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001 Verwaltungsrecht allgemeinNorm
AVG §47Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Zorn und die Hofräte Mag. Novak und Dr. Sutter sowie die Hofrätinnen Dr.in Lachmayer und Dr.in Wiesinger als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Engenhart, über die Revision des G S in B, vertreten durch Dr. ReinhardArmster, Rechtsanwalt in 2344 Maria Enzersdorf, Franz Josef Straße 42, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 20. August 2020, Zl. W110 2230869-1/7E, betreffend Rundfunkgebühren, Verletzung der Entscheidungspflicht (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: GIS Gebühren Info Service GmbH), zu Recht erkannt:
Spruch
Das Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat der revisionswerbenden Partei Aufwendungen in der Höhe von € 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
1 Der Revisionswerber hatte bei der GIS Gebühren Info Service GmbH (GIS) die Aufhebung von Rückstandsausweisen und die Rückerstattung von 807,75 €, die im Exekutionsweg eingebracht worden seien, begehrt. Am 31. Oktober 2019 brachte er bei der GIS eine Säumnisbeschwerde ein, weil diese Anträge nicht erledigt worden waren. Zur Begründung führte der Revisionswerber aus, die Exekution sei aufgrund eines vollstreckbaren Rückstandsausweises erfolgt. Das Bezirksgericht habe in weiterer Folge die Exekution nach § 45a Exekutionsordnung aufgeschoben. Am 29. April 2019 habe er einen Antrag auf Aufhebung der Rückstandsausweise bei der GIS gestellt. Ebenso habe er am 26. August 2019 einen Antrag auf Rückzahlung des dem Zahlungsverbot des Dienstgebers als Drittschuldner unterliegenden Lohnbestandteils gestellt.
2 Mit Schriftsatz vom 11. Mai 2020 übermittelte der Revisionswerber die Säumnisbeschwerde dem Bundesverwaltungsgericht, weil die GIS nicht auf die Säumnisbeschwerde reagiert hatte. Das Bundesverwaltungsgericht ersuchte die GIS, den Verwaltungsakt zu übermitteln und binnen zwei Wochen zur Frage Stellung zu nehmen, ob Umstände vorlägen, denen zufolge kein überwiegendes Verschulden der Behörde an der behaupteten Säumnis anzunehmen sei.
3 Die GIS replizierte auf dieses Ersuchen ohne Übermittlung des Verwaltungsaktes.
4 Das Bundesverwaltungsgericht entschied über die Säumnisbeschwerde im Hinblick auf den Antrag auf Rückerstattung des Geldbetrags dahingehend, dass sie der GIS gemäß § 28 Abs. 7 VwGVG auftrug, den versäumten Bescheid unter Zugrundelegung der Rechtsanschauung des Bundesverwaltungsgerichts binnen acht Wochen ab Zustellung zu erlassen. Weiters wies es den Antrag auf Aufhebung von Rückstandsausweisen vom 25. April 2019 als unzulässig zurück.
5 Begründend führte es aus, die GIS sei zur Entscheidung über den Antrag auf Rückerstattung eingehobener Gebühren zuständig. Der Äußerung der GIS sei nichts zu entnehmen, das darauf hindeute, dass die Verzögerung der Entscheidung über den Antrag des Revisionswerbers nicht auf ein überwiegendes Verschulden der Behörde zurückzuführen wäre. Im konkreten Fall sei der Sachverhalt nicht abschließend geklärt. Dem Bundesverwaltungsgericht sei zudem auch der Verwaltungsakt, der sich noch bei der GIS befinde, nicht vorgelegt worden. Aus diesem Grund mache das Bundesverwaltungsgericht von der Ermächtigung gemäß § 28 Abs. 7 VwGVG Gebrauch und trage der GIS auf, den versäumten Bescheid innerhalb von acht Wochen unter Zugrundelegung der Rechtsanschauung des Bundesverwaltungsgerichts nachzuholen.
