TE Vfgh Erkenntnis 2022/12/1 G97/2021 ua

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Veröffentlicht am 01.12.2022
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Index

82/02 Gesundheitsrecht allgemein

Norm

B-VG Art18
B-VG Art94
B-VG Art140 Abs1 Z1 lita
PersFrSchG Art6
EpidemieG 1950 §7 Abs1a
TuberkuloseG §13, §14, §15, §16, §17, §18, §19, §20
VfGG §7 Abs2
  1. B-VG Art. 18 heute
  2. B-VG Art. 18 gültig ab 01.07.2012 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 51/2012
  3. B-VG Art. 18 gültig von 01.01.2004 bis 30.06.2012 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 100/2003
  4. B-VG Art. 18 gültig von 01.01.2002 bis 31.12.2003 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 121/2001
  5. B-VG Art. 18 gültig von 01.01.1999 bis 31.12.2001 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 121/2001
  6. B-VG Art. 18 gültig von 01.01.1999 bis 31.12.1996 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 8/1999
  7. B-VG Art. 18 gültig von 01.01.1997 bis 31.12.1998 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 121/2001
  8. B-VG Art. 18 gültig von 19.12.1945 bis 31.12.1996 zuletzt geändert durch StGBl. Nr. 4/1945
  9. B-VG Art. 18 gültig von 03.01.1930 bis 30.06.1934
  1. B-VG Art. 94 heute
  2. B-VG Art. 94 gültig von 01.01.2014 bis 31.12.2013 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 51/2012
  3. B-VG Art. 94 gültig ab 01.01.2014 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 114/2013
  4. B-VG Art. 94 gültig von 19.12.1945 bis 31.12.2013 zuletzt geändert durch StGBl. Nr. 4/1945
  5. B-VG Art. 94 gültig von 03.01.1930 bis 30.06.1934
  1. B-VG Art. 140 heute
  2. B-VG Art. 140 gültig ab 01.01.2015 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 114/2013
  3. B-VG Art. 140 gültig von 01.01.2014 bis 31.12.2014 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 51/2012
  4. B-VG Art. 140 gültig von 01.07.2008 bis 31.12.2013 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 2/2008
  5. B-VG Art. 140 gültig von 01.01.2004 bis 30.06.2008 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 100/2003
  6. B-VG Art. 140 gültig von 06.06.1992 bis 31.12.2003 zuletzt geändert durch BGBl. Nr. 276/1992
  7. B-VG Art. 140 gültig von 01.01.1991 bis 05.06.1992 zuletzt geändert durch BGBl. Nr. 685/1988
  8. B-VG Art. 140 gültig von 01.07.1988 bis 31.12.1990 zuletzt geändert durch BGBl. Nr. 341/1988
  9. B-VG Art. 140 gültig von 01.07.1976 bis 30.06.1988 zuletzt geändert durch BGBl. Nr. 302/1975
  10. B-VG Art. 140 gültig von 19.12.1945 bis 30.06.1976 zuletzt geändert durch StGBl. Nr. 4/1945
  11. B-VG Art. 140 gültig von 03.01.1930 bis 30.06.1934
  1. VfGG § 7 heute
  2. VfGG § 7 gültig ab 22.03.2020 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 16/2020
  3. VfGG § 7 gültig von 01.01.2015 bis 21.03.2020 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 101/2014
  4. VfGG § 7 gültig von 01.01.2015 bis 31.12.2014 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 92/2014
  5. VfGG § 7 gültig von 01.03.2013 bis 31.12.2014 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 33/2013
  6. VfGG § 7 gültig von 01.07.2008 bis 28.02.2013 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 4/2008
  7. VfGG § 7 gültig von 01.01.2004 bis 30.06.2008 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 100/2003
  8. VfGG § 7 gültig von 01.10.2002 bis 31.12.2003 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 123/2002
  9. VfGG § 7 gültig von 01.01.1991 bis 30.09.2002 zuletzt geändert durch BGBl. Nr. 329/1990
  10. VfGG § 7 gültig von 01.07.1976 bis 31.12.1990 zuletzt geändert durch BGBl. Nr. 311/1976

Leitsatz

Abweisung von Anträgen auf Aufhebung einer — hinreichend bestimmten — Bestimmung des EpidemieG 1950 betreffend die Überprüfung der Zulässigkeit von Absonderungsmaßnahmen durch die Bezirksgerichte; kein Verstoß der gerichtlichen Überprüfung verwaltungsbehördlicher Absonderungsmaßnahmen gegen den Grundsatz der Trennung von Verwaltung und Gerichtsbarkeit auf Grund der Zulässigkeit der Entscheidung (auch) durch ordentliche Gerichte nach dem PersFrSchG

Spruch

I. Die Anträge werden abgewiesen, soweit sie sich auf §7 Abs1a letzter Satz Epidemiegesetz 1950 (EpiG), BGBl Nr 186/1950, idF BGBl Nr I 63/2016 beziehen.

II. Im Übrigen werden die Anträge zurückgewiesen.

Begründung

Entscheidungsgründe

I. Anträge

1. Gestützt auf Art140 Abs1 Z1 lita B-VG, begehrt das Bezirksgericht Amstetten mit seinem zu G97/2021 protokollierten Antrag, §7 Abs1a dritter und vierter Satz EpiG idF BGBl I 104/2020 als verfassungswidrig aufzuheben.

2. Gestützt auf Art140 Abs1 Z1 lita B-VG, begehrt das Bezirksgericht Bludenz mit seinem zu G141/2021 protokollierten Antrag, der Verfassungsgerichtshof möge §7 Abs1a dritter Satz EpiG idF BGBl I 104/2020 und §7 Abs1a vierter Satz EpiG idF BGBl I 63/2016, in eventu §7 Abs1a dritter und vierter Satz EpiG, jeweils in der Fassung BGBl I 104/2020, in eventu §7 Abs1a dritter und vierter Satz EpiG idF BGBl I 63/2016, in eventu §7 Abs1a vierter Satz EpiG idF BGBl I 63/2016, in eventu §7 Abs1a vierter Satz EpiG idF BGBl I 104/2020 als verfassungswidrig aufheben, "in eventu gemäß Art89 Abs3 B-VG (Art140 Abs4 B-VG) [aussprechen], dass diese Bestimmungen verfassungswidrig waren."

