TE Vwgh Beschluss 2022/5/10 Ra 2020/13/0069

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Veröffentlicht am 10.05.2022
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Index

001 Verwaltungsrecht allgemein
10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG)
32/01 Finanzverfahren allgemeines Abgabenrecht
39/03 Doppelbesteuerung

Norm

BAO §236
B-VG Art7
DBAbk Dänemark 2008 Art18 Abs3
DBAbk Dänemark 2008 Art30 Abs2
DBAbk Dänemark 2008 Art30 Abs3
VwRallg

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Büsser und die Hofräte MMag. Maislinger und Dr. Bodis als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Schramel, über die Revision des Mag. Dr. W in W, vertreten durch die LeitnerLeitner GmbH Wirtschaftsprüfer und Steuerberater in 4040 Linz, Ottensheimer Straße 32, gegen das Erkenntnis des Bundesfinanzgerichts vom 18. Juni 2020, RV/7100326/2020, betreffend Nachsicht von Abgabenschuldigkeiten gemäß § 236 BAO, den Beschluss gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1        Mit Schreiben vom 13. Dezember 2018 beantragte der Revisionswerber die Nachsicht von Einkommensteuer und Anspruchszinsen für die Jahre 2013 bis 2016 in Höhe von insgesamt € 23.302,38. Er sei im Zeitraum 1998 bis 2002 in Dänemark ansässig und für ein dänisches Unternehmen tätig gewesen. Bei der Beendigung seiner Tätigkeit habe er - im Hinblick auf die anschließende Verlegung seines Wohnsitzes nach Österreich - entschieden, sich die ihm zugesagte Betriebspension nicht sofort, sondern erst bei Erreichen des 60. Lebensjahrs auszahlen zu lassen. Ausschlaggebend für diese Entscheidung sei die damalige Regelung des Art. 15 DBA-Dänemark (BGBl. Nr. 126/1962) gewesen, wonach bei Ruhegehältern nur dem Wohnsitzstaat des Beziehers das Besteuerungsrecht zugekommen sei. Im Rahmen der Änderung des DBA-Dänemark im Jahr 2008 (BGBl. III Nr. 41/2008) sei es zu einer Neuregelung der Besteuerung von Ruhegehältern gekommen. Nach dem neu gefassten Art. 18 Abs. 3 DBA-Dänemark - der gemäß Art. 30 Abs. 3 DBA-Dänemark nur für zukünftige Auszahlungen zur Anwendung komme - habe nun Dänemark das Besteuerungsrecht für Ruhegehälter, während Österreich diese Einkünfte gemäß Art. 24 Abs. 2 lit. a und c DBA-Dänemark nur im Rahmen des Progressionsvorbehalts berücksichtigen dürfe. Aufgrund dieser Änderung - sowie der nicht mehr bestehenden Dispositionsmöglichkeit des Revisionswerbers über die Auszahlungsmodalitäten - ergebe sich eine unverhältnismäßig hohe Abgabenbelastung für den Revisionswerber, weil die Pensionseinkünfte sowohl in Dänemark (in Höhe von einmalig 8 % bei Beendigung der Tätigkeit im Jahr 2002 sowie von laufend ca. 52 %) der Besteuerung unterliegen als auch in Österreich im Rahmen des Progressionsvorbehalts berücksichtigt würden. Die Einhebung der fälligen Abgaben sei daher sachlich unbillig.

2        Das Finanzamt wies den Nachsichtsantrag mangels Vorliegens der vorgebrachten sachlichen Unbilligkeit ab. Die vom Revisionswerber dagegen erhobene Beschwerde wies das Finanzamt mit Beschwerdevorentscheidung ab, woraufhin der Revisionswerber deren Vorlage an das Bundesfinanzgericht beantragte.

3        Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das Bundesfinanzgericht die Beschwerde als unbegründet ab und sprach aus, dass eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.

4        Das Bundesfinanzgericht führte zunächst aus, dass die im Nachsichtsantrag angeführten Abgabenschuldigkeiten für das Jahr 2013 (Einkommensteuer und Anspruchszinsen) aufgrund eines erfolgreichen Rechtsmittels nicht mehr bestehen würden, womit eine Nachsicht für diese Abgaben jedenfalls ausscheide. Hinsichtlich der Abgaben für die weiteren Jahre (2014 bis 2016) führte das Bundesfinanzgericht zur - ausschließlich strittigen - Voraussetzung der sachlichen Unbilligkeit im Wesentlichen aus, die in § 3 der Verordnung des Bundesministers für Finanzen betreffend Unbilligkeit der Einhebung im Sinn des § 236 BAO, BGBl. II Nr. 435/2005, beispielhaft aufgezählten Fälle lägen nicht vor. Unbeschadet dieser Bestimmungen werde die Ansicht des Revisionswerbers, wonach es im vorliegenden Einzelfall zu einer anormalen, vom Gesetzgeber offenbar nicht beabsichtigten Belastungswirkung gekommen sei, nicht geteilt. Es liege - entsprechend der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes - eine abgabenrechtliche Auswirkung vor, die ausschließlich Folge eines als generelle Norm mit umfassendem persönlichen Geltungsbereich erlassenen Gesetzes sei, die nicht im Einzelfall als Unbilligkeit gewertet werden könne. Das Vertrauen des Revisionswerbers, dass es zu keinen steuerrechtlichen Änderungen kommen werde, sei nicht durch § 236 BAO geschützt.

