Entscheidungsdatum
10.01.2023Index
40/01 VerwaltungsverfahrenNorm
VStG §19 Abs2Text
IM NAMEN DER REPUBLIK
Das Landesverwaltungsgericht Tirol erkennt durch seinen Richter Dr. Hirn über die Beschwerde der AA, Adresse 1, **** Z, gegen das Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft Y (= belangte Behörde) vom 26.09.2022, Zl ***, betreffend eine Übertretung nach dem Epidemiegesetz 1950 (EpiG 1950),
zu Recht:
1. Der Beschwerde wird insofern Folge gegeben, als die im angefochtenen Straferkenntnis ausgesprochene Geldstrafe in der Höhe von Euro 250,00, Ersatzfreiheitsstrafe 115 Stunden, auf Euro 200,00, Ersatzfreiheitsstrafe
92 Stunden, herabgesetzt wird.
2. Der Beitrag zu den Kosten des behördlichen Strafverfahrens wird mit Euro 20,00 neu bestimmt.
3. Die ordentliche Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nicht zulässig.
E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
I. Verfahrensgang:
Mit Straferkenntnis vom 26.09.2022, Zl ***, hat die belangte Behörde AA (= Beschwerdeführerin), Adresse 1, **** Z, zur Last gelegt, sie sei am 10.11.2021 um 13:00 und um 15:00 im Zuge der Überwachung von Anordnungen nach dem Epidemiegesetz 1950 (EpiG 1950) – entgegen dem Absonderungsbescheid der Bezirkshauptmannschaft Y vom 09.11.2021, Zl ***, – nicht an der Adresse 1, **** Z (= Wohnadresse), angetroffen worden. Die Beschwerdeführerin habe zum jeweiligen Tatzeitpunkt den Absonderungsort verlassen, um ihr Fahrzeug zum ÖAMTC zu bringen und auch wieder von dort abzuholen.
Die Beschwerdeführerin habe dadurch eine Verwaltungsübertretung nach § 40 Abs 1 lit b iVm §§ 7, 17 Epidemiegesetz 1950 (EpiG 1950), BGBl Nr 186/1950 in der Fassung (idF) BGBl Nr 183/2021 in Verbindung mit (iVm) der Verordnung BGBl II Nr 15/2020 und der Verordnung BGBl II Nr 21/2020 sowie iVm dem Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Y vom 09.11.2021 zu Zahl *** begangen. Wegen dieser Verwaltungsübertretung wurde über die Beschwerdeführerin eine Geldstrafe in Höhe von Euro 250,00 (Ersatzfreiheitsstrafe: 115 Stunden) verhängt und der Beitrag zu den Kosten des Strafverfahrens mit Euro 30,00 festgesetzt.
Gegen dieses Straferkenntnis hat AA, Adresse 1, **** Z, mit undatiertem Schriftsatz, fristgerecht Beschwerde erhoben und beantragte „das Straferkenntnis der belangten Behörde insofern abzuändern, als eine bloße Ermahnung ausgesprochen wird und sollte dies nicht möglich sein, die Strafe maßgeblich herabzusetzen“.
Die Beschwerdeführerin bringt im Wesentlichen vor, sie sei alleinerziehende Mutter einer Tochter, verdiene laut der – der Beschwerde beigelegten Lohnabrechnung – monatlich
Euro 2.186,75 netto und habe kein wesentliches Vermögen. Aus diesen Gründen treffe sie die Strafe sehr hart.
Mit Schriftsatz vom 02.11.2022, Zahl ***, hat die belangte Behörde den Gegenstandsakt mit dem Ersuchen um Entscheidung über die Beschwerde gegen das Straferkenntnis vom 26.09.2022 vorgelegt.
Mit Schriftsatz vom 29.11.2022, LVwG-2022/37/2851-1, wurde die Beschwerdeführerin aufgefordert, binnen zwei Wochen ab Zustellung ihre Vermögens- und Familienverhältnisse durch geeignete Unterlagen zu bescheinigen.
Mit Schriftsatz vom 19.12.2022, beim Landesverwaltungsgericht eingelangt am 20.12.2022, legte die Beschwerdeführerin drei Geburtsurkunden – für BB, geb. XX.XX.XXXX, CC, geb XX.XX.XXXX, und DD, geb XX.XX.XXXX, – zwei Kontoauszüge – betreffend einen Wohnbausofortkredit aushaftend mit Euro 123.996,89 per 31.12.2021 und einen Konsumkreditvertag über ursprünglich aushaftend mit Euro 22.500,00 per 18.08.2016 – einen Einheitswertbescheid vom 01.01.2015 betreffend die Liegenschaft in EZ **** KG ***** Z und Lohnabrechnungen für die Zeiträume vom 01.09.2022 bis 30.09.2022 und vom 01.10.2022 bis 31.10.2022 vor.