II. Rechtslage

Die maßgebliche Rechtslage stellt sich wie folgt dar:

1. Mit dem Bundesgesetz, mit dem das Tuberkulosegesetz und das Epidemiegesetz 1950 geändert werden, BGBl I 63/2016, wurde nach §7 Abs1 EpiG, BGBl 186/1950, Abs1a eingefügt, der wie folgt lautete und am 31. Juli 2016 in Kraft trat:

"(1a) Zur Verhütung der Weiterverbreitung einer in einer Verordnung nach Abs1 angeführten anzeigepflichtigen Krankheit können kranke, krankheitsverdächtige oder ansteckungsverdächtige Personen angehalten oder im Verkehr mit der Außenwelt beschränkt werden, sofern nach der Art der Krankheit und des Verhaltens des Betroffenen eine ernstliche und erhebliche Gefahr für die Gesundheit anderer Personen besteht, die nicht durch gelindere Maßnahmen beseitigt werden kann. Die angehaltene Person kann bei dem Bezirksgericht, in dessen Sprengel der Anhaltungsort liegt, die Überprüfung der Zulässigkeit und Aufhebung der Freiheitsbeschränkung nach Maßgabe des 2. Abschnitts des Tuberkulosegesetzes beantragen. Jede Anhaltung ist dem Bezirksgericht von der Bezirksverwaltungsbehörde anzuzeigen, die sie verfügt hat. Das Bezirksgericht hat von Amts wegen in längstens dreimonatigen Abständen ab der Anhaltung oder der letzten Überprüfung die Zulässigkeit der Anhaltung in sinngemäßer Anwendung des §17 des Tuberkulosegesetzes zu überprüfen, sofern die Anhaltung nicht vorher aufgehoben wurde."

2. Art1 Z5 des Bundesgesetzes, mit dem das Epidemiegesetz 1950, das Tuberkulosegesetz und das COVID-19-Maßnahmengesetz geändert werden, BGBl I 104/2020, fügte in §7 Abs1a dritter Satz EpiG nach der Wortfolge "Jede Anhaltung" die Wortfolge ", die länger als zehn Tage aufrecht ist," ein. Gemäß §50 Abs15 EpiG idF BGBl I 104/2020 trat diese Änderung mit 26. September 2020 in Kraft und war auch auf alle bei Inkrafttreten aufrechten Anhaltungen nach §7 Abs1a leg. cit. anzuwenden. Weiters sollte nach dieser Bestimmung §7 Abs1a dritter Satz EpiG idF BGBl I 104/2020 mit (Ablauf des) 31. Dezember 2021 außer Kraft treten und die frühere Rechtslage wieder gelten.

3. Mit Erkenntnis vom 10. März 2021, G380/2020 ua, hat der Verfassungsgerichtshof §7 Abs1a zweiter Satz EpiG, BGBl 186/1950, idF BGBl I 63/2016 als verfassungswidrig aufgehoben. Die Kundmachung dieser Aufhebung erfolgte durch den Bundeskanzler mit BGBl I 64/2021 am 8. April 2021. Diese Aufhebung trat damit am 9. April 2021 in Kraft.

4. §7 Abs1a EpiG idF BGBl I 104/2020 und BGBl I 64/2021 lautete daher vom 9. April 2021 bis zum 27. Mai 2021 wie folgt (die angefochtenen Bestimmungen sind hervorgehoben):

"(1a) Zur Verhütung der Weiterverbreitung einer in einer Verordnung nach Abs1 angeführten anzeigepflichtigen Krankheit können kranke, krankheitsverdächtige oder ansteckungsverdächtige Personen angehalten oder im Verkehr mit der Außenwelt beschränkt werden, sofern nach der Art der Krankheit und des Verhaltens des Betroffenen eine ernstliche und erhebliche Gefahr für die Gesundheit anderer Personen besteht, die nicht durch gelindere Maßnahmen beseitigt werden kann. Jede Anhaltung, die länger als zehn Tage aufrecht ist, ist dem Bezirksgericht von der Bezirksverwaltungsbehörde anzuzeigen, die sie verfügt hat. Das Bezirksgericht hat von Amts wegen in längstens dreimonatigen Abständen ab der Anhaltung oder der letzten Überprüfung die Zulässigkeit der Anhaltung in sinngemäßer Anwendung des §17 des Tuberkulosegesetzes zu überprüfen, sofern die Anhaltung nicht vorher aufgehoben wurde."

5. Art1 Z3

des Bundesgesetzes, mit dem das Epidemiegesetz 1950 und das COVID-19-Maßnahmengesetz geändert werden, BGBl I 90/2021, ersetzte in §7 Abs1a (nunmehr: zweiter Satz) EpiG mit Wirkung vom 28. Mai 2021 das Wort "zehn" durch die Zahl "14" (gleichzeitig wurde mit Art1 Z15 dieser Novelle §50 Abs15 EpiG präzisiert).

6. Art1 Z5 des Bundesgesetzes, mit dem das Epidemiegesetz 1950 und das COVID-19-Maßnahmengesetz geändert werden, BGBl I 183/2021, ersetzte in §7 Abs1a (erster Satz) EpiG das Wort "angehalten" durch das Wort "abgesondert" und hob den (nunmehr) zweiten und dritten Satz dieser Bestimmung mit Ablauf des 22. Oktober 2021 auf. Gleichzeitig fügte Art1 Z6 dieser Novelle nach §7 EpiG die Bestimmung des §7a "Rechtsschutz bei Absonderungen" mit Wirkung vom 23. Oktober 2021 ein.

6.1. §7a EpiG idF BGBl I 183/2021 lautet wie folgt:

"Rechtsschutz bei Absonderungen

§7a. (1) Personen, die gemäß §7 abgesondert werden oder abgesondert wurden oder denen gegenüber eine Absonderung angeordnet wurde, haben das Recht, das Landesverwaltungsgericht mit der Behauptung, in ihren Rechten verletzt zu sein, anzurufen.

