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L8000 RaumordnungNorm
B-VG Art144 Abs1 / AnlassfallLeitsatz
Aufhebung der angefochtenen Entscheidung im AnlassfallSpruch
I. Der Beschwerdeführer ist durch das angefochtene Erkenntnis wegen Anwendung von gesetzwidrigen Verordnungen in seinen Rechten verletzt worden.
Das Erkenntnis wird aufgehoben.
II. Das Land Oberösterreich ist schuldig, dem Beschwerdeführer zuhanden seines Rechtsvertreters die mit € 2.856,– bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Entscheidungsgründe
1. Die mitbeteiligte Partei des Verfahrens vor dem Landesverwaltungsgericht Oberösterreich ist Eigentümerin der Grundstücke Nr 1284/22, 1284/21, 1284/19 und 1284/18 (alle vormals Teil des Grundstückes Nr 1284/1), alle KG Jeging, die im Flächenwidmungsplan der Gemeinde Jeging als Bauland "Wohngebiet" ausgewiesen sind.
2. Der Beschwerdeführer ist Eigentümer des Grundstückes Nr 1284/13, KG Jeging, das sich östlich des Grundstückes Nr 1284/18, KG Jeging, befindet und von diesem durch eine fünf Meter breite Gemeindestraße getrennt ist.
3. Die mitbeteiligte Partei beantragte im Dezember 2019 die Erteilung einer Bau-bewilligung für den Neubau von acht Reihenhäusern mit Carport und zwei Doppelhäusern mit Carport auf den Grundstücken Nr 1284/22, 1284/21, 1284/19 und 1284/18, alle KG Jeging.
4. Mit Bescheid vom 19. Mai 2020 erteilte der Bürgermeister der Gemeinde Jeging die beantragte Baubewilligung unter Vorschreibung von Auflagen.
5. Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer Beschwerde an das Landesverwaltungsgericht Oberösterreich. Dieses wies die Beschwerde mit Erkenntnis vom 1. Oktober 2020 ab und führte im Wesentlichen aus:
5.1. Der Beschwerdeführer habe die Einwendung erhoben, dass durch die dichte Verbauung der Baugrundstücke und die damit einhergehende Wohnnutzung ein erheblicher Lärm – etwa durch Zu- und Abfahrtsverkehr – zu erwarten sei. Durch die zu erwartenden massiven Lärmimmissionen werde er in seiner Gesundheit erheblich belastet werden. Darüber hinaus habe es die belangte Behörde unterlassen, ein lärmtechnisches Gutachten einzuholen. Weiters sei die Aufschließungsstraße nicht geeignet, den zusätzlichen Verkehr aufzunehmen, wobei ihm durch die beengten Straßenverhältnisse erhebliche Nachteile entstünden. Sowohl der dem Bauvorhaben zugrunde liegende Flächenwidmungs- als auch der Bebauungsplan seien rechtswidrig. Es fehle eine sachliche Begründung für die Umwidmung der vorliegenden Grundstücke von Grünland in Bauland und eine Abstimmung mit der tatsächlich gegebenen Nutzung. Die "flächensparende" Bebauung widerspreche der Zielsetzung einer zweckmäßigen und geordneten Bebauung und dem wirksamen Umweltschutz.
5.2. Der Beschwerdeführer sei Nachbar iSd §31 Abs1 Z1 Oö Bauordnung 1994 (in der Folge: Oö BauO 1994), weshalb ihm Parteistellung im Baubewilligungsverfahren der mitbeteiligten Partei zukomme. Er habe im Baubewilligungsverfahren jedoch keinen Rechtsanspruch darauf, dass sich die Verkehrsverhältnisse auf den öffentlichen Straßen nicht ändern würden. Seine diesbezügliche Einwendung sei daher unzulässig.
5.3. Das projektierte Bauvorhaben stelle seiner Widmung entsprechend darauf ab, Wohngebäude zu errichten, die dem dauernden Wohnbedarf dienen würden. Immissionen, die sich im Rahmen des in der Widmungskategorie üblichen Ausmaß halten würden, seien von den Nachbarn hinzunehmen, sofern dem nicht besondere Umstände entgegenstünden. Solche lägen hier nicht vor.
