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L8000 RaumordnungNorm
B-VG Art144 Abs1 / AnlassfallLeitsatz
Aufhebung der angefochtenen Entscheidung im AnlassfallSpruch
I. Der Beschwerdeführer ist durch das angefochtene Erkenntnis wegen Anwendung einer gesetzwidrigen Verordnung in seinen Rechten verletzt worden.
Das Erkenntnis wird aufgehoben.
II. Das Land Niederösterreich ist schuldig, dem Beschwerdeführer zuhanden seines Rechtsvertreters die mit € 2.856,– bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Entscheidungsgründe
1. Der Beschwerdeführer ist Eigentümer des Grundstückes Nr 1019/55, KG 16121 Perchtoldsdorf, und Nachbar des zu bebauenden Grundstückes der beteiligten Parteien Nr 1019/66, KG 16121 Perchtoldsdorf, das südlich direkt an das Grundstück des Beschwerdeführers angrenzt.
1.1. Am 5. August 2019 wurde von den beteiligten Parteien beim Bürgermeister der Marktgemeinde Perchtoldsdorf der Antrag auf Erteilung einer baubehördlichen Bewilligung zur Errichtung von zwei Wohngebäuden auf ihrem Grundstück gestellt. Das Bauvorhaben umfasst weiters die Errichtung von Nebengebäuden (Garage, Abstellraum und Gerätehütte) und von baulichen Anlagen (Carport, Terrassenüberdachungen sowie straßenseitige Einfriedung). Der Beschwerdeführer hat dagegen am 6. Dezember 2019 Einwendungen erhoben. Es wurde vorgebracht, dass das geplante Hauptgebäude mit lediglich 2,6 m Abstand zur Grundstücksgrenze des Beschwerdeführers errichtet werden solle. Die benachbarten Grundstücke in der Hofmannsthalgasse hätten – im Unterschied zu dem zu bebauenden Grundstück – eine hintere Baufluchtlinie von ca 13 m zur jeweiligen hinteren Grundstücksgrenze.
1.2. Mit Bescheid des Bürgermeisters der Marktgemeinde Perchtoldsdorf vom 23. Jänner 2020 wurde den beteiligten Parteien die begehrte Bewilligung erteilt. Begründet wurde diese Entscheidung im Wesentlichen damit, dass für das Grundstück die hintere Baufluchtlinie im Bereich der hinteren Grundstücksgrenze verlaufe. Diese Baufluchtlinie sei seit der Erlassung des ersten Bebauungsplanes im Jahr 1981 unverändert festgelegt. Die Tatsache, dass auf den seitlich angrenzenden Nachbargrundstücken östlich und westlich die hintere Baufluchtlinie anders festgelegt sei, habe nichts mit dem Grundstück der beteiligten Parteien zu tun.
1.3. Gegen diesen Bescheid des Bürgermeisters der Marktgemeinde Perchtoldsdorf erhob der Beschwerdeführer mit Eingabe vom 6. Februar 2020 Berufung. Auf Grund dieser Berufung wurde das Bauvorhaben abgeändert. Der neue durchschnittliche Grenzabstand zur hinteren Grundstücksgrenze betrug nunmehr 3,63 m. Mit Schreiben vom 28. April 2020 wurde der Beschwerdeführer über die Projektänderungen informiert und ihm Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben. Der Beschwerdeführer brachte am 12. Mai 2020 eine Stellungnahme ein.
1.4. Mit Bescheid des Gemeindevorstandes der Marktgemeinde Perchtoldsdorf vom 10. Juni 2020 wurde in Spruchpunkt I. die Berufung des Beschwerdeführers zurückgewiesen und in Spruchpunkt II. den beteiligten Parteien die beantragte Baubewilligung unter Vorschreibung von Auflagen erteilt.
2. Die dagegen erhobene Beschwerde des Beschwerdeführers wies das Landes-verwaltungsgericht Niederösterreich mit hier angefochtenem Erkenntnis vom 19. November 2020 ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung als unbegründet ab. Begründend führte das Landesverwaltungsgericht Niederösterreich aus, dass nur die Frage der Rechtmäßigkeit der Zurückweisung der Berufung Gegenstand des Erkenntnisses sei. Der Beschwerdeführer habe keine zulässigen Einwendungen im Sinne des Gesetzes (§6 Abs1 und 2 NÖ BO 2014) erhoben, weshalb er seine Parteistellung verloren habe und auf das übrige Beschwerdevorbringen nicht mehr einzugehen sei.
3. Gegen diese Entscheidung richtet sich die vorliegende, auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung in näher bezeichneten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten sowie in Rechten wegen Anwendung rechtswidriger genereller Normen behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Erkenntnisses beantragt wird.
4. Aus Anlass dieser Beschwerde leitete der Verfassungsgerichtshof am 29. September 2021 gemäß Art139 Abs1 Z2 B-VG von Amts wegen ein Verfahren zur Prüfung der Gesetzmäßigkeit der 28. Änderung des Bebauungsplanes und Neugestaltung idF der 9.A Änderung des digitalen Bebauungsplanes der Marktgemeinde Perchtoldsdorf, Gemeinderatsbeschluss vom 25. September 2019, kundgemacht durch Anschlag an der Amtstafel vom 26. September 2019 bis 10. Oktober 2019, ein, soweit dieser für das Grundstück Nr 1019/66, KG 16121 Perchtoldsdorf, die Festsetzung der hinteren Baufluchtlinie vorsieht. Mit Erkenntnis vom 7. März 2022, V260/2021, sprach der Verfassungsgerichtshof aus, dass diese Verordnungsbestimmung gesetzwidrig war.
5. Die – zulässige – Beschwerde ist begründet.
5.1. Das Landesverwaltungsgericht Niederösterreich hat eine gesetzwidrige Verordnungsbestimmung angewendet. Es ist nach Lage des Falles offenkundig, dass ihre Anwendung für die Rechtsstellung des Beschwerdeführers nachteilig war.
5.2. Der Beschwerdeführer wurde also durch das angefochtene Erkenntnis wegen Anwendung einer gesetzwidrigen Verordnung in seinen Rechten verletzt (zB VfSlg 10.303/1984, 10.515/1985).
5.3. Das Erkenntnis ist daher aufzuheben.
5.4. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden. Die Kostenentscheidung beruht auf §88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in Höhe von € 436,– sowie eine Eingabengebühr gemäß §17a VfGG in Höhe von € 240,– enthalten.
5.5. Dem Antrag der beteiligten Partei auf Kostenersatz ist nicht stattzugeben, weil es sich bei dem von ihr eingebrachten Schriftsatz, mit dem sie von der ihr eingeräumten Möglichkeit der Erstattung einer Äußerung Gebrauch gemacht hat, nicht um einen abverlangten Schriftsatz handelt (zB VfSlg 10.957/1986, 13.847/1994, 15.300/1998) und die von ihr erstattete Äußerung nichts zur Rechtsfindung beigetragen hat (zB VfSlg 14.214/1995, 15.916/2000, 18.315/2007, 19.016/2010).
Schlagworte
VfGH / Anlassfall, RaumordnungEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:2022:E4418.2020Zuletzt aktualisiert am
27.04.2022