TE Vwgh Erkenntnis 2022/2/17 Ra 2020/18/0178

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Veröffentlicht am 17.02.2022
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Index

19/05 Menschenrechte
41/02 Asylrecht
41/02 Passrecht Fremdenrecht

Norm

AsylG 2005 §7
BFA-VG 2014 §9 Abs1
FrPolG 2005 §52 Abs2 Z3
FrPolG 2005 §52 Abs5
FrPolG 2005 §53 Abs3
FrPolG 2005 §53 Abs3 Z1
MRK Art8

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Dr.in Sporrer als Richterin sowie die Hofräte Mag. Nedwed und Mag. Tolar als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Wuketich, über die Revision des A S, vertreten durch Mag. Florian Kreiner, Rechtsanwalt in 1080 Wien, Friedrich-Schmidt-Platz 7/14, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 17. Dezember 2019, W147 2209110-1/14E, betreffend eine Asylangelegenheit (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl),

Spruch

I. den Beschluss gefasst:

Die Revision wird insoweit zurückgewiesen, als sie sich gegen die Aberkennung des Status des Asylberechtigten und die Feststellung, dass dem Revisionswerber die Flüchtlingseigenschaft kraft Gesetzes nicht mehr zukomme, die Nichtzuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten, die Nichterteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 57 Asylgesetz 2005 und die Entziehung des Konventionsreisepasses wendet.

II. zu Recht erkannt:

Im Übrigen wird das angefochtene Erkenntnis wegen Rechtswidrigkeit seines Inhalts aufgehoben.

Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Kostenmehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

1        Der Revisionswerber ist Staatsangehöriger der Russischen Föderation und gehört der tschetschenischen Volksgruppe an. Er stellte im Jahr 2004 im Alter von acht Jahren vertreten durch seine Mutter einen Asylantrag.

2        Der Unabhängige Bundesasylsenat gewährte dem Revisionswerber im Instanzenweg mit Bescheid vom 7. Dezember 2007 gemäß § 7 Asylgesetz 1997 Asyl und stellte fest, dass ihm kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukomme. Der Vater des Revisionswerbers habe einerseits den tschetschenischen Widerstand unterstützt und sei andererseits mit Anschlägen auf den Leiter der Miliz in Verbindung gebracht, bereits zweimal von russischen Sicherheitskräften festgenommen worden und Misshandlungen ausgesetzt gewesen. Für den Revisionswerber liege „wohlbegründete Furcht vor Verfolgung aus Gründen der Zugehörigkeit zur sozialen Gruppe der engen Familienangehörigen von politisch Verfolgten vor“.

3        Mit Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 23. Mai 2018 wurde über den Revisionswerber wegen des Verbrechens des gewerbsmäßigen schweren Betruges nach §§ 146, 147 Abs. 1 Z 1 und 148 zweiter Fall StGB eine Freiheitsstrafe von neun Monaten, die unter Bestimmung einer Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehen wurde, verhängt. Das Urteil erwuchs am selben Tag in Rechtskraft.

4        Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) erkannte dem Revisionswerber mit Bescheid vom 3. Oktober 2018 gemäß § 7 Abs. 1 Z 2 Asylgesetz 2005 (AsylG 2005) den Status des Asylberechtigten wegen Wegfalls der Umstände, die zur Zuerkennung dieses Status geführt hätten, ab, stellte fest, dass dem Revisionswerber die Flüchtlingseigenschaft kraft Gesetzes nicht mehr zukomme, erkannte ihm den Status des subsidiär Schutzberechtigten nicht zu, erteilte ihm keinen Aufenthaltstitel gemäß § 57 AsylG 2005, erließ gegen ihn eine Rückkehrentscheidung, stellte fest, dass seine Abschiebung in die Russische Föderation zulässig sei, legte eine Frist für die freiwillige Ausreise fest, erließ gegen den Revisionswerber ein auf die Dauer von acht Jahren befristetes Einreiseverbot und entzog ihm den Konventionsreisepass.

5        Der dagegen gerichteten Beschwerde des Revisionswerbers gab das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) mit dem angefochtenen Erkenntnis nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung nur insoweit statt, als es die Dauer des Einreiseverbotes auf fünf Jahre herabsetzte; im Übrigen wies es die Beschwerde als unbegründet ab. Die Revision erklärte das BVwG für nicht zulässig.

6        Zur Aberkennung des Status des Asylberechtigten hielt das BVwG begründend u.a. fest, der Revisionswerber habe im Aberkennungsverfahren keine aktuell bestehenden Verfolgungsgründe in seinem Herkunftsstaat geltend gemacht. Eine Rückkehrgefährdung für den Revisionswerber sei aus näher dargestellten Gründen auch nicht mehr zu erkennen.