II. Sachverhalt:
Die Beschwerdeführerin ist sorgepflichtig für zumindest zwei Kinder und verdient monatlich
ca Euro 2.100,00 netto.
Die Beschwerdeführerin haftet für einen Wohnbausofortkredit bei der EE-Bank mit Euro 123.996,89 per 31.12.2021 sowie einen Konsumkreditvertrag bei der FF-Bank über ursprünglich Euro 22.500,- per 18.08.2016 (aktuelle Aushaftung unbekannt).
Die Beschwerdeführerin gilt in verwaltungsstrafrechtlicher Sicht als unbescholten.
III. Beweiswürdigung
Der festgestellte Sachverhalt stützt sich auf den unbedenklichen Inhalt des vorlegten Aktes der belangten Behörde, insbesondere das Straferkenntnis vom 26.09.2022, die undatierte Beschwerde und der dieser beigelegten Lohnabrechnung der Beschwerdeführerin für den Zeitraum 01.08.2022 bis 31.08.2022. Ergänzend wurde der Bescheid, mit dem der minderjährige Sohn der Beschwerdeführerin abgesondert wurde, angefordert. Die Sorgepflicht für zumindest zwei Kinder ergibt sich aus den vorgelegten Lohnabrechnungen, bei denen ein Absetzbetrag „Alleinverdiener/Erzieher und zwei Kinder“ berücksichtigt sind, in Zusammenschau mit den Geburtsurkunden. Die Vermögensverhältnisse der Beschwerdeführerin ergeben sich aus den vorgelegten Kontoauszügen sowie den Lohnabrechnungen. Die bisherige verwaltungsstrafrechtliche Unbescholtenheit der Beschwerdeführerin wurde bereits erstinstanzlich festgestellt.
IV. Rechtslage:
1. Epidemiegesetz 1950:
Die entscheidungswesentlichen Bestimmungen des Epidemiegesetz 1950 - EpiG 1950, BGBl. Nr. 186/1950, in der Fassung BGBl. I Nr. 183/2021, lauten samt Überschriften auszugsweise wie folgt:
„Absonderung Kranker
§ 7. (1) Durch Verordnung werden jene anzeigepflichtigen Krankheiten bezeichnet, bei denen für kranke, krankheitsverdächtige oder ansteckungsverdächtige Personen Absonderungs-maßnahmen verfügt werden können.
(1a) Zur Verhütung der Weiterverbreitung einer in einer Verordnung nach Abs. 1 angeführten anzeigepflichtigen Krankheit können kranke, krankheitsverdächtige oder ansteckungsverdächtige Personen abgesondert oder im Verkehr mit der Außenwelt beschränkt werden, sofern nach der Art der Krankheit und des Verhaltens des Betroffenen eine ernstliche und erhebliche Gefahr für die Gesundheit anderer Personen besteht, die nicht durch gelindere Maßnahmen beseitigt werden kann.
(2) Kann eine zweckentsprechende Absonderung im Sinne der getroffenen Anordnungen in der Wohnung des Kranken nicht erfolgen oder wird die Absonderung unterlassen, so ist die Unterbringung des Kranken in einer Krankenanstalt oder einem anderen geeigneten Raume durchzuführen, falls die Überführung ohne Gefährdung des Kranken erfolgen kann.
(3) Zum Zwecke der Absonderung sind, wo es mit Rücksicht auf die örtlichen Verhältnisse geboten erscheint, geeignete Räume und zulässig erkannte Transportmittel rechtzeitig bereitzustellen, beziehungsweise transportable, mit den nötigen Einrichtungen und Personal ausgestattete Barackenspitäler einzurichten.
(4) Abgesehen von den Fällen der Absonderung eines Kranken im Sinne des Abs. 2 kann die Überführung aus der Wohnung, in der er sich befindet, nur mit behördlicher Genehmigung und unter genauer Beobachtung der hiebei von der Behörde anzuordnenden Vorsichtsmaßregeln erfolgen.