5        Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision.

6        Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

7        Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen.

8        Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

9        Zur Begründung der Zulässigkeit der Revision wird im Wesentlichen vorgebracht, es existiere keine Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Rechtsfrage, ob die im Vertrauen auf eine Verteilungsnorm eines DBA getroffene Disposition eine sachliche Unbilligkeit nach § 236 BAO begründe, wenn diese Verteilungsnorm später zu Lasten des Abgabepflichtigen geändert wird. Ferner existiere keine Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Rechtsfrage, ob in den Fortbestand von DBA ein Vertrauensschutz für Abgabepflichtige bestehe. Schließlich weiche das angefochtene Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, weil das Bundesfinanzgericht die Änderung des DBA-Dänemark und die sich daraus ergebenden steuerlichen Auswirkungen als bloße Auswirkung der „allgemeinen Rechtslage“ gewertet und nicht eine sachliche Unbilligkeit gemäß § 236 BAO angenommen habe.

10       Mit diesem Vorbringen wird die Zulässigkeit der Revision nicht aufgezeigt.

11       Gemäß § 236 Abs. 1 BAO können fällige Abgabenschuldigkeiten auf Antrag des Abgabepflichtigen ganz oder zum Teil durch Abschreibung nachgesehen werden, wenn ihre Einhebung nach der Lage des Falles unbillig wäre. Nach § 236 Abs. 2 BAO findet diese Bestimmung auf bereits entrichtete Abgabenschuldigkeiten sinngemäß Anwendung.

12       Die Unbilligkeit im Sinn des § 236 BAO kann persönlicher oder sachlicher Natur sein (§ 1 der zu § 236 BAO ergangenen Verordnung BGBl. II Nr. 435/2005). Im gegenständlichen Revisionsfall steht ausschließlich das Vorliegen sachlicher Unbilligkeit in Streit.

13       Eine sachliche Unbilligkeit ist nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes anzunehmen, wenn im Einzelfall bei Anwendung des Gesetzes aus anderen als aus persönlichen Gründen ein vom Gesetzgeber offenbar nicht beabsichtigtes Ergebnis eintritt, sodass es zu einer anormalen Belastungswirkung und verglichen mit anderen Fällen zu einem atypischen Vermögenseingriff kommt. Der im atypischen Vermögenseingriff gelegene offenbare Widerspruch der Rechtsanwendung zu den vom Gesetzgeber beabsichtigten Ergebnissen muss seine Wurzel in einem außergewöhnlichen Geschehensablauf haben, der auf eine vom Steuerpflichtigen nicht beeinflussbare Weise eine nach dem gewöhnlichen Lauf nicht zu erwartende Abgabenschuld ausgelöst hat, die zudem auch ihrer Höhe nach unproportional zum auslösenden Sachverhalt ist (vgl. VwGH 20.11.2019, Ra 2018/15/0014, mwN).

14       Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes kann eine abgabenrechtliche Auswirkung, die ausschließlich Folge eines als generelle Norm mit umfassendem persönlichen Geltungsbereich erlassenen Gesetzes ist, nicht im Einzelfall als Unbilligkeit gewertet und durch Nachsicht behoben werden. Eine Unbilligkeit, die für alle davon Betroffenen aus dem Gesetz selbst folgt und für deren Hintanhaltung der Gesetzgeber selbst hätte vorsorgen müssen, ist der Beseitigung im Wege des sich an Unbilligkeiten aus der Besonderheit des Einzelfalles orientierten § 236 BAO grundsätzlich entzogen. Eine tatbestandsmäßige Unbilligkeit des Einhebungseinzelfalles ist eben dann nicht gegeben, wenn lediglich eine Auswirkung der allgemeinen Rechtslage vorliegt, durch die alle von dem betreffenden Gesetz erfassten Abgabepflichtigen in gleicher Weise berührt werden (vgl. VwGH 15.9.2016, Ra 2015/15/0076; 23.10.1997, 96/15/0154, mwN).

15       Die mit BGBl. III Nr. 41/2008 eingeführte Bestimmung im Art. 18 Abs. 3 DBA-Dänemark über die Besteuerung u.a. der Ruhegehälter gilt gemäß Art. 30 Abs. 3 DBA-Dänemark nicht für natürliche Personen, die bereits vor Inkrafttreten dieser Änderung (zum Inkrafttreten siehe Art. 30 Abs. 2 DBA-Dänemark) derartige Einkünfte bezogen haben. Demnach gilt sie für natürliche Personen, die ab dem Inkrafttreten der Änderung u.a. Ruhegehälter bezogen haben. Eine darüber hinausgehende Differenzierung, etwa nach dem Zeitraum zwischen Entstehung bzw. Erwerb der Anwartschaft auf ein Ruhegehalt und Beginn der Zahlungen, wird in der Inkrafttretensbestimmung nicht vorgenommen.

