TE Vfgh Erkenntnis 1993/10/11 V53/92

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Veröffentlicht am 11.10.1993
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Index

L8 Boden- und Verkehrsrecht
L8000 Raumordnung

Norm

B-VG Art18 Abs2
Flächenwidmungsplan der Gemeinde Zwischenwasser idF der Änderung vom 14.03.91
Vlbg RaumplanungsG §13
Vlbg RaumplanungsG §21

Leitsatz

Keine Gesetzwidrigkeit einer Flächenwidmungsplanänderung betreffend Umwidmung eines Gebietes von Baufläche-Wohngebiet in Freifläche-Landwirtschaftsgebiet wegen Änderung der für die Raumplanung bedeutsamen Verhältnisse infolge Erklärung eines Teiles des umgewidmeten Gebietes zum Naturschutzgebiet

Spruch

Der Antrag wird abgewiesen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. Der Landesvolksanwalt von Vorarlberg stellt gemäß Art139 B-VG und Art58 Abs2 der Vorarlberger Landesverfassung LGBl. 30/1984 den Antrag, der Verfassungsgerichtshof möge die mit Beschluß der Gemeindevertretung der Gemeinde Zwischenwasser vom 14. März 1991 und mit Genehmigung der Vorarlberger Landesregierung vom 10. Dezember 1991, ZVIIa-310.96, gemäß §21 des Vorarlberger Raumplanungsgesetzes, LGBl. 15/1973 idF LGBl. 61/1988 (Vbg. RpG), verordnete Änderung des Flächenwidmungsplanes der Gemeinde Zwischenwasser, durch die das Gebiet Suldis-Gummel von Baufläche-Wohngebiet in Freifläche-Landwirtschaftsgebiet umgewidmet wurde, insoweit wegen Gesetz- und Verfassungswidrigkeit aufheben, als die davon betroffenen Grundstücke nicht von der Verordnung der Vorarlberger Landesregierung vom 1. August 1991 über das Naturschutzgebiet "Suldis-Amatlina" in Zwischenwasser, LGBl. 39/1991, erfaßt sind.

2. Der Landesvolksanwalt von Vorarlberg begründet seinen Antrag im wesentlichen wie folgt:

a) Das von der bekämpften Umwidmung umfaßte Gebiet sei im Jahre 1977 (richtig: im Flächenwidmungsplan vom 19. September 1978) als Baufläche-Wohngebiet gewidmet worden. Nicht zuletzt auf Betreiben der Gemeinde hätten die betroffenen Grundstückseigentümer durch sorgfältige und kostenintensive Bemühungen die Baureifmachung ihrer Grundstücke in Angriff genommen: So seien umfangreiche Parzellierungen vorgenommen worden, es seien der Gemeinde kostenlos Grundstücke zur Errichtung einer Straße nach Furx zur Verfügung gestellt und es sei weiters ein Umlegungsverfahren durchgeführt worden, um die bestmögliche Bebaubarkeit der Grundstücke zu ermöglichen. Das von der Umwidmung erfaßte Gebiet, auf dem im übrigen bereits mehrere Einfamilienhäuser sowie ein Komplex von Appartementhäusern errichtet worden seien, sei außerdem vollkommen erschlossen, es bestehe ein Abwasserbeseitigungskanal sowie eine gesicherte Wasser- und Stromversorgung.

Obwohl die Grundstückseigentümer somit im Vertrauen auf die bestehende Flächenwidmung mit erheblichem finanziellen Aufwand zur Verwirklichung des Planungszieles der Gemeinde beigetragen hätten, sei das gesamte Gebiet im Jahr 1991 durch die bekämpfte Verordnung von Baufläche-Wohngebiet in Freifläche-Landwirtschaftsgebiet umgewidmet worden. Von dieser Flächenwidmungsplanänderung - nicht jedoch vom Antrag des Landesvolksanwaltes - sei auch ein Gebiet umfaßt, das mit Verordnung der Vorarlberger Landesregierung vom 1. August 1991, LGBl. 39, aufgrund der §§4, 8 Abs2, 9 Abs2, 11 Abs1, 12 Abs2 des Naturschutzgesetzes, LGBl. 36/1969, zum Naturschutzgebiet erklärt worden sei.

