TE Vwgh Beschluss 2022/3/9 Ra 2021/19/0461

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Veröffentlicht am 09.03.2022
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Index

10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG)
10/07 Verwaltungsgerichtshof
19/05 Menschenrechte
41/02 Asylrecht
41/02 Passrecht Fremdenrecht

Norm

AsylG 2005 §7 Abs1 Z1
BFA-VG 2014 §9
B-VG Art133 Abs4
MRK Art8
VwGG §28 Abs3
VwGG §34 Abs1

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Büsser sowie den Hofrat Dr. Faber und die Hofrätin Dr. Funk-Leisch als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Seiler, über die Revision des J B (ehemals R Z alias J Z alias R Z alias R Z alias R Z), geboren am 24. August 1977, vertreten durch Mag. Hubert Wagner, Rechtsanwalt in 1130 Wien, Wattmanngasse 8/6, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 2. November 2021, W103 1414347-3/49E, betreffend Angelegenheiten nach dem AsylG 2005 und dem FPG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1        Der Revisionswerber ist Staatsangehöriger der Russischen Föderation und Angehöriger der Volksgruppe der Tschetschenen. Er stellte gemeinsam mit seiner damaligen Ehefrau und seiner minderjährigen Tochter am 23. April 2004 einen Antrag auf internationalen Schutz. Mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 9. Februar 2005 wurde dem Revisionswerber und seiner Familie der Status der Asylberechtigten zuerkannt.

2        In den Jahren 2006 bis 2020 wurde der Revisionswerber insgesamt elfmal strafgerichtlich wegen Suchtmitteldelikten, Delikten gegen Leib und Leben und gegen fremdes Eigentum verurteilt, wobei eine Verurteilung wegen unerlaubtem Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in Deutschland erfolgte.

3        Mit Bescheid vom 15. Oktober 2018 erkannte das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) dem Revisionswerber den Status des Asylberechtigten gemäß § 7 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 ab, stellte fest, dass ihm keine Flüchtlingseigenschaft mehr zukomme (Spruchpunkt I.), erkannte ihm den Status des subsidiär Schutzberechtigten nicht zu (Spruchpunkt II.), erteilte ihm keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005 (Spruchpunkt III.), erließ gegen ihn eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 3 FPG (Spruchpunkt IV.), stellte fest, dass seine Abschiebung in die Russische Föderation zulässig sei (Spruchpunkt V.), erließ gegen den Revisionswerber ein auf die Dauer von 10 Jahren befristetes Einreiseverbot (Spruchpunkt VI.) und legte eine Frist für die freiwillige Ausreise fest (Spruchpunkt VII.).

4        Die vom Revisionswerber dagegen erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung mit Erkenntnis vom 1. Februar 2019 als unbegründet ab und sprach aus, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.

5        Gegen dieses Erkenntnis erhob der Revisionswerber außerordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof.

6        Mit Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 25. Mai 2020, Ra 2019/19/0116, wurde das Erkenntnis des BVwG vom 1. Februar 2019 wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

7        Mit dem in der Folge erlassenen Beschluss vom 9. November 2020 behob das BVwG ohne Durchführung einer Verhandlung den Bescheid des BFA vom 15. Oktober 2018, verwies die Angelegenheit gemäß § 28 Abs. 3 VwGVG an die Behörde zurück und sprach aus, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.

8        Gegen diesen Beschluss erhob das BFA außerordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof.

9        Mit Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 28. April 2021, Ra 2020/14/0535, wurde der Beschluss des BVwG vom 9. November 2020 wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben. Begründend führte der Verwaltungsgerichtshof aus, mit Erkenntnis vom 25. Mai 2020, Ra 2019/19/0116, sei der Revision des Revisionswerbers gegen das Erkenntnis des BVwG vom 1. Februar 2019 stattgegeben worden, weshalb das BVwG in der Folge gemäß § 7 Abs. 2 BFA-VG verpflichtet gewesen sei, in der Sache selbst zu entscheiden.

10       Mit dem im fortgesetzten Verfahren erlassenen und nunmehr angefochtenen Erkenntnis wies das BVwG die Beschwerde des Revisionswerbers nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung als unbegründet ab und sprach aus, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.

11       Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

12       Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen.

13       Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

14       Soweit die Revision zur Begründung ihrer Zulässigkeit zunächst vorbringt, der Antrag des Revisionswerbers nach § 3 Abs. 1 AsylG 2005 sei berechtigt und es sei zu keiner Prüfung der Gründe gekommen, aus denen bei einer Rückkehr nach Tschetschenien von einer gegen den Revisionswerber gerichteten Bedrohung auszugehen sei, geht sie ins Leere, weil das BVwG über die Beschwerde des Revisionswerbers gegen die Aberkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 7 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 (und nicht über einen Antrag auf internationalen Schutz) abzusprechen hatte.

15       Die Revision wendet sich zur Begründung ihrer Zulässigkeit des Weiteren gegen die Beurteilung des BVwG betreffend die Nichtzuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten. Das BVwG habe (aus dem Bescheid des BFA) die unrichtigen Feststellungen übernommen, dass es für den Revisionswerber keine Auswirkungen habe, in die Russische Föderation zurückzukehren, und er dort einen ausreichenden Lebensunterhalt erwirtschaften könne. Außerdem sei ein aktueller Länderbericht über schwere Menschenrechtsverletzungen in Tschtschenien vom BVwG nicht berücksichtigt worden.