(2) Gegen die Anordnung der Absonderung mittels Mandatsbescheids (§57 Abs1 AVG) ist eine Vorstellung nicht zulässig.

(3) Für Beschwerden gemäß Abs1 gelten die für Beschwerden gemäß Art130 Abs1 Z2 B-VG anwendbaren Bestimmungen des VwGVG mit der Maßgabe, dass die belangte Behörde jene Behörde ist, die den angefochtenen Bescheid erlassen hat oder der die Absonderung zuzurechnen ist. Örtlich zuständig ist das Landesverwaltungsgericht jenes Landes, in dem die belangte Behörde ihren Sitz hat. Das Landesverwaltungsgericht hat die belangte Behörde umgehend über das Einlangen der Beschwerde zu informieren.

(4) Die Entscheidung des Landesverwaltungsgerichtes über die Rechtmäßigkeit der Absonderung hat binnen einer Woche zu ergehen, es sei denn, die Absonderung hätte vorher geendet. Hat das Landesverwaltungsgericht dem Beschwerdeführer gemäß §13 Abs3 AVG aufgetragen, innerhalb bestimmter Frist einen Mangel der Beschwerde zu beheben, wird die Zeit bis zur Behebung des Mangels oder bis zum fruchtlosen Ablauf der Frist in die Entscheidungsfrist nicht einberechnet.

(5) Sofern die Absonderung noch andauert, hat das Landesverwaltungsgericht jedenfalls festzustellen, ob zum Zeitpunkt seiner Entscheidung die für die Fortsetzung der Absonderung maßgeblichen Voraussetzungen vorliegen.

(6) Soll eine Absonderung länger als 14 Tage dauern, ist sie dem Landesverwaltungsgericht von der Bezirksverwaltungsbehörde, die sie verfügt hat, unverzüglich anzuzeigen. Das Landesverwaltungsgericht hat in längstens vierwöchigen Abständen ab der Absonderung oder der letzten Überprüfung über die Notwendigkeit der Absonderung zu entscheiden. Die Bezirksverwaltungsbehörde, die die Absonderung verfügt hat, hat die Verwaltungsakten so rechtzeitig vorzulegen, dass dem Landesverwaltungsgericht eine Woche zur Entscheidung vor den gegenständlichen Terminen bleibt, und hat darzulegen, warum die Aufrechterhaltung der Absonderung notwendig ist. Mit Vorlage der Verwaltungsakten gilt die Beschwerde als für die abgesonderte Person eingebracht. Das Landesverwaltungsgericht hat jedenfalls festzustellen, ob zum Zeitpunkt seiner Entscheidung die für die Absonderung maßgeblichen Voraussetzungen vorliegen und ob die Aufrechterhaltung der Absonderung verhältnismäßig ist. Diese Überprüfung hat zu entfallen, soweit eine Beschwerde nach Abs1 bereits eingebracht wurde."

6.2. §50 Abs26 EpiG idF BGBl I 183/2021 lautet wie folgt:

"(26) §4b Abs7 Z4, §4e Abs6, §4f Abs1, §5a Abs1a, §5c Abs1, §7 Abs1a, §7a samt Überschrift, §17 Abs5, die Überschrift zu §23, §24 Abs4, §25 Abs5 und §26a Abs1 in der Fassung des Bundesgesetzes BGBl I Nr 183/2021 treten mit dem der Kundmachung folgenden Tag in Kraft; gleichzeitig treten §7 Abs1a zweiter und dritter Satz außer Kraft. Verfahren gemäß §7 Abs1a, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des §7a in der Fassung des Bundesgesetzes BGBl I Nr 183/2021 bereits vor dem Bezirksgericht anhängig waren, sind gemäß den Bestimmungen des §7 Abs1a in der Fassung des Bundesgesetzes BGBl I Nr 105/2021 weiterzuführen. Beschwerden gemäß Art130 Abs1 Z1 B-VG, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des §7a in der Fassung des Bundesgesetzes BGBl I Nr 183/2021 bereits vor dem Landesverwaltungsgericht anhängig waren, sind nach der Rechtslage vor BGBl I Nr 183/2021 weiterzuführen. §5a Abs3 und §36 Abs1 lita in der Fassung des Bundesgesetzes BGBl I Nr 183/2021 treten mit 1. November 2021 in Kraft."

7. Der 2. Abschnitt des I. Hauptstückes des Bundesgesetzes vom 14. März 1968 zur Bekämpfung der Tuberkulose (Tuberkulosegesetz), BGBl 127/1968, idF BGBl I 63/2016 (§17 idF BGBl I 104/2020) lautet wie folgt:

"2. Abschnitt
Maßnahmen zur Vermeidung einer schweren Gesundheitsgefährdung anderer Personen

Schutz der Persönlichkeitsrechte

§13. (1) Die Persönlichkeitsrechte an Tuberkulose erkrankter oder krankheitsverdächtiger Personen, die in einer Krankenanstalt angehalten werden, sind besonders zu schützen. Ihre Menschenwürde ist unter allen Umständen zu achten und zu wahren.

(2) Beschränkungen von Persönlichkeitsrechten sind nur zulässig, soweit sie im Verfassungsrecht, in diesem Bundesgesetz oder in anderen gesetzlichen Vorschriften ausdrücklich vorgesehen sind.

Antrag

§14. (1) Verstößt eine an Tuberkulose im Sinn des §1 Abs2 oder 3 erkrankte oder im Sinne des §1 Abs4 krankheitsverdächtige Person trotz einer Belehrung gemäß §9 Abs1 Z8 und 9 gegen die ihr obliegenden Pflichten und entsteht dadurch eine ernstliche und erhebliche Gefahr für die Gesundheit anderer Personen, die nicht durch gelindere Maßnahmen beseitigt werden kann, so hat die Bezirksverwaltungsbehörde beim Bezirksgericht, in dessen Sprengel die Krankenanstalt liegt, in der die Anhaltung durchgeführt werden soll, die Feststellung der Zulässigkeit der Anhaltung in einer zur Behandlung von Tuberkulose eingerichteten Krankenanstalt zu beantragen. Dem Antrag der Bezirksverwaltungsbehörde ist ein fachärztliches Zeugnis zur Bescheinigung der Gesundheitsgefährdung anderer Personen beizulegen, in dem im Einzelnen die Gründe anzuführen sind, aus denen der Arzt die Voraussetzungen der Anhaltung für gegeben erachtet.