b) Unter Hinweis auf die Erkenntnisse VfSlg. 11374/1987 und 11914/1988 führt der Landesvolksanwalt aus, §21 Vbg. RpG sehe vor, daß Flächenwidmungspläne nur aus wichtigen Gründen geändert werden dürfen. Weder die von der Gemeinde behauptete mangelhafte Erschließung der umgewidmeten Grundstücke noch der ebenfalls behauptete unverhältnismäßige finanzielle Aufwand für die Errichtung einer Infrastruktur in dem betroffenen Gebiet stelle einen derartigen wichtigen Grund dar. Die Tatsache, daß die Errichtung einer Infrastruktur mit beträchtlichen Kosten verbunden sein würde, habe der Gemeinde schließlich auch anläßlich der im Jahr 1977 erfolgten Baulandwidmung der Grundstücke bekannt gewesen sein müssen.

Durch die bekämpfte Umwidmung sei das von der Gemeinde selbst geweckte Vertrauen in die Beständigkeit der einmal gewählten (Bauland)Widmung in gleichheitswidriger Weise enttäuscht worden:

Der jüngeren Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (Verweis unter anderem auf das Erkenntnis V210-222/91 vom 12. Dezember 1991) könne entnommen werden, daß "der Verfassungsgerichtshof das Vertrauen der Normadressaten auf die Beständigkeit der Rechtsordnung insbesondere dann unter einen qualifizierten Schutz stellt, wenn der Normadressat von der Behörde zu einem aktiven Disponieren aufgrund der geltenden Rechtslage motiviert und zu einer aktiven Orientierung an der geltenden Rechtslage veranlaßt wird". Eine Veränderung der Rechtslage, auf deren Bestand der Normadressat vertrauen konnte, sei danach gleichheitswidrig, wenn nicht besondere Umstände die Änderung sachlich rechtfertigen könnten. Da die Gemeinde Zwischenwasser die betroffenen Grundstückseigentümer zunächst zur Baureifmachung ihrer Grundstücke angeregt und zu dieser auch selbst beigetragen habe, in der Folge jedoch durch die bekämpfte Umwidmung ohne sachlichen Grund die Bebauung der Grundstücke unmöglich gemacht habe, sei die Planänderung mit Gleichheitswidrigkeit belastet.

3. Die Gemeindevertretung der Gemeinde Zwischenwasser verteidigt in einer Äußerung die Gesetzmäßigkeit der angefochtenen Verordnung und bringt im wesentlichen vor, daß durchaus wichtige Gründe für die Änderung des Flächenwidmungsplanes vorgelegen seien. Bei Erlassung des Flächenwidmungsplanes im Jahre 1978 sei die Gemeinde davon ausgegangen, daß das betreffende Gebiet als Standort für Ferienwohnungen und andere touristische Einrichtungen eine positive Entwicklung der Gemeinde bewirken würde. Dies sei nachweislich nicht eingetreten; die Baulandwidmung sei von den Grundstückseigentümern nicht ausgenützt worden, vielmehr sei in dem gesamten Gebiet innerhalb der letzten zehn Jahre nur ein einziger Bauantrag gestellt worden. Der restliche Baubestand (fünf Einfamilienhäuser und ein Appartementhauskomplex) sei hingegen bereits vor Erlassung des (ursprünglichen) Flächenwidmungsplanes 1978 errichtet worden.