(5) Diese Genehmigung ist nur dann zu erteilen, wenn eine Gefährdung öffentlicher Rücksichten hiedurch nicht zu besorgen steht und der Kranke entweder in eine zur Aufnahme solcher Kranker bestimmte Anstalt gebracht werden soll oder die Überführung nach der Sachlage unbedingt geboten erscheint.“
„Überwachung bestimmter Personen
§ 17 (1) Personen, die als Träger von Krankheitskeimen einer anzeigepflichtigen Krankheit anzusehen sind, können einer besonderen sanitätspolizeilichen Beobachtung oder Überwachung unterworfen werden. Sie dürfen nach näherer Anordnung der Bezirksverwaltungsbehörde (Gesundheitsamt) nicht bei der Gewinnung oder Behandlung von Lebensmitteln in einer Weise tätig sein, welche die Gefahr mit sich bringt, dass Krankheitskeime auf andere Personen oder auf Lebensmittel übertragen werden. Für diese Personen kann eine besondere Meldepflicht, die periodische ärztliche Untersuchung sowie erforderlichenfalls die Desinfektion und Absonderung in ihrer Wohnung angeordnet werden; ist die Absonderung in der Wohnung in zweckmäßiger Weise nicht durchführbar, so kann die Absonderung und Verpflegung in eigenen Räumen verfügt werden.
(2) Bezieht sich der Ansteckungsverdacht auf die Übertragung des Flecktyphus, der Blattern, der Asiatischen Cholera oder der Pest, so ist die sanitätspolizeiliche Beobachtung und Überwachung der ansteckungsverdächtigen Person im Sinne des vorhergehenden Absatzes jedenfalls durchzuführen.
(3) Für Personen, die sich berufsmäßig mit der Krankenbehandlung, der Krankenpflege oder Leichenbesorgung beschäftigen, und für Hebammen ist die Beobachtung besonderer Vorsichten anzuordnen. Für solche Personen können Verkehrs- und Berufsbeschränkungen sowie Schutzmaßnahmen, insbesondere Schutzimpfungen, angeordnet werden.
(4) Sofern dies im Hinblick auf Art und Umfang des Auftretens einer meldepflichtigen Erkrankung zum Schutz vor deren Weiterverbreitung unbedingt erforderlich ist, kann die Bezirksverwaltungsbehörde im Einzelfall für bestimmte gefährdete Personen die Durchführung von Schutzimpfungen oder die Gabe von Prophylaktika anordnen.
(5) Für Absonderungen gemäß Abs. 1 gilt § 7a sinngemäß.“
„Sonstige Übertretungen
§ 40. (1) Wer durch Handlungen oder Unterlassungen
[…]
b) den auf Grund der in den §§ 7, 9, 10, 11, 12, 13, 14, 15, 17, 19, 20, 21, 22, 23 und 24 angeführten Bestimmungen erlassenen behördlichen Geboten oder Verboten oder
[…]
macht sich, sofern die Tat nicht mit gerichtlicher Strafe bedroht ist, einer Verwaltungsübertretung schuldig und ist mit Geldstrafe bis zu 1 450 Euro, im Nichteinbringungsfall mit Freiheitsstrafe bis zu vier Wochen zu bestrafen.“
2. Verordnung betreffend die Absonderung Kranker, Krankheitsverdächtiger und Ansteckungsverdächtiger und Bezeichnung von Häusern und Wohnungen:
Die entscheidungswesentlichen Bestimmungen der Verordnung betreffend die Absonderung Kranker, Krankheitsverdächtiger und Ansteckungsverdächtiger und Bezeichnung von Häusern und Wohnungen, RGBl. II Nr. 39/1915, in der Fassung BGBl. II Nr. 21/2020, lauten auszugsweise wie folgt:
„§ 1.
Zur Verhütung der Weiterverbreitung einer anzeigepflichtigen Krankheit (§ 1 des Gesetzes vom 14. April 1913, R. G. Bl. Nr. 67, und Artikel I des Bundesgesetzes vom 3. Dezember 1925,
B. G. Bl. Nr. 449) können gegenüber kranken, krankheitsverdächtigen oder ansteckungsverdächtigen Personen Maßnahmen zum Zwecke der räumlichen Absonderung oder anderweitiger bestimmter Verkehrsbeschränkungen verfügt werden.
Als krank gelten jene Personen, bei denen die Krankheit bereits festgestellt ist, als krankheitsverdächtig solche, die Erscheinungen zeigen, die das Vorhandensein der Krankheit vermuten lassen, als ansteckungsverdächtig solche, die zwar keine Krankheitserscheinungen aufweisen, bei denen jedoch bakteriologisch nachgewiesen ist, daß sie als Träger des Krankheitskeimes anzusehen sind, oder bei denen sonst feststeht oder erfahrungsgemäß anzunehmen ist, daß sie der Ansteckung ausgesetzt waren und die Weiterverbreitung vermitteln können.“
„§ 2.