(2) Wenn das Gericht die Anhaltung für zulässig erklärt, hat die Bezirksverwaltungsbehörde die anzuhaltende Person binnen drei Monaten nach Rechtskraft des Beschlusses in eine zur Behandlung von Tuberkulose eingerichtete Krankenanstalt einzuweisen. Wenn und solange sich die anzuhaltende Person nach Zustellung des Gerichtsbeschlusses entsprechend den ihr obliegenden Verpflichtungen verhält, darf sie auf Grund des Gerichtsbeschlusses nicht in eine Krankenanstalt eingewiesen werden.

Gerichtliches Verfahren

§15. (1) Das Gericht hat auf Grund des Antrages möglichst binnen zwei Wochen im außerstreitigen Verfahren zu entscheiden, ob die Anhaltung der Person in einer Krankenanstalt zulässig ist. Die Zulässigkeit der Anhaltung ist auszusprechen, wenn die in §14 oder §20 umschriebene Gesundheitsgefährdung anderer Personen gegeben ist und andere gelindere Maßnahmen zur Abwehr dieser Gefährdung nicht ausreichen.

(2) Das Gericht hat innerhalb der Frist des Abs1 eine mündliche Verhandlung abzuhalten, bei der die Person, erforderlichenfalls unter Beiziehung eines Dolmetschers, sowie der behandelnde Arzt persönlich anzuhören sind. Wenn eine Gesundheitsgefährdung des Richters und der anderen am Verfahren teilnehmenden Personen nicht ausgeschlossen werden kann, kann der Richter der Person die Teilnahme an der Verhandlung unter Verwendung geeigneter technischer Einrichtungen ermöglichen. Leistet die Person einer Ladung nicht Folge, so kann sie vorgeführt werden. Sie ist über die Verfahrenshilfe sowie über die mögliche Beiziehung eines anwaltlichen Vertreters zu belehren. Auf Verlangen der Person oder ihres Vertreters hat das Gericht die Öffentlichkeit auszuschließen.

(3) Auf Verlangen der Person sowie, wenn das Gericht es für notwendig erachtet, von Amts wegen ist zusätzlich zur Einvernahme des behandelnden Arztes ein Sachverständiger beizuziehen. Im Falle einer Tuberkuloseerkrankung nach §1 Abs3 ist zur Frage der Wahrscheinlichkeit einer Reaktivierung und der sich daraus ergebenden Fremdgefährdung jedenfalls ein Sachverständigengutachten einzuholen.

(4) Am Schluss der mündlichen Verhandlung hat das Gericht über die Zulässigkeit der Anhaltung zu entscheiden sowie den Beschluss zu verkünden, zu begründen und der Person zu erläutern. Das Gericht hat den Beschluss innerhalb von sieben Tagen schriftlich auszufertigen.

(5) Sofern das Gericht in seinem Beschluss nichts anderes anordnet, ist die Anhaltung auf unbestimmte Dauer zulässig.

Verständigungspflichten

§16. (1) Die Bezirksverwaltungsbehörde hat das Gericht insbesondere von der Durchführung der Einweisung und der Beendigung der Anhaltung (§17 Abs1) zu verständigen.

(2) Der ärztliche Leiter der Krankenanstalt hat die Bezirksverwaltungsbehörde und das Gericht unverzüglich zu verständigen, wenn sich die Person in der Krankenanstalt eingefunden hat, wenn sie entlassen worden ist oder wenn sie die Krankenanstalt eigenmächtig verlassen hat.

Beendigung der Anhaltung

§17. (1) Ist auf Grund des Verhaltens der angehaltenen Person oder anderer Umstände zu erwarten, dass durch die Erkrankung keine ernstliche und erhebliche Gefahr für die Gesundheit anderer Personen mehr besteht, so hat die Bezirksverwaltungsbehörde sogleich die Anhaltung zu beenden.

(2) Ist der ärztliche Leiter der Krankenanstalt der Ansicht, dass die angehaltene Person zu entlassen ist, hat er davon sogleich die Bezirksverwaltungsbehörde zu verständigen. Vertritt die Bezirksverwaltungsbehörde entgegen dem ärztlichen Leiter die Ansicht, dass die Anhaltung nicht zu beenden ist, hat sie das Gericht zu befassen, das darüber zu entscheiden hat.

(3) Das Gericht hat von Amts wegen in längstens dreimonatigen Abständen ab dem Datum des Beschlusses über die Zulässigerklärung einer Anhaltung oder der letzten Überprüfung über das weitere Vorliegen der Voraussetzungen zu entscheiden; sind die Voraussetzungen weggefallen, hat es die Unzulässigkeit der weiteren Anhaltung auszusprechen. Anlässlich der Überprüfung hat das Gericht jedenfalls eine Stellungnahme des ärztlichen Leiters einzuholen. Der Beschluss ist noch innerhalb der dreimonatigen Frist schriftlich auszufertigen.

(4) Die angehaltene Person kann jederzeit bei Gericht beantragen, die Unzulässigkeit der Anhaltung auszusprechen. Anträge auf Überprüfung der Rechtmäßigkeit einer aufrechten Freiheitsbeschränkung können von einer angehaltenen Person, die nicht anwaltlich vertreten ist, nach vorheriger telefonischer Kontaktaufnahme mit dem Gericht auch mit E-Mail an die vom Gericht bekanntgegebene E-Mail-Adresse eingebracht werden. Dem Antrag ist eine Abbildung eines Identitätsnachweises sowie des die Anhaltung aussprechenden Bescheides anzuschließen.

(5) Das Gericht hat über die Zulässigkeit der Anhaltung nach Abs2 bis 4 in mündlicher Verhandlung, im Fall des Abs2 und 4 innerhalb einer Woche ab Antragstellung, zu entscheiden. Die §15 Abs2 bis 5 sind anzuwenden.

