TE Vwgh Erkenntnis 1986/3/19 84/13/0106

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Veröffentlicht am 19.03.1986
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Index

Abgabenverfahren
10/07 Verwaltungsgerichtshof
32/01 Finanzverfahren allgemeines Abgabenrecht

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Mag. Hofstätter und die Hofräte Dr. Iro, Dr. Drexler, Dr. Pokorny und Dr. Fürnsinn als Richter, im Beisein des Schriftführers Oberkommissär Dr. Dorner, über die Beschwerde des A in B, vertreten durch Rechtsanwalt C in D, gegen die Finanzlandesdirektion für Wien, Niederösterreich und Burgenland wegen Verletzung der Entscheidungspflicht über die Berufung des Beschwerdeführers gegen die Bescheide des Finanzamtes für den 1. Bezirk betreffend Umsatzsteuer und Einkommensteuer für 1977 bis 1979, alle vom 11. Jänner 1982,

1. den Beschluß gefaßt:

Der Antrag der belangten Behörde, die Beschwerde zurückzuweisen, wird abgewiesen.

2. Gemäß § 42 Abs. 5 erster Satz VwGG wird zu Recht erkannt:

Spruch

Die Verletzung abgabenrechtlicher Pflichten gemäß §§ 119 und 143 BAO, gelegen in der Nichtvorlage von Urkunden und anderen schriftlichen Unterlagen, die für die Abgabenerhebung von Bedeutung sind, entbindet die belangte Behörde nicht von ihrer Entscheidungspflicht. Sie hat bei Andauern dieser Verletzung von ihrer Berechtigung, die Grundlagen für die Abgabenerhebung gemäß § 184 Abs. 2 BAO zu schätzen, Gebrauch zu machen.

Der belangten Behörde wird aufgetragen, die versäumte Entscheidung binnen acht Wochen unter Zugrundelegung dieser Rechtsansicht nachzuholen.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 4.450,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer ist Hochschullehrer und erzielt neben dieser Tätigkeit Einkünfte aus selbständiger Arbeit als Fachschriftsteller. Im Jahr 1981 fand bei ihm eine abgabenbehördliche Prüfung für den Zeitraum 1977 bis 1979 statt, bei der u.a. bisher nicht erklärte Einnahmen aus der schriftstellerischen Tätigkeit im Ausmaß von insgesamt mehr als S 300.000,-- festgestellt wurden. Überdies schätzte der Prüfer für jedes Jahr weitere Einnahmen in Höhe von S 10.000,-- hinzu.

In seiner Berufung gegen die daraufhin ergangenen Wiederaufnahme- und Sachbescheide bekämpfte der Beschwerdeführer die Prüfungsfeststellungen ihrem ganzen Inhalte nach und führte u.a. aus:

„Schon eine flüchtige Durchsicht des Prüfungsberichtes ergibt aber, daß die Prüfungsergebnisse nachgerade begründungslos sind, und daß es daher nicht nur dem Pflichtigen, sondern auch der kontrollierenden Instanz und schließlich auch dem Verwaltungsgericht anhand der bisherigen Begründung unmöglich wäre, die materielle Richtigkeit der Bescheidinhalte zu überprüfen.“

Mit Berufungsvorentscheidung vom 17. Mai 1983 wies das Finanzamt die Berufung als unbegründet ab. Daraufhin beantragte der Beschwerdeführer innerhalb verlängerter Frist am 1. August 1983, die Berufung der Abgabenbehörde zweiter Instanz zur Entscheidung vorzulegen.

Mit Verfügung vom 30. September 1983 beauftragte die Abgabenbehörde zweiter Instanz das zuständige Finanzamt mit ergänzenden Ermittlungen. Insbesondere sei anhand der Kontoauszüge der vom Beschwerdeführer bei einem inländischen und einem ausländischen Kreditinstitut unterhaltenen Girokonten die Vollständigkeit seiner Einnahmenerfassung zu überprüfen.

Einem entsprechenden Ersuchen des Finanzamtes auf Vorlage dieser Unterlagen ist der Beschwerdeführer trotz monatelanger Urgenzen nicht nachgekommen.

In der am 27. April 1984 eingebrachten Säumnisbeschwerde rügt der Beschwerdeführer, daß die belangte Behörde ihre Entscheidungspflicht verletzt habe.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Die vorliegende Säumnisbeschwerde ist sowohl unter dem Gesichtspunkt des Art. 132 B-VG als auch unter dem des § 27 VwGG zulässig. Die Finanzlandesdirektion für Wien, Niederösterreich und Burgenland hat als oberste Behörde, die im Verwaltungsverfahren im Instanzenzug angerufen werden konnte, über die Berufung des Beschwerdeführers nicht innerhalb der sechsmonatigen Frist des § 27 VwGG entschieden und die versäumte Berufungsentscheidung auch nicht innerhalb der vom Verwaltungsgerichtshof gesetzten achtwöchigen Frist nachgeholt.

Zu 1.: Die belangte Behörde hat in ihrer Gegenschrift beantragt, die vorliegende Beschwerde zurückzuweisen, da sich der Beschwerdeführer dem Bemühen der Behörde, die notwendige Sachverhaltsklärung im Wege einer Ergänzung zur Betriebsprüfung zu erreichen, beharrlich widersetzt und somit die Säumnis selbst herbeigeführt habe.

Diese Rechtsansicht vermag der Verwaltungsgerichtshof nicht zu teilen.