Die Absonderung oder Verkehrsbeschränkung der Kranken, Krankheitsverdächtigen und Ansteckungsverdächtigen hat auf die Dauer der Ansteckungsgefahr derart zu erfolgen, daß eine Weiterverbreitung der Krankheit hintangehalten wird.
Die Absonderung besteht in der Unterbringung der im Absatze 1 erwähnten Personen in gesonderten Räumen.
Unter den Verkehrsbeschränkungen können eine besondere Meldepflicht, die sanitätspolizeiliche Überwachung, die periodische ärztliche Untersuchung usw. als selbständige Maßregel angeordnet werden. Der Besuch von Lehranstalten, öffentlichen Lokalen und Versammlungsorten, die Benützung öffentlicher Transportmittel u. dgl., ferner Beschäftigungen, die einen häufigen Verkehr mit anderen Personen bedingen, können verboten werden.
Durch entsprechende Vorkehrungen ist Vorsorge zu treffen, daß nicht durch die Aus- und Abscheidungen des Kranken, Krankheitsverdächtigen oder Ansteckungsverdächtigen die Krankheit weiterverbreitet werde.
Auch kann angeordnet werden, daß Tiere, insbesondere Ungeziefer, Fliegen, Stechmücken u. dgl., vor allem sofern eine Weiterverbreitung der Krankheit durch diese in Betracht kommt, ferngehalten oder beseitigt werden.
Welche der vorstehenden Verfügungen zu treffen sind, ist nach Maßgabe der Bestimmungen dieser Verordnung fallweise auf Grund des Gutachtens des zuständigen, im öffentlichen Sanitätsdienste stehenden Arztes anzuordnen.“
3. Verwaltungsstrafgesetz 1991:
Die entscheidungswesentlichen Bestimmungen des Verwaltungsstrafgesetzes 1991 (VStG), BGBl Nr 52/1991 in den Fassungen BGBl I Nr 33/2013 (§§ 19 und 45) und BGBl I Nr 57/2018 (§ 5), lauten samt Überschriften auszugsweise wie folgt:
„Schuld
§ 5. (1) Wenn eine Verwaltungsvorschrift über das Verschulden nicht anderes bestimmt, genügt zur Strafbarkeit fahrlässiges Verhalten. Fahrlässigkeit ist bei Zuwiderhandeln gegen ein Verbot oder bei Nichtbefolgung eines Gebotes dann ohne weiteres anzunehmen, wenn zum Tatbestand einer Verwaltungsübertretung der Eintritt eines Schadens oder der Gefahr nicht gehört und der Täter nicht glaubhaft macht, dass ihn an der Verletzung der Verwaltungsvorschrift kein Verschulden trifft.
(1a) Abs. 1 zweiter Satz gilt nicht, wenn die Verwaltungsübertretung mit einer Geldstrafe von über 50 000 Euro bedroht ist.
(2) Unkenntnis der Verwaltungsvorschrift, der der Täter zuwidergehandelt hat, entschuldigt nur dann, wenn sie erwiesenermaßen unverschuldet ist und der Täter das Unerlaubte seines Verhaltens ohne Kenntnis der Verwaltungsvorschrift nicht einsehen konnte.“
„Strafbemessung
§ 19. (1) Grundlage für die Bemessung der Strafe sind die Bedeutung des strafrechtlich geschützten Rechtsgutes und die Intensität seiner Beeinträchtigung durch die Tat.
(2) Im ordentlichen Verfahren (§§ 40 bis 46) sind überdies die nach dem Zweck der Strafdrohung in Betracht kommenden Erschwerungs- und Milderungsgründe, soweit sie nicht schon die Strafdrohung bestimmen, gegeneinander abzuwägen. Auf das Ausmaß des Verschuldens ist besonders Bedacht zu nehmen. Unter Berücksichtigung der Eigenart des Verwaltungsstrafrechtes sind die §§ 32 bis 35 des Strafgesetzbuches sinngemäß anzuwenden. Die Einkommens- und Vermögensverhältnisse und allfällige Sorgepflichten des Beschuldigten sind bei der Bemessung von Geldstrafen zu berücksichtigen.
