TE Vwgh Erkenntnis 1996/3/25 95/10/0115

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Veröffentlicht am 25.03.1996
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Index

10/07 Verwaltungsgerichtshof;
40/01 Verwaltungsverfahren;
80/02 Forstrecht;

Norm

AVG §37;
AVG §45 Abs2 impl;
AVG §52;
ForstG 1975 §17 Abs1;
ForstG 1975 §17 Abs2;
ForstG 1975 §17 Abs3;
ForstG 1975 §17 idF 1987/576;
ForstG 1975 §17;
ForstG 1975 §19 Abs5;
ForstG 1975 §19 Abs6;
VwGG §41 Abs1;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Präsident Dr. Jabloner und die Hofräte Dr. Novak, Dr. Mizner, Dr. Bumberger und Dr. Stöberl als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Fichtner, über die Beschwerde des Bundesministers für Land- und Forstwirtschaft gegen den Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Leibnitz vom 24. März 1995, Zl. 8.1 D 8-1994, betreffend Rodungsbewilligung (mitbeteiligte Partei: F in S), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Begründung

Der Mitbeteiligte beantragte die Bewilligung der Rodung eines 700 m2 großen Teiles des Waldgrundstückes Nr. 821 KG V. Die Rodung solle für Zwecke der Verwendung als Bauland erfolgen. Durch Windbruch werde das Dach eines angrenzenden Wohnhauses jährlich beschädigt. Auch möchte er auf der Fläche ein Einfamilienwohnhaus errichten. Es würden Ersatzaufforstungen auf bisher landwirtschaftlich genutzten Grundstücken angeboten.

Die Gemeinde V. erklärte, die Rodung zu befürworten. Die zu rodende Fläche liege im unmittelbaren Bereich eines Wohnhauses, das durch Windbruch jährlich beschädigt werde. Auch die Ausweitung des Siedlungsgebietes durch die Errichtung eines Wohnhauses werde befürwortet.

Die Fachabteilung für örtliche Raumplanung und Gemeindeentwicklung im Amt der Steiermärkischen Landesregierung gab folgende Stellungnahme ab: Das Grundstück sei im rechtskräftigen Flächenwidmungsplan der Gemeinde als Freiland (Wald) ausgewiesen. Soferne die Absicht bestehe, das angrenzende Baugebiet auszuweiten, müßte zunächst ein Verfahren zur Änderung des Flächenwidmungsplanes durchgeführt werden. Dabei wäre zu klären, ob es im Hinblick auf die ohnehin durch hochrangige Verkehrsträger und Intensivlandwirtschaft problematische Grundwassersituation sinnvoll sei, die wenigen noch verbliebenen Waldflächen für die Errichtung von Wohnhäusern weiter zu reduzieren. Was die Gefährdung des angrenzenden Wohnhauses betreffe, bestehe sicherlich ein allgemeines öffentliches Interesse, diese durch entsprechende Maßnahmen einschließlich einer Rodung im hiefür unbedingt erforderlichen Ausmaß auszuschalten. Ein öffentliches Interesse des Siedlungswesens könne jedoch derzeit nicht bestätigt werden.

Die belangte Behörde holte Befund und Gutachten eines forsttechnischen Sachverständigen ein. Dieser legte dar, das Grundstück des Beschwerdeführers habe eine Fläche von 0,2892 ha. Die zur Rodung angesuchte Fläche von 700 m2 liege im südlichen Grundstücksteil. Die Rodung solle dauernd zum Zweck der Verwendung als Baugrund vorgenommen werden. Das Grundstück liege in ca. 270 m Seehöhe, sei eben, seichtgründig und trocken. Der Untergrund bestehe aus Schotter und Sand mit dazwischengelagerten Lehmschichten. Der Bestand sei Laubwald; derzeit bestehe ein Kahlschlag. Die Rodefläche grenze im Norden an Wald, im Osten an Baugrund und im Süden und Westen an landwirtschaftliche Nutzflächen. Für die betreffende Waldfläche sei im Waldentwicklungsplan die Bewertung 231 festgelegt. Die Wohlfahrtsfunktion sei als Leitfunktion ausgewiesen. Durch die Rodung würden günstige Waldgrenzen entstehen. Ein größerer Waldkörper werde nicht durchschnitten. Die Stellungnahme der Fachabteilung sei im Zusammenhang mit der am 1. Februar 1995 in Kraft getretenen Raumordnungsgesetznovelle zu sehen, wonach kleinräumige Auffüllungsgebiete im Freiland im Rahmen einer Revision festgelegt werden könnten. Unter Berücksichtigung der gegebenen forstlichen Verhältnisse und mit Bedacht auf eine die erforderlichen Wirkungen des Waldes gewährleistende Waldausstattung werde "beantragt", das Rodungsansuchen zu bewilligen, weil durch die Maßnahme wichtige raumordnungspolitische Zielsetzungen der Gemeinde verwirklicht würden, wobei ein Waldflächenausgleich durch Ersatzaufforstung in der Gemeinde erfolge.

