Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat am 1. März 2022 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Schwab als Vorsitzenden sowie die Vizepräsidentin des Obersten Gerichtshofs Mag. Marek, die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Bachner-Foregger und Mag. Fürnkranz und den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Oberressl als weitere Richter in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Kostersitz als Schriftführer in der Strafsache gegen * S* wegen Verbrechen der fortgesetzten Gewaltausübung nach §§ 107b Abs 1, Abs 3a Z 1, Abs 4 zweiter Fall StGB und weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten sowie über die Berufung der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien als Schöffengericht vom 25. Juni 2021, GZ 55 Hv 33/21f-47, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.
Zur Entscheidung über die Berufungen werden die Akten dem Oberlandesgericht Wien zugeleitet.
Dem Angeklagten fallen die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.
Text
Gründe:
[1] Mit dem angefochtenen Urteil wurde * S* des Vergehens der Körperverletzung nach § 83 Abs 1 StGB (I./) und zweier Verbrechen der fortgesetzten Gewaltausübung nach § 107b Abs 1, Abs 3a Z 1, Abs 4 zweiter Fall StGB (II./) schuldig erkannt.
[2] Danach hat er in W*
I./ am 11. November 2020 seine Ehefrau F* am Körper verletzt, indem er ihr mit der Faust auf den Hinterkopf schlug, wodurch sie eine Prellung des Kopfes und eine Zerrung der Halswirbelsäule erlitt;
II./ gegen andere Personen längere Zeit hindurch fortgesetzt Gewalt ausgeübt, wobei er die Taten gegen unmündige Personen länger als ein Jahr (US 4 f, US 8 f) beging, und zwar
1./ gegen seinen Stiefsohn R*, geboren am * 2004, indem er diesen zumindest ab dem Jahr 2015 bis Ende 2019 ca drei bis vier Mal pro Jahr mit den Händen oder mit einem Gürtel auf den Körper schlug, wodurch er rote Abdrücke und Hämatome erlitt (US 4), ihn ca sechs Mal pro Jahr mit den Händen oder mit einem Gürtel zu schlagen versuchte, wobei die Tatausführung durch Einschreiten der Mutter verhindert wurde, und ihn immer wieder (US 5) durch die Äußerung, er werde ihn schlagen, mit einer Verletzung am Körper (US 5) gefährlich bedrohte, um ihn in Furcht und Unruhe zu versetzen (US 5),
2./ gegen seinen Stiefsohn O*, geboren am * 2006, indem er diesen zumindest ab dem Jahr 2015 bis zum 11. November 2020 ca ein Mal pro Monat mit den Händen (US 4) oder mit einem Gürtel auf den Körper schlug, wodurch er rote Abdrücke und Hämatome (US 4) erlitt, ihn ca sechs Mal pro Jahr mit den Händen oder mit einem Gürtel zu schlagen versuchte, wobei die Tatausführung durch das Einschreiten der Mutter verhindert wurde (US 4), und ihn immer wieder (US 5) durch die Äußerung, er werde ihn schlagen, mit einer Verletzung am Körper (US 5) gefährlich bedrohte, um ihn in Furcht und Unruhe zu versetzen (US 5).
Rechtliche Beurteilung
[3] Gegen die Schuldspruchgruppe II./ richtet sich die auf § 281 Abs 1 Z 5 und 9 lit a StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten.
[4] Nach den Urteilskonstatierungen zu II./ fanden beginnend mit 2015 wiederholte, zeitlich unregelmäßige aufeinander folgende, von einem Gesamtvorsatz getragene, tatbildliche Angriffe des Angeklagten gegenüber seinen Stiefsöhnen statt (US 4 f). Demnach wird kein entscheidender Aspekt angesprochen, wenn etwa (jeweils) bloß einzelne im Rahmen der hier – auf der Feststellungsbasis des angefochtenen Urteils – in Bezug auf jedes der beiden Opfer tatbestandlichen Handlungseinheit (RIS-Justiz RS0129716 [T3, T4] = 11 Os 76/21t EvBl 2022, 181) begangene Ausführungshandlungen und Tatmodalitäten oder der Eintritt von Verletzungsfolgen bekämpft werden (RIS-Justiz RS0127374).