[…]
„§ 45. (1) Die Behörde hat von der Einleitung oder Fortführung eines Strafverfahrens abzusehen und die Einstellung zu verfügen, wenn
1. die dem Beschuldigten zur Last gelegte Tat nicht erwiesen werden kann oder keine Verwaltungsübertretung bildet;
2. der Beschuldigte die ihm zur Last gelegte Verwaltungsübertretung nicht begangen hat oder Umstände vorliegen, die die Strafbarkeit aufheben oder ausschließen;
3. Umstände vorliegen, die die Verfolgung ausschließen;
4. die Bedeutung des strafrechtlich geschützten Rechtsgutes und die Intensität seiner Beeinträchtigung durch die Tat und das Verschulden des Beschuldigten gering sind;
5. die Strafverfolgung nicht möglich ist;
6. die Strafverfolgung einen Aufwand verursachen würde, der gemessen an der Bedeutung des strafrechtlich geschützten Rechtsgutes und der Intensität seiner Beeinträchtigung durch die Tat unverhältnismäßig wäre.
Anstatt die Einstellung zu verfügen, kann die Behörde dem Beschuldigten im Fall der Z 4 unter Hinweis auf die Rechtswidrigkeit seines Verhaltens mit Bescheid eine Ermahnung erteilen, wenn dies geboten erscheint, um ihn von der Begehung strafbarer Handlungen gleicher Art abzuhalten.“
3. Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz:
Die entscheidungswesentlichen Bestimmungen des Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetzes (VwGVG), BGBl I Nr 33/2013 in den Fassungen BGBl I Nr 24/2017 (§ 44) und BGBl I
Nr 57/2018 (§§ 50 und 52), lauten auszugsweise samt Überschriften wie folgt:
„Verhandlung
§ 44. (1) Das Verwaltungsgericht hat eine öffentliche mündliche Verhandlung durchzuführen.
[…]
(3) Das Verwaltungsgericht kann von einer Verhandlung absehen, wenn
[…]
2. sich die Beschwerde nur gegen die Höhe der Strafe richtet oder
[…]
und keine Partei die Durchführung einer Verhandlung beantragt hat. Der Beschwerdeführer hat die Durchführung einer Verhandlung in der Beschwerde oder im Vorlageantrag zu beantragen. Den sonstigen Parteien ist Gelegenheit zu geben, einen Antrag auf Durchführung einer Verhandlung zu stellen. Ein Antrag auf Durchführung einer Verhandlung kann nur mit Zustimmung der anderen Parteien zurückgezogen werden.
[…]“
„Erkenntnisse
§ 50. (1) Sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen und das Verfahren einzustellen ist, hat das Verwaltungsgericht über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG in der Sache selbst zu entscheiden.
[…]“
„Kosten
§ 52. (1) In jedem Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes, mit dem ein Straferkenntnis bestätigt wird, ist auszusprechen, dass der Bestrafte einen Beitrag zu den Kosten des Strafverfahrens zu leisten hat.
(2) Dieser Beitrag ist für das Beschwerdeverfahren mit 20% der verhängten Strafe, mindestens jedoch mit zehn Euro zu bemessen; bei Freiheitsstrafen ist zur Berechnung der Kosten ein Tag Freiheitsstrafe gleich 100 Euro anzurechnen. Der Kostenbeitrag fließt der Gebietskörperschaft zu, die den Aufwand des Verwaltungsgerichtes zu tragen hat.
[…]“
V. Erwägungen:
1. Zur Rechtzeitigkeit der Beschwerde:
Gemäß § 7 Abs 4 VwGVG beträgt die Frist zur Erhebung einer Beschwerde gegen den Bescheid einer Behörde vier Wochen.
Das angefochtene Straferkenntnis wurde der Beschwerdeführerin am 30.09.2022 zugestellt. Die undatierte Beschwerde wurde am 24.10.2022 und damit innerhalb der vierwöchigen Beschwerdefrist bei der Post aufgegeben. Die Erhebung der Beschwerde erfolgte somit fristgerecht.
2. Zum Prüfungsumfang:
Gemäß § 27 VwGVG hat das Verwaltungsgericht den Bescheid aufgrund der Beschwerde
(§ 9 Abs 1 Z 3 und 4 VwGVG) zu überprüfen. Gemäß § 9 Abs 1 Z 3 und 4 VwGVG hat die Beschwerde die Gründe, auf die sich die Behauptung der Rechtswidrigkeit stützt und das Begehren zu enthalten.
Die Beschwerdeführerin hat in ihrem Rechtsmittel den ihr zur Last gelegten Sachverhalt insofern außer Streit gestellt, als sie darin lediglich beantragt, „das Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft Y insofern abzuändern, als eine bloße Ermahnung ausgesprochen wird, und sollte dies nicht möglich sein, die Strafe maßgeblich herabzusetzen.“
Mit der gegenständlichen Beschwerde bekämpft die Beschwerdeführerin sohin lediglich die Höhe der verhängten Verwaltungsstrafe, die Schuldsprüche sind bereits in Rechtskraft erwachsen. Verfahrensgegenständlich war somit allein die Strafhöhe. Es ist dem Landesverwaltungsgericht Tirol verwehrt, auf die Schuldfrage, hinsichtlich derer Teilrechtskraft eingetreten ist, einzugehen (VwGH 19.10.2017, Ra 2017/02/0062; 14.11.2018,
Ra 2016/08/0082 mwN).