(6) Anlässlich der Beendigung der Anhaltung nach Abs1 bis 4 hat die Bezirksverwaltungsbehörde die angehaltene Person in einer ihr verständlichen Sprache über ihren gesundheitlichen Zustand und die zur Abwendung der von der Erkrankung ausgehenden ernstlichen und erheblichen Gefahr für die Gesundheit anderer Personen und die zu deren Abwendung notwendigen Maßnahmen aufzuklären und insbesondere darüber zu belehren, dass bei Verstoß gegen die ihr auferlegten Verhaltenspflichten ein neuer Antrag auf Anhaltung gestellt werden kann.

Beschränkungen der Bewegungsfreiheit

§18. (1) Zur Sicherung des Zweckes der Anhaltung und Hintanhaltung der Gesundheitsgefährdung anderer Personen kann die angehaltene Person in der Krankenanstalt auf Anordnung des ärztlichen Leiters der Krankenanstalt Beschränkungen in der Freiheit der Bewegung und des Verkehrs mit der Außenwelt unterworfen werden. Abgesehen vom persönlichen Verkehr darf die Kommunikation mit der Außenwelt nicht eingeschränkt werden.

(2) Im Allgemeinen darf die Bewegungsfreiheit der angehaltenen Person nur auf mehrere Räume oder auf bestimmte räumliche Bereiche beschränkt werden. Beschränkungen der Bewegungsfreiheit auf einen Raum sind vom behandelnden Arzt jeweils besonders anzuordnen und in der Krankengeschichte unter Angabe des Grundes zu dokumentieren.

(3) Auf Verlangen der angehaltenen Person hat das nach §14 Abs1 zuständige Gericht über die Zulässigkeit von Beschränkungen nach dieser Bestimmung nach Anhörung des ärztlichen Leiters der Krankenanstalt in mündlicher Verhandlung innerhalb einer Woche zu entscheiden. Die §15 Abs2 bis 5 sind anzuwenden.

(4) Der ärztliche Leiter der Krankenanstalt und die Bezirksverwaltungsbehörde haben sicherzustellen, dass die Persönlichkeitsrechte der angehaltenen Person in einem möglichst geringen Ausmaß beschränkt werden und diese über das Stadium der Erkrankung sowie über ihre Rechte in einer ihr verständlichen Sprache aufgeklärt wird.

Rechtsmittel

§19. (1) Gegen einen Beschluss, mit dem eine Anhaltung oder eine Beschränkung nach §18 für zulässig erklärt wird, kann die angehaltene Person innerhalb von 14 Tagen ab Zustellung Rekurs erheben.

(2) Gegen einen Beschluss, mit dem eine Anhaltung für unzulässig erklärt wird, kann die Bezirksverwaltungsbehörde, gegen einen Beschluss, mit dem eine Beschränkung nach §18 für unzulässig erklärt wird, kann der ärztliche Leiter der Krankenanstalt innerhalb von sieben Tagen ab Zustellung Rekurs erheben. Erklärt das Gericht die Anhaltung oder Beschränkung für unzulässig, so ist die Anhaltung sogleich zu beenden oder die Beschränkung aufzuheben, es sei denn, dass die Bezirksverwaltungsbehörde oder der ärztliche Leiter der Krankenanstalt unmittelbar nach der Verkündung erklärt, Rekurs zu erheben, und das Gericht diesem Rekurs sogleich aufschiebende Wirkung zuerkennt. Die Verweigerung der aufschiebenden Wirkung lässt das Rekursrecht unberührt. Gegen die Verweigerung der aufschiebenden Wirkung kann kein Rekurs erhoben werden.

(3) Im Fall einer nach Abs2 zuerkannten aufschiebenden Wirkung hat das Gericht erster Instanz unmittelbar nach Einlangen des Rekurses zu prüfen, ob diesem weiterhin aufschiebende Wirkung zukommt. Gegen die Verweigerung der aufschiebenden Wirkung kann kein Rekurs erhoben werden.

(4) Das Recht zur Rekursbeantwortung kommt nur der angehaltenen Person zu. Die Rekursbeantwortung ist innerhalb von sieben Tagen ab Zustellung des Rechtsmittels einzubringen.

(5) Das Gericht zweiter Instanz hat, sofern die Anhaltung noch andauert, innerhalb von 14 Tagen ab Einlangen der Akten zu entscheiden.

Soforteinweisung

§20. (1) Entsteht durch das Verhalten einer an Tuberkulose im Sinn des §1 Abs2 oder 3 erkrankten oder im Sinne des §1 Abs4 krankheitsverdächtigen und gemäß §9 Abs1 Z8 und 9 belehrten Person eine unmittelbare und akute Gefahr, dass sie eine andere Person ansteckt, und kann diese Gefahr nicht durch gelindere Maßnahmen hintangehalten werden, so hat die Bezirksverwaltungsbehörde die Person sogleich in eine zur Behandlung von Tuberkulose eingerichtete Krankenanstalt zum Zweck der Anhaltung einzuweisen.

(2) Im Fall der Soforteinweisung gelten die Bestimmungen des 2. Abschnitts mit folgenden Besonderheiten:

1. Die Bezirksverwaltungsbehörde hat unverzüglich die Feststellung der Zulässigkeit der Anhaltung beim zuständigen Bezirksgericht (§14 Abs1) zu beantragen. Stellt die Bezirksverwaltungsbehörde den Antrag nicht innerhalb von drei Tagen ab der Einweisung (Abs1), so hat sie die angehaltene Person sofort zu entlassen.

2. Das Gericht hat innerhalb von einer Woche ab der Einweisung durch die Bezirksverwaltungsbehörde über die Zulässigkeit der Anhaltung zu entscheiden.

3. Ist eine abschließende Entscheidung innerhalb einer Woche nicht möglich, so hat das Gericht nach Anhörung der angehaltenen Person vorläufig über die Zulässigkeit der Anhaltung zu entscheiden. Dieser Beschluss ist der angehaltenen Person und der Bezirksverwaltungsbehörde sofort mündlich zu verkünden. Gelangt das Gericht nach der Anhörung zum Ergebnis, dass die Voraussetzungen für die Anhaltung vorliegen, so hat es diese vorläufig bis zur abschließenden Entscheidung für zulässig zu erklären und eine mündliche Verhandlung anzuberaumen, die innerhalb von 14 Tagen nach der Verkündung der vorläufigen Entscheidung stattzufinden hat. Diese Entscheidung kann nicht selbständig angefochten werden.