[5] Die Mängelrüge (Z 5 erster Fall) macht nicht klar, aus welchem Grund die Feststellung, wonach S* seine Stiefsöhne (R* drei bis vier Mal pro Jahr und O* ein Mal pro Monat) mit den Händen oder mit einem Gürtel schlug, wodurch diese rote Abdrücke und Hämatome erlitten (US 4), undeutlich sein sollte (vgl im Übrigen zu den Begriffen Misshandlung und Körperverletzung: Leukauf/Steininger/Nimmervoll/Stricker, StGB Update 2020 § 83 Rz 6 und Rz 14 mwN).
[6] Soweit die Rüge die Urteilsannahmen, wonach der Angeklagte seine Stiefsöhne „regelmäßig“ bzw „immer wieder“ bedrohte (US 4 f), als undeutlich (Z 5 erster Fall) kritisiert, spricht sie mit Blick auf die – bereits das Tatbildmerkmal „fortgesetzt“ tragenden – Konstatierungen zur Dichte und Intensität der körperlichen Übergriffe (vgl vorigen Absatz) keine für die Schuld- oder Subsumtionsfrage entscheidende Tatsache an.
[7] Mit eigenständigen Erwägungen zum Bedeutungsinhalt der Äußerungen des Angeklagten zeigt die Rüge keinen formellen Begründungsmangel iSd Z 5 auf, sondern bekämpft bloß in dieser Form unzulässig die tatrichterliche Beweiswürdigung. Der weiteren Beschwerdekritik zuwider (Z 5 vierter Fall) ist die Ableitung der Feststellungen zur subjektiven Tatseite in Bezug auf Bedeutungsinhalt und Ernstlichkeit der inkriminierten Äußerungen sowie zur damit verfolgten Täterintention aus dem äußeren Geschehen und dem Verhalten des Angeklagten (US 8) unter dem Aspekt der Begründungstauglichkeit nicht zu beanstanden (vgl RIS-Justiz RS0116882).
[8] Die Rechtsrüge (Z 9 lit a) bestreitet die Tatbestandsmäßigkeit der dem Beschwerdeführer angelasteten körperlichen und verbalen Übergriffe nach § 107b StGB. Sie erklärt jedoch nicht, weshalb die – von ihr zum Teil prozessordnungswidrig übergangenen (RIS-Justiz RS0099810) – Konstatierungen zu den vom Angeklagten gegenüber seinen Stiefsöhnen jeweils über einen Zeitraum von knapp fünf bzw sechs Jahren ca drei bis vier Mal jährlich bzw ein Mal monatlich gesetzten Tätlichkeiten in Form von Schlägen mit den Händen oder mit einem Gürtel, die mit vorsätzlich herbeigeführten Verletzungen einhergingen, zu den von ihm rund sechs Mal jährlich versuchten (durch Einschreiten der Mutter aber verhinderten) körperlichen Angriffen und zu den von ihm wiederholt geäußerten Drohungen mit der Zufügung weiterer Schläge und Verletzungen bei der gebotenen einzelfallbezogenen Gesamtbetrachtung der Faktoren Dauer, Dichte und Intensität der Übergriffe (RIS-Justiz RS0127377) die rechtliche Annahme einer fortgesetzten Gewaltausübung nicht tragen sollten (RIS-Justiz RS0116569).
[9] Weshalb es konkreterer Feststellungen zur Häufigkeit der gefährlichen Drohungen (vgl US 4 f) bedurft hätte, erklärt die Beschwerde nicht (vgl erneut RIS-Justiz RS0127374, RS0129716 [T4]).
[10] Indem die Rechtsrüge die Feststellungen zum Bedeutungsinhalt und zur Ernstlichkeit der Äußerungen (US 5) ausblendet und daran anknüpfend die mangelnde Eignung der Drohung zur begründeten Besorgniserregung abzuleiten trachtet, geht sie nicht von der Gesamtheit der tatrichterlichen Konstatierungen aus und verfehlt solcherart den gerade darin gelegenen gesetzlichen Bezugspunkt (RIS-Justiz RS0099810).
[11] In Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur war daher die Nichtigkeitsbeschwerde bereits bei nichtöffentlicher Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO), woraus die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts zur Entscheidung über die Berufungen folgt (§ 285i StPO).
[12] Die Kostenentscheidung beruht auf § 390a Abs 1 StPO.
Textnummer
E134173European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:2022:0110OS00134.21X.0301.000Im RIS seit
23.03.2022Zuletzt aktualisiert am
23.03.2022