Aus den Bestimmungen des Art. 132 B-VG und § 27 VwGG ergibt sich kein Anhaltspunkt dafür, daß das Recht zur Einbringung einer Säumnisbeschwerde dann nicht besteht, wenn zureichende Gründe für die Nichterledigung des Parteibegehrens innerhalb von sechs Monaten vorliegen. Vielmehr besteht bei Vorliegen der sonstigen gesetzlichen Voraussetzungen ein Rechtsanspruch auf eine sachliche Erledigung einer Säumnisbeschwerde, wenn die im § 27 VwGG enthaltene sechsmonatige Frist verstrichen ist, auch wenn die Nichterledigung des Antrages innerhalb dieser Frist der Behörde nicht als Verschulden angerechnet werden kann (Beschluß vom 30. Mai 1985, Zl. 85/16/0011).

Der Antrag der belangten Behörde auf Zurückweisung der Beschwerde war daher abzuweisen.

 

Zu 2.: Entsprechend der im § 119 BAO normierten Offenlegungs und Wahrheitspflicht sind die Parteien des Abgabenverfahrens gehalten, die für die Abgabenerhebung bedeutsamen Umstände vollständig und wahrheitsgemäß offenzulegen. In Erfüllung ihrer Offenlegungspflicht haben die Abgabenpflichtigen auf Verlangen der Abgabenbehörde gemäß § 138 BAO zur Beseitigung von Zweifeln den Inhalt ihrer Anbringen zu erläutern und zu ergänzen, sowie deren Richtigkeit zu beweisen. Zu dieser Mitwirkungspflicht tritt gemäß § 143 BAO die Auskunftspflicht, derzufolge die Abgabenbehörde zur Erfüllung ihrer Pflichten nach § 114 BAO (dazu gehört auch die Hintanhaltung von Abgabenverkürzungen) berechtigt ist, von jedermann Auskunft über alle für die Erhebung von Abgaben maßgebenden Tatsachen zu verlangen, auch wenn es sich nicht um seine persönliche Abgabepflicht handelt. Diese abgabenrechtlichen Pflichten schließen auch die Verbindlichkeit in sich, für das Abgabenverfahren bedeutsame Urkunden und andere schriftliche Unterlagen vorzulegen oder die Einsichtnahme in diese zu gestatten (§ 138 Abs. 2 BAO, § 143 Abs. 2 BAO). Seine abgabenrechtlichen Pflichten verletzt dementsprechend, wer dem (hinreichend bestimmten und zumutbaren) Verlangen auf Urkundenvorlage keine Folge leistet und sohin an der notwendigen Sachverhaltsermittlung durch die Behörden nicht im gebotenen Maß mitwirkt; dies ungeachtet der amtswegigen Ermittlungspflicht.

Das Ersuchen, Kontoauszüge und Kreditunterlagen vorzulegen, ist durch die erfolgte Bezeichnung der Girokonten und die Benennung der Bankinstitute nicht allgemein gehalten, sondern hinreichend bestimmt, erfüllbar und dem Beschwerdeführer zumutbar. Schon im Hinblick auf die Prüfungsfeststellungen und die eingangs zitierten Berufungsausführungen kann auch die Bedeutsamkeit dieser Unterlagen für die Abgabenbemessung nicht bezweifelt werden. Ihre Nichtvorlage ist aber auch nicht sanktionslos, denn verweigert der Abgabepflichtige weitere Auskünfte über Umstände, die für die Ermittlung der Besteuerungsgrundlagen wesentlich sind, oder vermag er über seine Angaben keine ausreichende Auskunft zu geben, so ist die Abgabenbehörde, zufolge § 279 BAO auch die Rechtsmittelbehörde, verpflichtet, die Grundlagen für die Abgabenerhebung zu schätzen (§ 184 Abs. 2 BAO).

Zwar muß jede Schätzung stets auf das Ziel gerichtet sein, diejenigen Besteuerungsgrundlagen zu ermitteln, die die größte Wahrscheinlichkeit der Richtigkeit für sich haben (Verwaltungsgerichtshof-Erkenntnis vom 22. September 1972, Zl. 575/72); doch wer zur Schätzung begründeten Anlaß gibt, muß eine mit jeder Schätzung verbundene Unsicherheit hinnehmen. Es liegt im Wesen der Schätzung, daß die auf diese Weise ermittelten Größen die tatsächlich erzielten Ergebnisse nur bis zu einem mehr oder weniger großen Genauigkeitsgrad erreichen (Verwaltungsgerichtshof-Erkenntnis vom 19. September 1984, Zl. 84/13/0021).

Der belangten Behörde wird sohin aufgetragen, die versäumten Bescheide binnen acht Wochen unter Zugrundelegung dieser Rechtsansicht nachzuholen.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung des Bundeskanzlers vom 30. Mai 1985, BGBl. Nr. 243. § 55 Abs. 3 VwGG war nicht anzuwenden, weil die Untätigkeit der belangten Behörde auch in der vom Verwaltungsgerichtshof gesetzten achtwöchigen Nachfrist nicht „ausschließlich auf das Verschulden der Partei zurückzuführen war.“

Wien, am 19. März 1986

Schlagworte

Anspruch auf Sachentscheidung Allgemein Binnen 6 Monaten

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1986:1984130106.X00

Im RIS seit

20.10.2022

Zuletzt aktualisiert am

20.10.2022
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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