6 Zum Antrag auf Aufhebung des Rückstandsausweises führte das Verwaltungsgericht aus, ein Rückstandsausweis sei kein Bescheid, sondern ein „Auszug aus den Rechnungsbehelfen“, mit dem die Behörde eine - sich bereits aus dem Gesetz oder aus früher erlassenen Bescheiden ergebende - „Zahlungsverbindlichkeit“ bekannt gebe. Die formelle oder materielle Rechtmäßigkeit des Rückstandsausweises sei kein zulässiger Gegenstand eines Bescheides. Würden gegen einen Rückstandsausweis Einwendungen erhoben, so sei über den zum Zeitpunkt der Bescheiderlassung noch offenen Anspruch selbst abzusprechen. Ob die ausgewiesenen Rückstände dem Grunde und der Höhe nach zu Recht bestünden, sei jedoch nicht Gegenstand des vorliegenden Säumnisbeschwerdeverfahrens. Soweit der Revisionswerber von der GIS die Aufhebung eines Rückstandsausweises, wie er in § 6 Abs. 4 RGG geregelt sei, begehre, sei daher der Antrag als unzulässig zurückzuweisen gewesen.
7 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die außerordentliche Revision, die zu ihrer Zulässigkeit ausführt, die Ansicht des Bundesverwaltungsgericht, dass ein Antrag auf Aufhebung von Rückstandsausweisen als unzulässig zurückzuweisen sei, sei unzutreffend und widerspreche näher bezeichneter Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes. Dies gelte auch für die vom Bundesfinanzgericht vorgenommen Zurückverweisung an die belangte Behörde.
8 Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
9 § 6 Abs. 1 RGG lautet:
„Die Wahrnehmung der behördlichen Aufgaben nach § 4 Abs. 1 obliegt der Gesellschaft [GIS Gebühren Info Service GmbH]; gegen von der Gesellschaft erlassene Bescheide ist Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht zulässig. Das AVG ist anzuwenden.“
10 § 6 RGG Abs. 3 und 4 in der Stammfassung BGBl I 1999/159 lauteten auszugsweise:
„(3) Rückständige Gebühren und sonstige damit verbundene Abgaben und Entgelte sind im Verwaltungsweg hereinzubringen; zur Deckung des dadurch entstehenden Aufwandes kann die Gesellschaft einen Säumniszuschlag von 10% des rückständigen Betrages vorschreiben. Die Gesellschaft ist zur Ausstellung von Rückstandsausweisen berechtigt.
(4) Die von der Gesellschaft erlassenen Bescheide sind von den örtlich zuständigen Bezirksverwaltungsbehörden zu vollstrecken.“
11 § 6 Abs. 3 und 4 RGG idF BGBl 2003/71 lauten:
„(3) Rückständige Gebühren und sonstige damit verbundene Abgaben und Entgelte sind im Verwaltungsweg hereinzubringen; zur Deckung des dadurch entstehenden Aufwandes kann die Gesellschaft einen Säumniszuschlag von 10% des rückständigen Betrages vorschreiben. Die Gesellschaft ist zur Ausstellung von Rückstandsausweisen berechtigt.
(4) Auf Grund eines mit der Bestätigung der GIS Gebühren Info Service GmbH, dass er einem die Vollstreckbarkeit hemmenden Rechtszug nicht unterliegt, versehenen Rückstandsausweises oder Gebührenbescheides kann die Gesellschaft die Eintreibung einer Geldleistung unmittelbar beim zuständigen Gericht beantragen.“
12 In den ErlRV zu BGBl 2003/71 (59 BlgNR 22. GP 249) wird zur Novellierung ausgeführt, an Stelle einer Vollstreckung im Wege der Bezirksverwaltungsbehörden soll die GIS ausdrücklich zur politischen Exekution ermächtigt werden.