16       Soweit die Revision mit diesem Vorbringen Ermittlungs- und Feststellungsmängel behauptet, ist darauf hinzuweisen, dass nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes dann, wenn Verfahrensmängel als Zulassungsgründe ins Treffen geführt werden, die Relevanz dieser Verfahrensmängel, weshalb also bei deren Vermeidung in der Sache ein anderes, für den Revisionswerber günstigeres Ergebnis hätte erzielt werden können, dargetan werden muss. Dies setzt voraus, dass - zumindest auf das Wesentliche zusammengefasst - jene Tatsachen dargestellt werden, die sich bei Vermeidung des Verfahrensfehlers als erwiesen ergeben hätten (vgl. VwGH 25.1.2022, Ra 2021/19/0343, mwN). Eine solche Relevanzdarlegung ist der Revision nicht zu entnehmen.

17       Schließlich wendet sich die Revision in der Zulässigkeitsbegründung gegen die im Rahmen der Erlassung einer Rückkehrentscheidung erfolgte Interessenabwägung nach § 9 BFA-VG und bringt dazu zusammengefasst vor, dass der Revisionswerber Deutsch auf einem muttersprachlichen Niveau erlernt habe und Mitglied in verschiedenen Vereinen sei. Es bestehe eine umfangreiche Integration in Österreich und sein aufrechtes und intaktes Familienleben (mit seinen fünf minderjährigen Kindern) im Bundesgebiet habe über einen sehr langen Zeitraum Bestand.

18       Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes stellt die bei der Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme unter Bedachtnahme auf die jeweiligen Umstände des Einzelfalls in Form einer Gesamtbetrachtung vorgenommene Interessenabwägung im Allgemeinen - wenn sie auf einer verfahrensrechtlich einwandfreien Grundlage erfolgte und in vertretbarer Weise im Rahmen der von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze vorgenommen wurde - keine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung dar. Das gilt sinngemäß auch für die einzelfallbezogene Erstellung einer Gefährdungsprognose und auch für die Bemessung der Dauer eines Einreiseverbots (vgl. VwGH 20.11.2020, Ra 2020/19/0032).

19       Ebenso entspricht es der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, dass eine Trennung von einem in Österreich dauerhaft niedergelassenen Ehepartner oder von in Österreich asylberechtigten Familienangehörigen gerechtfertigt ist, wenn dem öffentlichen Interesse an der Vornahme einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme insgesamt ein sehr großes Gewicht beizumessen ist, wie etwa bei Straffälligkeit (vgl. VwGH 6.9.2021, Ra 2021/19/0159, mwN).

20       Zur Beurteilung dieses öffentlichen Interesses bedarf es einer einzelfallbezogenen Einschätzung der vom Fremden auf Grund seiner Straffälligkeit ausgehenden Gefährdung, wozu es näherer Feststellungen über die Art und Schwere der zu Grunde liegenden Straftaten und das sich daraus ergebende Persönlichkeitsbild bedarf (vgl. erneut VwGH Ra 2021/19/0159, mwN).

21       Das BVwG berücksichtigte im Rahmen der Interessenabwägung nach Art. 8 EMRK die maßgeblichen Umstände - insbesondere den zumindest über 16 Jahre dauernden rechtmäßigen Aufenthalt des Revisionswerbers, die für diesen langen Zeitraum mangelnden integrationsbegründenden Schritte, insbesondere die fehlende berufliche Integration und die wiederholte Straffälligkeit - und kam zum Ergebnis, dass die öffentlichen Interessen an der Aufenthaltsbeendigung überwiegen würden. Das BVwG ging auch davon aus, dass die Trennung des Revisionswerbers von seinen Kindern, mit denen er nicht mehr in einem gemeinsamen Haushalt lebe und zu denen der persönliche Kontakt bereits mehrfach, bedingt durch die langjährigen Haftaufenthalte des Revisionswerbers eingeschränkt gewesen sei, insbesondere aufgrund der massiven Straffälligkeit des Revisionswerbers gerechtfertigt sei. Dabei berücksichtigte das BVwG, dass der Revisionswerber die Mutter seiner Kinder im Vorfeld der Trennung regelmäßig körperlich misshandelt habe, um diese zur Herausgabe der Familienbeihilfe zu nötigen. Der Revisionswerber habe durch die wiederholte vorsätzliche Begehung von mit teils mehrjährigen Haftstrafen bedrohten Strafdelikten eine Trennung von seinen Familienangehörigen in Kauf genommen.

22       Der Revision vermag mit ihrem vage gehaltenen Vorbringen nicht aufzuzeigen, dass die vom BVwG im Einzelfall vorgenommene Gewichtung der festgestellten Umstände, im Besonderen vor dem Hintergrund der massiven Straffälligkeit des Revisionswerbers, selbst unter Bedachtnahme auf den langen rechtmäßigen Aufenthalt im Bundesgebiet, unvertretbar wäre (vgl. etwa auch VwGH 23.11.2021, Ra 2021/20/0379, mwN).

23       In der Revision werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher ohne weiteres Verfahren gemäß § 34 Abs. 1 VwGG zurückzuweisen.

Wien, am 9. März 2022

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2022:RA2021190461.L00

Im RIS seit

04.04.2022

Zuletzt aktualisiert am

11.04.2022
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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