Der von der Behörde festgestellte Sachverhalt, dass die Beschwerdeführerin zum Tatzeitpunkt entgegen der behördlichen Absonderungsmaßnahme ihren Absonderungsort verließ um ihr Fahrzeug zum ÖAMTC zu bringen und auch wieder abzuholen, steht außer Streit. Gegenstand des Beschwerdeverfahrens ist somit ausschließlich die mit Straferkenntnis vom 26.09.2022,
Zl ***, über die Beschwerdeführerin verhängte Geldstrafe in Höhe von
Euro 250,00.
3. In der Sache:
3.1. Zur Strafbemessung:
Gemäß § 19 Abs 1 VStG ist Grundlage für die Bemessung der Strafe die Bedeutung des strafrechtlich geschützten Rechtsgutes und die Intensität seiner Beeinträchtigung durch die Tat.
Gemäß § 19 Abs 2 VStG sind im ordentlichen Verfahren (§§ 40 bis 46) überdies die nach dem Zweck der Strafdrohung in Betracht kommenden Erschwerungs- und Milderungsgründe, soweit sie nicht schon die Strafdrohung bestimmen, gegeneinander abzuwägen. Auf das Ausmaß des Verschuldens ist besonders Bedacht zu nehmen. Unter Berücksichtigung der Eigenart des Verwaltungsstrafrechtes sind die §§ 32 bis 35 des Strafgesetzbuches sinngemäß anzuwenden. Die Einkommens- und Vermögensverhältnisse und allfällige Sorgepflichten des Beschuldigten sind bei der Bemessung von Geldstrafen zu berücksichtigen.
Gemäß § 45 Abs 1 Z 4 VStG ist von der Einleitung oder Fortführung eines Strafverfahrens abzusehen und die Einstellung zu verfügen, wenn die Bedeutung des strafrechtlich geschützten Rechtsgutes und die Intensität seiner Beeinträchtigung durch die Tat und das Verschulden des Beschuldigten gering sind. Anstatt die Einstellung zu verfügen, kann die Behörde dem Beschuldigten im Fall der Z 4 unter Hinweis auf die Rechtswidrigkeit ihres Verhaltens mit Bescheid eine Ermahnung erteilen, wenn dies geboten erscheint, um ihn von der Begehung strafbarer Handlungen gleicher Art abzuhalten.
Die Anwendung des § 45 Abs 1 Z 4 VStG setzt voraus, dass die dort genannten Umstände kumulativ vorliegen. Um daher eine Einstellung des Verfahrens nach dieser Vorschrift oder eine Ermahnung im Sinne des § 45 Abs 1 letzter Satz VStG vornehmen zu können, müssen erstens die Bedeutung des strafrechtlich geschützten Rechtsgutes, zweitens die Intensität seiner Beeinträchtigung durch die Tat und drittens das Verschulden des Beschuldigten gering sein.
Die hier zur Anwendung gelangende Strafbestimmung des § 40 Abs 1 Epidemiegesetz 1950, BGBl Nr 186/1950, in der Fassung BGBl I Nr 183/2021, sieht für die dort genannten Verwaltungsübertretungen eine Geldstrafe von 1.450,00 Euro, im Nichteinbringungsfall eine Freiheitsstrafe von bis zu vier Wochen vor. Aufgrund des in Rechtskraft erwachsenen Schuldspruches steht fest, dass die Beschwerdeführerin es zu verantworten hat, dass sie sich nicht in der Unterkunft **** Z, Adresse 1, in der sie als K1-Person von 03.11.2021 bis 11.11.2021 behördlich abgesondert wurde, aufgehalten hat.
Die übertretenen Rechtsvorschriften dienen dem Schutz hochrangiger Interessen, insbesondere dem Schutz der Gesundheit der Bevölkerung vor einer weiteren Verbreitung von COVID-19 sowie vor einer Überlastung des Gesundheitssystems. Durch die Deliktsverwirklichung hat die Beschwerdeführerin gegen diesen Schutzzweck verstoßen. Der Unrechtsgehalt der der Beschwerdeführerin angelasteten Verwaltungsübertretung ist nicht unerheblich, weil der Normzweck durch ihre Tat nicht bloß geringfügig beeinträchtigt wurde.