4. Erklärt das Gericht bereits nach der Anhörung die Anhaltung für unzulässig, hat die Bezirksverwaltungsbehörde den Rekurs innerhalb von drei Tagen auszuführen."

III. Anlassverfahren, Antragsvorbringen und Vorverfahren

1. Zum Antrag des Bezirksgerichtes Amstetten

1.1. Die Bezirkshauptmannschaft Amstetten übermittelte dem Bezirksgericht Amstetten eine Liste mit insgesamt 130 Personen, die am 6. April 2021 in dessen Sprengel auf Grund eines Bescheides der Bezirkshauptmannschaft Amstetten bereits länger als 10 Tage gemäß §7 Abs1a EpiG zur Verhütung der Weiterverbreitung von COVID-19 abgesondert waren. Nach Auffassung des Bezirksgerichtes Amstetten habe es daher gemäß §7 Abs1a vierter Satz EpiG zu prüfen, ob in einem oder mehreren Fällen dieser Absonderungen von Amts wegen ein Verfahren zur Überprüfung der Zulässigkeit der Anhaltung einzuleiten sei. Dabei habe es diese Bestimmung anzuwenden. Aus §7 Abs1a dritter Satz EpiG ergebe sich, dass die Prüfpflicht des Gerichtes frühestens mit der Verständigung und somit frühestens nach dem Verstreichen eines Zeitraumes von zehn Tagen ab dem Beginn der Absonderung einsetze. Es bestehe daher ein untrennbarer Sinn- und Bedeutungszusammenhang zwischen diesen beiden Sätzen.

Das Bezirksgericht Amstetten habe in früheren Verfahren zur amtswegigen Überprüfung von Absonderungen nach §7 Abs1a EpiG die Auffassung vertreten, dass dem Gericht dabei eine umfassende Prüfungsbefugnis in formeller und materieller Hinsicht zukomme, einschließlich der Befugnis, bereits beendete Freiheitsbeschränkungen auch im Nachhinein noch für unzulässig zu erklären. Diese Prüfung dürfe sich nicht auf Fälle (zum Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichtes) noch aufrechter Freiheitsbeschränkungen beschränken, sondern es sei vom Gericht erforderlichenfalls auch nach Beendigung der Freiheitsbeschränkung noch nachträglich auszusprechen, dass diese unrechtmäßig war (Hinweis auf VfGH 7.10.2020, G154/2020 ua). In diesem Sinn habe das Bezirksgericht Amstetten in mehreren Fällen von Amts wegen nachträglich ausgesprochen, dass eine Absonderung im Zeitraum von mehr als 48 Stunden nach telefonischer Anordnung gemäß §46 Abs2 EpiG bis zur Erlassung des schriftlichen Bescheides aus formellen Gründen unzulässig gewesen sei, wenn der schriftliche Bescheid entgegen dieser Bestimmung nicht innerhalb von 48 Stunden nach der telefonischen Anordnung erlassen worden sei. Die Bezirkshauptmannschaft Amstetten habe dagegen in allen Fällen Rekurs erhoben und das Landesgericht St. Pölten habe als Rekursgericht jeweils die Auffassung vertreten, dass dem Gericht eine derartige formelle Bescheidprüfung nicht zustehe und den angefochtenen Beschluss ersatzlos aufgehoben.

1.2. Das Bezirksgericht Amstetten legt seine Bedenken wie folgt dar: Es sei ungeregelt und unklar, ob sich die Prüfung des Bezirksgerichtes auch auf einen allfälligen Bescheid der Bezirksverwaltungsbehörde oder lediglich auf eine nachfolgende Anhaltung zu beziehen habe, ob das Bezirksgericht nur eine materielle Prüfung oder auch eine formelle Prüfung im Hinblick auf die Verletzung von verfahrensrechtlichen Bestimmungen vorzunehmen habe, ob Rechtsverletzungen auch nach Beendigung der Anhaltung noch vom Gericht festzustellen seien und gegebenenfalls in welchem Verhältnis die Kognitionsbefugnis des Bezirksgerichtes zu einer allenfalls verbleibenden Prüfungsbefugnis der Verwaltungsgerichte stehe. Da sich die Regelung der örtlichen Zuständigkeit im durch den Verfassungsgerichtshof aufgehobenen Satz 2 des §7 Abs1a EpiG befunden habe, sei nach dessen Aufhebung nicht mehr klar geregelt, welches Bezirksgericht zur amtswegigen Überprüfung berufen sei. Auch der Verweis auf die Verfahrensbestimmungen des 2. Abschnittes des Tuberkulosegesetzes sei mit der Aufhebung des zweiten Satzes dieser Bestimmung aus dem Gesetz entfernt worden, sodass das vom Gericht bei der Überprüfung einzuhaltende Verfahren noch unklarer sei. Die angefochtenen Bestimmungen stünden daher in Widerspruch zum verfassungsrechtlichen Legalitätsprinzip (Art18 B-VG).

2. Zum Antrag des Bezirksgerichtes Bludenz

2.1. Nach dem Vorbringen des Bezirksgerichtes Bludenz habe die Bezirkshauptmannschaft Bludenz mit Bescheid vom 20. April 2021 eine näher bezeichnete Person auf Grund einer Infektion mit SARS-CoV-2 gemäß §7 EpiG (grundsätzlich) bis zum 2. Mai 2021 abgesondert. Dieser Bescheid sei dem Bezirksgericht Bludenz am 20. April 2021 elektronisch übermittelt worden. Am 21. April 2021 habe das Bezirksgericht Bludenz den Beschluss gefasst, amtswegig gemäß §7 Abs1a EpiG die Zulässigkeit der Anhaltung zu prüfen. Dieser Beschluss sei auch der abgesonderten Person zugestellt worden.