Entgegen den Behauptungen des Landesvolksanwaltes sei das Gebiet keineswegs vollkommen erschlossen, sondern es beruhe die Wasserversorgung der bestehenden Wohnungen nur auf einer freiwilligen Liefervereinbarung mit der örtlichen Wassergenossenschaft. Auch eine rechtlich gesicherte Zufahrt zum westlichen Teil des Gebietes sei nicht vorhanden. Die vom Landesvolksanwalt erwähnten Parzellierungen seien nicht auf Betreiben der Gemeinde, sondern auf Antrag der Grundstückseigentümer durchgeführt worden. Das Umlegungsverfahren betreffe Grundstücke, die in dem nun als Naturschutzgebiet gewidmeten Bereich liegen, und sei daher für den Antrag des Landesvolksanwaltes ohne Bedeutung. Die vom Landesvolksanwalt erwähnte Gemeindestraße sei bereits 1970 errichtet worden und die betroffenen Grundstückseigentümer hätten auch eine Entschädigung für die Inanspruchnahme ihrer Grundflächen erhalten. Insgesamt könne also von wiederholten und kostenintensiven Bemühungen der Grundstückseigentümer zur Baureifmachung ihrer Grundstücke keine Rede sein.

Die Gemeindevertretung schließt ihre Äußerung mit der Feststellung, daß das von der Umwidmung betroffene Gebiet wegen seiner exponierten Lage und der fehlenden Erschließung an und für sich nie hätte als Baugebiet gewidmet werden dürfen.

4. Auch die Landesregierung beantragt in ihrer Äußerung die Abweisung des Antrages des Landesvolksanwaltes und bestreitet ebenfalls im einzelnen dessen Behauptungen über die angeblich erfolgte Erschließung und Baureifmachung der von der Umwidmung betroffenen Grundstücke.

Sie bringt weiters vor, daß die bekämpfte Flächenwidmungsplanänderung im wesentlichen aus zwei Gründen vorgenommen worden sei: Erstens sei die bei Erlassung des Flächenwidmungsplanes im Jahre 1978 erwartete touristische Entwicklung des betreffenden Teiles des Gemeindegebietes völlig ausgeblieben. Im Zuge der regelmäßigen Überprüfung des Flächenwidmungsplanes gemäß §22 Vbg. RpG sei die Gemeinde zu dem Schluß gekommen, daß die Baulandwidmung dieses Gebietes nicht aufrecht erhalten werden könne. Mitentscheidend sei hiebei auch gewesen, daß ein Teil des gesamten Gebietes mit Verordnung der Vorarlberger Landesregierung vom 1. August 1991 zum Naturschutzgebiet erklärt worden sei und daß die Baulandwidmung von den Grundstückseigentümern - mit einer einzigen Ausnahme - keineswegs ausgenützt worden sei.

Zweitens habe sich herausgestellt, "daß die infrastrukturellen Voraussetzungen für eine Bebauung des Gebietes nicht ausreichend seien bzw. eine den heutigen Erfordernissen entsprechende Erschließung für die Gemeinde in finanzieller Hinsicht nicht vertretbar erscheint". Dem Argument des Landesvolksanwaltes, daß diese Umstände bereits bei erstmaliger Erlassung des Flächenwidmungsplanes hätten bekannt gewesen sein müssen, sei entgegenzuhalten, daß sich die Anforderungen an eine derartige Infrastruktur im Laufe der Zeit erheblich verändert hätten. Die Sicherstellung einer funktionierenden Nahversorgung und die Einbindung in das öffentliche Verkehrsnetz sowie die Schaffung von Kindergärten, Schulen und Arbeitsplätzen sei heutzutage mit wesentlich größerem Aufwand verbunden als dies bei Erlassung des Flächenwidmungsplanes angenommen worden sei. Die genannten Umstände - Nichteintreten der erhofften touristischen Entwicklung einerseits und unverhältnismäßig großer Aufwand für die Errichtung einer funktionierenden Infrastruktur andererseits - stellten durchaus wichtige Gründe im Sinne des §21 Vbg. RpG dar, die eine Änderung des Flächenwidmungsplanes rechtfertigten.

II. Der Verfassungsgerichtshof hat erwogen:

1. Die Legitimation des Landesvolksanwaltes von Vorarlberg zur Antragstellung ergibt sich aus Art58 Abs2 Vbg.

Landesverfassung LGBl. 30/1984 und Art148i Abs2 B-VG iVm Art148e B-VG (vgl. VfSlg. 10966/1986, 11277/1987, 11463/1987).

