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10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG)Norm
BFA-VG 2014 §9Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Sulzbacher und den Hofrat Dr. Pfiel als Richter sowie die Hofrätin Dr. Julcher als Richterin, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Eraslan, über die Revision des D L, vertreten durch Rast & Musliu, Rechtsanwälte in 1080 Wien, Alser Straße 23/14, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 17. August 2021, W251 2243540-1/12E, betreffend Erlassung einer Rückkehrentscheidung samt Nebenaussprüchen und eines unbefristeten Einreiseverbotes (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl),
Spruch
1. zu Recht erkannt:
Das angefochtene Erkenntnis wird insoweit, als damit die gegen den zugrunde liegenden Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 12. Mai 2021 erhobene Beschwerde auch hinsichtlich Spruchpunkt V. dieses Bescheides (Verhängung eines unbefristeten Einreiseverbotes) abgewiesen wurde, wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von € 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
2. den Beschluss gefasst:
Im Übrigen wird die Revision zurückgewiesen.
Begründung
1 Der Revisionswerber, ein serbischer Staatsangehöriger, wurde im Juli 1987 in Österreich geboren und hält sich seither im Wesentlichen hier auf. Er war zuletzt im Besitz eines bis zum 20. November 2020 gültigen Aufenthaltstitels „Rot-weiß-Rot - Karte plus“, wozu er am 2. November 2020, also rechtzeitig, einen Verlängerungsantrag stellte.
2 Der Revisionswerber war wegen verschiedener zwischen September 2003 und Dezember 2010 begangener Delikte, unter anderem wegen mehrfacher Diebstähle, teilweise auch durch Einbruch, versuchten Widerstands gegen die Staatsgewalt und schwerer Körperverletzung, gefährlicher Drohungen und weiterer Körperverletzungen, wiederholt rechtskräftig zu bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafen und zuletzt zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von sechs Monaten verurteilt worden.
3 Mit rechtskräftigem Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 10. Oktober 2012 wurde der Revisionswerber dann wegen des Verbrechens des schweren Raubes nach § 142 Abs. 1 und § 143 erster Satz, zweiter Fall StGB sowie des Vergehens nach § 50 Abs. 1 Z 3 Waffengesetz zu einer Freiheitsstrafe von sieben Jahren verurteilt. Zugleich erfolgte ein Widerruf mehrerer ihm davor gewährter bedingter Strafnachsichten. Dem Revisionswerber wurde zur Last gelegt, am 24. August 2012 einer anderen Person nach Bedrohung mit einem Butterfly-Messer, also einer Waffe, deren Besitz ihm zudem gemäß § 12 Waffengesetz verboten war, deren Mobiltelefon entrissen und sich zugeeignet zu haben. Infolge einer Stichbewegung mit dem Messer habe das Opfer im Zuge des genannten Angriffs eine drei bis sechs Zentimeter lange Wunde im Bereich der linken Schulter davongetragen.
4 Mit rechtskräftigem Urteil des Landesgerichtes Krems an der Donau vom 6. November 2017 wurde der Revisionswerber schließlich wegen einer am 23. Dezember 2016 während seiner Anhaltung in Strafhaft erfolgten Verletzung eines anderen Strafgefangenen, indem er auf dessen Rücken mit einem Sessel einschlug, ihn würgte und mit einer Schere auf dessen Unterarm einstach, wodurch der Genannte zwei Stichwunden sowie mehrfache Abschürfungen und Prellungen erlitt, gemäß § 83 Abs. 1 StGB zu einer Freiheitsstrafe von sechs Monaten verurteilt.
5 Der Revisionswerber wurde (unter Anrechnung von Vorhaften) nach vollständiger Strafverbüßung am 5. Jänner 2021 aus der Strafhaft entlassen.
6 Mit Bescheid vom 12. Mai 2021 erließ das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) gegen den Revisionswerber mit Bezug auf die erwähnten Straftaten und die deshalb erfolgten strafgerichtlichen Verurteilungen gemäß § 52 Abs. 4 FPG iVm § 9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt I.) und stellte gemäß § 52 Abs. 9 FPG fest, dass seine Abschiebung gemäß § 46 FPG nach (gemeint: Serbien) zulässig sei (Spruchpunkt II.). Es erkannte einer Beschwerde gegen die Rückkehrentscheidung gemäß § 18 Abs. 2 Z 1 BFA-VG die aufschiebende Wirkung ab und gewährte somit nach § 55 Abs. 4 FPG keine Frist für die freiwillige Ausreise (Spruchpunkte III. und IV.). Gemäß § 53 Abs. 1 iVm Abs. 3 Z 5 FPG erließ das BFA überdies gegen den Revisionswerber ein unbefristetes Einreiseverbot (Spruchpunkt V.).