Mit dem angefochtenen Bescheid bewilligte die belangte Behörde die beantragte Rodung, wobei sie eine Ersatzaufforstung im Flächenausmaß von 700 m2 vorschrieb. Begründend wurde dargelegt, die Entscheidung gründe sich auf die überprüften Ausführungen des Antragstellers und das Ergebnis des Ermittlungsverfahrens. Bei der Interessenabwägung habe sich ein Überwiegen der öffentlichen Interessen an der Rodung ergeben, weil durch die Maßnahme bei gleichbleibender Waldfläche (Ersatzaufforstungen an anderer Stelle) wichtige raumordnungspolitische Zielsetzungen der Gemeinde im Rahmen einer Revision des Flächenwidmungsplanes erzielt würden. Forstliche Interessen an der Walderhaltung blieben bei diesem Vorhaben durch flächengleiche Ersatzaufforstung gewahrt.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, auf § 170 Abs. 8 ForstG gestützte Beschwerde.

Die belangte Behörde hat die Akten des Verwaltungsverfahrens vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet, in der die Abweisung der Beschwerde beantragt wird.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Gemäß § 17 Abs. 1 ForstG ist die Verwendung von Waldboden zu anderen Zwecken als für solche der Waldkultur (Rodung) verboten. Die Forstbehörde kann aber gemäß Abs. 2 dieser Gesetzesstelle eine Bewilligung zur Rodung erteilen, wenn ein öffentliches Interesse an einer anderen Verwendung der zur Rodung beantragten Fläche das öffentliche Interesse an der Erhaltung derselben als Wald überwiegt. Nach § 17 Abs. 3 ForstG können öffentliche Interessen im Sinne des Abs. 2 insbesondere in der umfassenden Landesverteidigung, im Eisenbahn-, Luft- und öffentlichen Straßenverkehr, im Post- und öffentlichen Fernmeldewesen, im Bergbau, im Wasserbau, in der Energiewirtschaft, in der Agrarstrukturverbesserung sowie im Siedlungswesen begründet sein. Gemäß § 17 Abs. 4 ForstG hat die Behörde bei Abwägung der öffentlichen Interesen im Sinne des Abs. 2 insbesondere auf eine die erforderlichen Wirkungen des Waldes gewährleistende Waldausstattung Bedacht zu nehmen; ferner sind unter diesen Voraussetzungen die Zielsetzungen der Raumordnung zu berücksichtigen.

§ 17 ForstG verpflichtet die Forstbehörde zu einer Interessenabwägung. Eine solche Interessenabwägung setzt voraus, daß festgestellt wird, ob und in welchem Ausmaß ein öffentliches Interesse an einer anderen Verwendung der zur Rodung beantragten Fläche besteht, und welches Ausmaß das öffentliche Interesse an der Walderhaltung aufweist. Im Zuge der von § 17 ForstG vorgeschriebenen Interessenabwägung ist auch zu prüfen, ob für das Vorhaben die Inanspruchnahme von Waldflächen überhaupt und gegebenenfalls in welchem Umfang erforderlich ist (vgl. z.B. das Erkenntnis vom 29. Jänner 1996, Zl. 94/10/0055, und die dort zitierte Vorjudikatur).

Den dargelegten Anforderungen entspricht der angefochtene Bescheid nicht. Es fehlen entsprechende Feststellungen und eine darauf aufbauende Interessenabwägung. Feststellungen, auf deren Grundlage das Gewicht des Interesses an der Walderhaltung beurteilt werden könnte, fehlen zur Gänze; ebensowenig kann der Begründung des angefochtenen Bescheides entnommen werden, in welcher Verwendung der Waldfläche nach den Annahmen der belangten Behörde das die Interessen an der Walderhaltung übersteigende öffentliche Interesse bestehen soll. Der nicht weiter konkretisierte Hinweis auf "wichtige raumordnungspolitische Zielsetzungen der Gemeinde im Rahmen einer Revision des Flächenwidmungsplanes" entspricht den Anforderungen an eine ordnungsgemäße Bescheidbegründung in keiner Weise.

Darlegungen der Gegenschrift vermögen im Verwaltungsverfahren durchgeführte Ermittlungen und darauf aufgebaute Darlegungen der Begründung des angefochtenen Bescheides nicht zu ersetzen. Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 VwGG aufzuheben.

Aus Gründen der Prozeßökonomie sind folgende Hinweise geboten:

Der Mitbeteiligte hat seinen Rodungsantrag zum einen damit begründet, daß ein an die Waldfläche angrenzendes Gebäude durch Windbruch (herabfallende Äste) beschädigt werde. Dazu sei bemerkt, daß ein solcher Sachverhalt ein Rodungsinteresse nur dann, wenn der Beschädigung des Gebäudes nicht anders als durch die Rodung - etwa durch Pflegemaßnahmen - vorgekehrt werden könnte, und nur mit Beziehung auf jene Flächen, deren Entziehung aus der Waldkultur zur Beseitigung der Gefahr unbedingt erforderlich wäre, herstellen könnte.