Die belangte Behörde ist bei der Beschwerdeführerin zu Recht von der Verschuldensform von „Fahrlässigkeit“ ausgegangen, da es sich bei gegenständlicher Verwaltungsübertretung um ein sog „Ungehorsamsdelikt“ iSd § 5 Abs 1 zweiter Satz VStG handelt, wonach hier zum Tatbestand der jeweiligen Verwaltungsübertretung der Eintritt eines Schadens oder einer Gefahr nicht gehört.
Die belangte Behörde ist bei der Bemessung der Strafe von durchschnittlichen wirtschaftlichen Verhältnissen ausgegangen, da die Beschwerdeführerin keine Angaben zu ihren Einkommens- und Vermögensverhältnissen sowie allfälligen Sorgepflichten gemacht hat. Erschwerungsgründe sind im Verfahren keine hervorgekommen und als mildernd wertete die belangte Behörde die absolute Unbescholtenheit der Beschwerdeführerin.
Im gegenständlichen Straferkenntnis hat die belangte Behörde eine Geldstrafe in Höhe von Euro 250,00 festgesetzt und dadurch den Strafrahmen von bis zu Euro 1.450,00 zu etwa 17 % ausgeschöpft.
Angesichts der von der Beschwerdeführerin mitgeteilten Einkommens- und Vermögensverhältnisse, der sie treffenden Sorgepflichten sowie ihrer absoluten Unbescholtenheit sieht sich das Landesverwaltungsgericht Tirol veranlasst, die Strafhöhe auf das im Spruch angeführte Ausmaß herabzusetzen. Die Herabsetzung der Geldstrafe auf 200,00 Euro, das sind ca 14% des Strafrahmens, erscheint bei der unbescholtenen Beschwerdeführerin schuld- und tatangemessen. Eine Geldstrafe in dieser Höhe ist ausreichend, um dem Unrechts- und Schuldgehalt der Übertretung hinreichend Rechnung zu tragen.
Eine außerordentliche Milderung der Strafe nach § 20 VStG kam nicht in Betracht, da
§ 40 Abs 1 EpiG keine Mindeststrafe kennt.
Insgesamt war somit spruchgemäß zu entscheiden.
Die von der Beschwerdeführerin angeregte Ermahnung käme gemäß § 45 Abs 1 Z 4 sowie letzter Satz VStG nur in Betracht, wenn die Bedeutung des strafrechtlich geschützten Rechtsgutes und die Intensität seiner Beeinträchtigung durch die Tat und das Verschulden des Beschuldigten gering wären und eine Ermahnung des Beschuldigten mit dem Hinweis auf die Rechtswidrigkeit seines Verhaltens mit Bescheid überdies geboten erschiene, um den Beschuldigten vor der Begehung strafbarer Handlungen gleicher Art abzuhalten. Laut VwGH-Erkenntnis vom 20.11.2015, Ra 2015/02/0167, setzt die diesbezüglich zu treffende Ermessensentscheidung voraus, dass die in § 45 Abs 1 Z 4 VStG genannten Umstände kumulativ vorliegen.
Von geringem Verschulden im Sinn des § 45 Abs 1 Z 4 VStG ist gemäß der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes generell nur dann zu sprechen, wenn das tatbildmäßige Verhalten des Täters hinter dem in der betreffenden Strafdrohung typisierten Unrechtsgehalt und Schuldgehalt erheblich zurückbleibt (vgl. VwGH 7.4.2017,
Ra 2016/02/0245, mwN). Dies trifft auf das Verhalten der Beschwerdeführerin nicht zu. Darüber hinaus ist auch Bedeutung des geschützten Rechtsgutes keineswegs geringfügig.
Im vorliegenden Fall fehlt es – wie bereits von der belangten Behörde ausgeführt – an der geforderten Geringfügigkeit des Verschuldens und der Bedeutung des geschützten Rechtsguts. Somit sind im vorliegenden Fall die Voraussetzungen für eine Ermahnung nicht gegeben.
3.2. Zum Entfall der mündlichen Verhandlung:
In der Rechtsmittelbelehrung des Straferkenntnisses der Bezirkshauptmannschaft Y vom 26.09.2022, Zl ***, heißt es ausdrücklich:
„Sie haben das Recht, in der Beschwerde zu beantragen, dass eine öffentliche mündliche Verhandlung durchgeführt wird. Bitte beachten Sie, dass Sie, falls die Behörde von der Erlassung einer Beschwerdevorentscheidung absieht, auf Ihr Recht auf Durchführung einer Verhandlung verzichten, wenn Sie in der Beschwerde keinen solchen Antrag stellen.“
Die Beschwerdeführerin hat in ihrem undatierten Rechtsmittel die Durchführung einer mündlichen Verhandlung nicht beantragt. Die belangte Behörde hat in ihrem Vorlageschreiben vom 02.11.2022 ebenfalls keinen Antrag auf Durchführung einer mündlichen Verhandlung gestellt.