7 Mit dem angefochtenen, nach mündlicher Verhandlung erlassenen Erkenntnis vom 17. August 2021 wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) eine dagegen erhobene Beschwerde als unbegründet ab. Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG sprach das BVwG aus, dass die Revision nach Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.
8 Das BVwG hielt fest, der Revisionswerber habe in Österreich die Volksschule, Hauptschule und einen polytechnischen Lehrgang besucht. Er verfüge über eine abgeschlossene Lehre als Bäcker und als Schlosser. Vom Juli bis September 2011 habe er bei einer Reinigungsfirma gearbeitet, danach (bis zu seiner Verhaftung im August 2012) Arbeitslosengeld und Notstandshilfe bezogen. Er sei ledig, habe einen (im April 2010 geborenen, serbischen) Sohn, der bei seiner Mutter lebe, die das alleinige Sorgerecht habe. Der Revisionswerber habe kein Kontaktrecht zu seinem Sohn, den er - nach näher dargestellten, zum Teil tätlichen Auseinandersetzungen mit dessen Mutter - seit 2018 nicht mehr gesehen habe.
Der Revisionswerber lebe (nach der Haftentlassung im Jänner 2021) wieder mit seinen Eltern im gemeinsamen Haushalt; daneben hielten sich zwei Geschwister und entfernte Verwandte in Österreich auf. Er beherrsche die serbische Sprache fließend und spreche auch Deutsch und Englisch. Er weise keine schwerwiegenden Krankheiten auf und sei arbeitsfähig. Mit der Möglichkeit einer Reintegration in Serbien sei, wie das BVwG vor allem unter Bezugnahme auf die Feststellung des Vorliegens einer Wohnmöglichkeit im Haus seines Vaters und der möglichen Hilfestellung durch in der Nähe lebende Verwandte, die ihn bei der Deckung seiner notwendigen Lebensbedürfnisse und der Vermittlung einer Erwerbstätigkeit unterstützen könnten, näher darlegte, zu rechnen.
9 Rechtlich verwies das BVwG im Rahmen seiner Interessenabwägung auf die wiederholte, während offener Probezeit und sogar während der Anhaltung in Strafhaft erfolgte Straffälligkeit, welche die privaten und familiären Interessen des Revisionswerbers massiv schmälere. Angesichts der sich seit Jahren aufbauenden kriminellen Energie, wiederholter Gewaltausübung, einschlägiger Rückfälle, fehlender Reumütigkeit und Verantwortungsübernahme sowie der erst kurzen Zeit eines Wohlverhaltens in Freiheit nach dem Strafvollzug könne keine günstige Zukunftsprognose erstellt werden. Die öffentlichen Interessen an der Aufenthaltsbeendigung überwögen somit die privaten und familiären Interessen des Revisionswerbers an einem Verbleib in Österreich. Die Erlassung einer Rückkehrentscheidung und eines unbefristeten Einreiseverbotes sei daher angemessen und geboten.
10 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Durchführung des Vorverfahrens, in dessen Rahmen keine Revisionsbeantwortung erstattet wurde, erwogen hat:
11 Die Revision erweist sich - entgegen dem gemäß § 34 Abs. 1a erster Satz VwGG nicht bindenden Ausspruch des BVwG - aus nachstehenden Gründen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG teilweise als zulässig und insoweit auch als berechtigt.
12 Zunächst ist dem Revisionsvorbringen zur (angeblich) fehlenden Berücksichtigung des Gesamtverhaltens bei der Gefährdungsprognose zu erwidern, dass in der Revision keine maßgeblichen (fehlenden) Feststellungen aufgezeigt werden, welche die unbestritten gebliebene Delinquenz des Revisionswerbers in einem milderen Licht erscheinen ließen.
13 Aufgrund der Begehung eines schweren Raubes, der mit siebenjähriger unbedingter Freiheitsstrafe samt Widerruf der davor - zum Teil nach der Begehung von Gewaltdelikten - gewährten bedingten Strafnachsichten sanktioniert wurde, wegen des einschlägigen Rückfalls noch in der Strafhaft und der Ablehnung einer bedingten Entlassung aus dem Strafvollzug kann es keinem Zweifel unterliegen, dass gegenständlich ein Fall besonders gravierender bzw. schwerer Straffälligkeit vorliegt. Es ist daher insgesamt von der Begehung besonders verwerflicher Straftaten und einer daraus abzuleitenden spezifischen Gefährdung maßgeblicher öffentlicher Interessen auszugehen, sodass auch eine Berücksichtigung des Umstands, dass der Revisionswerber iSd § 9 Abs. 4 Z 2 BFA-VG idF vor dem FrÄG 2018 „von klein auf im Inland aufgewachsen und hier langjährig rechtmäßig niedergelassen“ war, im Rahmen der Interessenabwägung nach § 9 BFA-VG nicht zur Unzulässigkeit eines Einreiseverbotes führt (vgl. dazu etwa VwGH 7.10.2021, Ra 2021/21/0272, Rn. 10, mwN, und zuletzt, auch unter Bezugnahme auf entsprechende Judikatur des EGMR, VwGH 14.2.2022, Ra 2020/21/0200, Rn. 11).