Nach Ansicht des Bezirksgerichtes Bludenz werde bereits mit der Übermittlung des Bescheides, mit dem die Anhaltung durch die Bezirksverwaltungsbehörde ausgesprochen werde, das amtswegige Überprüfungsverfahren eingeleitet, weil die Absonderung, die vor Übermittlung des Bescheides bereits ausgesprochen worden sei, das fristauslösende Element für das Tätigwerden des Bezirksgerichtes sei, dieses aber ohne Kenntnis der Anhaltung nicht tätig werden könne. Somit werde mit Einlangen des Bescheides beim Bezirksgericht das amtswegige Überprüfungsverfahren bereits eingeleitet, zumal die Überwachung der Dreimonatsfrist bereits eine Tätigkeit im amtswegigen Überprüfungsverfahren sei. Sollte indessen die Rechtsauffassung zutreffend sein, dass es eines nach außen erkennbaren Aktes des Bezirksgerichtes zur Einleitung des Überprüfungsverfahrens bedürfe, werde darauf hingewiesen, dass das Bezirksgericht Bludenz einen solchen Beschluss gefasst und sowohl an die Bezirkshauptmannschaft Bludenz als auch an die abgesonderte Person zugestellt habe. Die Präjudizialität von §7 Abs1a dritter und vierter Satz EpiG liege auch vor, wenn die Absonderung zum Zeitpunkt der Entscheidung des Verfassungsgerichtshofes bereits geendet habe, weil sich aus dieser Bestimmung ergebe, dass die Überprüfung vor der Aufhebung der Absonderung nur begonnen, aber nicht abgeschlossen sein müsse. Eine nachträgliche Überprüfung der Zulässigkeit der Absonderung sei zulässig. Eine Aufhebung der angefochtenen Bestimmungen hätte zur Folge, dass das Bezirksgericht Bludenz das amtswegige Verfahren mangels Rechtsgrundlage einzustellen hätte.

2.2. Das Bezirksgericht Bludenz legt seine Bedenken wie folgt dar:

2.2.1. §7 Abs1a vierter Satz EpiG verweise auf eine sinngemäße Anwendung des §17 Tuberkulosegesetz. Bei diesem Verweis sei der genaue Prüfungsgegenstand nicht mit ausreichender Deutlichkeit erkennbar. Weiters sei unklar, ob die Sondervorschriften des §20 Tuberkulosegesetz allgemein oder aber nur in Fällen von Freiheitsentziehungen in Form der Ausübung unmittelbarer Befehls- und Zwangsgewalt zur Anwendung kämen (Hinweis auf VfGH 10.3.2021, G380/2020 ua, Rz. 58). Die Regelung verletze daher Art18 (iVm Art83 Abs2) B-VG.

2.2.2. Auch werde der Grundsatz der Trennung von Justiz und Verwaltung (Art94 B-VG) verletzt. Die Verwaltungsgerichtsbarkeits-Novelle 2012, BGBl I 51, habe Art94 Abs2 B-VG angefügt, wonach durch Bundes- oder Landesgesetz in einzelnen Angelegenheiten anstelle der Erhebung einer Beschwerde beim Verwaltungsgericht ein Instanzenzug von der Verwaltungsbehörde an die ordentlichen Gerichte vorgesehen werden könne. Gleichzeitig sei in Art130 Abs5 B-VG festgelegt worden, dass von der Zuständigkeit der Verwaltungsgerichte Rechtssachen ausgeschlossen seien, die zur Zuständigkeit der ordentlichen Gerichte oder des Verfassungsgerichtshofes gehörten. Die verfassungsrechtliche Zulässigkeit schon bisher bestehender sukzessiver Kompetenzen bestehe daneben weiterhin. §7 Abs1a dritter und vierter Satz EpiG werde keiner dieser beiden Formen gerecht. Der Gesetzgeber habe keine sukzessive Zuständigkeit alter Prägung schaffen wollen, weil das Gesetz weder anordne, dass der Bescheid der Bezirksverwaltungsbehörde mit dem amtswegigen Tätigwerden des Gerichtes außer Kraft trete, noch wäre ein derartiges Außerkrafttreten mit der weiter aufrechten Gefährdung durch den Erkrankten oder Krankheitsverdächtigen vereinbar. Weiters sei der Prüfgegenstand des gerichtlichen Verfahrens unbestimmt. Sollte der Verweis entgegen der Ansicht des Bezirksgerichtes Bludenz ausreichend bestimmt sein und das Gericht amtswegig die Tätigkeit der Bezirkshauptmannschaft – nämlich die Zulässigkeit der Anhaltung – zu überprüfen haben, liege ein Verstoß gegen die Trennung zwischen Justiz und Verwaltung vor, weil das Gericht dann nicht selbst neu entscheide (der Bescheid sei ja nach wie vor in Kraft), sondern tatsächlich die Tätigkeit der Verwaltungsbehörden überprüfe. Aus diesen Gründen sei das Bezirksgericht Bludenz der Auffassung, dass die angefochtenen Bestimmungen gegen das Bestimmtheitsgebot und gegen das Gebot der Trennung von Justiz und Verwaltung verstoßen würden.

3. Die Bundesregierung hat eine Äußerung erstattet, in der sie den in den Anträgen erhobenen Bedenken mit Hinweis auf ihre im zu G380/2020 protokollierten Verfahren erstattete (und beigelegte) Äußerung entgegentritt und ergänzend zur Frage der örtlichen Zuständigkeit der Bezirksgerichte auf §10 der Absonderungsverordnung (analog) hinweist. In ihrer Äußerung in dem zu G380/2020 protokollierten Verfahren führt die Bundesregierung wie folgt aus (ohne die Hervorhebungen im Original):

"1.    Zu den Bedenken im Hinblick auf Art94 B-VG:

1.1.   Der Oberste Gerichtshof hegt zusammengefasst Bedenken gegen die Vereinbarkeit des §7 Abs1a zweiter Satz EpiG mit dem Grundsatz der Trennung von Justiz und Verwaltung gemäß Art94 B-VG.