13 § 7 Abs. 4 EO lautet:
„(4) Ist die Bestätigung der Vollstreckbarkeit für einen der in § 1 Z 13 oder in § 3 Abs. 2 VVG angeführten Exekutionstitel gesetzwidrig oder irrtümlich erteilt worden, so sind Anträge auf Aufhebung der Bestätigung bei jener Stelle anzubringen, von der der Exekutionstitel ausgegangen ist.“
14 § 3 Abs. 2 VVG lautet:
„(2) Der Vollstreckungstitel muss mit einer Bestätigung der Stelle, von der er ausgegangen ist, oder der Vollstreckungsbehörde versehen sein, dass er einem die Vollstreckbarkeit hemmenden Rechtszug nicht mehr unterliegt (Vollstreckbarkeitsbestätigung). Einwendungen gegen den Anspruch im Sinne des § 35 der Exekutionsordnung - EO, RGBl. Nr. 79/1896, sind bei der Stelle zu erheben, von der der Vollstreckungstitel ausgegangen ist.“
15 Ein Rückstandsausweis ist kein Bescheid, sondern eine öffentliche Urkunde (Bescheinigung) über eine gegenüber der zur Ausstellung von Rückstandsausweisen berechtigten Stelle bestehende vollstreckbare Zahlungsverbindlichkeit der darin genannten, zur Zahlung verpflichteten Person (VwGH 13.8.2013, 2011/08/0344; VwGH 24.4.2014, Ro 2014/08/0013). Der Rückstandsausweis ist ein „Auszug aus den Rechnungsbehelfen“, mit dem die Behörde eine vollstreckbare Zahlungsverbindlichkeit bekannt gibt.
16 Da Rückstandsausweise keine Bescheide sind, sind sie als solche nicht rechtsmittelfähig. Sie entfalten ihre Wirkung erst im Vollstreckungsverfahren, welches sodann die Möglichkeit ihrer Überprüfung eröffnet (VwGH 10.6.2002, 2002/17/0063).
17 Im Falle eines gerichtlichen Vollstreckungsverfahrens ergibt sich aus § 7 Abs. 4 EO, dass die gesetzwidrig oder irrtümlich erteilte Bestätigung der Vollstreckbarkeit auf Antrag von der Stelle aufzuheben ist, von der der Exekutionstitel ausgegangen ist.
18 Ein Antrag auf Aufhebung des Rückstandsausweises ist auch als Antrag auf Aufhebung der Vollstreckbarkeitsklausel, die Teil des Rückstandsausweises ist, zu verstehen (§ 7 Abs. 4 EO). In der Bestreitung der Rechtmäßigkeit der Erteilung der Vollstreckbarkeitsbestätigung liegt gleichzeitig die Bestreitung, dass die Ausstellung des Rückstandsausweises über die konkrete, in ihm genannte Summe rechtmäßig ist (VwGH 21.3.2005, 2004/17/0168).
19 Für das verwaltungsbehördliche Vollstreckungsverfahren gilt, dass Einwendungen gegen einen Rückstandsausweis als Einwendungen iSd § 3 Abs. 2 VVG zu verstehen sind. Dabei können Einwendungen im Zusammenhang mit Rückstandsausweisen sowohl auf Umstände gestützt werden, die schon vor der Entstehung des Rückstandsausweises entstanden waren, wenn der Verpflichtete nicht die Möglichkeit hatte, diese Tatsachen in einem die Entstehung des Titels vorangegangenen Verfahren geltend zu machen, aber auch darauf, dass den Anspruch hemmende oder aufhebende Tatsachen erst nach Erlassung des Titels eingetreten sind (VwGH 15.5.2013, 2012/08/0020 und VwGH 24.4.2014, Ro 2014/08/0013; Exekutionstitel iSd § 35 EO iVm § 3 Abs. 2 VVG ist im gegebenen Zusammenhang der Rückstandsausweis, siehe hiezu VwGH 21.3.2005, 2004/17/0168).
20 Da mit einem Rückstandsausweis zu einem bestimmten Zeitpunkt offene vollstreckbare Zahlungsverbindlichkeiten ausgewiesen werden, ist aufgrund von Einwendungen gegen den Rückstandsausweis im Allgemeinen ein „Abrechnungsbescheid“ in Bezug auf derartige Verbindlichkeiten zu erlassen (VwGH 24.4.2014, Ro 2014/08/0013).
21 Zur Entscheidung über die in Rede stehenden Einwendungen gegen den Rückstandsausweis iSd § 6 Abs. 3 RGG ist in jedem Fall (in erster Instanz) die Stelle zuständig, von welcher der Rückstandsausweis als Vollstreckungstitel ausgegangen ist (VwGH 21.3.2005, 2004/17/0168; 22.2.2006, 2003/09/0111).