5.4. Es hätten sich auch keine verfassungsrechtlichen Bedenken hinsichtlich des Flächenwidmungsteiles Nr 3 Änderung Nr 3.13 und des Örtlichen Entwicklungskonzeptteiles Nr 1 Änderung Nr 1.05 der Gemeinde Jeging ergeben, mit dem 2016 auch die Baugrundstücke umgewidmet worden seien. Es erscheine aus raumordnungsrechtlichen Gesichtspunkten nicht bedenklich, dass ein bestehendes Wohngebiet ("Mühlholz Siedlung") in unmittelbarer Nähe zum Ortskern durch neue Bauparzellen erweitert werde. Die Oberösterreichische Landesregierung habe im raumordnungsrechtlichen Verfahren festgehalten, dass durch die Umwidmung der Gemeindehauptstandort gestärkt werde. Der Gemeinderat habe sich im Rahmen des Anhörungsverfahrens mit Stellungnahmen auseinandergesetzt, wobei der Beschwerdeführer selbst keine Stellungnahme abgegeben habe. Die Oberösterreichische Landesregierung habe im Rahmen ihrer aufsichtsbehördlichen Genehmigung zudem bestätigt, dass die Verordnungsprüfung keine Gesetzwidrigkeiten ergeben habe.
5.5. Ebenso wenig hätten sich für das Landesverwaltungsgericht Oberösterreich verfassungsrechtliche Bedenken hinsichtlich der Erlassung des Bebauungsplanes Nr 05 "Mühlholz" ergeben. Die Gründe bzw Interessen zur Erlassung der Bebauungsbeschränkungen für ua die Baugrundstücke seien durch den beigezogenen Ortsplaner raumordnungsfachlich dargestellt worden, und auf dieser Basis sei vom Gemeinderat das Verordnungsverfahren eingeleitet worden. Auf die im Rahmen des Anhörungsverfahrens eingelangten Einwendungen – darunter auch die des Beschwerdeführers – sei vom Ortsplaner und Gemeinderat ausreichend Bedacht genommen worden. Die Verordnungsprüfung der Oberösterreichischen Landesregierung als Aufsichtsbehörde habe keine Gesetzwidrigkeiten ergeben.
6. Aus Anlass der Beschwerde des Beschwerdeführers gegen dieses Erkenntnis leitete der Verfassungsgerichtshof am 6. Dezember 2021 gemäß Art139 Abs1 Z2 B-VG von Amts wegen ein Verfahren zur Prüfung der Gesetzmäßigkeit des Flächenwidmungsteiles Nr 3 Änderung Nr 3.13 und des Örtlichen Entwicklungskonzeptteiles Nr 1 Änderung Nr 1.05, beide beschlossen vom Gemeinderat der Gemeinde Jeging am 12. Februar 2016, aufsichtsbehördlich bewilligt mit Bescheid der Oberösterreichischen Landesregierung am 11. Mai 2016, kundgemacht vom 6. bis 21. Juni 2016, sowie des Bebauungsplanes Nr 05 "Mühlholz", beschlossen vom Gemeinderat der Gemeinde Jeging am 14. Dezember 2018, kundgemacht vom 17. Dezember 2018 bis 2. Jänner 2019, soweit sich diese Verordnungen auf die Grundstücke Nr 1284/22, 1284/21, 1284/19 und 1284/18, alle KG Jeging, beziehen, ein.
7. Mit Erkenntnis vom 15. März 2022, V317/2021, hob der Verfassungsgerichtshof die angefochtenen Verordnungen zur Gänze als gesetzwidrig auf.
8. Die – zulässige – Beschwerde ist begründet.
Das Landesverwaltungsgericht Oberösterreich hat gesetzwidrige Verordnungen angewendet. Es ist nach Lage des Falles offenkundig, dass ihre Anwendung für die Rechtsstellung des Beschwerdeführers nachteilig war. Der Beschwerdeführer wurde sohin durch das angefochtene Erkenntnis wegen Anwendung von gesetzwidrigen Verordnungen in seinen Rechten verletzt (zB VfSlg 10.303/1984, 10.515/1985).
Das Erkenntnis ist daher aufzuheben, ohne dass auf das weitere Beschwerdevorbringen einzugehen ist.
9. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.
10. Die Kostenentscheidung beruht auf §88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in der Höhe von € 436,– sowie eine Eingabengebühr gemäß §17a VfGG in der Höhe von € 240,– enthalten.
Schlagworte
VfGH / Anlassfall, RaumordnungEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:2022:E4240.2020Zuletzt aktualisiert am
26.04.2022