Die Beschwerde richtet sich ausschließlich gegen die im angefochtenen Straferkenntnis verhängte Geldstrafe. Das Landesverwaltungsgericht konnte daher gemäß § 44 Abs 3 Z 2 VwGVG von einer öffentlichen mündlichen Verhandlung absehen.
4. Ergebnis:
Aus den in Kapitel 3.1. der rechtlichen Beurteilung dargestellten Gründen wurde die verhängte Geldstrafe auf Euro 200,00 herabgesetzt und in diesem Sinn auch die Ersatzfreiheitsstrafe neu bestimmt worden. Dementsprechend lautet Spruchpunkt 1. des gegenständlichen Erkenntnisses.
Aufgrund der Herabsetzung der verhängten Geldstrafe waren die Kosten des behördlichen Strafverfahrens neu zu bestimmen. Dementsprechend lautet Spruchpunkt 2. des gegenständlichen Erkenntnisses.
VI. Unzulässigkeit der ordentlichen Revision:
Die Strafzumessung stützt sich auf den klaren Wortlaut des § 40 Abs 1 EpiG 1950. Bei der Strafbemessung handelt es sich um eine Ermessensentscheidung für den einzelnen Fall, die keine grundsätzliche Rechtsfrage darstellt (vgl VwGH 19.12.2019, Ra 2019/03/0123;
VwGH 14.12.2020, Ra 2019/02/0232). Rechtsfragen von erheblicher Bedeutung waren daher nicht zu beurteilen. Dementsprechend erklärt das Landesverwaltungsgericht Tirol in Spruchpunkt 3. des gegenständlichen Erkenntnisses die ordentliche Revision für nicht zulässig.
R e c h t s m i t t e l b e l e h r u n g
Gegen diese Entscheidung kann binnen sechs Wochen ab der Zustellung Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, Freyung 8, 1010 Wien, oder außerordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof erhoben werden. Die Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof ist direkt bei diesem, die außerordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof ist beim Landesverwaltungsgericht Tirol einzubringen.
Die genannten Rechtsmittel sind von einem bevollmächtigten Rechtsanwalt bzw einer bevollmächtigten Rechtsanwältin abzufassen und einzubringen und es ist eine Eingabegebühr von Euro 240,00 zu entrichten.
Es besteht die Möglichkeit, für das Beschwerdeverfahren vor dem Verfassungsgerichtshof und für das Revisionsverfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof Verfahrenshilfe zu beantragen. Verfahrenshilfe ist zur Gänze oder zum Teil zu bewilligen, wenn die Partei außerstande ist, die Kosten der Führung des Verfahrens ohne Beeinträchtigung des notwendigen Unterhalts zu bestreiten bzw wenn die zur Führung des Verfahrens erforderlichen Mittel weder von der Partei noch von den an der Führung des Verfahrens wirtschaftlich Beteiligten aufgebracht werden können und die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung nicht als offenbar mutwillig oder aussichtslos erscheint.
Der Antrag auf Verfahrenshilfe ist innerhalb der oben angeführten Frist für das Beschwerdeverfahren vor dem Verfassungsgerichtshof beim Verfassungsgerichtshof und für das Revisionsverfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof beim Verwaltungsgerichtshof einzubringen. Im Antrag an den Verwaltungsgerichtshof ist, soweit dies dem Antragsteller zumutbar ist, kurz zu begründen, warum entgegen dem Ausspruch des Verwaltungsgerichtes die Revision für zulässig erachtet wird.
Zudem besteht die Möglichkeit, auf die Revision beim Verwaltungsgerichtshof und die Beschwerde beim Verfassungsgerichtshof zu verzichten. Ein solcher Verzicht hat zur Folge, dass eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof und eine Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof nicht mehr erhoben werden können.
Hinweis:
Rechtskräftig verhängte Geldstrafen (sowie Verfahrenskostenbeiträge) sind bei der Behörde einzubezahlen (vgl § 54b Abs 1 VStG).
Landesverwaltungsgericht Tirol
Dr. Hirn
(Richter)
Schlagworte
AbsonderungEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:LVWGTI:2023:LVwG.2022.37.2851.2Zuletzt aktualisiert am
07.02.2023