7        Die Rückkehrentscheidung stelle zwar einen Eingriff in das von Art. 8 EMRK geschützte Privatleben des Revisionswerbers dar. Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes sei bei einem mehr als zehn Jahre dauernden inländischen Aufenthalt des Fremden regelmäßig von einem Überwiegen der persönlichen Interessen an einem Verbleib in Österreich auszugehen. Diese Rechtsprechung betreffe aber nur Konstellationen, in denen vom Fremden keine Gefährdung der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit ausgehe. Der Revisionswerber weise eine rechtskräftige Verurteilung wegen unterschiedlicher Delikte, insbesondere im Bereich der (schwerwiegenden) Vermögensdelinquenz, auf. Sein weiterer Aufenthalt würde demnach mit einer Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit einhergehen, zumal eine positive Zukunftsprognose aufgrund der Missachtung strafrechtlicher Normen nicht erkannt werden könne. Die öffentlichen Interessen an der Wahrung eines geordneten Fremdenwesens und des wirtschaftlichen Wohles des Landes durch Vermeidung unkontrollierter Zuwanderung wögen schwerer als die (näher dargestellten) persönlichen Interessen des Revisionswerbers an einem Verbleib im Bundesgebiet.

8        Die Revision macht in der Zulässigkeitsbegründung im Wesentlichen geltend, dem Revisionswerber sei der Asylstatus im Zuge eines Familienverfahrens nach dem Vater erteilt worden. Deshalb wäre „nach zwar uneinheitlicher, jedoch begründeter Rechtsprechung“ zu prüfen gewesen, ob dieser einer aktuellen Gefährdung ausgesetzt wäre, da betreffend den Revisionswerber ansonsten keine geänderten Umstände hätten eintreten können. Die Angehörigkeit zur sozialen Gruppe der engen Familienangehörigen sei jedenfalls nicht weggefallen. Dadurch sei das BVwG von der höchstgerichtlichen Rechtsprechung (VwGH 23.10.2019, Ra 2019/19/0059) abgewichen. Im Hinblick auf die Rückkehrentscheidung bringt die Revision insbesondere vor, die vom BVwG im Zusammenhang mit der Prüfung einer Verletzung des von Art. 8 EMRK geschützten Privatlebens zu Lasten des Revisionswerbers vorgenommene Abwägung der bloß einmaligen strafgerichtlichen Verurteilung zu einer bedingten Freiheitsstrafe auf der einen Seite und des 16 Jahre langen rechtmäßigen Aufenthalts in Österreich auf der anderen Seite widerspreche der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes.

9        Das BFA hat zu dieser Revision keine Revisionsbeantwortung erstattet.

10       Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

11       Die Revision ist teilweise zulässig und insoweit auch begründet.

Zu I. (Zurückweisung der Revision, soweit sie sich gegen die Aberkennung des Status des Asylberechtigten und die Feststellung, dass dem Revisionswerber die Flüchtlingseigenschaft kraft Gesetzes nicht mehr zukomme, die Nichtzuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten, die Nichterteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 57 Asylgesetz 2005 und die Entziehung des Konventionsreisepasses wendet):

12       Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

13       Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen. Ein solcher Beschluss ist gemäß § 34 Abs. 3 VwGG in jeder Lage des Verfahrens zu fassen.

14       Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

15       Die Revision behauptet ihre Zulässigkeit im Hinblick auf die Aberkennung des Status des Asylberechtigten allein mit dem Argument, das BVwG habe verkannt, dass dem Revisionswerber der Status eines Asylberechtigten im Familienverfahren „nach dem Vater“ zuerkannt worden sei, und sei vom Erkenntnis VwGH 23.10.2019, Ra 2019/19/0059, abgewichen, weil es nicht geprüft habe, ob der Vater einer aktuellen Gefährdung ausgesetzt sei.

16       Mit diesem Vorbringen übersieht die Revision, dass dem Revisionswerber der Status des Asylberechtigten nicht im Familienverfahren, sondern originär zuerkannt worden ist. Das zitierte höchstgerichtliche Erkenntnis, das sich mit den näheren Voraussetzungen der Aberkennung des einem Familienangehörigen im Familienverfahren bzw. durch Asylerstreckung zuerkannten Status des Asylberechtigten wegen Wegfalls der fluchtauslösenden Umstände beschäftigte, ist daher nicht einschlägig.

17       Im gegenständlichen Fall war vielmehr zu überprüfen, ob die originären Fluchtgründe, die den Unabhängigen Bundesasylsenat im Jahr 2007 zur Gewährung von Asyl an den Revisionswerber geführt haben, im Sinne des Art. 1 Abschnitt C Z 5 der Genfer Flüchtlingskonvention nicht mehr bestehen. Dies hat das BVwG in der angefochtenen Entscheidung mit näherer Begründung getan; dem hält die Revision nicht Stichhaltiges entgegen.