16       Damit werden u.a. sämtliche Fälle erfasst, in denen - ähnlich wie beim Revisionswerber - der Erwerb einer Anwartschaft auf ein Ruhegehalt vor Inkrafttreten der neuen DBA-Dänemark erfolgt ist und der Beginn der Zahlungen erst zu einem späteren Zeitpunkt - etwa mit Pensionsantritt - eingesetzt hat. Im Ergebnis werden somit Ruhegehälter, deren Auszahlung ab dem Inkrafttreten der angeführten Änderung beginnt bzw. begonnen hat - ohne, dass es auf weitere Voraussetzungen ankäme - in jenem Vertragsstaat besteuert, aus dem sie zufließen. Entscheidend ist daher ausschließlich der Zeitpunkt des Zufließens. Anders als der Revisionswerber vermeint, können derartige Fälle nicht als atypisch angesehen werden. Gerade bei Ruhegehältern und vergleichbaren Pensionsleistungen werden - wie auch das Bundesfinanzgericht ausführt - derartige Fallkonstellationen häufig anzutreffen sein, etwa wenn der Pensionsantritt nicht unmittelbar der Beendigung einer unselbständigen Tätigkeit folgt.

17       Der Revisionswerber erblickt eine sachliche Unbilligkeit gemäß § 236 BAO darin, dass es bei der Besteuerung seiner dänischen Pension aufgrund der errechneten ausländischen Gesamtsteuerbelastung von rund 60 % zu einer anormalen Belastungswirkung und verglichen mit anderen Fällen zu einem atypischen Vermögenseingriff komme. Die Heranziehung der ausländischen Pensionseinkünfte für Zwecke des Progressionsvorbehalts - und Einhebung der daraus entstehenden Abgabenschuld - obwohl diese in Dänemark der laufenden Besteuerung unterliegen, kann jedoch grundsätzlich keine sachliche Unbilligkeit im Sinne des § 236 BAO begründen, weil das Zusammentreffen der ausländischen Steuerbelastung mit der Wirkung des Progressionsvorbehaltes auf die inländische Steuerlast keine Besonderheit des Einzelfalles darstellt. Vielmehr liegt hier - wie auch das Bundesfinanzgericht zutreffend ausführt - lediglich eine Auswirkung der allgemeinen Rechtslage vor, durch die alle von dem betreffenden Gesetz erfassten Abgabepflichtigen - somit auch der Revisionswerber - in gleicher Weise berührt werden (vgl. VwGH 25.5.2016, 2013/15/0213).

18       Eine sachliche Unbilligkeit der Heranziehung der Pensionseinkünfte für Zwecke des Progressionsvorbehalts kann aber auch nicht dadurch begründet werden, dass der Revisionswerber im Vertrauen auf den unveränderten Fortbestand der Rechtslage bei Beendigung seiner Tätigkeit freiwillig den Entschluss gefasst hat, sich die ihm zustehende Betriebspension nicht sofort, sondern erst mit Erreichen des 60. Lebensjahrs auszahlen zu lassen und aufgrund dieser Disposition über den entstandenen Pensionsanspruch - durch die Einzahlung des Pensionskapitals in eine dänische Pensionskasse - bereits eine Besteuerung in Höhe von 8 % (des Pensionskapitals) erfolgt ist. Da die österreichische Rechtsordnung kein Prinzip eines allgemeinen Vertrauensschutzes in den unveränderten Fortbestand der geltenden Rechtslage kennt, steht es dem Gesetzgeber grundsätzlich frei, die Rechtslage für die Zukunft anders und auch ungünstiger zu gestalten (vgl. VwGH 20.4.2006, 2006/15/0019; 19.12.2002, 2001/15/0093). Aus der Verfassung ist keine allgemeine Garantie dafür abzuleiten, dass sich auf Grund geltender Rechtslage erwartete Vorteile zukünftig auch auf Grund geänderter Rechtslage tatsächlich realisieren (vgl. VfGH 9.10.2017, E 2536/2016, mwN). Das Vertrauen auf den unveränderten Fortbestand der geltenden Rechtslage und auf eine sich daraus ergebende zukünftige günstige Besteuerung begründet somit keine sachliche Unbilligkeit gemäß § 236 BAO.

19       In der Revision werden keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher zurückzuweisen.

Wien, am 10. Mai 2022

Schlagworte

Anzuwendendes Recht Maßgebende Rechtslage VwRallg2

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2022:RA2020130069.L00

Im RIS seit

03.06.2022

Zuletzt aktualisiert am

04.07.2022
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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