Der Antrag richtet sich gegen einen bestimmten, hinreichend konkret bezeichneten Teil eines Flächenwidmungsplanes, demnach gegen einen abtrennbaren Teil einer Verordnung im Sinne des Art139 B-VG (vgl. VfSlg. 11463/1987, 11914/1988 ua.).

Da auch die übrigen Prozeßvoraussetzungen vorliegen, ist der Antrag zulässig.

2. Der Antrag ist jedoch nicht begründet.

a) Gemäß §21 Vbg. RpG dürfen Flächenwidmungspläne nur aus wichtigen Gründen geändert werden. Sie sind zu ändern, falls eine Änderung der maßgebenden Rechtslage (§21 Abs1 lita) oder eine wesentliche Änderung der für die Raumplanung bedeutsamen Verhältnisse (§21 Abs1 litb) eingetreten ist.

b) Das von der bekämpften Umwidmung erfaßte Gebiet liegt, wie die vorgelegten Fotos zeigen, auf einem Hang über dem Tal und besteht aus weiten, von Wald umgebenen Wiesen, auf welchen sich in Streulage einzelne Häuser befinden. Zwischen diesem Gebiet und den in erheblicher Entfernung im Tal gelegenen, dichter bebauten Teilen der Gemeinde befindet sich ein bewaldeter Hang.

Wie auch von den Verfahrensparteien übereinstimmend und im Einklang mit der Aktenlage vorgebracht wird, ist ein Teil des umgewidmeten Gebietes mit der von der Vorarlberger Landesregierung geplanten und in der Folge im Landesgesetzblatt unter Nr. 39/1991 kundgemachten Verordnung über das Naturschutzgebiet "Suldis-Amatlina" in Zwischenwasser zum Naturschutzgebiet erklärt worden. Nach §3 Abs1 lita dieser Verordnung ist es im Naturschutzgebiet insbesondere verboten, Anlagen wie Gebäude, Sport- und Freizeiteinrichtungen, Straßen und Wege, Ankündigungen und Werbeanlagen oder Leitungen zu errichten oder zu ändern. Ebenso verboten ist es laut litb dieser Verordnungsbestimmung, Geländeveränderungen vorzunehmen, Bodenbestandteile wegzunehmen oder Materialien zu lagern oder abzulagern. Es liegt auf der Hand, daß der mit diesen Vorschriften verbundene Zweck durch eine Bebauung des nahegelegenen übrigen (umgewidmeten) Gebietes erheblich gemindert würde.

Diese - im Gegensatz zu der den Erkenntnissen VfSlg. 11374/1987 und 11914/1988 jeweils zugrunde gelegenen Situation - hier eingetretenen neuen Gegebenheiten sind durchaus als wesentliche Änderung der für die Raumplanung bedeutsamen Verhältnisse im Sinne des §21 Abs1 litb RpG zu werten.

Das infolge der Stellung unter Naturschutz für einen Teil des als Baufläche gewidmeten Gebietes von Suldis-Gummel eintretende Verbot einer Verbauung hatte auch eine Verkleinerung des zur Verfügung stehenden Baugebietes zur Folge. Dies wiederum bedeutete für den Verordnungsgeber einen neuen Umstand, welcher hinsichtlich der Aufschließungskosten und deren Wirtschaftlichkeit (s. §13 Abs2 lita RpG) ebenfalls eine Änderung der für die Planung bedeutsamen Verhältnisse mit sich brachte.

3. Die vom Landesvolksanwalt bekämpfte Planänderung war daher schon aus diesen Gründen nach §21 Abs1 litb RpG

gerechtfertigt, ohne daß auf die weiteren für die Gesetzmäßigkeit der Umwidmung vorgebrachten Argumente eingegangen zu werden brauchte.

4. Daraus folgt, daß der Antrag des Landesvolksanwaltes als unbegründet abzuweisen ist.

Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VerfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

Schlagworte

Raumordnung, Flächenwidmungsplan, Abänderung (Flächenwidmungsplan), Naturschutzgebiete

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1993:V53.1992

Dokumentnummer

JFT_10068989_92V00053_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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