Es könne nicht angenommen werden, dass mit §7 Abs1a zweiter Satz EpiG eine 'sukzessive Zuständigkeit alter Prägung' geschaffen werden sollte, weil das Gesetz weder anordne, dass der Bescheid der Bezirksverwaltungsbehörde mit der Anrufung des Gerichts außer Kraft tritt, noch ein derartiges Außerkrafttreten in sachlicher Hinsicht mit der weiter bestehenden Gefährdung anderer Personen durch die Erkrankung bzw den Krankheitsverdacht vereinbar wäre.

Auch ein sukzessiver Instanzenzug gemäß Art94 Abs2 B-VG liege nicht vor, zumal sowohl das Gesetz als auch die Erläuterungen von einer Überprüfung der Maßnahme und gerade nicht von einer Überprüfung des Bescheids sprechen, sodass sich daraus kein Hinweis auf eine beabsichtigte Schaffung eines Instanzenzugs von der Verwaltungsbehörde zum Gericht ergebe. Der in §7 Abs1a zweiter Satz EpiG vorgesehene Antrag richte sich überdies nicht an ein üblicherweise mit Rechtsmittelsachen befasstes Gericht höherer Instanz, sondern an das Bezirksgericht, was eher als Auftrag zur 'Neudurchführung des Verfahrens' zu verstehen sei, wogegen aber die zum sukzessiven Instanzenzug alter Prägung erwähnten Bedenken sprächen.

Die Materialien zur Einführung des §7 Abs1a EpiG durch das Bundesgesetz BGBl I Nr 63/2016 würden von einem Beschwerderecht beim Landesverwaltungsgericht nach der geltenden Rechtslage und einem zukünftigen Rekursrecht der Bezirksverwaltungsbehörden gegen gerichtliche Entscheidungen sprechen, ohne dass die Parteistellung der Verwaltungsbehörde im erstinstanzlichen gerichtlichen Verfahren geregelt würde.

Weiters bestimme das Gesetz auch keine Frist, innerhalb deren der Antrag beim Gericht eingebracht werden müsse, und kein Ereignis, das den Fristbeginn auslösen würde. Auch lasse die Regelung nicht erkennen, ob gegen den Mandatsbescheid dennoch die Vorstellung nach §57 AVG erhoben werden könne und erst danach der Antrag an das Gericht zulässig sein oder ob dieser Rechtsbehelf entfallen solle.

1.2.   Gemäß Art94 Abs1 B-VG ist die Justiz von der Verwaltung in allen Instanzen getrennt. Die Lehre und die ständige Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes leiten aus dem Grundsatz der Gewaltentrennung mehrere Verbotsgehalte ab: Unzulässig sind demnach Mischbehörden, Parallelzuständigkeiten, wechselseitige Instanzenzüge sowie Weisungszusammenhänge und sonstige verfahrensrechtliche Verflechtungen zwischen Gerichten und Verwaltungsbehörden (vgl Berka, Verfassungsrecht6 Rz. 389; Khakzadeh-Leiler, in Kneihs/Lienbacher [Hrsg.], Rill-Schäffer-Kommentar. Bundesverfassungsrecht [12. Lfg 2013] Art94 B-VG 13 mwN). Nach Ansicht der Bundesregierung verstößt §7 Abs1a zweiter bis vierter Satz EpiG gegen keine der Art94 Abs1 B-VG immanenten Verbotsgehalte.

1.3.   Mit der Verwaltungsgerichtsbarkeits-Novelle 2012, BGBl I Nr 51/2012 wurde mit der Einführung des Art94 Abs2 B-VG die Möglichkeit geschaffen, durch Bundes- oder Landesgesetz in einzelnen Angelegenheiten anstelle der Erhebung einer Beschwerde beim Verwaltungsgericht einen Instanzenzug von der Verwaltungsbehörde an die ordentlichen Gerichte vorzusehen. Die Bundesregierung vertritt die Auffassung, dass mit §7 Abs1a zweiter Satz EpiG kein Instanzenzug im Sinne des Art94 Abs2 B-VG eingerichtet werden sollte (vgl hingegen LVwG Tirol 20.10.2020, LVwG-2020/15/1935-2; 23.10.2020, LVwG-2020/37/1936-2 sowie Hiersche/K. Holzinger/Eibl, Handbuch des Epidemierechts unter besonderer Berücksichtigung der Regelungen betreffend COVID-19 [2020] 115 FN 649, die von einer Einrichtung eines Instanzenzugs gemäß Art94 Abs2 B-VG ausgehen). Dies erschließt sich unter anderem auch daraus, dass die aufgrund des Vorliegens einer Angelegenheit der mittelbaren Bundesverwaltung gemäß Art102 Abs1 B VG erforderliche Zustimmung der Länder gemäß Art94 Abs2 zweiter Satz B VG nicht eingeholt wurde.

1.4.   Nach den Gesetzesmaterialien sollte sich die verfassungsrechtliche Ermächtigung des Art94 Abs2 B-VG zur Schaffung eines Instanzenzugs von einer Verwaltungsbehörde zu den ordentlichen Gerichten nicht auf die verfassungsrechtliche Zulässigkeit schon bisher bestehender sukzessiver Kompetenzen (etwa im Enteignungs- oder Sozialrecht) auswirken (vgl AB 1771 BlgNR 24. GP 8; VfSlg 20.163/2017). Zum einen bleiben daher bestehende Konstellationen von sukzessiven Zuständigkeiten 'alter Prägung' weiterhin zulässig, zum anderen steht es der einfachen Gesetzgebung frei, weiterhin derartige sukzessive Gerichtszuständigkeiten vorzusehen (vgl Khakzadeh-Leiler in Kneihs/Lienbacher, Art94 B-VG Rz. 46).

Nach Ansicht des Obersten Gerichtshofs könne jedoch nicht angenommen werden, dass mit §7 Abs1a zweiter Satz EpiG eine sukzessive Zuständigkeit alter Prägung geschaffen werden sollte, weil das Gesetz weder anordne, dass der Bescheid der Bezirksverwaltungsbehörde mit der Anrufung des Gerichts außer Kraft tritt, noch ein derartiges Außerkrafttreten in sachlicher Hinsicht mit der weiter bestehenden Gefährdung anderer Personen durch die Erkrankung bzw den Krankheitsverdacht vereinbar wäre.

Die Bundesregierung teilt diese Auffassung: Nach d

Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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