ist, sodass ihm – antragsgemäß – der Schriftsatzaufwand in tarifmäßiger Höhe sowie die Eingabegebühr zuzuerkennen war.

Unzulässigkeit der ordentlichen Revision:

Die ordentliche Revision ist nicht zulässig, da im gegenständlichen Verfahren keine Rechtsfrage zu lösen war, der im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukommt, weil die durchgeführte rechtliche Beurteilung aufgrund der obzitierten höchstgerichtlichen Rechtsprechung und des unmissverständlichen Gesetzeswortlautes erfolgte.

Schlagworte

Maßnahmenbeschwerde; Annäherungsverbot; Betretungsverbot; Beurteilungsmaßstab; Maßnahme; Überprüfung;

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:LVWGNI:2022:LVwG.M.62.001.2022

Zuletzt aktualisiert am

10.02.2023
Quelle: Landesverwaltungsgericht Niederösterreich LVwg Niederösterreic, http://www.lvwg.noe.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten