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90/01 Straßenverkehrsordnung 1960Norm
B-VG Art139 Abs1 Z1Leitsatz
Gesetzwidrigkeit einer Verordnung über die Einrichtung einer Begegnungszone in Graz mangels ordnungsgemäßer Kundmachung durch falsche Ausrichtung der aufgestellten StraßenverkehrszeichenSpruch
I. 1. Die Verordnung des Stadtsenates der Stadt Graz vom 17. September 2013, Z A10/1-022509/2013-0004, kundgemacht durch Aufstellung von Straßenverkehrszeichen, war bis zum 9. Dezember 2019 gesetzwidrig.
2. Die Steiermärkische Landesregierung ist zur unverzüglichen Kundmachung dieses Ausspruches im Landesgesetzblatt verpflichtet.
II. Der Hauptantrag wird zurückgewiesen.
Begründung
Entscheidungsgründe
I. Antrag
Mit dem vorliegenden, auf Art139 Abs1 Z1 B-VG gestützten Antrag begehrt das Landesverwaltungsgericht Steiermark, der Verfassungsgerichtshof möge "die Verordnung des Stadtsenates der Stadt Graz vom 17.09.2013, GZ: A10/1-022509/2013-0004, soweit sich diese auf die Anbringung und Positionierung der Straßenverkehrszeichen bezieht, in eventu die Verordnung des Stadtsenates der Stadt Graz vom 17.09.2013, GZ A10/1-022509/2013-0004[,] zur Gänze" als gesetzwidrig aufheben.
II. Rechtslage
1. Die Verordnung des Stadtsenates der Stadt Graz vom 17. September 2013, Z A10/1-022509/2013-0004, hat folgenden Wortlaut (ohne die im Original enthaltenen Hervorhebungen):
"Verordnung
Gemäß §76c StVO 1960, BGBl Nr 159/1960, idgF (StVO) wird aufgrund des Verhandlungsergebnisses vom 13.5.2013 für die/den Sonnenfelsplatz sowie Teile der Zinzendorfgasse, Halbärthgasse, Schubertstraße, Leechgasse und Beethovenstraße ein(e) 'Begegnungszone mit der zulässigen Höchstgeschwindigkeit von 20 km/h' verordnet.
Diese Verordnung tritt gem. §44 Abs1 StVO mit der Anbringung des/der Straßenverkehrszeichen(s) gem. §53 Abs.1 Z9e und Z9f StVO 1960 in Kraft.
Die Position(en) der/des Verkehrszeichen(s) sind im beigelegten Plan, welcher einen integrierenden Bestandteil dieser Verordnung bildet, ersichtlich gemacht.
Für den Stadtsenat:
[…]"
2. Die anzuwendenden Bestimmungen des Bundesgesetzes vom 6. Juli 1960, mit dem Vorschriften über die Straßenpolizei erlassen werden (Straßenverkehrsordnung 1960 – StVO 1960), BGBl 159/1960, lauten in der jeweils maßgeblichen Fassung wie folgt:
"§44. Kundmachung der Verordnungen.
(1) Die im §43 bezeichneten Verordnungen sind, sofern sich aus den folgenden Absätzen nichts anderes ergibt, durch Straßenverkehrszeichen oder Bodenmarkierungen kundzumachen und treten mit deren Anbringung in Kraft. Der Zeitpunkt der erfolgten Anbringung ist in einem Aktenvermerk (§16 AVG) festzuhalten. Parteien im Sinne des §8 AVG ist die Einsicht in einen solchen Aktenvermerk und die Abschriftnahme zu gestatten. Als Straßenverkehrszeichen zur Kundmachung von im §43 bezeichneten Verordnungen kommen die Vorschriftszeichen sowie die Hinweiszeichen 'Autobahn', 'Ende der Autobahn', 'Autostraße', 'Ende der Autostraße', 'Einbahnstraße', 'Ortstafel', 'Ortsende', 'Internationaler Hauptverkehrsweg', 'Straße mit Vorrang', 'Straße ohne Vorrang', 'Straße für Omnibusse' und 'Fahrstreifen für Omnibusse' in Betracht. Als Bodenmarkierungen zur Kundmachung von im §43 bezeichneten Verordnungen kommen Markierungen, die ein Verbot oder Gebot bedeuten, wie etwa Sperrlinien, Haltelinien vor Kreuzungen, Richtungspfeile, Sperrflächen, Zickzacklinien, Schutzwegmarkierungen oder Radfahrerüberfahrtmarkierungen in Betracht.
(1a)–(5) […]
[…]
D. Straßenverkehrszeichen.
§48. Anbringung der Straßenverkehrszeichen.
(1) Die Straßenverkehrszeichen (§§50, 52 und 53) sind als Schilder aus festem Material unter Bedachtnahme auf die Art der Straße und unter Berücksichtigung der auf ihr üblichen Verkehrsverhältnisse, namentlich der darauf üblichen Geschwindigkeit von Fahrzeugen, in einer solchen Art und Größe anzubringen, daß sie von den Lenkern herannahender Fahrzeuge leicht und rechtzeitig erkannt werden können. Im Verlauf derselben Straße sind womöglich Straßenverkehrszeichen mit gleichen Abmessungen zu verwenden.
(1a) […]
(2) Die Straßenverkehrszeichen sind auf der rechten Straßenseite oder oberhalb der Fahrbahn anzubringen, sofern sich aus diesem Bundesgesetz nichts anderes ergibt. Die zusätzliche Anbringung an anderen Stellen ist zulässig. […]
(3)–(6) […]
[…]
§53. Die Hinweiszeichen
(1) Die Hinweiszeichen weisen auf verkehrswichtige Umstände hin. Hinweiszeichen sind die folgenden Zeichen:
1a.–9d. […]
9e. 'BEGEGNUNGSZONE'
[Zeichen]
Dieses Zeichen zeigt den Beginn einer Begegnungszone an und bedeutet, dass hier die besonderen Bestimmungen des §76c gelten. Wurde in der Begegnungszone die erlaubte Höchstgeschwindigkeit gemäß §76c Abs6 auf 30 km/h erhöht, ist auf dem Zeichen die Zahl '20' durch die Zahl '30' zu ersetzen.
9f. 'ENDE EINER BEGEGNUNGSZONE'
[Zeichen]
Dieses Zeichen zeigt das Ende einer Begegnungszone an und bedeutet, dass die besonderen Bestimmungen des §76c nun nicht mehr gelten. Wurde in der Begegnungszone die erlaubte Höchstgeschwindigkeit gemäß §76c Abs6 auf 30 km/h erhöht, ist auf dem Zeichen die Zahl '20' durch die Zahl '30' zu ersetzen.
9g.–29. […]
[…]
Begegnungszonen
§76c. (1) Die Behörde kann, wenn es der Sicherheit, Leichtigkeit oder Flüssigkeit des Verkehrs, insbesondere des Fußgängerverkehrs, dient, oder aufgrund der Lage, Widmung oder Beschaffenheit eines Gebäudes oder Gebietes angebracht erscheint, durch Verordnung Straßen, Straßenstellen oder Gebiete dauernd oder zeitweilig zu Begegnungszonen erklären.
(2) In Begegnungszonen dürfen die Lenker von Fahrzeugen Fußgänger weder gefährden noch behindern, haben von ortsgebundenen Gegenständen oder Einrichtungen einen der Verkehrssicherheit entsprechenden seitlichen Abstand einzuhalten und dürfen nur mit einer Geschwindigkeit von höchstens 20 km/h fahren. Lenker von Kraftfahrzeugen dürfen auch Radfahrer weder gefährden noch behindern.
(3) In Begegnungszonen dürfen Fußgänger die gesamte Fahrbahn benützen. Sie dürfen den Fahrzeugverkehr jedoch nicht mutwillig behindern.
(4) Die Anbringung von Schwellen, Rillen, Bordsteinen und dergleichen sowie von horizontalen baulichen Einrichtungen ist in verkehrsgerechter Gestaltung zulässig, wenn dadurch die Verkehrssicherheit gefördert oder die Einhaltung der erlaubten Höchstgeschwindigkeit unterstützt wird.
(5) Für die Kundmachung einer Verordnung nach Abs1 gelten die Bestimmungen des §44 Abs1 mit der Maßgabe, dass am Anfang und am Ende einer Begegnungszone die betreffenden Hinweiszeichen (§53 Abs1 Z9e bzw 9f) anzubringen sind.
(6) Wenn es der Leichtigkeit und Flüssigkeit des Verkehrs dient und aus Gründen der Sicherheit des Verkehrs keine Bedenken dagegen bestehen, kann die Behörde in der Verordnung nach Abs1 die erlaubte Höchstgeschwindigkeit auf 30 km/h erhöhen.
[…]
§94d. Eigener Wirkungsbereich der Gemeinde
Sofern der Akt der Vollziehung nur für das Gebiet der betreffenden Gemeinde wirksam werden und sich auf Straßen, die nach den Rechtsvorschriften weder als Autobahnen, Autostraßen, Bundesstraßen oder Landesstraßen gelten noch diesen Straßen gleichzuhalten sind, beziehen soll, sind folgende Angelegenheiten von der Gemeinde im eigenen Wirkungsbereich zu besorgen:
1.–8b. […]
8c. die Bestimmung von Begegnungszonen (§76c),
9.–20. […]"
III. Antragsvorbringen und Vorverfahren
1. Dem Antrag liegt folgender Sachverhalt zugrunde:
Mit Straferkenntnis des Bürgermeisters der Stadt Graz wurde über den Beschwerdeführer vor dem antragstellenden Landesverwaltungsgericht (im Folgenden: Beschwerdeführer) gemäß §99 Abs3 lita StVO 1960 eine Geldstrafe in der Höhe von € 50,– verhängt. Dem Beschwerdeführer wurde zur Last gelegt, er habe §23 Abs2a StVO 1960 dadurch verletzt, dass er sein Motorrad am 25. April 2019, von 11.27 Uhr bis 11.52 Uhr, in Graz, Zinzendorfgasse 27, in einer Begegnungszone geparkt habe, obwohl dafür keine markierten Stellen vorhanden gewesen seien.
2. Aus Anlass dieses Verfahrens stellt das Landesverwaltungsgericht Steiermark den vorliegenden, auf Art139 Abs1 Z1 B-VG gestützten Antrag, der Verfassungsgerichtshof möge "die Verordnung des Stadtsenates der Stadt Graz vom 17.09.2013, GZ: A10/1-022509/2013-0004, soweit sich diese auf die Anbringung und Positionierung der Straßenverkehrszeichen bezieht, in eventu die Verordnung des Stadtsenates der Stadt Graz vom 17.09.2013, GZ: A10/1-022509/2013-0004[,] zur Gänze" als gesetzwidrig aufheben.
2.1. Das antragstellende Landesverwaltungsgericht führt im Zusammenhang mit der Präjudizialität der angefochtenen Verordnung aus, dass es diese – soweit sie sich auf die Anbringung und Positionierung der Straßenverkehrszeichen beziehe – im Beschwerdeverfahren anzuwenden habe. Für den Fall, dass der Verfassungsgerichtshof zu der Auffassung gelange, dass der Anfechtungsumfang zu eng gefasst sei, werde in eventu die Aufhebung der gesamten Verordnung beantragt.
2.2. In der Folge legt das antragstellende Landesverwaltungsgericht seine Bedenken gegen die angefochtene Verordnung dar:
2.2.1. Aus der Planbeilage zu der angefochtenen Verordnung ergebe sich, dass die Begegnungszone "Sonnenfelsplatz" hinsichtlich der Zufahrt aus der Beethovenstraße – dem Verordnungszweck entsprechend – vor dem Sonnenfelsplatz beginne und dieser daher von der Verordnung umfasst sei. Die vom Beschwerdeführer in der mündlichen Verhandlung vor dem antragstellenden Landesverwaltungsgericht vorgelegten Lichtbilder würden jedoch zeigen, dass die Begegnungszone durch eine Falschausrichtung des Straßenverkehrszeichens in der Beethovenstraße (Richtung Elisabethstraße auf der linken Straßenseite) erst nach dem Sonnenfelsplatz beginne bzw von der Elisabethstraße kommend vor dem Sonnenfelsplatz ende. Auf Grund eines Telefonates mit der zuständigen Straßenmeisterei sei davon auszugehen, dass das Straßenverkehrszeichen auch zum Tatzeitpunkt (am 25. April 2019) falsch aufgestellt gewesen sei.
Der Vorschrift des §44 Abs1 StVO 1960 sei immanent, dass die bezüglichen Straßenverkehrszeichen dort angebracht seien, wo der räumliche Geltungsbereich der Verordnung beginne und ende. Eine Nichtübereinstimmung der verordnungsmäßig festgelegten Grenzen mit den tatsächlich kundgemachten Grenzen führe zur Rechtswidrigkeit der Kundmachung und damit zu einer nicht gehörigen Kundmachung.
2.2.2. Den vorgelegten Lichtbildern sei zudem zu entnehmen, dass das Straßenverkehrszeichen in der Beethovenstraße teilweise hinter parkenden Autos verdeckt und daher nicht erkennbar sei. Gemäß §48 Abs1 StVO 1960 müssten Straßenverkehrszeichen jedoch derart angebracht sein, dass sie leicht und rechtzeitig erkannt werden können. Sei dies nicht der Fall, liege keine gehörige Kundmachung der zugrunde liegenden Verordnung vor.
3. Die verordnungserlassende Behörde hat die Akten betreffend das Zustandekommen der zur Prüfung gestellten Verordnung vorgelegt und eine Äußerung erstattet, in der den im Antrag dargelegten Bedenken wie folgt entgegengetreten wird:
3.1. Das Straßenverkehrszeichen gemäß §53 Abs1 Z9e StVO 1960 ("Begegnungszone" Beginn) sei in der Beethovenstraße nur für Fußgänger angebracht, weil es sich seit dem Jahr 1965 um eine Einbahnstraße in Richtung Elisabethstraße (vom Sonnenfelsplatz wegführend) handle. Es gebe daher keine herankommenden Fahrzeuglenker, für die das Straßenverkehrszeichen leicht und rechtzeitig erkennbar sein müsse. Im Übrigen könne mit einem Kraftfahrzeug ausschließlich über die Zinzendorfgasse legal in die Begegnungszone eingefahren werden. Dort befinde sich am rechten Fahrbahnrand unmittelbar östlich der Einmündung der Hugo-Wolf-Gasse gut sichtbar ein entsprechendes Straßenverkehrszeichen.
3.2. Das Straßenverkehrszeichen gemäß §53 Abs1 Z9e StVO 1960 in der Beethovenstraße sei zwar zum Tatzeitpunkt tatsächlich falsch ausgerichtet gewesen, nicht aber zum Zeitpunkt der Kundmachung der angefochtenen Verordnung. Die Falschausrichtung des Straßenverkehrszeichens sei im Jahr 2019 berichtigt worden. Da das Straßenverkehrszeichen ursprünglich richtig angebracht gewesen sei, könne die zeitweilige Unterbrechung der Kundmachung nicht zur Gesetzwidrigkeit der Verordnung führen.
4. Die Steiermärkische Landesregierung hat mitgeteilt, dass die angefochtene Verordnung nicht auffindbar sei.
5. Der Beschwerdeführer hat als mitbeteiligte Partei Äußerungen erstattet, in denen er sich dem Antrag des Landesverwaltungsgerichtes Steiermark anschließt.
IV. Erwägungen
1. Zur Zulässigkeit des Antrages
1.1. Der Verfassungsgerichtshof vertritt zu Art89 Abs1 B-VG beginnend mit dem Erkenntnis VfSlg 20.182/2017 die Auffassung, dass eine "gehörig kundgemachte" generelle Norm – also eine an einen unbestimmten, externen Personenkreis adressierte, verbindliche Anordnung von Staatsorganen – bereits dann vorliegt, wenn eine solche Norm ein Mindestmaß an Publizität und somit rechtliche Existenz erlangt (VfSlg 20.182/2017). Es ist nicht notwendig, dass die Kundmachung der Norm in der rechtlich vorgesehenen Weise erfolgt. Demnach haben auch Gerichte gesetzwidrig kundgemachte Verordnungen gemäß Art139 B-VG anzuwenden und diese, wenn sie Bedenken gegen ihre rechtmäßige Kundmachung haben, vor dem Verfassungsgerichtshof anzufechten. Bis zur Aufhebung durch den Verfassungsgerichtshof sind sie für jedermann verbindlich (vgl VfSlg 20.251/2018).
Die angefochtene Begegnungszone wurde ausweislich der vorgelegten Akten durch Aufstellung entsprechender Straßenverkehrszeichen am 4. Oktober 2013 kundgemacht, sodass sie mit verbindlicher Wirkung für jedermann zustande gekommen ist.
1.2. Der Verfassungsgerichtshof ist nicht berechtigt, durch seine Präjudizialitätsentscheidung das antragstellende Gericht an eine bestimmte Rechtsauslegung zu binden, weil er damit indirekt der Entscheidung dieses Gerichtes in der Hauptsache vorgreifen würde. Gemäß der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes darf daher ein Antrag iSd Art139 Abs1 Z1 B-VG nur dann wegen Fehlens der Präjudizialität zurückgewiesen werden, wenn es offenkundig unrichtig (denkunmöglich) ist, dass die – angefochtene – generelle Norm eine Voraussetzung der Entscheidung des antragstellenden Gerichtes im Anlassfall bildet (vgl etwa VfSlg 10.640/1985, 12.189/1989, 15.237/1998, 16.245/2001 und 16.927/2003).
Dem Beschwerdeführer wird eine Übertretung des §23 Abs2a StVO 1960 zur Last gelegt, weil er in der Zinzendorfgasse im räumlichen Geltungsbereich der mit der angefochtenen Verordnung festgelegten Begegnungszone ein Kraftfahrzeug an einer nicht dafür gekennzeichneten Stelle geparkt habe. Daher ist es offenkundig, dass die angefochtene Verordnung jedenfalls in dem Umfang anzuwenden ist, als sie einen Teil der Zinzendorfgasse zur Begegnungszone erklärt. Im Hinblick auf das unter Punkt IV.2. dargestellte Ergebnis des Verordnungsprüfungsverfahrens erübrigt sich in diesem Verfahren eine nähere Abgrenzung des präjudiziellen Teiles der angefochtenen Verordnung (vgl VfGH 7.10.2020, V336/2020 mwN).
1.3. Ein von Amts wegen oder auf Antrag eines Gerichtes eingeleitetes Normenprüfungsverfahren dient der Herstellung einer verfassungsrechtlich einwandfreien Rechtsgrundlage für das Anlassverfahren (vgl VfSlg 11.506/1987, 13.701/1994).
Die Grenzen der Aufhebung einer auf ihre Gesetzmäßigkeit zu prüfenden Verordnungsbestimmung sind, wie der Verfassungsgerichtshof sowohl für von Amts wegen als auch für auf Antrag eingeleitete Normenprüfungsverfahren schon wiederholt dargelegt hat (VfSlg 13.965/1994 mwN, 16.542/2002, 16.911/2003), notwendig so zu ziehen, dass einerseits der verbleibende Teil der Bestimmung nicht einen völlig veränderten Inhalt bekommt und dass andererseits die mit der aufzuhebenden Stelle untrennbar zusammenhängenden Bestimmungen auch erfasst werden.
Dieser Grundposition folgend hat der Verfassungsgerichtshof die Rechtsauffassung entwickelt, dass im Normenprüfungsverfahren der Anfechtungsumfang der in Prüfung gezogenen Norm bei sonstiger Unzulässigkeit des Prüfungsantrages nicht zu eng gewählt werden darf (vgl VfSlg 16.212/2001, 16.365/2001, 18.142/2007, 19.496/2011; 20.154/2017). Das antragstellende Gericht hat all jene Normen anzufechten, die für das anfechtende Gericht präjudiziell sind und vor dem Hintergrund der Bedenken für die Beurteilung der allfälligen Verfassungswidrigkeit der Rechtslage eine untrennbare Einheit bilden. Es ist dann Sache des Verfassungsgerichtshofes, darüber zu befinden, auf welche Weise eine solche Verfassungswidrigkeit – sollte der Verfassungsgerichtshof die Auffassung des antragstellenden Gerichtes teilen – beseitigt werden kann (VfSlg 16.756/2002, 19.496/2011, 19.684/2012, 19.903/2014; VfGH 10.3.2015, G201/2014).
Unzulässig ist der Antrag etwa dann, wenn der im Falle der Aufhebung im begehrten Umfang verbleibende Rest einer Verordnungsstelle als sprachlich unverständlicher Torso inhaltsleer und unanwendbar wäre (VfSlg 16.279/2001, 19.413/2011; VfGH 19.6.2015, G211/2014; 7.10.2015, G444/2015; VfSlg 20.082/2016), der Umfang der zur Aufhebung beantragten Bestimmungen so abgesteckt ist, dass die angenommene Gesetzwidrigkeit durch die Aufhebung gar nicht beseitigt würde (vgl zB VfSlg 18.891/2009, 19.933/2014), oder durch die Aufhebung bloßer Teile einer Verordnung dieser ein völlig veränderter, dem Verordnungsgeber überhaupt nicht mehr zusinnbarer Inhalt gegeben würde (VfSlg 18.839/2009, 19.841/2014, 19.972/2015, 20.102/2016).
Unter dem Aspekt einer nicht trennbaren Einheit in Prüfung zu ziehender Vorschriften ergibt sich ferner, dass ein Prozesshindernis auch dann vorliegt, wenn es auf Grund der Bindung an den gestellten Antrag zu einer in der Weise isolierten Aufhebung einer Bestimmung käme, dass Schwierigkeiten bezüglich der Anwendbarkeit der im Rechtsbestand verbleibenden Vorschriften entstünden, und zwar in der Weise, dass der Wegfall der angefochtenen (Teile einer) Verordnungsbestimmung den verbleibenden Rest unverständlich oder auch unanwendbar werden ließe. Letzteres liegt dann vor, wenn nicht mehr mit Bestimmtheit beurteilt werden könnte, ob ein der verbliebenen Vorschrift zu unterstellender Fall vorliegt (VfSlg 16.869/2003 mwN).
Eine zu weite Fassung des Antrages macht diesen nicht in jedem Fall unzulässig. Zunächst ist ein Antrag nicht zu weit gefasst, soweit das Gericht solche Normen anficht, die denkmöglich eine Voraussetzung der Entscheidung des antragstellenden Gerichtes im Anlassfall bilden und damit präjudiziell sind; dabei darf aber nach §57 Abs1 VfGG nicht offen bleiben, welche Vorschrift oder welcher Teil einer Vorschrift nach Auffassung des antragstellenden Gerichtes aus welchem Grund aufgehoben werden soll (siehe mwN VfGH 2.3.2015, G140/2014 ua; vgl auch VfGH 10.12.2015, G639/2015; 15.10.2016, G103-104/2016 ua). Ist ein solcher Antrag in der Sache begründet, hebt der Verfassungsgerichtshof aber nur einen Teil der angefochtenen Bestimmungen als verfassungswidrig auf, so führt dies — wenn die sonstigen Prozessvoraussetzungen vorliegen — im Übrigen zur teilweisen Abweisung des Antrages (VfSlg 19.746/2013; VfGH 5.3.2014, G79/2013 ua).
Umfasst der Antrag auch Bestimmungen, die für das antragstellende Gericht offenkundig keine Voraussetzung seiner Entscheidung im Anlassfall bilden und die somit nicht präjudiziell sind (insofern ist der Antrag zu weit gefasst), die mit den präjudiziellen (und nach Auffassung des antragstellenden Gerichtes den Sitz der Verfassungswidrigkeit bildenden) Bestimmungen aber vor dem Hintergrund der Bedenken in einem Regelungszusammenhang stehen, so ist zu differenzieren: Sind diese Bestimmungen von den den Sitz der verfassungsrechtlichen Bedenken des antragstellenden Gerichtes bildenden präjudiziellen Bestimmungen offensichtlich trennbar, so führt dies zur teilweisen Zurückweisung des Antrages. Umfasst der Antrag auch Bestimmungen, die mit den präjudiziellen, den Sitz der verfassungsrechtlichen Bedenken des antragstellenden Gerichtes bildenden Bestimmungen in einem so konkreten Regelungszusammenhang stehen, dass es nicht von vornherein auszuschließen ist, dass ihre Aufhebung im Fall des Zutreffens der Bedenken erforderlich sein könnte (sind diese Bestimmungen also nicht offensichtlich trennbar), so ist der Antrag insgesamt zulässig (VfSlg 20.111/2016). Dies gilt nach dem vorhin Gesagten aber keinesfalls dann, wenn Bestimmungen mitangefochten werden (etwa alle einer ganzen Verordnung), gegen die gar keine konkreten Bedenken vorgebracht werden und zu denen auch kein konkreter Regelungszusammenhang dargelegt wird (VfSlg 19.894/2014; VfGH 29.9.2015, G324/2015; 15.10.2016, G183/2016 ua).
1.4. Der Verfassungsgerichtshof entscheidet daher – vor dem Hintergrund der Bedenken und der Erforderlichkeit, die den Sitz der Bedenken bildenden Bestimmungen (bei geringstmöglichem Eingriff in den Gehalt der Rechtsordnung) zu ermitteln – über die Frage, ob gegebenenfalls auch Bestimmungen aufzuheben sind, die nicht präjudiziell sind, aber mit präjudiziellen Bestimmungen in einem untrennbaren Zusammenhang stehen (vgl zB VfSlg 19.939/2014, 20.086/2016), nicht im Rahmen der Prüfung der Zulässigkeit des Antrages, sondern im Einzelnen erst dann, wenn der Verfassungsgerichtshof, erweist sich der Antrag als begründet, den Umfang der aufzuhebenden Bestimmungen abzugrenzen hat.
1.5. Das antragstellende Landesverwaltungsgericht begehrt mit seinem Hauptantrag, der Verfassungsgerichtshof möge die Verordnung des Stadtsenates der Stadt Graz vom 17. September 2013, Z A10/1-022509/2013-0004, "soweit sich diese auf die Anbringung und Positionierung der Straßenverkehrszeichen bezieht", als gesetzwidrig aufheben. Es wird daher mit dem Hauptantrag lediglich die Aufhebung des Satzes "Die Position(en) der/des Verkehrszeichen(s) sind im beigelegten Plan, welcher einen integrierenden Bestandteil dieser Verordnung bildet, ersichtlich gemacht." beantragt.
Dieser Antrag erweist sich vor dem Hintergrund der vom antragstellenden Landesverwaltungsgericht vorgebrachten Bedenken als unzulässig, weil die behauptete Gesetzwidrigkeit – die sich gegen die tatsächliche Kundmachung der angefochtenen Verordnung, nicht aber gegen die Textierung der Verordnung richtet – mit der Aufhebung im beantragten Umfang nicht beseitigt würde. Der Hauptantrag ist daher als unzulässig zurückzuweisen.
1.6. Das antragstellende Landesverwaltungsgericht begehrt in eventu die Aufhebung der gesamten Verordnung des Stadtsenates der Stadt Graz vom 17. September 2013, Z A10/1-022509/2013-0004. Hinsichtlich dieses Antrages sind keine Prozesshindernisse hervorgekommen, sodass sich der Eventualantrag insgesamt als zulässig erweist.
2. In der Sache
2.1. Der Verfassungsgerichtshof hat sich in einem auf Antrag eingeleiteten Verfahren zur Prüfung der Gesetzmäßigkeit einer Verordnung gemäß Art139 B-VG auf die Erörterung der geltend gemachten Bedenken zu beschränken (vgl VfSlg 11.580/1987, 14.044/1995, 16.674/2002). Er hat sohin ausschließlich zu beurteilen, ob die angefochtene Verordnung aus den in der Begründung des Antrages dargelegten Gründen gesetzwidrig ist (VfSlg 15.644/1999, 17.222/2004).
2.2. Der Antrag ist begründet.
2.3. Das antragstellende Landesverwaltungsgericht macht Bedenken gegen die Kundmachung der angefochtenen Begegnungszone geltend. Das Straßenverkehrszeichen in der Beethovenstraße sei (auch) zum Tatzeitpunkt falsch ausgerichtet und darüber hinaus zum Teil durch dort parkende Fahrzeuge verdeckt gewesen. Dies stehe im Widerspruch zu den Bestimmungen der §§44 Abs1 und 48 Abs1 StVO 1960.
2.4. Eine Verordnung, die bestimmte Gebiete gemäß §76c Abs1 StVO 1960 zu Begegnungszonen erklärt, ist gemäß Abs5 leg cit entsprechend den Bestimmungen des §44 StVO 1960 kundzumachen. Gemäß §44 Abs1 StVO 1960 sind Verordnungen, sofern sich aus den folgenden Absätzen nichts anderes ergibt, durch Straßenverkehrszeichen oder Bodenmarkierungen kundzumachen und treten mit deren Anbringung in Kraft (vgl VfSlg 18.710/2009, 19.409/2011, 19.410/2011).
Der Vorschrift des §44 Abs1 StVO 1960 ist immanent, dass die bezüglichen Straßenverkehrszeichen dort angebracht sind, wo der räumliche Geltungsbereich der Verordnung beginnt und endet. Eine Kundmachung, die nicht an allen Örtlichkeiten dem Gesetz entspricht, ist mangelhaft. Eine auf diese Weise kundgemachte Verordnung ist zwar existent, jedoch bis zur Behebung des Mangels mit Gesetzwidrigkeit behaftet (vgl VfSlg 5824/1968, 6346/1970).
2.5. Der räumliche Geltungsbereich der angefochtenen Verordnung ergibt sich aus deren Textierung sowie einer Planbeilage, die einen integrierenden Bestandteil der Verordnung bildet. Daraus ist ersichtlich, dass die Begegnungszone auf dem Sonnenfelsplatz sowie auf Teilen der Zinzendorfgasse, der Halbärthgasse, der Schubertstraße, der Leechgasse und der Beethovenstraße verordnet ist.
Die verordnungserlassende Behörde hat das Vorbringen des antragstellenden Landesverwaltungsgerichtes bestätigt, wonach das Straßenverkehrszeichen gemäß §53 Abs1 Z9e StVO 1960 in der Beethovenstraße (auch) zum Tatzeitpunkt falsch ausgerichtet gewesen sei. Die unrichtige Aufstellung der Straßenverkehrszeichen sei im Jahr 2019 berichtigt worden. Für den Verfassungsgerichtshof steht daher fest, dass der Beginn und das Ende der Begegnungszone in der Beethovenstraße zum Tatzeitpunkt nicht ordnungsgemäß kundgemacht waren.
2.6. Diese nicht den Anforderungen des §44 StVO 1960 entsprechende Kundmachung der angefochtenen, einen einheitlichen räumlichen Geltungsbereich bestimmenden, Verordnung zum Tatzeitpunkt bewirkt deren Gesetzwidrigkeit (vgl VfGH 7.10.2020, V336/2020). Damit erübrigt sich ein Eingehen auf die weiteren Bedenken des antragstellenden Landesverwaltungsgerichtes.
2.7. Gemäß Art139 Abs3 B-VG darf der Verfassungsgerichtshof in einem auf Antrag eingeleiteten Verordnungsprüfungsverfahren eine Verordnung nur insoweit als gesetzwidrig aufheben, als ihre Aufhebung zulässigerweise beantragt wurde. Gelangt der Verfassungsgerichthof jedoch zur Auffassung, dass die ganze Verordnung in gesetzwidriger Weise kundgemacht wurde, so hat er die ganze Verordnung gemäß Art139 Abs3 Z3 B-VG als gesetzwidrig aufzuheben (vgl VfSlg 20.195/2017).
Der Beginn und das Ende des örtlichen Geltungsbereiches der angefochtenen Verordnung waren zum Tatzeitpunkt in der vom Geltungsbereich der angefochtenen Verordnung mitumfassten Beethovenstraße nicht ordnungsgemäß kundgemacht. Da die angefochtene Verordnung einen einheitlichen örtlichen Geltungsbereich bestimmt, der jeweils an den in der angefochtenen Verordnung genannten Ein- und Ausfahrten mittels Straßenverkehrszeichen kundgemacht ist, bewirkt der festgestellte Kundmachungsmangel die gesetzwidrige Kundmachung der gesamten Verordnung.
2.8. Laut einem im Akt des antragstellenden Landesverwaltungsgerichtes einliegenden Aktenvermerk wurde das Straßenverkehrszeichen in der Beethovenstraße am 9. Dezember 2019 wieder ordnungsgemäß angebracht. Der Verfassungsgerichtshof hat daher gemäß Art139 Abs4 B-VG festzustellen, dass die angefochtene Verordnung bis zum 9. Dezember 2019 gesetzwidrig war (vgl VfGH 25.2.2020, V16/2019).
V. Ergebnis
1. Die Verordnung des Stadtsenates der Stadt Graz vom 17. September 2013, Z A10/1-022509/2013-0004, kundgemacht durch Aufstellung von Straßenverkehrszeichen, war bis zum 9. Dezember 2019 gesetzwidrig.
2. Die Verpflichtung der Steiermärkischen Landesregierung zur unverzüglichen Kundmachung der Feststellung der Gesetzwidrigkeit erfließt aus Art139 Abs5 zweiter Satz B-VG und §59 Abs2 iVm §61 VfGG sowie §2 Abs1 Z7 Stmk Kundmachungsgesetz.
3. Der Hauptantrag ist zurückzuweisen.
4. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.
Schlagworte
Straßenverkehrszeichen, Verordnung Kundmachung, Geltungsbereich (örtlicher) einer Verordnung, Geltungsbereich (zeitlicher) einer Verordnung, Eventualantrag, VfGH / Verwerfungsumfang, VfGH / Gerichtsantrag, VfGH / Prüfungsumfang, BegegnungszoneEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:2022:V291.2021Zuletzt aktualisiert am
28.11.2022