22 Im gegenständlichen Fall ist der Antrag des Revisionswerbers auf „Aufhebung der Rückstandsausweise“ dahingehend zu verstehen, dass er Einwendungen gegen die Rückstandsausweise erhoben hat, über die die GIS zu entscheiden gehabt hätte. Da die GIS dies unterlassen hat, konnte der Revisionswerber nach Ablauf der Entscheidungsfrist eine Säumnisbeschwerde erheben. Die Zurückweisung des Antrags als unzulässig durch das Bundesverwaltungsgericht erweist sich daher als inhaltlich rechtswidrig.
23 § 28 Abs. 7 VwGVG lautet:
„(7) Im Verfahren über Beschwerden wegen Verletzung der Entscheidungspflicht gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 3 B-VG kann das Verwaltungsgericht sein Erkenntnis vorerst auf die Entscheidung einzelner maßgeblicher Rechtsfragen beschränken und der Behörde auftragen, den versäumten Bescheid unter Zugrundelegung der hiermit festgelegten Rechtsanschauung binnen bestimmter, acht Wochen nicht übersteigender Frist zu erlassen. Kommt die Behörde dem Auftrag nicht nach, so entscheidet das Verwaltungsgericht über die Beschwerde durch Erkenntnis in der Sache selbst, wobei es auch das sonst der Behörde zustehende Ermessen handhabt.“
24 § 28 Abs. 7 VwGVG stellt es im Säumnisbeschwerdeverfahren ins Ermessen des Verwaltungsgerichts, entweder in der Sache selbst zu entscheiden oder sich auf die Entscheidung einzelner maßgeblicher Rechtsfragen zu beschränken und gleichzeitig das Verfahren an die Behörde mit dem Auftrag zurückzuverweisen, den ausstehenden Bescheid unter Bindung an die Rechtsansicht des Verwaltungsgerichts innerhalb einer Frist von höchstens acht Wochen nachzuholen (vgl. VwGH 7.12.2016, Ra 2016/22/0072). Auch wenn das Gesetz nicht explizit Determinanten für die Ausübung dieses Ermessens nennt, ist davon auszugehen, dass das Verwaltungsgericht bei seiner Entscheidung in erster Linie die Grundsätze der Verfahrensökonomie zu beachten hat. Aus verfahrensökonomischer Sicht wird die Erlassung eines „Teilerkenntnisses“ vor allem dann in Betracht kommen, wenn neben der Lösung der maßgeblichen Rechtsfragen auch noch der Sachverhalt weiter klärungsbedürftig ist (vgl. VwGH 4.7.2016, Ra 2014/04/0015).
25 Nach § 28 Abs. 7 VwGVG kann das Verwaltungsgericht somit im Falle einer zulässigen Säumnisbeschwerde die Zuständigkeit in der Angelegenheit unter den näher bestimmten Voraussetzungen wieder auf die Behörde übertragen. Eine maßgebliche Voraussetzung für eine solche Entscheidung („Teilerkenntniss“) besteht darin, dass das Verwaltungsgericht darin über einzelne maßgebliche Rechtsfragen der Angelegenheit entscheidet. Diese Entscheidung hat im Spruch des Erkenntnisses des Verwaltungsgerichts zu erfolgen (vgl. VwGH 17.2.2021, Ra 2020/13/0088; VwGH 28.5.2019, Ra 2018/22/0060; VwGH 15.3.2016, Ra 2015/01/0208).
26 Im gegenständlichen Fall wollte das Verwaltungsgericht zwar in Anwendung des § 28 Abs. 7 VwGVG der Behörde mittels eines „Teilerkenntnisses“ vor auftragen, den versäumten Bescheid binnen einer konkret bestimmten Frist (von acht Wochen) zu erlassen. Eine solche Vorgangsweise ist aber nur zulässig, wenn das Verwaltungsgericht im Spruch seiner Entscheidung die Entscheidung über maßgebliche Rechtsfragen der Angelegenheit trifft. Der Spruch des angefochtenen Erkenntnisses enthält eine Entscheidung über maßgebliche Rechtsfragen nicht. In Verkennung der Rechtslage hat das Verwaltungsgericht eine solche Entscheidung unterlassen.
27 Das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.
28 Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.
Wien, am 10. März 2022
Schlagworte
Bescheidbegriff Mangelnder Bescheidcharakter Ermessen VwRallg8European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2022:RA2020150103.L00Im RIS seit
20.04.2022Zuletzt aktualisiert am
21.04.2022