Die Begründung des angefochtenen Bescheides enthält auch keinen konkreten Hinweis auf einen Sachverhalt, aus dem ein im öffentlichen Interesse am Siedlungswesen gelegenes Rodungsinteresse abgeleitet werden könnte. Das Vorbringen der Gegenschrift, nach Erlassung des angefochtenen Bescheides sei eine Änderung der Flächenwidmung erfolgt, gibt Anlaß zu folgenden Bemerkungen:

Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes liegt ein im Siedlungswesen begründetes öffentliches Interesse jedenfalls dann vor, wenn Grundflächen der Verwirklichung eines nach dem Flächenwidmungsplan zulässigen Bauvorhabens dienen sollen. Dieser Umstand vermag aber noch nicht das Überwiegen dieses öffentlichen Interesses gegenüber jenem an der Walderhaltung zu begründen. Selbst wenn nämlich die Rodungsfläche in einem bereits bestehenden Flächenwidmungsplan der Gemeinde als Bauplatz ausgewiesen ist, bedeutet dies noch nicht, daß eine Verwirklichung dieser anderen Widmung entgegen dem Grundsatz der Walderhaltung auf jeden Fall zulässig wäre; es hat vielmehr die Forstbehörde festzustellen, ob die erforderliche Rodungsbewilligung auf Grund der forstrechtlichen Vorschriften als im öffentlichen Interesse gelegen zu erteilen ist. Die Verwirklichung der von der Gemeinde vorgesehenen anderen Verwendung einer Waldfläche ist in jedem Fall von der Entscheidung der Forstbehörde abhängig, die auf einer dem Gesetz entsprechenden Interessenabwägung beruhen muß.

Eine solche Interessenabwägung erfordert insbesondere die Feststellung der Tatsachen, die zur Festlegung der Baulandwidmung geführt haben (vgl. z.B. die Erkenntnisse vom 19. Dezember 1994, Zl. 94/10/0136, und vom 29. März 1995, Zl. 94/10/0130). Von einem Überwiegen des öffentlichen Interesses an der Rodung einer Waldfläche für Bauzwecke kann nicht die Rede sein, wenn in der Gemeinde eine ausreichende Baulandreserve auf Nichtwaldflächen vorhanden ist, die für eine Verbauung zur Verfügung steht (vgl. z.B. das Erkenntnis vom 18. April 1994, Zl. 94/10/0007). Das Angebot einer Ersatzaufforstung ist für die Prüfung der Berechtigung eines Rodungsantrages nicht wesentlich (vgl. z.B. das Erkenntnis vom 22. März 1993, Zl. 92/10/0358, und die dort zitierte Vorjudikatur).

Weiters ist darauf hinzuweisen, daß die gesetzlich gebotene Bedachtnahme insbesondere auf eine die erforderlichen Wirkungen des Waldes gewährleistende Waldausstattung zwingend Ausführungen über die gegebene Waldausstattung einerseits und über die Wirkungen des Waldes auf der zur Rodung beantragten Fläche in bezug auf diese Fläche und den umgebenden Wald andererseits verlangt, weil erst dadurch die Gewichtung des Interesses an der Walderhaltung auf der betreffenden Fläche ermöglicht wird. Ein Gutachten, das zwar die im Waldentwicklungsplan festgelegte Wertziffer und das "Bewaldungsprozent" nennt, die Wirkungen des Waldes auf der zur Rodung beantragten Fläche aber nicht beschreibt, kann nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes keine taugliche Grundlage für die Interessenabwägung bieten (vgl. z.B. die Erkenntnisse vom 19. Dezember 1994, Zl. 94/10/0136, und vom 29. März 1995, Zl. 94/10/0130).

Schließlich ist im Zusammenhang mit der in der Gegenschrift mitgeteilten Änderung des Sachverhaltes daran zu erinneren, daß diese es neuerlich erforderlich macht, eine fachlich fundierte Äußerung der für die Angelegenheiten der Raumordnung zuständigen Stelle der Gemeindeaufsichtsbehörde oder sonst eine von entsprechendem Fachwissen getragene Stellungnahme einzuholen, die fallbezogen eine verläßliche Beurteilung, ob das betreffende öffentliche Interesse vorliegt, in einer der nachprüfenden Kontrolle zugänglichen Weise ermöglicht (vgl. hiezu z.B. das Erkenntnis vom 30. März 1992, Zl. 91/10/0232).

Im Hinblick auf die Erledigung des Beschwerdeverfahrens erübrigt sich eine gesonderte Entscheidung über den Antrag, der Beschwerde aufschiebende Wirkung zuzuerkennen.

Schlagworte

Anforderung an ein Gutachten Beschwerdepunkt Beschwerdebegehren Entscheidungsrahmen und Überprüfungsrahmen des VwGH Besondere Rechtsgebiete Beweismittel Sachverständigenbeweis Technischer Sachverständiger Beweiswürdigung Sachverhalt angenommener geklärter Sachverhalt Sachverhaltsfeststellung Beweismittel Sachverständigenbeweis Sachverhalt Sachverständiger Gutachten Sachverständiger juristische Person Kammer Beirat

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1996:1995100115.X00

Im RIS seit

20.11.2000
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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