14 Dazu kommt, dass der im Rahmen der Sachverhaltsdarstellung in der Revision behauptete Erfolg von im Lauf des langjährigen Gefängnisaufenthalts absolvierten Therapien zur Bekämpfung der Suchtgiftabhängigkeit und einer Antiaggressionstherapie erst durch ein entsprechendes Wohlverhalten in Freiheit für die Annahme einer maßgeblichen Gefährdungsminderung unter Beweis zu stellen wäre (siehe dazu etwa VwGH 7.10.2021, Ra 2021/21/0289, Rn. 12, mwN).
15 Unter weiterer Bedachtnahme auf die fehlenden Kontakte zu seinem Sohn und die durch das erwachsene Lebensalter sowie die lange Dauer der Strafhaft des Revisionswerbers relativierte Beziehung zu seinen Eltern und Geschwistern erweist sich die nach mündlicher Verhandlung vorgenommene Interessenabwägung des BVwG auch sonst als vertretbar begründet (siehe dazu, dass insoweit für die Zulässigkeit einer Revision unter dem Gesichtspunkt des Art. 133 Abs. 4 B-VG das Vertretbarkeitskalkül maßgeblich ist, etwa VwGH 7.10.2021, Ra 2020/21/0192, Rn. 17 am Ende, mwN).
Dabei wurden die in der Revision ins Treffen geführten Umstände, insbesondere die Geburt des Revisionswerbers und sein Aufwachsen in Österreich, die teilweise Berufstätigkeit und die Bindungen zu seinen hier lebenden Angehörigen, vom BVwG ohnehin ausreichend berücksichtigt.
16 Bei der Festsetzung der in der Revision schließlich noch angesprochenen Dauer des Einreiseverbotes ist immer eine Einzelfallprüfung vorzunehmen, bei der nicht nur auf das bisherige Verhalten des Drittstaatsangehörigen und das deshalb prognostizierte Vorliegen der von ihm ausgehenden Gefährdung, sondern auch auf seine privaten und familiären Interessen Bedacht zu nehmen ist. Vor diesem Hintergrund erweist sich die Revision, soweit sie auch die unbefristete Dauer des Einreiseverbotes bekämpft, im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG wegen Abweichens von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes als zulässig und als berechtigt.
17 Das BVwG hat nämlich aus den privaten und familiären Interessen des Revisionswerbers keine ersichtlichen Schlussfolgerungen in Bezug auf die Dauer des über ihn verhängten Einreiseverbotes gezogen. Es ließ also insbesondere, erkennbar in Verkennung der Rechtslage, offen, warum ungeachtet der Geburt des Revisionswerbers und seines mittlerweile rund 34-jährigen Aufenthalts in Österreich sowie des Maßes der dabei erreichten sprachlichen, familiären und zum Teil auch beruflichen Integration ein grundsätzlich auf Lebenszeit angelegtes Fernbleiben vom Bundesgebiet - selbst etwa nach einem allfälligen langjährigen Wohlverhalten und einer daraus zu erschließenden Abnahme des von ihm ausgehenden Gefährdungspotentials - gerechtfertigt ist (vgl. dazu etwa VwGH 30.4.2020, Ra 2019/21/0244, Rn. 24/25, mit dem Hinweis auf VwGH 4.4.2019, Ra 2019/21/0009, Rn. 35 bis 37, und daran anknüpfend VwGH 6.4.2021, Ra 2020/21/0453, Rn. 18/19).
18 In Bezug auf die Verhängung eines unbefristeten Einreiseverbotes ist das angefochtene Erkenntnis daher mit Rechtswidrigkeit seines Inhaltes behaftet, weshalb es insoweit in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Dreiersenat gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben war.
19 Im Übrigen war die Revision mangels Vorliegens einer grundsätzlichen Rechtsfrage im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG gemäß § 34 Abs. 1 und 3 VwGG mit Beschluss zurückzuweisen.
20 Von der Durchführung der in der Revision beantragten mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgerichtshof konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 1, 4 und 5 VwGG abgesehen werden.
21 Der Kostenzuspruch gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG, insbesondere auf § 50 VwGG, iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.
Wien, am 22. Februar 2022
Schlagworte
Besondere RechtsgebieteEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2022:RA2021210302.L00Im RIS seit
31.03.2022Zuletzt aktualisiert am
12.04.2022