18       Soweit sich die Revision gegen die Aberkennung des Status des Asylberechtigten und die Feststellung, dass dem Revisionswerber die Flüchtlingseigenschaft kraft Gesetzes nicht mehr zukomme, wendet, aber auch - zumal diesbezüglich kein gesondertes Zulässigkeitsvorbringen erstattet wird - im Hinblick auf die Nichtzuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten, die Nichterteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 57 AsylG 2005 und die Entziehung des Konventionsreisepasses werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher insoweit gemäß § 34 Abs. 1 iVm Abs. 3 VwGG zurückzuweisen.

19       Zu II.:

20       Soweit sich die Revision gegen die Rückkehrentscheidung und die darauf aufbauenden Spruchpunkte richtet, ist sie zulässig und begründet.

21       Die Revision bringt vor, dass das BVwG im Zusammenhang mit der auf § 52 Abs. 2 Z 3 FPG gestützten Rückkehrentscheidung den langjährigen und wegen des Status als Asylberechtigter auch rechtmäßigen Aufenthalt des Revisionswerbers in Österreich nicht der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes entsprechend gewürdigt hat.

22       Damit ist sie im Recht: Der Verwaltungsgerichtshof hat sich in seiner jüngeren Rechtsprechung näher damit befasst, welche Kriterien bei Erlassung einer Rückkehrentscheidung gegen Fremde, die sich vor der Aberkennung des Schutzstatus langjährig rechtmäßig als Asylberechtigte im Bundesgebiet aufgehalten haben und über eine entsprechende „Aufenthaltsverfestigung“ verfügen, berücksichtigt werden müssen (vgl. dazu VwGH 15.12.2021, Ra 2021/20/0372; VwGH 15.12.2021, Ra 2021/20/0328). Auf die Begründung dieser Erkenntnisse wird gemäß § 43 Abs. 2 VwGG verwiesen.

23       Danach ist im Rahmen der nach § 9 Abs. 1 BFA-VG vorzunehmenden Interessenabwägung (auch) auf die Wertungen Bedacht zu nehmen, die sich aus den Vorschriften ergeben, nach denen eine aufenthaltsbeendende Maßnahme nach langjähriger rechtmäßiger Niederlassung in Österreich für nicht zulässig erklärt oder an besondere Voraussetzungen geknüpft wird. Dazu zählt insbesondere der - im vorliegenden Fall vorrangig in den Blick zu nehmende - § 52 Abs. 5 FPG, demzufolge die Erlassung einer Rückkehrentscheidung nur zulässig ist, wenn die Voraussetzungen gemäß § 53 Abs. 3 FPG die Annahme rechtfertigen, dass der weitere Aufenthalt des Drittstaatsangehörigen eine gegenwärtige, hinreichend schwere Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit darstellen würde.

24       Der Verwaltungsgerichtshof hat zu dem insoweit relevanten Gefährdungsmaßstab bereits erkannt, dass die Tatbestände des § 53 Abs. 3 FPG eine derartige höhere Gefährdungsannahme zwar auch indizieren, es aber in jedem Einzelfall zu prüfen sei, ob tatsächlich eine gegenwärtige, hinreichend schwere Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit gegeben sei. Bei einer Verurteilung zu einer zur Gänze bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe werde das - auch wenn dadurch § 53 Abs. 3 Z 1 FPG verwirklicht sei - in der Regel nicht der Fall sein (VwGH 7.10.2021, Ra 2020/21/0363).

25       Eine Beurteilung nach diesen rechtlichen Leitlinien hat das BVwG im vorliegenden Fall nicht vorgenommen. Es hat sich vielmehr auf jene höchstgerichtliche Rechtsprechung bezogen, die zur Frage entwickelt worden ist, ob einem unrechtmäßig aufhältigen Fremden ein aus Art. 8 EMRK ableitbares Aufenthaltsrecht zuzugestehen ist. Diese Judikatur ist, wie der Verwaltungsgerichtshof u.a. in dem zitierten Erkenntnis Ra 2021/20/0372, Rn. 49, näher ausgeführt hat, für den vorliegenden Fall aber nicht einschlägig.

26       Das angefochtene Erkenntnis war daher in Bezug auf die Rückkehrentscheidung und die darauf aufbauenden Spruchpunkte gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhalts aufzuheben.

27       Das Absehen von der beantragten mündlichen Verhandlung gründet sich auf § 39 Abs. 2 Z 3 VwGG.

28       Die Kostenentscheidung gründet sich auf §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.

Wien, am 17. Februar 2022

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2022:RA2020180178.L00

Im RIS seit

25.03.2022

Zuletzt aktualisiert am

25.03.2022
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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